Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.06.2019, Az. 10 B 18/18

10. Senat | REWIS RS 2019, 6268

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Gegenstand

Beginn der Rücknahmefrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG


Gründe

1

Die klagende Gemeinde wendet sich gegen die Rücknahme eines noch im September 1990 auf Grundlage des Kommunalvermögensgesetzes der [X.] ergangenen Entscheides des Landrates des [X.] zum Übergang unter anderem acht landwirtschaftlich genutzter Grundstücke in ihr Eigentum. Die Beklagte hat diesen Entscheid 2016 aufgehoben und eine 1996 durch [X.] erfolgte Übertragung der Grundstücke an die Beigeladene bestätigt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Eigentumsübertragung an die Klägerin sei formell rechtswidrig gewesen und nachfolgend nicht geheilt worden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Zuordnung der Grundstücke, weil eine landwirtschaftliche Nutzung keine gemeindebezogene Aufgabe darstelle und die Klägerin auch kein Alteigentum nachgewiesen habe. Die Beklagte habe ihr Rücknahmeermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2

Die hiergegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

3

1. Die Revision ist nicht wegen der von der Klägerin geltend gemachten Abweichungen des Urteils von der Rechtsprechung des [X.] zuzulassen. Diese sind dem angegriffenen Urteil nicht zu entnehmen.

4

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.]verfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen die jeweilige Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Juni 1995 - 8 [X.] - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 18). Daran fehlt es hier.

5

a) Die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht weiche von dem Urteil des [X.] vom 3. November 1972 - 4 [X.] 106.68 - ([X.] 407.4 § 8 [X.] Nr. 9) ab, indem es der nachträglichen Billigung eines von einer unzuständigen Behörde erlassenen Verwaltungsakts eine Rückwirkung abspreche. Einen dahingehenden abstrakten Rechtssatz hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht aufgestellt. Es hat fallbezogen eine Heilung des Zuständigkeitsmangels des Entscheides des Landrates durch nachträgliche Siegelung seitens der [X.] abgelehnt, weil diese nicht vom hierfür allein zuständigen Präsidenten der Anstalt vorgenommen worden sei und weil darüber hinaus selbst dessen Genehmigung materiell rechtswidrig gewesen wäre.

6

b) Die Klägerin rügt außerdem eine Abweichung des angegriffenen Urteils von dem Beschluss des [X.] vom 31. Mai 2006 - 6 B 65.05 - ([X.] 340 § 5 [X.] Nr. 21). Das Verwaltungsgericht weiche von der Entscheidung mit dem abstrakten Rechtssatz ab, die Zustellung eines Bescheides müsse auf einem nach außen konkret und unmittelbar dokumentierten [X.]n beruhen. Ein solcher Rechtssatz ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat eine zeitliche Beschränkung des Rücknahmeermessens der Beklagten selbst bei einer von ihm ausdrücklich offen gelassenen Anwendbarkeit des § 2 Abs. 5 Satz 1 [X.] als Ermessensdirektive auf [X.] nach dem Kommunalvermögensgesetz verneint. Es sei nicht erkennbar, dass die in dieser Norm geregelte Zweijahresfrist gegenüber der [X.] zu laufen begonnen habe, weil schon nicht erkennbar sei, wie der Entscheid des Landrates ihr zugegangen sei. Deshalb lasse sich auch nicht feststellen, ob diesem Zugang ein [X.] zugrunde gelegen habe. Damit stellt das Verwaltungsgericht gerade nicht auf die Erkennbarkeit eines [X.]ns nach außen, sondern auf die Erkennbarkeit der Umstände des Zugangs ab, aus denen sich ein [X.] ableiten lassen könnte. Im Übrigen lässt sich auch der von der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung angeführten Entscheidung des [X.] der von ihr bezeichnete abstrakte Rechtssatz nicht entnehmen, der [X.] könne sich mittelbar aus den Gesamtumständen ergeben. Die Entscheidung gibt im Kontext der Verneinung eines Aufklärungsmangels der Vorinstanz lediglich deren auf höchstrichterliche Rechtsprechung gestützte materiell-rechtliche Auffassung wieder, ein [X.] liege bei einer Zuleitung des betreffenden Schriftstücks durch die Behörde an den Empfangsberechtigten vor. Da die Vorinstanz aus einer behördlichen Aushändigung auf den erforderlichen [X.]n geschlossen habe, habe sie keinen weiteren Beweis zur Zustellung erheben müssen. Diesen ersichtlich einzelfallbezogenen Erwägungen des [X.] lässt sich ein abstrakter Rechtssatz in dem von der Klägerin behaupteten Sinne nicht entnehmen.

7

2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der von der Klägerin sinngemäß aufgeworfenen Frage zuzulassen,

ob die Anknüpfung des Beginns des Laufs der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG an die Anhörung des Betroffenen im Hinblick auf das für das Beitragsrecht anerkannte verfassungsrechtliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit zeitlich zu begrenzen sei.

8

Diese Frage wäre im vorliegenden Verfahren weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Die Klägerin ist als öffentlich-rechtliche Körperschaft durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden. Deshalb spricht Vieles dafür, dass sie sich auf die Vertrauensschutz gegenüber der Herstellung rechtmäßiger Zustände gewährleistende Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht berufen kann (vgl. [X.], Urteil vom 27. April 2006 - 3 [X.] 23.05 - [X.]E 126, 7 <14>). Jedenfalls kann der Gedanke der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, aus dem das [X.]verfassungsgericht die besondere zeitliche Begrenzung einer Beitragserhebung gegenüber dem Bürger abgeleitet hat (vgl. Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - [X.] 133, 143 Rn. 41), nicht auf sie übertragen werden (vgl. [X.], Urteil vom 27. April 2006 - 3 [X.] 23.05 - [X.]E 126, 7 <12 f.>), so dass es nicht darauf ankommt, ob sich diese Begrenzung über das Beitragsrecht hinaus ausdehnen ließe. Unabhängig hiervon hat der Senat in seinen Urteilen vom 23. Januar 2019 (10 [X.] 5.17 u.a. - juris Rn. 32) geklärt, dass die Rücknahmefrist erst mit Eingang der Stellungnahme des Betroffenen im Rahmen der Anhörung zu laufen beginnt und dass bei einer verzögerten Anhörung zur beabsichtigten Rücknahme einer Entscheidung gegebenenfalls die Grundsätze der Verwirkung eingreifen. Hierüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht erhoben. Wegen des [X.] wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 [X.] hingewiesen.

Meta

10 B 18/18

18.06.2019

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Berlin, 10. September 2018, Az: 33 K 8.18, Urteil

§ 48 Abs 4 S 1 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.06.2019, Az. 10 B 18/18 (REWIS RS 2019, 6268)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 6268

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1 BvR 2457/08

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