Bundessozialgericht, Urteil vom 25.08.2011, Az. B 8 SO 29/10 R

8. Senat | REWIS RS 2011, 3734

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Unterkunft und Heizung - Mietvertrag unter Verwandten - fehlender rechtlicher Bindungswille - Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl nur bei tatsächlichen Aufwendungen


Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. August 2010 aufgehoben, soweit darin über Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung entschieden worden ist, und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 13. Dezember 2007 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] (noch) Leistungen für Unterkunft und [X.]eizung für die [X.] vom 1.1. bis 31.12.2005 nach dem [X.] - (S[X.]B XII).

2

Der 1980 geborene Kläger bezieht seit dem 1.1.2003 Leistungen der [X.]rundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, zunächst (bis 31.12.2004) nach dem [X.]rundsicherungsgesetz ([X.]). Bei ihm sind ein [X.]rad der Behinderung ([X.]dB) von 100 und die Nachteilsausgleiche "[X.]", "[X.]" und "[X.]" anerkannt. Er lebt gemeinsam mit seinem Vater in einem Reihenhaus; dieser ist Eigentümer des [X.]ausgrundstücks und trägt hierfür die laufenden Kosten. Am [X.] schloss der Kläger, vertreten durch einen gesondert hierfür bestellten Ergänzungsbetreuer, mit seinem Vater ab 1.1.2005 einen Mietvertrag über einen Mietzins von 300 Euro zzgl einer Vorauszahlung für [X.]eizung und Warmwasser in [X.]öhe von 50 Euro monatlich ab. Dem Kläger waren zuvor ab 1.1. bis 31.12.2005 Leistungen der [X.]rundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem S[X.]B XII ohne Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und [X.]eizung bewilligt worden (bestandskräftiger Bescheid vom 3.1.2005; Widerspruchsbescheid vom 7.3.2005). Kosten für Unterkunft und [X.]eizung wurden nach Vorlage des [X.] vom [X.] in einem Überprüfungsverfahren erneut für das [X.] abgelehnt (Bescheide vom 11.5.2005 und [X.]; Widerspruchsbescheid nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 31.8.2005).

3

Die Klage, mit der der Kläger ua Leistungen für Unterkunft und [X.]eizung geltend gemacht hat, hat das Sozialgericht (S[X.]) Stade abgewiesen (Urteil vom 13.12.2007), weil der Kläger keine Aufwendungen für Unterkunft und [X.]eizung habe. Der Mietvertrag sei nur zu dem Zweck eingegangen worden, höhere [X.]rundsicherungsleistungen zu erhalten und dem Vater des [X.] als Vermieter der Räumlichkeiten Einnahmen zukommen zu lassen; die geleisteten Mietzahlungen seien von den Vertragspartnern als rechtlich nicht verbindlich angesehen worden. Das [X.] (LS[X.]) [X.] hat den Beklagten auf die Berufung des [X.] verurteilt, dem Kläger für den [X.]raum vom 1.1. bis 31.12.2005 Leistungen für Unterkunft und [X.]eizung in [X.]öhe der [X.]älfte der für das bewohnte [X.]aus anfallenden angemessenen Unterkunfts- und [X.]eizkosten zu zahlen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LS[X.] ausgeführt, dem Kläger seien zwar keine Aufwendungen für Unterkunft und [X.]eizung durch entsprechende Zahlungsverpflichtungen aus dem mit seinem Vater als Vermieter geschlossenen Mietvertrag entstanden, weil unter Würdigung der [X.]esamtumstände nicht die erforderliche Überzeugung habe gewonnen werden können, dass der Kläger ernstlichen Forderungen seines [X.] auf Zahlung der sich aus dem vorliegenden - nicht mit ernsthaftem Bindungswillen abgeschlossenen - Mietvertrag ergebenden [X.]esamtmonatsmiete ausgesetzt sei; jedoch bestünden die Aufwendungen für die Unterkunft einer hilfebedürftigen Person, die mit nicht hilfebedürftigen, mit ihr verwandten oder verschwägerten Personen in [X.]aushaltsgemeinschaft lebten, in einem Teil der angemessenen Aufwendungen, die für die Wohnung der [X.]aushaltsgemeinschaft zu entrichten seien. Die Unterkunftskosten seien dabei nach Personenzahl - hier zwei - aufzuteilen. Dies gelte auch dann, wenn - wie hier - tatsächliche Aufwendungen im Sinne der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen nicht bestünden.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 42 Satz 1 Nr 2 S[X.]B XII. Übernahmefähig seien danach nur tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und [X.]eizung, die dem Kläger jedoch nicht entstanden seien.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LS[X.] unter Zurückweisung der Berufung des [X.] gegen das Urteil des S[X.] aufzuheben, soweit darin über Leistungen für Kosten der Unterkunft und [X.]eizung entschieden worden ist.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Auffassung des LS[X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Das [X.] hat zu Unrecht den Beklagten zur Zahlung anteiliger Aufwendungen für Unterkunft und Heizung verurteilt. Der Kläger hat in dem streitigen [X.]raum von Januar bis Dezember 2005 keinen Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung, der von dem Beklagten zu decken war.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], soweit der Beklagte Kosten für Unterkunft und Heizung abgelehnt hat. Der zunächst als Bescheid nach § 44 Abs 1 [X.] - ([X.]) ergangene Überprüfungsbescheid vom 11.5.2005, der die Aufhebung des hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung belastenden Verwaltungsakts vom [X.] vom [X.] abgelehnt hat, wurde nämlich durch den im laufenden Widerspruchsverfahren ergangenen Bescheid vom [X.] insgesamt ersetzt (§ 86 [X.]G). Mit diesem Bescheid hat der Beklagte der Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 17.12.2003 - 5 C 25/02 -, [X.] 436.0 § 76 [X.] [X.]) Rechnung getragen, wonach Kindergeld, das an den [X.] ausgezahlt wird, nicht als Einkommen des (erwachsenen) Kindes zu berücksichtigen ist und deshalb die Leistung für das gesamte [X.] neu festgesetzt. Damit hat sich auch der Bescheid vom 11.5.2005 erledigt (§ 39 Abs 2 [X.]), weil er hinsichtlich des neuerlichen Bewilligungsbescheides keine Wirkung mehr entfaltet. Dabei spielt es keine Rolle, dass eine ausdrückliche Ablehnung von Kosten für Unterkunft und Heizung zwar noch in dem Bescheid vom 11.5.2005, nicht mehr aber in dem nur noch streitbefangenen Bescheid vom [X.] im Sinne einer ausdrücklichen Verfügung enthalten war, weil eine solche Ablehnung stillschweigend auch dieser Bescheid erklärt, sich hiergegen der (aufrechterhaltende) Widerspruch richtete und in dem Widerspruchsbescheid vom [X.] auch ausdrücklich eine den Widerspruch zurückweisende Entscheidung über Kosten für Unterkunft und Heizung getroffen wurde. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1 und 4 [X.]G iVm § 56 [X.]G). Der [X.] hat nur über die Kosten von Unterkunft und Heizung zu entscheiden. Das [X.] hat in seinem Urteil die Zulassung der Revision zulässigerweise auf diesen abtrennbaren selbstständigen Anspruch ([X.], 217 ff Rd[X.] 18 = [X.]-4200 § 22 [X.] 1; B[X.], Urteil vom 14.4.2011 - [X.] [X.] 18/09 R - Rd[X.] 10 mwN zum Recht Grundsicherung für Arbeitsuchende) beschränkt.

Soweit der [X.]raum von Oktober bis Dezember 2005 betroffen ist, ist die Anfechtungsklage bereits unzulässig, weil der Bescheid vom [X.] durch einen weiteren, nach [X.] (23.9.2005) am 4.10.2005 ergangenen Bescheid ersetzt wurde und sich insoweit - also bezogen auf den [X.]raum von Oktober bis Dezember 2005 - erledigt hat (siehe oben). Der Bescheid vom 4.10.2005, mit dem die Leistung für diesen [X.]raum wiederum neu geregelt wurde, ist zwar nach § 96 [X.]G Gegenstand des Verfahrens geworden. [X.] und [X.] haben ihn allerdings faktisch nicht in das Verfahren einbezogen, was von dem Kläger und dem Beklagten im Revisionsverfahren nicht gerügt worden ist. Die Nichtbeachtung eines Folgebescheids im Sinne des § 96 [X.]G stellt keinen in der Revisionsinstanz fortwirkenden und dort von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel dar (stRspr; vgl nur B[X.] SozR 1500 § 53 [X.] 2). Die auf den [X.]raum von Oktober bis Dezember 2005 gerichtete Leistungsklage ist damit andererseits unbegründet, weil der Bescheid vom 4.10.2005 mangels Verfahrensrüge bestandskräftig geworden ist (§ 77 [X.]G).

Soweit es den (verbleibenden) [X.]raum von Januar bis September 2005 betrifft, misst sich die Begründetheit der Klage - anders als das [X.] meint - nicht an § 44 Abs 1 [X.]. Zwar hat es im Hinblick auf den bestandskräftigen Bescheid vom [X.] vom [X.] zu Recht angenommen, dass der zunächst ergangene Bescheid vom 11.5.2005 als Bescheid nach § 44 Abs 1 [X.] zu werten war, der Bescheid vom [X.] vom [X.] wurde jedoch durch den im laufenden Widerspruchsverfahren ergangenen Bescheid vom [X.], der Leistungen für Unterkunft und Heizung für das [X.] ablehnt und damit die Möglichkeit zur Anfechtung neu eröffnet, insgesamt ersetzt (siehe oben).

Ob die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 19 Abs 2, 41 ff [X.]II (jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - [X.] 3022) für den [X.]raum von Januar bis September 2005 gegeben sind, kann hier dahingestellt bleiben, weil ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung, auf den die Klage beschränkt wurde, schon mangels Bedarfs ausscheidet. Nach § 42 Satz 1 [X.] 2 [X.]II (in der Fassung des [X.]) umfassen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung entsprechend § 29 [X.]II (in der Fassung des [X.] bzw für die [X.] ab 30.3.2005 in der Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005 - [X.] 818). Nach § 29 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 [X.]II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht. Nach dem Wortlaut von § 42 Satz 1 [X.] 2 iVm § 29 [X.]II kommt dabei nur die Berücksichtigung tatsächlich anfallender Kosten als Hilfebedürftigkeit begründender Bedarf in Betracht, wenn - wie hier - eine volljährige hilfebedürftige Person mit nicht hilfebedürftigen verwandten oder verschwägerten Personen in einer [X.] zusammenlebt (B[X.], Urteil vom 14.4.2011 - [X.] [X.] 18/09 R - Rd[X.] 15; B[X.] [X.]-4200 § 9 [X.] 9 Rd[X.] 14) und weder die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft nach dem [X.] ([X.]B II) noch einer Einsatzgemeinschaft nach dem [X.]II noch einer sog gemischten Bedarfsgemeinschaft besteht, bei der mindestens eine Person dem System des [X.]B II und mindestens eine andere dem System des [X.]II zuzuordnen ist (B[X.]E 99, 131 ff Rd[X.] 12 = [X.]-3500 § 28 [X.] 1).

So liegt der Fall hier. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, für den [X.] bindenden (§ 163 [X.]G) tatsächlichen Feststellungen des [X.] hatte der in [X.] mit seinem Vater lebende volljährige Kläger keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, weil mangels Bindungswillens kein wirksamer Mietvertrag geschlossen wurde (§§ 117 Abs 1, 133 Bürgerliches Gesetzbuch) und auch nicht die erforderliche Überzeugung habe gewonnen werden können, dass der Kläger ernsthaften Forderungen seines Vaters ausgesetzt gewesen sei. Dem [X.] ist es nicht gestattet, eine andere Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, weil er hierdurch im Ergebnis entgegen §§ 162, 163 [X.]G eine eigene Beweiswürdigung vornehmen und Tatsachen feststellen würde (vgl nur B[X.], Urteil vom 22.9.1981 - 1 RJ 42/80). Die Beweislast für das Entstehen von Aufwendungen trägt der Kläger.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 [X.]G.

Meta

B 8 SO 29/10 R

25.08.2011

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Stade, 13. Dezember 2007, Az: S 19 SO 120/05, Urteil

§ 42 S 1 Nr 2 SGB 12 vom 27.12.2003, § 19 Abs 2 SGB 12 vom 27.12.2003, § 29 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 29 Abs 3 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 29 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 21.03.2005, § 29 Abs 3 S 1 SGB 12 vom 21.03.2005, § 117 Abs 1 BGB vom 02.01.2002, § 133 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 25.08.2011, Az. B 8 SO 29/10 R (REWIS RS 2011, 3734)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3734

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 8 SO 18/09 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - bedarfsorientierte Grundsicherung bzw Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Unterkunft und Heizung …


B 8 SO 10/14 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Unterkunft und Heizung - tatsächliche Aufwendungen …


B 8 SO 19/09 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - mietvertraglich vereinbarte Betreuungspauschale als Bestandteil der …


L 8 SO 121/21 (LSG München)

Mietforderung, Mietvertrag, Forderung, Sozialleistungsträger, Anspruch, höhere Leistungen, Grundsicherung, Trisomie 21


B 14 AS 52/09 R (Bundessozialgericht)

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Abzug für Warmwasserbereitung - Anteil in der Regelleistung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.