Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.11.2013, Az. 9 AZR 551/12

9. Senat | REWIS RS 2013, 1296

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Gegenstand

Urlaubsabgeltung - Verfall des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub bei lang andauernder Erkrankung des Arbeitnehmers


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 31. Januar 2012 - 11 [X.] 739/10 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. April 2010 - 7 Ca 4601/09 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der [X.], ihr zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem [X.] nach dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in [X.] zu gewähren.

2

Die 1971 geborene Klägerin, die ihre Arbeitsleistung an sechs Tagen in der Woche erbringt, ist bei der [X.] respektive deren Rechtsvorgängerin seit dem 17. März 2003 als Verkäuferin beschäftigt. Der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in [X.] vom 25. Juli 2008 ([X.]), der kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, enthielt in der für die Jahre 2008 und 2009 maßgeblichen Fassung ua. folgende Regelungen:

        

§ 15 

        

Urlaub

        

…       

        

(2) Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. Maßgebend für die [X.] ist das Lebensalter bei Beginn des Kalenderjahres.

        

(3) [X.] beträgt je Kalenderjahr

        

…       

        

nach dem vollendeten 30. Lebensjahr

36 Werktage.

        
        

…       

        

(7) [X.] ist möglichst im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. …

        

(8) Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten 4 Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.

        

…       

        

(12) Wird der Arbeitnehmer während des Urlaubs arbeitsunfähig krank, so ist er verpflichtet, dem Arbeitgeber von seiner Erkrankung durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung unverzüglich Kenntnis zu geben.

        

Die in die [X.] der Erkrankung fallenden Urlaubstage gelten in diesem Falle als nicht genommen.

        

…“    

3

Von März 2008 bis Mitte Mai 2009 war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig krank. Während der sich daran anschließenden Wiedereingliederung beantragte die Klägerin ua., ihr zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub für das [X.] zu gewähren. Die Beklagte teilte ihr mit, sie solle den Urlaub im [X.] an die [X.] ab dem 11. Juni 2009 nehmen. In der Folgezeit widerrief die Beklagte die Urlaubsgewährung. Mit Schreiben vom 30. Juli 2009 verlangte die Klägerin von der [X.] ohne Erfolg, ihrem Arbeitszeitkonto ua. zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem [X.] gutzuschreiben.

4

Die Klägerin hat die Rechtsauffassung vertreten, sie habe Anspruch auf zwölf Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem [X.]. § 15 [X.] enthalte keine vom [X.] abweichenden Befristungs- und Verfallsregelungen.

5

Der Klägerin hat sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihr für das Jahr 2008 weitere zwölf Urlaubstage zu gewähren.

6

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der tarifliche Mehrurlaub sei gemäß § 15 Abs. 8 [X.] verfallen.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der von dem [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel, die Abweisung der Klage, weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der [X.]n ist begründet. Das [X.] hat die Berufung der [X.]n gegen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. [X.] ist unbegründet. Die [X.] ist weder verpflichtet, der Klägerin tariflichen [X.] aus dem [X.] zu gewähren, noch, ihr Schadensersatz in Form von [X.] zu leisten.

9

I. Die Klägerin erwarb zu Beginn des Jahres 2008 einen Anspruch auf zwölf Arbeitstage tariflichen [X.] (§ 15 Abs. 3 [X.]. § 3 [X.]), der aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit in das [X.] übertragen wurde (§ 15 Abs. 7 Satz 2 [X.]). Die Revision rügt zu Recht, dass dieser Anspruch ungeachtet der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 30. April 2009 verfallen ist (§ 15 Abs. 8 [X.]). Die Tarifbestimmung des § 15 Abs. 8 [X.] ist insoweit wirksam, als sie einen Verfall des [X.] am 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres vorsieht.

1. Die unionsrechtlichen Vorgaben, die der [X.] zum Anlass genommen hat, § 7 Abs. 3 [X.] fortzubilden, betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, frei regeln (vgl. [X.] 3. Mai 2012 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 34 ff. mwN). Ihre Regelungsmacht schließt die Befristung des [X.] ein. Unionsrecht steht einem tariflich angeordneten Verfall des [X.] nicht entgegen ([X.] 22. Mai 2012 - 9 [X.] - Rn. 10). Eine Vorlage an den [X.] zwecks Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV ist deshalb nicht erforderlich.

2. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen [X.] einem eigenen, von dem des gesetzlichen Urlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem „Gleichlauf“ des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen [X.] auszugehen. Ein „Gleichlauf“ ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung oder beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem [X.] unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom [X.] abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung oder zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben ([X.] 22. Mai 2012 - 9 [X.] - Rn. 12).

3. Die Parteien des [X.] haben sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom [X.] abweichende Regelungen zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen. Nach der [X.] des [X.] soll der Arbeitnehmer das Risiko tragen, dass der Anspruch auf [X.] infolge Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar ist. Dies folgt aus § 15 Abs. 8 [X.], demzufolge der Urlaub im Falle der Übertragung in den ersten vier Monaten des folgenden Kalenderjahres zu gewähren und zu nehmen ist. Hierin weicht der [X.] von der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] ab, die lediglich einen Übertragungszeitraum von drei Monaten vorsieht.

4. Unerheblich ist, dass die eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub unwirksam ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 [X.] iVm. § 134 BGB). Für den vom gesetzlichen Urlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen [X.], bleibt sie gemäß § 139 BGB wirksam (vgl. [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 27).

II. Die [X.] schuldet die Gewährung von [X.] nicht aufgrund einer einzelvertraglichen Vereinbarung. Die Erklärung des Arbeitgebers, er gewähre einem Arbeitnehmer Erholungsurlaub, ist im Regelfall Erfüllungs-, nicht aber Verpflichtungshandlung. Der Arbeitgeber bringt mit der Freistellungserklärung regelmäßig zum Ausdruck, dass er bestehende Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers durch die Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung für einen bestimmten Zeitraum erfüllen will. Ein von einem rechtsgeschäftlichen Erklärungsbewusstsein getragener Wille des Arbeitgebers, durch die Freistellungserklärung bereits verfallene Urlaubsansprüche neu zu begründen und diese im selben Akt (uno actu) zu erfüllen, kann nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Solche hat die Klägerin nicht vorgetragen. Die [X.] war deshalb berechtigt, von der Urlaubsgewährung Abstand zu nehmen. Da der Anspruch der Klägerin auf tariflichen [X.] aus dem [X.] mit Ablauf des 30. April 2009 unterging, bestand für eine Gewährung nach diesem Zeitpunkt kein Rechtsgrund.

III. [X.] hat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Schadensersatzes keinen Erfolg. Die Voraussetzungen nach § 275 Abs. 1 und 4, § 280 Abs. 1 und 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im [X.] verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von [X.] als Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch um (vgl. [X.] 17. Mai 2011 - 9 [X.] - Rn. 11, [X.]E 138, 58). Als der Anspruch der Klägerin auf [X.] mit Ablauf des tariflichen Übertragungszeitraums am 30. April 2009 verfiel, befand sich die [X.] mit der Urlaubsgewährung nicht im Verzug. In seiner Entscheidung vom 17. Mai 2011 (- 9 [X.] - Rn. 14) hat der [X.] dahinstehen lassen, ob in der Forderung des Arbeitnehmers, seinem Urlaubskonto Urlaubstage gutzuschreiben, eine Mahnung iSd. § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt. Der [X.] braucht die Frage auch hier nicht zu beantworten. Die Klägerin verlangte erstmals mit Schreiben vom 30. Juli 2009 von der [X.]n, ihr ua. zwölf Arbeitstage tariflichen [X.] aus dem [X.] gutzuschreiben. Zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch bereits verfallen.

IV. Die Klägerin hat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Suckow    

        

        

        

    Matt. Dipper    

        

    Neumann    

                 

Meta

9 AZR 551/12

12.11.2013

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Aachen, 29. April 2010, Az: 7 Ca 4601/09, Urteil

§ 7 Abs 3 S 3 BUrlG, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.11.2013, Az. 9 AZR 551/12 (REWIS RS 2013, 1296)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1296


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 9 AZR 551/12

Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 551/12, 12.11.2013.


Az. 7 Ca 4601/09

Arbeitsgericht Aachen, 7 Ca 4601/09, 29.04.2010.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

9 AZR 507/14

12 Sa 982/14

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