Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.01.2016, Az. 9 AZR 507/14

9. Senat | REWIS RS 2016, 17524

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Gegenstand

Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub - Verfall trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Mai 2014 - 7 [X.] - aufgehoben.

2. Die Berufung des [X.] gegen das Endurteil des [X.] - [X.] - vom 12. Dezember 2013 - 4 [X.] 722/13 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Urlaubsansprüche des [X.] aus dem [X.].

2

Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit 1968 als Technikumsmitarbeiter in einer Fünftagewoche. Die Parteien wenden auf ihr Arbeitsverhältnis den zwischen der Beklagten und der [X.] geschlossenen Haustarifvertrag vom 26. März 2012 an. Dieser verweist in § 2 Ziff. 1 Buchst. a auf den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der [X.] Metall- und Elektroindustrie vom 23. Juni 2008 ([X.]), in dem [X.]. Folgendes geregelt ist:

        

§ 18 Urlaubsregelung

        

A. Allgemeine Bestimmungen

        

1. Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. …

        

…       

        

7. Der Anspruch auf Urlaub erlischt drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde. ...

        

…       

                 
        

B. [X.]

        

1. Die [X.] beträgt 30 Arbeitstage, wenn die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers auf 5 Tage je [X.] verteilt ist.

        

…“    

3

[X.] gewährte die Beklagte dem Kläger an zwölf Arbeitstagen Urlaub. Die Beklagte genehmigte darüber hinaus den vom Kläger beantragten Urlaub vom 20. Dezember 2012 bis zum 18. Jan[X.]r 2013. Vom 14. Dezember 2012 bis zum 7. Juni 2013 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Nach seiner Genesung beantragte der Kläger, ihm vom 10. Juni bis zum 3. Juli 2013 Urlaub zu gewähren. Die Beklagte gewährte dem Kläger Urlaub vom 10. bis zum 21. Juni 2013 verbunden mit dem Hinweis, zehn Tage des aus dem Jahr 2012 stammenden Urlaubs seien bereits verfallen.

4

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stünden noch zehn Urlaubstage aus dem [X.] zu. Das Fristenregime des [X.] unterscheide sich nicht vom Fristenregime des BUrlG.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass ihm aus dem [X.] zehn Urlaubstage bzw. zehn Tage bezahlte Freistellung zustehen.

6

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der vom Kläger beanspruchte Urlaub sei mit Ablauf des 31. März 2013 verfallen.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der [X.]eklagten ist begründet. Das [X.] hat das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht abgeändert und der Klage stattgegeben. Der Kläger hat gegen die [X.]eklagte keinen Anspruch auf weitere zehn Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2012. Die [X.]eklagte hat den aus dem Jahr 2012 stammenden Anspruch des [X.] auf gesetzlichen Mindesturlaub durch die Gewährung von 20 Arbeitstagen Urlaub erfüllt (§ 362 Abs. 1 [X.]G[X.]). Der darüber hinausgehende Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub ging ungeachtet der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des [X.] mit Ablauf des 31. März 2013 unter. Ein Anspruch des [X.] auf [X.] besteht nicht, da sich die [X.]eklagte vor diesem Zeitpunkt nicht in Verzug mit der Urlaubsgewährung befand.

9

I. Der Kläger erwarb zu [X.]eginn des Jahres 2012 gemäß § 18 Abschn. [X.] Ziff. 1 [X.], der gemäß § 2 Ziff. 1 [X.]uchst. a des [X.] auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, einen Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub. Im Laufe des Jahres nahm der Kläger an zwölf Arbeitstagen Urlaub mit der Folge, dass der Urlaubsanspruch des [X.] insoweit durch Erfüllung unterging (§ 362 Abs. 1 [X.]G[X.]).

1. Entgegen der Ansicht des [X.]s erfüllte die [X.]eklagte nicht nur den Anspruch auf den tariflichen Mehrurlaub, sondern auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Unterscheidet eine tarifvertragliche Regelung hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen gesetzlichen und arbeits- oder tarifvertraglichen Urlaubsansprüchen und räumt sie den Arbeitnehmern einen über den gesetzlichen Anspruch hinausgehenden Anspruch auf Erholungsurlaub ein, kommt ein Rückgriff auf die [X.] in § 366 Abs. 2 [X.]G[X.] ebenso wenig in [X.]etracht wie eine analoge Anwendung dieser Vorschrift. Denn es handelt sich insoweit um einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub, der auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht ([X.]AG 17. November 2015 - 9 [X.] - Rn. 18).

2. Soweit das [X.] angenommen hat, die Frage, ob § 366 Abs. 2 [X.]G[X.] auf Urlaubsansprüche anzuwenden ist, werde vom Senat nicht einheitlich beantwortet, geht sein Hinweis auf die Entscheidungen vom 16. Juli 2013 (- 9 [X.] -) und 15. Oktober 2013 (- 9 [X.] -) fehl. In diesen Entscheidungen ging es nicht um die Erfüllung von gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüchen, sondern um eine (etwaige) Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers iSv. § 366 Abs. 1 [X.]G[X.] bei der Zahlung von Urlaubsabgeltung.

II. Der tarifliche Mehrurlaub im Umfang von zehn Tagen verfiel gemäß § 18 Abschn. [X.]. 7 Satz 1 [X.] am 31. März 2013.

1. Gemäß § 18 Abschn. [X.]. 7 Satz 1 [X.] erlischt der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaub drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde.

2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verfalls lagen im Streitfall mit Ablauf des 31. März 2013 vor. Der Kläger machte den restlichen tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2012 im Umfang von zehn Arbeitstagen nicht vor seinem Verfall gegenüber der [X.]eklagten erfolglos geltend. Gewährt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den von ihm beantragten Urlaub, liegt eine erfolglose Geltendmachung im [X.] unabhängig davon nicht vor, ob der Arbeitnehmer den Urlaub später tatsächlich antritt. Dies ergibt die Auslegung der maßgeblichen [X.] (zu den auf Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen vgl. [X.]AG 22. April 2010 - 6 [X.] - Rn. 17 mwN, [X.]AGE 134, 184).

a) [X.]ereits der Wortlaut des § 18 Abschn. [X.]. 7 Satz 1 [X.] spricht gegen die seitens des [X.] präferierte Auslegung, der zufolge der Arbeitnehmer den Urlaub auch dann erfolglos geltend macht, wenn der Arbeitgeber ihn antragsgemäß genehmigt, der Arbeitnehmer ihn aber infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen kann. Die [X.] spricht von einer Geltendmachung des Urlaubs, nicht aber von [X.]. Der Arbeitnehmer macht seinen Urlaub gegenüber dem Arbeitgeber geltend, wenn er diesen auffordert, ihm Urlaub zu gewähren. Erteilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den beantragten Urlaub unter Zusage der Zahlung von Urlaubsentgelt (vgl. [X.]AG 10. Februar 2015 - 9 [X.] - Rn. 21) -, hat die Geltendmachung Erfolg, da der Arbeitgeber die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung vorgenommen hat (vgl. [X.]AG 10. Februar 2015 - 9 [X.] - Rn. 19). Die spätere krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers (vgl. § 9 [X.]UrlG) ist ein nachträgliches Erfüllungshindernis, das aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammt.

b) Mit der Tarifierung der Einschränkung „es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde“ haben die Tarifvertragsparteien im Interesse einer Kodifizierung eine umfassende Regelung der tariflichen Urlaubsansprüche treffen wollen. Dabei haben sie in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Senats, der zufolge dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber unter dem Gesichtspunkt des [X.] ein Anspruch auf ([X.] zusteht, wenn der Arbeitgeber einen fristgerecht gestellten Urlaubsantrag ablehnt (vgl. im Einzelnen [X.]AG 3. Juni 2014 - 9 [X.] - Rn. 10), bestimmt, dass dem Arbeitnehmer der Anspruch verbleibt, wenn er den Arbeitgeber vor dem Verfall des Urlaubs in Verzug gesetzt hat.

3. Die über den 31. März 2013 fortdauernde Arbeitsunfähigkeit des [X.] gibt kein anderes Ergebnis vor. Während der Anspruch des [X.] auf gesetzlichen Mindesturlaub über das erste Quartal des Jahres 2013 hinaus fortbestand (vgl. [X.]AG 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 32 ff., [X.]AGE 142, 371), ging der Anspruch des [X.] auf tariflichen Mehrurlaub mit Ablauf des 31. März 2013 unter. Die Tarifbestimmung des § 18 Abschn. [X.]. 7 Satz 1 [X.] ist insoweit wirksam, als sie einen Verfall des tariflichen [X.] regelt.

a) Die Parteien des [X.] haben den tariflichen Mehrurlaub einem eigenständigen Fristenregime unterstellt. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 15. Dezember 2015 (- 9 [X.] - Rn. 15 ff.) zur wortgleichen Vorgängerregelung in § 25 Abschn. [X.]. 7 Satz 1 des [X.] vom 1. Dezember 1973 idF vom 24. Mai 2002 entschieden (vgl. ferner zur strukturell ähnlichen Vorschrift des § 12 Abschn. I Ziff. 11 des [X.] für die chemische Industrie vom 24. Juni 1992 idF vom 16. März 2009 [X.]AG 17. November 2015 - 9 [X.] - Rn. 27 f.). Die Abweichung vom gesetzlichen Fristenregime hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer das Risiko trägt, dass der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub infolge Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar ist.

b) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub krankheitsbedingt arbeitsunfähiger Arbeitnehmer unwirksam ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 [X.]UrlG iVm. § 134 [X.]G[X.]). Für den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, bleibt sie wirksam (vgl. [X.]AG 12. November 2013 - 9 [X.] - Rn. 13).

III. Den nach dem 31. März 2013 verbleibenden Anspruch des [X.] auf acht Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub erfüllte die [X.]eklagte mit der Gewährung von Urlaub im Zeitraum vom 10. bis zum 21. Juni 2013 (§ 362 Abs. 1 [X.]G[X.]).

IV. Der Klageantrag hat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Schadensersatzes keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 287 Satz 2, § 249 Satz 1 [X.]G[X.] liegen nicht vor. Hat der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im [X.] verfallene Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch auf Gewährung von [X.] um (vgl. [X.]AG 17. Mai 2011 - 9 [X.] - Rn. 11, [X.]AGE 138, 58). Als der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub mit Ablauf des tariflichen Übertragungszeitraums am 31. März 2013 verfiel, befand sich die [X.]eklagte mit der Urlaubsgewährung nicht in Verzug.

1. Dem Antrag des [X.], mit dem er Urlaub vom 20. Dezember 2012 bis zum 18. Januar 2013 begehrte, hat die [X.]eklagte entsprochen. Die von ihr geschuldete Erfüllungshandlung, die Freistellung des [X.] von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung mit der konkludenten Zusage, das Urlaubsentgelt an den Kläger zu zahlen, hat sie erbracht. Die [X.]eklagte hat es nicht zu vertreten, dass der [X.] ausgeblieben ist (vgl. § 287 Satz 1 [X.]G[X.]). Grund hierfür war allein die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des [X.], also ein Umstand aus der Sphäre des [X.] als Gläubiger des Urlaubsanspruchs.

2. Als der Kläger nach seiner Genesung Urlaub vom 10. Juni bis zum 3. Juli 2013 beantragte, war der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub bereits untergegangen.

V. Der Kläger hat die Kosten der [X.]erufung und der Revision zu tragen (§ 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO).

        

    [X.]rühler    

        

    Suckow    

        

    Klose    

        

        

        

    Pielenz    

        

    Kranzusch    

                 

Meta

9 AZR 507/14

19.01.2016

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Bamberg, 12. Dezember 2013, Az: 4 Ca 722/13, Urteil

§ 362 Abs 1 BGB, § 366 Abs 2 BGB, § 9 BUrlG, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.01.2016, Az. 9 AZR 507/14 (REWIS RS 2016, 17524)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17524

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