Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.04.2011, Az. 9 AZR 80/10

9. Senat | REWIS RS 2011, 7718

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Gegenstand

Tariflicher Mehrurlaub - fortdauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers - Verfall


Leitsatz

1. Die Tarifvertragsparteien können für den nicht unionsrechtlich verbürgten Teil des Urlaubs (Mehrurlaub) regeln, dass der Arbeitnehmer das Risiko der Inanspruchnahme bis zu einem von ihnen festgelegten Zeitpunkt trägt.

2. Die richtlinienkonforme Fortbildung oder unionsrechtskonforme Auslegung von Vorschriften des BUrlG ist nicht auf den tariflichen Mehrurlaub anzuwenden, wenn ein Tarifvertrag eigenständige Regelungen trifft. Dazu muss die Auslegung ergeben, dass der Tarifvertrag vom grundsätzlichen Gleichlauf zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub abweicht. Das ist der Fall, wenn er entweder zwischen gesetzlichem Urlaub und tariflichem Mehrurlaub unterscheidet oder sowohl für Mindest- als auch Mehrurlaub wesentlich von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende Übertragungs- und Verfallsregeln bestimmt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 29. Oktober 2009 - 2 [X.]/09 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob dem Kläger aus dem [X.] ein tariflicher Mehrurlaubsanspruch von zehn Arbeitstagen zusteht.

2

Der schwerbehinderte Kläger ist seit 1975 bei der [X.] beschäftigt. Diese betreibt ein Dienstleistungsunternehmen zur Wartung, Instandhaltung und Ausstattung von Flugzeugen im Verbund des [X.]-Konzerns.

3

Nach Ziff. 3 des Arbeitsvertrags ergeben sich die Rechte und Pflichten des [X.] aus den jeweils gültigen Tarifverträgen, den Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der [X.]. Die Parteien wenden deshalb auf ihr Arbeitsverhältnis den Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal in der Fassung vom 1. Januar 2007 ([X.] Boden) an. Dort heißt es zum Urlaubsanspruch ua.:

        

„§ 32 Erholungsurlaub

        

(1)     

Jeder Mitarbeiter hat in jedem vom 01. Januar bis 31. Dezember laufenden Urlaubsjahr Anspruch auf Erholungsurlaub, der möglichst zusammenhängend zu nehmen und zu gewähren ist. …

        

...     

        
        

§ 36 Anteiliger Urlaub im laufenden Urlaubsjahr

        

...     

        
        

(3)     

Wechselt der Mitarbeiter im laufenden Kalenderjahr zwischen der [X.] und [X.] oder einer Gesellschaft im Tarifvertrag zur Erweiterung des Geltungsbereiches oder einer anderen Gesellschaft im [X.], so stehen ihm aus den Arbeitsverhältnissen insgesamt mehr als 12/12 des tariflichen Urlaubs zu.

                 

…       

        

(4)     

Bei Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung der Vergütung - ausgenommen der Fälle des § 12 a - und Ruhen des Arbeitsverhältnisses, die 15 Kalendertage in einem Jahr überschreiten, wird der Urlaub anteilig für diejenige [X.] gekürzt, in der das Arbeitsverhältnis ruhte, und zwar für jeden Kalendertag um 1/365, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. …

        

§ 37 Verfallen und Übertragung des Urlaubsanspruchs

        

(1)     

Nicht genommener Erholungsurlaub verfällt ohne Anspruch auf Abgeltung am 31. März des folgenden Jahres, frühestens jedoch 6 Monate nach Beendigung der Wartezeit.

        

(2)     

Hat jedoch der Mitarbeiter den Anspruch auf Urlaub erfolglos geltend gemacht, so ist ihm der Urlaub nachzugewähren.“

4

Nach § 32 Abs. 3 [X.] Boden beträgt der Urlaubsanspruch ab dem fünften Jahr der Beschäftigung 30 Urlaubstage.

5

2007 gewährte die Beklagte dem Kläger 14 Urlaubstage. Danach war der Kläger vom 28. Juli 2007 bis zum 30. April 2008 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Urlaubsantrag vom 23. April 2008 verlangte er erfolglos, ihm für die [X.] vom 2. Mai bis zum 30. Mai 2008 Urlaub aus dem Vorjahr zu gewähren. Am 8. Mai 2008 nahm der Kläger seine Arbeitstätigkeit wieder auf. Die [X.]kontenliste der [X.] vom 8. Mai 2008 für die Abrechnungsperiode 1. Mai bis 31. Mai 2008 weist einen [X.] des [X.] von 21 Tagen aus. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10. Juni 2008 forderte der Kläger die Beklagte auf, seinen Urlaubsanspruch iHv. 21 Resturlaubstagen zu bestätigen. [X.] hat der Kläger geltend gemacht, ihm stehe aus dem [X.] noch eine Urlaubsdauer von 21 Tagen zu, nämlich fünf Tage Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX, sechs Tage gesetzlicher Mindesturlaub sowie zehn Tage tariflicher Mehrurlaub.

6

Er hat die Auffassung vertreten, seine Urlaubsansprüche seien nicht verfallen, da er nur wegen seiner Arbeitsunfähigkeit daran gehindert gewesen sei, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

7

Der Kläger hat vorinstanzlich beantragt

        

festzustellen, dass ihm aus dem [X.] noch ein [X.] von 21 Arbeitstagen zusteht.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der tarifliche Mehrurlaub des [X.] sei nach § 37 Abs. 1 [X.] Boden verfallen. Der [X.] Boden enthalte hinsichtlich des Verfalls der Urlaubsansprüche eine eigenständige von § 7 Abs. 3 [X.] abweichende Regelung.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Darauf hat die Beklagte dem [X.]konto des [X.] elf Urlaubstage gutgeschrieben. Sie wendet sich in der Revision nur noch gegen die Feststellung des [X.]s, dass dem Kläger aus dem [X.] noch ein Anspruch auf Resturlaub von zehn Arbeitstagen für nicht gewährten tariflichen Mehrurlaub zusteht.

Entscheidungsgründe

A. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht festgestellt, dass dem Kläger wegen des 2007 zwar entstandenen, aber nicht voll erfüllten Urlaubsanspruchs noch zehn Urlaubstage zu gewähren sind.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Insbesondere besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.

1. Eine Feststellungsklage ist dann zulässig, wenn auf diesem Wege eine sachgemäße, einfache Erledigung der Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen ([X.] 9. September 2003 - 9 [X.] - zu I der Gründe, [X.] § 4 Chemische Industrie Nr. 6).

2. So ist es hier. Eine Leistungsklage wäre nur als Klage auf Abgabe einer Willenserklärung iSv. § 894 ZPO möglich. Denn der Arbeitgeber hat zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs den Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freizustellen. Diese Freistellung erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, wobei der Arbeitgeber gemäß § 7 Abs. 1 [X.]tz 1 [X.] die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen hat ([X.] 20. Januar 2009 - 9 [X.]/07 - Rn. 24). [X.] wäre ein entsprechender Titel aber nur, wenn er auf Abgabe einer bestimmten Willenserklärung gerichtet ist (vgl. PG/Olzen ZPO 3. Aufl. § 887 Rn. 6). Bei mangelnder Bestimmtheit der Klage auf Abgabe einer Willenserklärung wäre nur eine Vollstreckung nach § 888 ZPO möglich ([X.] 25. Juni 1970 - 14 W 31/70 - [X.] 1971, 401).

3. Eine Klage iSv. § 894 ZPO auf Gewährung des Urlaubs für einen bestimmten kalendermäßig festgelegten Zeitraum wäre weder prozesswirtschaftlicher als die Feststellungsklage, noch wäre sie dem Arbeitnehmer zumutbar. Wird der Schuldner zur Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung antragsgemäß verurteilt, gilt nach § 894 ZPO die Willenserklärung erst dann als abgegeben, wenn das Urteil rechtskräftig geworden ist ([X.] 15. September 2009 - 9 [X.] - Rn. 23, [X.] § 311a Nr. 3 = EzA ZPO 2002 § 894 Nr. 1). Zum Zeitpunkt der Klageerhebung ist nicht bekannt, wann ein gegebenenfalls stattgebendes Urteil rechtskräftig wird. Der Kläger müsste deshalb seinen mit der Leistungsklage angegebenen [X.] mittels Klageänderung fortlaufend anpassen. Das wäre zB dann nicht mehr möglich, wenn der zuletzt beantragte [X.] zwischen Verkündung und Ablauf der Rechtsmittelfrist läge.

4. Auf eine Klage zur Gewährung des Urlaubs für einen nicht festgelegten Zeitraum darf der Arbeitnehmer nicht verwiesen werden. Dabei kann dahinstehen, ob ein entsprechender Titel nach § 888 ZPO zu vollstrecken wäre. Bei einer solchen Klage müsste der Arbeitnehmer auf sein Recht gemäß § 7 Abs. 1 [X.]tz 1 [X.], den Urlaub nach seinen Wünschen zeitlich festzulegen, verzichten. Denn im Hinblick auf die nach § 894 ZPO erforderliche Bestimmtheit müsste die Klage dahin ausgelegt werden, dass der Arbeitnehmer seinem beklagten Arbeitgeber die zeitliche Festlegung des Urlaubs überlassen wolle. Nach § 7 Abs. 1 [X.]tz 1 [X.] hat der Arbeitgeber demgegenüber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass dem dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen, die unter [X.] Gesichtspunkten den Vorrang verdienen ([X.] 14. August 2007 - 9 [X.] - Rn. 12, AP [X.] § 7 Nr. 38 = EzA [X.] § 7 Nr. 119). Prozesswirtschaftliche Erwägungen rechtfertigen es nicht, dem Arbeitnehmer dieses erste Bestimmungsrecht zu entziehen und seine materiellen Ansprüche deshalb einzuschränken.

II. Die Klage ist begründet. Der unstreitig 2007 entstandene und nicht erfüllte Anspruch auf zehn Tage tarifvertraglichen [X.] ist entgegen der Auffassung der Revision nicht nach § 37 Abs. 1 [X.] Boden oder gemäß § 7 Abs. 3 [X.] mit dem 31. März 2008, sondern erst während des Verzugs der Beklagten mit dem 31. März 2009 untergegangen. Der Kläger hat deshalb Anspruch nach § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 [X.]tz 2, § 249 Abs. 1 BGB auf noch zu gewährenden [X.].

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nach Ziff. 3 des Arbeitsvertrags der Parteien der [X.] Boden anzuwenden.

2. Der Urlaubsanspruch des [X.] ist entgegen der Auffassung der Revision nicht zum 31. März 2008 verfallen. Er konnte den Urlaub für das [X.] nicht bis zum 31. März 2008 antreten, da er vom 28. Juli 2007 bis zum 30. April 2008 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war. Sein Anspruch auf den übergesetzlichen tarifvertraglichen [X.] von zehn Arbeitstagen war damit auch bis zum Ende des [X.] gemäß § 37 Abs. 1 [X.] Boden am 31. März 2008 nicht erfüllbar.

3. Nach der neueren Rechtsprechung des [X.]s führt die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit zur weiteren automatischen Übertragung des gesetzlichen Mindesturlaubs und hindert so dessen Verfall (vgl. zuletzt [X.] 4. Mai 2010 - 9 [X.]/09 - Rn. 18, EzA [X.] § 7 Abgeltung Nr. 17).

4. Entgegen der Revision ist diese Rechtsprechung auch auf den tariflichen [X.] nach dem [X.] Boden anzuwenden. Die tarifliche Regelung lässt nicht erkennen, dass die Tarifvertragsparteien von dem Grundsatz, demzufolge die Bestimmungen zur Übertragung und zum Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs mit denen zum tariflichen [X.] gleichlaufen, abweichen wollen. Das ergibt die Auslegung der maßgeblichen Tarifvorschriften.

a) Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/[X.] gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 [X.] begründeten Anspruch auf [X.] von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 [X.] beschränkt. Einem tariflich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des [X.] kein Unionsrecht entgegen (vgl. [X.] 4. Mai 2010 - 9 [X.]/09 - Rn. 23 [X.], EzA [X.] § 7 Abgeltung Nr. 17).

b) Der [X.] hat die hier zu beurteilenden tariflichen Vorschriften deshalb anhand des innerstaatlichen Rechts auszulegen. Es ist zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien von ihrer freien Regelungsmacht Gebrauch gemacht haben. Dies kann sich daraus ergeben, dass sie entweder bei ihrer Verfallsregelung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem [X.] unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige vom [X.] abweichende Regelungen zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben. Beides ist nach § 37 Abs. 1 [X.] Boden nicht der Fall.

aa) Unterscheidet ein Tarifvertrag zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem [X.], ist es regelmäßig gerechtfertigt, auch hinsichtlich des Verfalls von Urlaubsansprüchen entsprechend zu differenzieren. Die vom [X.] entwickelte richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 [X.] betrifft nur die Mindesturlaubsansprüche ([X.] 4. Mai 2010 - 9 [X.]/09 - Rn. 18, EzA [X.] § 7 Abgeltung Nr. 17). Trennen die Tarifvertragparteien zwischen gesetzlichem und tarifvertraglichem Urlaub, machen sie von ihrer freien, nicht durch § 13 Abs. 1 [X.] beschränkten Regelungsmacht für den tariflichen [X.] Gebrauch. Es ist dann ausgeschlossen, ohne konkrete Anhaltspunkte die richtlinienkonforme Fortbildung von Vorschriften des [X.] auch auf den tariflichen [X.] anzuwenden. Ein entsprechender zwischen beiden Urlaubsarten differenzierender Regelungswille der Tarifvertragsparteien lässt sich nicht schon daraus herleiten, dass ein Tarifvertrag sich vom gesetzlichen [X.] löst und stattdessen eigene Regeln aufstellt (so aber [X.] 24. Februar 2011 - 16 [X.] 727/10 - Rn. 49; [X.] 20. Januar 2011 - 11 [X.] 1493/10 - Rn. 32, [X.], 377; [X.] 19. August 2010 - 10 [X.] 244/10 - Rn. 31, [X.] 2011, 98). Denn ein solcher Tarifvertrag, der nicht zwischen beiden Urlaubsarten unterscheidet, löst sich insgesamt für gesetzlichen und tarifvertraglichen Urlaub vom Regime des [X.].

Die Tarifvertragsparteien haben im [X.] Boden nicht zwischen gesetzlichem und tarifvertraglichem Urlaub unterschieden.

(1) Der [X.] hat in ständiger Rechtsprechung die [X.] aufgestellt, für einen [X.], der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen tarifvertraglichen Ansprüchen unterscheide, müssten deutliche Anhaltspunkte bestehen. Trotz teilweiser Kritik in der Literatur und von Instanzgerichten hat der [X.] auch für Tarifverträge hieran festgehalten ([X.] 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 35 ff. [X.], [X.] § 125 Nr. 3 = EzA [X.] § 7 Abgeltung Nr. 16).

(2) Solche Anhaltspunkte sind im [X.] Boden nicht ersichtlich. Diese können sich nur daraus ergeben, dass der Tarifvertrag gesetzliche und tarifvertragliche Urlaubsansprüche unterschiedlich regelt. Das ist im [X.] Boden nicht der Fall. Sämtliche [X.] differenzieren nicht zwischen gesetzlichem Urlaub und tarifvertraglichem [X.].

bb) Haben die Tarifvertragsparteien einheitlich sowohl für den unionsrechtlich verbürgten Mindest- als auch für den übersteigenden [X.] von § 7 Abs. 3 [X.] wesentlich abweichende Übertragungs- und Verfallsregeln vereinbart, so zeugt das ebenfalls für einen eigenständigen [X.]. Danach soll der Arbeitnehmer das Risiko, den Urlaub nicht in Anspruch nehmen zu können, tragen. Dies schließt einen ergänzenden Rückgriff auf die - unionsrechtlich bedingt - reformierte Rechtsprechung des [X.]s, der zufolge der Urlaubsanspruch auch im Fall der krankheitsbedingten Unmöglichkeit einer Erfüllung erhalten bleibt, unabhängig davon aus, ob diese Rechtsprechung auf einer richtlinienkonformen Auslegung oder auf einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung beruht. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die eigenständige Sonderregelung für den unionsrechtlich verbürgten Mindesturlaub im Hinblick auf § 13 Abs. 1 [X.]tz 1, § 1 [X.] iVm. § 134 BGB unwirksam ist. Für den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den sog. [X.], bleibt sie gemäß § 139 BGB wirksam.

Soweit die Instanzrechtsprechung einen eigenständigen, dem Gleichlauf von Mindest- und [X.] entgegenstehenden [X.] bereits dann annimmt, wenn in einem Tarifvertrag von der Zwölftelungsregelung des § 5 [X.] abgewichen wird (so [X.] 11. Februar 2010 - 3 Ca 10454/09 -), kann dem nicht zugestimmt werden (zutreffend [X.] 29. Juli 2010 - 3 [X.] 280/10 - Rn. 25 ff.). Entscheidend ist vielmehr, ob vom Fristenregime des [X.] abgewichen oder zumindest durch die Differenzierung zwischen Mindest- und [X.] erkennbar gemacht wird, dass der Arbeitnehmer für den [X.] das [X.] tragen soll.

Die Voraussetzungen einer solchen Abweichung sind im [X.] Boden nicht erfüllt. Der [X.] Boden regelt weder ein eigenständiges vom [X.] abweichendes Fristenregime, noch lässt er erkennen, dass der Arbeitnehmer das Risiko der Inanspruchnahmemöglichkeit für den [X.] tragen soll.

(1) § 37 Abs. 1 [X.] Boden wiederholt vorrangig die bereits im [X.] bestimmte Befristung des Urlaubsanspruchs. Nach den Tarifregelungen muss der Urlaub - wie auch gemäß § 7 Abs. 3 [X.]tz 1 [X.] - im Urlaubsjahr gewährt und genommen werden. Denn § 32 Abs. 1 [X.] Boden bestimmt, dass jeder Mitarbeiter in jedem vom 1. Januar bis 31. Dezember laufenden Urlaubsjahr Anspruch auf Erholungsurlaub hat. Im Zusammenhang mit § 37 Abs. 1 [X.] Boden lässt sich hieraus herleiten, dass der Urlaub im Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Diese Bindung an das Kalenderjahr wird durch § 37 Abs. 1 [X.] Boden bestätigt (vgl. zum gleichlautenden § 17d [X.] Cockpit [X.] 11. April 2006 - 9 [X.] - Rn. 20, AP [X.] § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA [X.] § 7 Nr. 116). Danach verfällt „nicht genommener Erholungsurlaub“ am 31. März des [X.]. Das zeigt, dass der Erholungsurlaub im Urlaubsjahr genommen werden soll und allenfalls auf die ersten drei Monate des [X.] übertragen wird. Dies wird durch die Überschrift dieser Tarifnorm „Verfallen und Übertragung des Urlaubsanspruchs“ verdeutlicht.

(2) Auch der in § 37 Abs. 1 [X.] Boden angeordnete Verfall nicht genommenen Urlaubs am 31. März des [X.] entspricht dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 [X.]tz 3 [X.].

(3) Soweit die Tarifvertragsparteien für die Übertragung des Urlaubsanspruchs auf die ersten drei Monate des Folgejahres in Abweichung von § 7 Abs. 3 [X.]tz 2 [X.] auf betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende rechtfertigende Gründe verzichtet haben, lässt dies nicht ausreichend ein eigenständiges abschließendes Fristenregime erkennen. Es wird lediglich, möglicherweise aus [X.], auf die ansonsten notwendige Prüfung der Übertragungsvoraussetzungen verzichtet. Eine solche Teilabweichung lässt nicht auf den [X.] der Tarifvertragsparteien schließen, sich ansonsten vom Fristenregime des [X.] lösen zu wollen, zumal sie hier den 31. März des Folgejahres aus der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 3 [X.]tz 3 [X.] übernommen haben.

(4) Zwar ordnet § 37 Abs. 1 [X.] Boden über den Wortlaut in § 7 [X.] hinaus ausdrücklich den Verfall des Urlaubsanspruchs an. Auch hieraus lässt sich kein eigenständiger Regelungswille der Tarifvertragsparteien folgern. Sie haben lediglich die Rechtsprechung des [X.]s zu § 7 [X.] deklaratorisch übernommen. Danach verfällt der gemäß § 7 Abs. 3 [X.]tz 2 [X.] auf das folgende Kalenderjahr übertragene und nicht bis zum 31. März des [X.] verwirklichte Urlaub mit Ablauf dieser Frist (so schon [X.] 24. November 1987 - 8 [X.] - zu 2 der Gründe, [X.]E 56, 340). Dasselbe gilt für die Regelung in § 37 Abs. 2 [X.] Boden. Danach ist der vom Mitarbeiter erfolglos geltend gemachte Urlaub nachzugewähren. Dies entspricht der Rechtsprechung, nach der sich der Urlaubsanspruch gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 [X.]tz 2, § 249 Abs. 1 BGB in einen Schadensersatzanspruch umwandelt, der auf Gewährung von [X.] als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung verfällt ([X.] 11. April 2006 - 9 [X.] - Rn. 24, AP [X.] § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA [X.] § 7 Nr. 116). Ein vom [X.] in Ausprägung der Rechtsprechung des [X.]s abweichender Regelungswille der Tarifvertragsparteien ergibt sich deshalb nicht.

(5) Die Revision verweist ohne Erfolg auf § 36 Abs. 4 [X.]tz 1 [X.] Boden. Danach wird der Urlaub anteilig um Zeiten der Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung der Vergütung gekürzt. Die Kürzung sollte nur stattfinden, „sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Die Beklagte beruft sich insoweit zu Unrecht auf die Entscheidung des [X.]s vom 24. März 2009 (- 9 [X.] - Rn. 85, [X.]E 130, 119). Dort hat der [X.] zwar die Formulierung in einer kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung ([X.]) „soweit gesetzlich nicht anderes geregelt ist“ zum Anlass genommen, eine Unterscheidung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen anzunehmen. Allerdings betraf diese Gesetzesvorbehaltsregelung ausschließlich den ausdrücklich in der [X.] auch in den Fristen abweichend vom [X.] geregelten Verfall des Urlaubsanspruchs. Damit wird deutlich, dass die [X.] ein eigenes [X.] und Verfallsregime bestimmte und lediglich sonstige, zwingende gesetzliche Regelungen des [X.] weiter Bestand haben sollten. Ein solches eigenständiges Fristenregime sowie eine darauf bezogene Gesetzesvorbehaltsregelung enthält die Verfallsregelung des [X.] Boden in seinem § 37 gerade nicht.

(6) Soweit § 36 Abs. 3 [X.] Boden bestimmt, dass dem Arbeitnehmer insgesamt nicht mehr als 12/12 des tariflichen Urlaubs zustehen soll, wenn er zu einer anderen Gesellschaft im [X.] wechselt, kann dies im Einzelfall von § 5 Abs. 1 [X.] abweichen. Entgegen der Auffassung der Revision schließt dies einen Rückgriff auf die Verfallsregelungen des § 7 [X.] nicht aus. Dazu genügen Abweichungen bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs nicht.

5. Der Anspruch verfiel jedoch gemäß § 37 Abs. 1 [X.] Boden und nach § 7 Abs. 3 [X.]tz 3 [X.] spätestens zum 31. März 2009. Der wegen der mangelnden Möglichkeit der Inanspruchnahme infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit über den Übertragungszeitraum des ersten Quartals des Folgejahres hinaus fortbestehende Urlaubsanspruch unterfällt, sobald die Arbeitsunfähigkeit als Erfüllungshindernis des Urlaubsanspruchs wegfällt, erneut dem gesetzlichen oder tarifvertraglichen Fristenregime.

a) Der im Vorjahr wegen Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbare Urlaubsanspruch wird nach § 7 Abs. 3 [X.]tz 2 [X.] bei einem in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund automatisch übertragen. Er tritt dem am 1. Januar des Folgejahres nach § 4 [X.] entstehenden neuen Urlaubsanspruch mit der Maßgabe hinzu, dass er nach § 7 Abs. 3 [X.]tz 3 [X.] bis zum 31. März des Folgejahres gewährt und genommen werden muss (Gaul/Bonanni/Ludwig DB 2009, 1013; [X.] dbr 8/2009 S. 9). Ist ein Urlaubsanspruch ausnahmsweise bis zum Ende des [X.] wegen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht erfüllbar, kann zwar nach der - unionsrechtlich bedingt - reformierten Rechtsprechung des [X.]s der Verfall des Urlaubsanspruchs nicht eintreten. Sowohl für den übertragenen als auch für den neu entstandenen Urlaubsteilanspruch gelten dann aber die in § 7 Abs. 3 [X.]tz 1 [X.] bestimmte Bezugsdauer bis zum 31. Dezember als auch die in einer Art perpetuierendem System eingreifenden Übertragungsregeln aus § 7 Abs. 3 [X.]tz 2 und [X.]tz 3 [X.]; denn an diesen Befristungen des Urlaubsanspruchs ist für den Regelfall der möglichen Inanspruchnahme festzuhalten ([X.]/[X.] 2. Aufl. § 7 [X.] Rn. 91; dem folgend: [X.] 30. November 2010 - 6 [X.] 684/10 - Rn. 30). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

aa) § 7 Abs. 3 [X.]tz 1 und [X.]tz 2 [X.] erfasst nicht nur den Urlaubsanspruch des laufenden Jahres [X.]/[X.] NJW 2009, 631). Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 [X.]tz 1 [X.] muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Die Vorschrift beschränkt ihren Regelungsbereich deshalb nicht auf den für das „laufende Jahr“ entstandenen Urlaub. Sie regelt vielmehr jeden bestehenden gesetzlichen Mindesturlaub. Auch der wegen Arbeitsunfähigkeit fortbestehende Urlaubsanspruch ist gesetzlicher Urlaub im Sinne des [X.]. Dieser muss im laufenden Kalenderjahr (dem Jahr seines Bestehens) gewährt und genommen werden.

bb) Auch aus der Rechtsprechung des [X.] folgt nicht, dass § 7 Abs. 3 [X.] auf wegen Arbeitsunfähigkeit nicht verfallene Urlaubsansprüche keine Anwendung finden darf (so fälschlich [X.] [X.] 2009, 230). Der [X.] hat vielmehr ausdrücklich bestätigt, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/[X.] einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines [X.] bestimmt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaub zu nehmen ( [X.] 20. Januar 2009 - [X.]/06 und C-520/06  - [[X.]] Rn. 42, Slg. 2009, [X.]). Deshalb kann der Urlaub in den folgenden Urlaubsjahren verfallen, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht rechtzeitig genommen hat und er nicht an der Urlaubsnahme wegen Arbeitsunfähigkeit gehindert war.

b) Der Kläger hätte seinen [X.] aus 2007 nach Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit ab Mai 2008 nehmen können. Es war deshalb Verfall spätestens zum 31. März 2009 eingetreten. Die Beklagte befand sich jedoch seit August 2008 mit der Urlaubsgewährung in Verzug, da der Kläger zuvor spätestens mit der ihr am 10. August 2008 zugestellten Klage seine Urlaubsansprüche erfolglos geltend gemacht hatte. Das begründet einen entsprechenden [X.]sanspruch des [X.] aus Verzug.

III. Die Beklagte hat für den verfallenen Urlaub Ersatz nach § 249 Abs. 1 BGB zu leisten, weil sie sich gemäß § 286 BGB im Schuldnerverzug befand, als der Anspruch auf den restlichen tariflichen [X.] unterging.

B. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Düwell    

        

    Suckow    

        

    Krasshöfer    

        

        

        

    D. Wege    

        

    [X.]    

                 

Meta

9 AZR 80/10

12.04.2011

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hamburg, 10. März 2009, Az: 25 Ca 392/08, Urteil

§ 7 Abs 1 BUrlG, § 7 Abs 3 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG, § 3 Abs 1 BUrlG, § 1 TVG, § 249 Abs 1 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 286 Abs 1 BGB, § 287 S 2 BGB, Art 7 EGRL 88/2003

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.04.2011, Az. 9 AZR 80/10 (REWIS RS 2011, 7718)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7718

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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