Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.04.2011, Az. X ZR 124/10

X. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 7383

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
X [X.]
Verkündet am:

19. April 2011

Wermes

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
-
Berichtigter Leitsatz -
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

Mautberechnung
[X.] § 81 Abs. 2 Satz 1; EPÜ Art. 139 Abs. 2
Die bei laufendem Einspruchsverfahren erhobene Nichtigkeitsklage ist auch dann unzulässig, wenn sie nur auf ein älteres nationales Recht im Sinne des Art.
139 Abs.
2 EPÜ gestützt wird (Fortführung von [X.], Urteil vom 12.
Juli 2005 -
X
ZR
29/05, [X.]Z 163, 369 -
Strahlungssteuerung).
ZPO § 148
Der [X.] kann und muss von der Möglichkeit, das Verfahren im [X.] auf ein anhängiges Einspruchsverfahren auszusetzen, auch dann Gebrauch machen, wenn er damit rechnet, dass das Einspruchsverfahren erfolglos bleiben wird, eine im [X.] daran erhobene Nichtigkeitsklage wegen einer Entgegenhal-tung, die nur in diesem Verfahren berücksichtigt werden darf, aber hinreichende [X.] hat.
[X.], Urteil vom 19. April 2011 -
X [X.] -
[X.]

-
2
-
Der X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] vom 19.
April 2011
durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Meier-Beck, die Richterin [X.], die Richter
Dr.
[X.], [X.] und die Rich-terin Schuster

für Recht erkannt:

Die Berufung gegen
das Urteil des 4. [X.]s ([X.]) des [X.] vom 12. Mai 2010 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 824
731 (Streitpatents), das ein Verfahren und ein Gerät zum Bestimmen von Straßennutzungsgebühren be-trifft. Das Streitpatent wurde
am 22.
April 1996 angemeldet und nimmt eine [X.] vom 9.
Mai 1995 in Anspruch. Es umfasst 25
Patentansprüche, von denen die Ansprüche 9, 11, 12 und 16 angegriffen sind. Gegen das [X.]
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tent, dessen Erteilung am 15. November 2006 veröffentlicht wurde, wurden mehrere Einsprüche eingelegt. Die Klägerin, die von der Beklagten wegen [X.] in Anspruch genommen wird,
ist dem Einspruchsver-fahren beigetreten, das zum
Widerruf des Streitpatents durch das Europäische Patentamt
geführt
hat.
Gegen diese Entscheidung wurde am 27. Januar 2011 Beschwerde eingelegt
(Az. [X.]/11).
Nach der Entscheidung der Einspruchs-abteilung hat das [X.] den dort anhängigen [X.] mit
Einverständnis der Parteien ausgesetzt.

Die Klägerin hat
mit der Nichtigkeitsklage geltend
gemacht, der
Gegen-stand
der angegriffenen Patentansprüche sei gegenüber der [X.] [X.] 44
27
392
nicht neu. Die dieser Schrift zugrundeliegende Anmel-dung wurde am 3. August 1994, also vor dem Anmeldetag des Streitpatents,
eingereicht, [X.] ist der 8. Februar 1996.

Das Patentgericht hat die Klage für unzulässig gehalten und sie abge-wiesen (veröffentlicht in [X.], 87).

Mit der Berufung, der die Beklagte entgegentritt,
begehrt die Klägerin Aufhebung des [X.] und Zurückverweisung der Sache an das Patentge-richt.

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3
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-
4
-
Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu
Recht hat das Patentgericht die Klage als unzulässig angesehen

81 Abs.
2 Satz
1 [X.] i.V.m. Art.
2 Abs.
2 EPÜ).

I. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Vorschrift des §
81 Abs. 2 [X.] differenziere nicht zwischen Verfah-ren vor dem [X.] und dem [X.]. Die Interessenlage sei bei beiden Verfahren dieselbe;
es sollten einander widersprechende Ent-scheidungen vermieden
werden. Vor Abschluss des [X.] nicht fest, mit welchem Inhalt das Patent letztlich Bestand haben werde.
Insbesondere sei nicht auszuschließen, dass ein Patent im Einspruchsverfah-ren einen Inhalt erhalte, dem der im parallel geführten [X.] geltend gemachte Stand der Technik nicht entgegenstehe, der aber gleichwohl zur Nichtigerklärung des Patents in der erteilten Fassung führen könne. Es könne dahinstehen, ob in Ausnahmefällen ein Abweichen von §
81 Abs. 2 [X.] zuzulassen sei. In der Entscheidung "Schlauchbeutel"
(B[X.] GRUR 2002, 1045 f.) sei die Nichtigkeitsklage
zwar wie im Streitfall
auf
eine nachveröffent-lichte
nationale Anmeldung gestützt
worden, dort seien aber die ältere nationale und die jüngere [X.] Anmeldung identisch gewesen, so dass die dem angegriffenen Patent zugrunde liegende nationale Anmeldung keinen zusätzli-chen Offenbarungsgehalt
aufgewiesen habe, mit dem der Patentinhaber einen angegriffenen
Anspruch hätte beschränken und damit die fehlende Neuheit hätte "reparieren"
können. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben. Die Beklagte 5
6
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-
5
-
könne das Streitpatent im Einspruchsverfahren möglicherweise so
beschrän-ken, dass der hier entgegengehaltene Stand der Technik den neu gefassten Ansprüchen nicht mehr entgegenstehe. Ob eine Aussetzung des Nichtigkeits-verfahrens gemäß §
99 Abs. 1 [X.] i.V.m. §
148 ZPO bei noch anhängigem Einspruchsverfahren möglich sei, könne dahinstehen. Bei Berücksichtigung der Gesetzeslage und des Umstands, dass nicht in absehbarer Zeit mit einer Ent-scheidung über den Einspruch zu rechnen sei, lägen die Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht vor.

[X.] Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Er-gebnis stand.

1. Nach §
81 Abs. 2
Satz 1
[X.] kann eine Klage auf Nichtigerklärung des Patents nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch eingelegt
wer-den kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist.
Die sachliche Rechtferti-gung der Nachrangigkeit
des [X.]s gegenüber dem [X.] besteht darin, parallele, möglicherweise einander widerspre-chende Entscheidungen über den Rechtsbestand eines Patents zu vermeiden. Dritte, die nicht Einspruch eingelegt haben, werden dadurch nicht in sachlich ungerechtfertigter Weise an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert. Denn ein Dritter, gegen den nach Ablauf der Einspruchsfrist [X.] worden ist, kann dem laufenden Einspruchsverfahren bis zu dessen Ab-schluss beitreten
(§ 59 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Das gilt auch für denjenigen, der aus dem Patent verwarnt worden ist und deshalb Klage auf Feststellung erho-ben hat, dass er das Patent nicht verletze (§
59 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Darüber hinaus ist auch im Einspruchsverfahren jedermann berechtigt, dem Patentamt Druckschriften anzugeben, die der Erteilung des Patents entgegenstehen könn-ten (§
59 Abs. 4 i.V.m. §
43 Abs. 3 Satz 3 [X.]).

8
9
-
6
-

Der Vorrang des [X.] gilt sowohl für Einspruchsverfah-ren, die vor dem [X.] Patent-
und Markenamt anhängig sind, als auch für solche, die vor dem [X.] geführt werden. Dies hat der [X.] bereits entschieden ([X.]surteil vom 12.
Juli 2005 -
X
ZR
29/05, [X.]Z 163, 369 -
Strahlungssteuerung). Mit Blick auf den Zweck des §
81 Abs. 2
Satz 1
[X.] und die Regelung in Art. 100 EPÜ hat der
[X.]
insbesondere ausgesprochen, dass die Nichtigkeitsklage gegen ein [X.] Patent gemäß §
81 Abs. 2 Satz 1 [X.] unzulässig ist, wenn sie nur auf Nichtigkeitsgründe gestützt wird, die zugleich Einspruchsgründe nach Art. 100 EPÜ sind. Die Subsidiarität des [X.]s gegenüber dem [X.] stellt keinen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG dar.
Das [X.] enthält durch die Möglichkeiten, die die [X.] des Einspruchs (Art. 99 EPÜ), die gegen die Einspruchsentscheidung ge-gebene Beschwerde (Art. 106 EPÜ), die Vorlage von Amts wegen oder auf [X.] eines Beteiligten an die [X.] (Art. 110, 111, 112 EPÜ)
und der
Beitritt
Dritter zum Einspruchsverfahren (Art. 105 EPÜ)
bieten, ein an den Maßstäben des Grundgesetzes orientiertes, ausreichendes Rechts-schutzsystem
und genügt dem Standard, der gemäß Art. 24 Abs. 1 GG zu be-achten ist. Darüber hinaus hat nach Art. 2 Abs. 2 EPÜ das [X.] Patent in jedem Vertragsstaat dieselbe Wirkung und unterliegt den jeweiligen [X.]. Das [X.] Patent ist damit auch für die Art und Weise, wie die zugelassenen Nichtigkeitsgründe geltend zu machen sind, den nationa-len Patenten gleichgestellt und kann diesen gegenüber keine erweiterten Rechtsschutzmöglichkeiten erhalten. Die gegen diese
Entscheidung des Se-nats
erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht
nicht zur Entscheidung angenommen ([X.], Beschluss vom 5.
April 2006 -
1
BvR
2310/05, [X.], 569).
10
-
7
-
2.
Die
in der [X.]sentscheidung
"Strahlungssteuerung"
aufgestellten
Grundsätze gelten
entgegen der Auffassung der Klägerin
auch, wenn -
wie im Streitfall
-
die bei laufendem Einspruchsverfahren erhobene Nichtigkeitsklage nur auf ein älteres nationales Recht im Sinne des Art. 139 Abs. 2 EPÜ gestützt wird.

a) In einer solchen Fallkonstellation macht ein Kläger den Nichtigkeits-grund der mangelnden
Patentfähigkeit geltend, und nicht, wie die Klägerin meint, mangelnde Patentfähigkeit gegenüber einer nationalen [X.] mit älterem Zeitrang. Im Schrifttum ist in der Regelung des Art. 139 Abs. 2 EPÜ ein weiterer [X.] gesehen worden,
auf den über Art. 2 Abs. 2 EPÜ die Vorschriften der §§ 22, 21 Abs. 1 Nr. 1 angewendet werden sollen (vgl. [X.], [X.]. 1981, 63, 67; [X.], [X.], 231). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden
(ablehnend auch [X.], [X.], 4. Aufl.
Rn. 47 mit Nachweisen). Mangelnde Patentfähigkeit ist sowohl bei [X.] als auch bei [X.] Patenten ein einheitlicher
un-ter mehreren
im Gesetz aufgezählten
Widerrufs-
bzw. [X.]. Wenn er geltend gemacht wird, findet unter anderem eine umfassende Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit statt. Eine Aufspaltung
des Nichtigkeits-grunds hinsichtlich einzelner [X.]
oder
eine
unterschiedliche verfahrensrechtliche Behandlung des [X.]s je nachdem,
welche [X.] zu seiner Begründung herangezogen werden, findet
weder
im Europäischen Patentübereinkommen noch im [X.] [X.] eine Stütze. Dies
bedeutet
mit Blick auf die [X.]sentscheidung "[X.]", dass auch dann mangelnde Patentfähigkeit und damit ein Einspruchs-grund nach Art. 100 EPÜ geltend gemacht wird, wenn
die Klage
nur
auf die ältere nationale Anmeldung gestützt wird.

11
12
-
8
-
Dies
führt zur Unzulässigkeit der Klage.
Die
Zulassung der Nichtigkeits-klage
in einem solchen Fall könnte zudem verfahrens-
und materiellrechtliche Folgen nach sich ziehen,
die der Intention des Gesetzgebers zuwiderliefen. Dem [X.] wäre es bei der Geltendmachung des Nichtigkeits-grunds
der mangelnden Patentfähigkeit unbenommen, im Laufe des Nichtig-keitsverfahrens weiteren Stand der Technik, der dann auch Gegenstand des [X.] [X.] nach Art. 100 EPÜ sein könnte, in das na-tionale [X.] einzuführen und durch eine auf mehrere, nicht nur ältere nationale,
[X.] gestützte
Begründung die Nichtigerklärung eines Patents herbeizuführen, das seine endgültige Fassung noch nicht erhal-ten hat. Darüber hinaus
ist das Patentgericht, wenn der [X.] der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird,
nach dem [X.] gemäß §
87 [X.] verpflichtet, die Patentfähigkeit nicht nur in Bezug auf die ältere nationale Anmeldung, sondern auch unter allen anderen maßgeb-lichen Gesichtspunkten zu prüfen. Zwar ist das Patentgericht im Nichtigkeitsver-fahren
auch nach dem im Streitfall noch anwendbaren, bis zum 30.
September 2009 geltenden Verfahrensrecht nicht verpflichtet, den Stand der Technik [X.] zu ermitteln und darf sich grundsätzlich auf die Prüfung der
von dem [X.]
vorgelegten [X.] auf ihre sachlich-rechtliche Relevanz beschränken; gleichwohl dürfen
[X.] und Kenntnisse aus dem Stand der Technik, die dem [X.] aus seiner Praxis [X.] sind, nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sich für das [X.] dafür ergeben, dass diese Sachverhaltselemente entscheidungs-erheblich sein können; sie sind in das Verfahren einzuführen
und bei Prüfung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen.
Bei dieser Sachlage würden durch eine Zulassung der Nichtigkeitsklage einander widersprechende Entscheidungen des [X.]s und des Patentgerichts nicht vermieden, son-dern begünstigt.
13
-
9
-
b) Der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung "Trigonellin"
([X.], Ur-teil vom 20. März 2001 -
X
ZR
177/98, [X.]Z 147, 137 = GRUR 2001, 730) führt zu keiner anderen Beurteilung. In dem dieser Entscheidung zugrunde lie-genden Fall war das [X.] Streitpatent sowohl in einem [X.] Be-schränkungsverfahren als auch im [X.] Einspruchsverfahren be-schränkt worden. Der [X.] hat entschieden, dass als geschützt nur das ver-bleibt, was zugleich nach beiden Beschränkungsentscheidungen noch unter Schutz steht. Bei dieser Fallkonstellation handelt es sich um einen Ausnahme-fall, der bei Parallelität
von [X.] Beschränkungsverfahren und europäi-schem Einspruchsverfahren auftreten kann. Für die Nichtigkeitsklage sollten derartige Fälle
vermieden werden, deshalb ist §
81 Abs. 2 Satz 1 in das deut-sche [X.] aufgenommen worden.

c) Das Argument der Klägerin, mit der Anwendung von §
81 Abs.
2 Satz
1 [X.] sei ein Dritter
bei der Durchsetzung seiner Rechte gegen ein euro-päisches Patent gegenüber den Durchsetzungsmöglichkeiten in Bezug auf ein [X.] Patent benachteiligt, verfängt nicht.
Die Einspruchsverfahren nach dem [X.] (§§
59 ff.
[X.]) und nach dem [X.]
(Art. 99 ff.
EPÜ)
verlaufen getrennt
nach unterschiedlichen [X.]. Eine Benachteiligung Dritter kann darin nicht gesehen werden. Der Dritte kann dem Patent im [X.] Einspruchsverfahren auch ein älteres [X.] Recht entgegenhalten (§ 59 Abs.1 i.V.m. §
3 Abs. 2 [X.]), während ein
erteiltes [X.]s Patent im Einspruchsverfahren den Vorschriften der Art.
99 ff.
EPÜ
unterliegt;
die Einspruchsgründe ergeben sich abschließend aus Art.
100 EPÜ. Hinsichtlich der Einspruchs-
bzw. Widerrufsgründe weichen die Rechtsordnungen also voneinander ab, weil sich aus dem [X.] insoweit etwas anderes als aus dem [X.] [X.] ergibt (Art. 2 Abs. 2 EPÜ). Weder ist eine
Zuständigkeit der [X.] Pa-14
15
-
10
-
tentbehörden
im [X.] Einspruchsverfahren
begründet, noch ist natio-nales Recht anwendbar. Im Übrigen ist eine Nichtigkeitsklage
nach §
81 Abs. 2 Satz 1 [X.] bei laufendem Einspruchsverfahren auch gegen ein [X.] Patent nicht zulässig.

d) Dem Einwand der Klägerin,
in den anderen [X.] Rechtsord-nungen
sei die Parallelität von Einspruchs-
und [X.] handhab-bare Praxis, beispielsweise lasse das Patentrecht in [X.] alle Wider-rufsgründe, die im [X.] Einspruchsverfahren geltend gemacht werden können, auch im nationalen parallelen [X.] zu, steht die Ge-setzeslage im [X.] Recht in Gestalt von §
81 Abs. 2 Satz 1
[X.] entge-gen. Die Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfrage ist -
wie auch die Klägerin ausführt
-
im Schrifttum bei der
Einführung des [X.] erkannt und diskutiert worden (vgl. hierzu [X.], Das [X.] von Einspruchs-
und [X.] nach [X.] und europäi-schem Patentrecht, Diss. [X.] 1994;
derselbe, [X.], 231; [X.], [X.]. 1998, 441; siehe auch schon [X.],
aaO).
Das deutsche [X.] hat nach Inkrafttreten des [X.] mehrfach Ände-rungen erfahren. Der Gesetzgeber hat dabei §
81 Abs. 2 Satz 1 [X.]
(früher §
81 Abs.
2) unangetastet gelassen und ihn auch im Rahmen
der Gesetzesän-derung, die das [X.] teilweise
grundlegend neu geregelt hat
(Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom 31. Juli 2009, [X.], 2521 = [X.] 2009, 307)
weder aufgehoben noch inhalt-lich geändert und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Regelung aus den Gründen, die zu ihrer Einführung geführt haben, nach wie vor für erforderlich hält.

16
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-
11
-
e) Da die Nichtigkeitsklage nach alldem unzulässig und die [X.] ist, kommt die vom Patentgericht grundsätzlich erwogene Mög-lichkeit, das [X.] gemäß §
99 Abs. 1 [X.] i.V.m. §
148 ZPO
auszusetzen, nicht in Betracht. Der Zeitpunkt, zu dem die Zulässigkeitsvoraus-setzungen vorliegen müssen, ist allerdings der der Entscheidung über die Klage
([X.], vgl. [X.] in [X.], ZPO, 28. Aufl., vor §
253 Rn. 9 mit Nachweisen). Ist
das Einspruchsverfahren bis zu diesem Termin beendet, steht §
81 Abs.
2 Satz
1 [X.] der Zulässigkeit der Klage nicht mehr entgegen.

3. Der [X.] verkennt dabei nicht, dass ein schutzwürdiges Interesse ei-nes
Wettbewerbers, der wegen Verletzung des noch
im [X.] [X.] befindlichen Patents verklagt worden ist, bestehen kann, nicht wegen Patentverletzung verurteilt zu werden, obwohl der Gegenstand der Erfindung durch eine im Einspruchsverfahren nicht zu berücksichtigende Ent-gegenhaltung vorweggenommen wird.
Der Streitfall zeigt, dass es im
europäi-schen
Einspruchsverfahren, zumal, wenn sich
-
wie hier
-
ein Beschwerdever-fahren anschließt, mehrere Jahre dauern kann, bis über den Bestand des [X.] Rechtssicherheit erlangt wird. In einem solchen Fall kann eine Rechts-schutzlücke entstehen, die zwar nicht im Hinblick auf die
im [X.] und im [X.] [X.] enthaltenen
Rechts-schutzsysteme, aber wegen der besonderen Konstellation des Einzelfalls
das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes tangie-ren kann (vgl. hierzu [X.], aaO
Rn. 78).

Um in solchen Fällen eine mögliche Rechtsschutzlücke für den im [X.] angegriffenen Wettbewerber zu schließen und gleichzeitig dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes zu genügen, ist es aber nicht erfor-derlich, von der klaren gesetzlichen Regelung in §
81 Abs.
2 Satz
1 [X.] ab-18
19
-
12
-
zuweichen. Den berechtigten Interessen der Wettbewerber kann schon durch eine sachgerechte Handhabung des §
148 ZPO bei der Entscheidung über die Aussetzung eines Rechtsstreits bei den [X.] in hinreichendem Umfang Rechnung getragen werden.

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnis-ses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder der Entschei-dung der
Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Im [X.] ist die erforderliche Abhängigkeit nach §
148 ZPO jedenfalls gegeben, wenn eine Nichtigkeitsklage oder auch ein Einspruchsverfahren anhängig ist, die zur Nich-tigerklärung oder zum Widerruf des Patents führen und damit der [X.] die Grundlage entziehen kann.

Bei der Entscheidung über die Aussetzung ist in den Tatsacheninstan-zen zwar in der Regel von ausschlaggebender Bedeutung, welche Erfolgsaus-sicht der [X.] dem Einspruch oder der Nichtigkeitsklage beimisst (vgl. [X.]/[X.], Festschrift für [X.] 2003, S. 587 ff; Scharen, Festschrift 50
Jahre [X.], 2005, S.
396
ff; [X.], [X.], 276
ff; [X.]/[X.], Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Aufl. Rn.
1039
ff; [X.] in Busse, [X.], 6. Aufl., §
140 Rn. 2; Scharen in [X.], [X.], 10. Aufl., §
9 Rn. 61; [X.] in [X.], [X.], 8.
Aufl., §
139 Rn. 269 ff).
In der Konstellation des Streitfalls sind diese Grundsätze aber nicht unverändert anwendbar. Bei Anlegung der herkömmli-chen Maßstäbe käme eine Aussetzung in der Regel nicht in Betracht, wenn einem Angriff gegen den Rechtsbestand des Patents Erfolgsaussichten nur im 20
21
-
13
-
Hinblick auf eine Entgegenhaltung beigemessen werden können, die das Euro-päische Patentamt nicht berücksichtigen darf. Der [X.] ist indes nicht gehindert, im Rahmen des ihm in §
148 ZPO eingeräumten Ermessens auch die Besonderheiten der in Rede stehenden Verfahrenskonstellation zu berücksichtigen, zumal wenn -
wie im Streitfall
-
der Prüfer des [X.]s auf die
ältere nationale Anmeldung hingewiesen und erklärt hat, dass sie im [X.] Verfahren nicht berücksichtigt werden kann. In Bezug auf eine solche
Anmeldung ist ein
im [X.] Verfahren erteiltes
Patent
ein ungeprüftes Recht. Der [X.] kann und muss von
der Möglich-keit, das Verfahren im Hinblick auf ein anhängiges Einspruchsverfahren auszu-setzen, deshalb auch dann Gebrauch machen, wenn er damit rechnet, dass das Einspruchsverfahren erfolglos bleiben wird, eine im [X.] daran erho-bene Nichtigkeitsklage wegen einer Entgegenhaltung, die nur in diesem Verfah-ren berücksichtigt werden darf, aber hinreichende Erfolgsaussicht hat. Der [X.] für eine solche Aussetzung fällt zwar weg, wenn das Einspruchsverfahren beendet ist. Die im Falle einer erneuten Anrufung des Verfahrens erforderliche Zeit zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verletzungsge-richt reicht aber aus, um eine Nichtigkeitsklage zu erheben und damit erneut die Voraussetzungen für eine Aussetzung zu schaffen. Damit ist ein Wettbe-werber ausreichend davor geschützt, wegen Verletzung eines Patents verurteilt zu werden, an dessen materieller Rechtsbeständigkeit
der [X.] nach allgemeinen Maßstäben für die Aussetzung der Verhandlung [X.] hat. Mögliche Verzögerungsfolgen der Aussetzung können dadurch abgemildert werden, dass die am Einspruchsverfahren Beteiligten die Be-schleunigung des [X.]
beantragen oder das Verletzungsge-richt
das Europäische
Patentamt darüber informiert, dass ein Verletzungsver--
14
-
fahren anhängig ist (vgl. [X.]eilung des [X.]s vom 17. März 2008 über die Beschleunigung des [X.] bei Patenten, aus denen eine Verletzungsklage erhoben worden ist,
[X.]. [X.] 2008, 221 f.).

Meier-Beck
[X.]
[X.]

[X.]
Schuster
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 12.05.2010 -
4 Ni 21/09 ([X.]) -

Meta

X ZR 124/10

19.04.2011

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.04.2011, Az. X ZR 124/10 (REWIS RS 2011, 7383)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7383

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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