Bundessozialgericht, Urteil vom 14.05.2014, Az. B 11 AL 3/13 R

11. Senat | REWIS RS 2014, 5614

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben - Ausbildungsgeld - Einkommensanrechnung - Elterneinkommen - Getrenntleben von den Eltern bei eigenem Hausstand - verfassungskonforme Auslegung


Leitsatz

Auf das Ausbildungsgeld eines behinderten Menschen ist Einkommen der Eltern in den gesetzlichen Grenzen anzurechnen, wenn die/der behinderte Auszubildende mit ihren/seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein höheres, vom Einkommen ihrer Eltern unabhängiges Ausbildungsgeld zu gewähren ist.

2

Die 1982 geborene Klägerin ist behindert und für sie Betreuung angeordnet. Vom 1.7.2011 bis zum 30.6.2012 lebte sie in einem eigenen Haushalt (monatliche Miete 334 Euro) und setzte ihre am [X.] bei einem Berufsbildungswerk begonnene, am [X.] aus gesundheitlichen Gründen vorerst unterbrochene Ausbildung zur Bürokauffrau fort; ihre Eltern sind verheiratet und leben nicht getrennt. Die beklagte [X.] bewilligte der Klägerin Ausbildungsgeld für die Zeit vom 1.7.2011 bis zum 30.6.2012. Dabei ging sie von einem einzusetzenden Einkommen der Eltern der Klägerin in Höhe von monatlich 271,68 Euro aus, sodass bei einem Gesamtbedarf iHv 572 Euro monatlich ein monatlicher Zahlbetrag iHv 300 Euro verblieb (Bescheid vom 20.7.2011; Widerspruchsbescheid vom 24.1.2012).

3

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1.7.2011 bis zum 30.6.2012 höheres Ausbildungsgeld ohne Anrechnung des Einkommens der Eltern zu gewähren (Gerichtsbescheid des [X.] vom 8.5.2012); das [X.] ([X.]) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil des [X.] Rheinland-Pfalz vom 22.11.2012). Zur Begründung haben beide Gerichte ausgeführt, die Frage der Anrechnung des Einkommens nicht getrennt lebender Eltern zulasten eines in eigenem Hausstand lebenden behinderten Auszubildenden sei durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom [X.] (B 7 [X.] 36/08 R - [X.], 141 = [X.]-4300 § 108 [X.] 1) bereits zugunsten der Klägerin entschieden; maßgebliche Anknüpfungstatsache für die Anrechnung elterlichen Einkommens dürfe demnach allein ein Zusammenleben des behinderten Auszubildenden mit seinen Eltern sein.

4

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 108 Abs 2 [X.] 2 [X.] ([X.]) in der bis zum [X.] geltenden Fassung (aF). Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Schon dem Wortlaut der Norm nach komme es auf die Frage, ob und gegebenenfalls bei wem der behinderte Mensch lebe, nur dann an, wenn ein Elternteil verwitwet sei oder die Eltern getrennt lebten. Bei nicht getrennt lebenden Eltern sei daher das Einkommen oberhalb des gesetzlich normierten Freibetrags ungeachtet der Frage anzurechnen, ob der behinderte Auszubildende bei seinen Eltern lebe oder nicht. Dieser Auslegung stehe das Urteil des BSG vom [X.] (B 7 [X.] 36/08 R - [X.], 141 = [X.]-4300 § 108 [X.] 1) nicht entgegen, weil dieses sich allein zu der Frage verhalte, was im Fall getrennt lebender beziehungsweise geschiedener Eltern zu gelten habe, wenn der behinderte Auszubildende bei keinem Elternteil lebe. Zudem seien das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes (GG) und dessen besonderer Schutz der Familie zu beachten. Die vom [X.] vertretene Auffassung könne dazu führen, dass zusammenlebende Eltern ihre Kinder aus dem gemeinsamen Haushalt drängten, um einer Einkommensanrechnung zu entgehen.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.]s Rheinland-Pfalz vom 22. November 2012 und den Gerichtsbescheid des [X.] vom 8. Mai 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die vorinstanzlichen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet und daher zurü[X.]kzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgeri[X.]htsgesetz <[X.]G>). Das [X.] hat die Berufung der Beklagten gegen den Geri[X.]htsbes[X.]heid des [X.] im Ergebnis zu Re[X.]ht zurü[X.]kgewiesen.

9

Die kombinierte Anfe[X.]htungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 [X.]G) ist begründet. Soweit der Bes[X.]heid vom 20.7.2011 in der Gestalt des Widerspru[X.]hsbes[X.]heids vom [X.] für die Zeit vom 1.7.2011 bis 30.6.2012 die Gewährung von Ausbildungsgeld der Höhe na[X.]h unter Anre[X.]hnung von Einkommen ihrer Eltern verweigert, ist er re[X.]htswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Re[X.]hten. Denn die Klägerin hat na[X.]h den bindenden tatsä[X.]hli[X.]hen Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) für den streitigen Zeitraum einen Anspru[X.]h auf die Gewährung von Ausbildungsgeld ohne die leistungsmindernde Anre[X.]hnung von Einkommen ihrer Eltern.

Gemäß § 104 Abs 1 [X.] [X.]B III aF, der vorliegend na[X.]h § 422 Abs 1 [X.] [X.]B III aF über den [X.] hinaus anwendbar bleibt, haben behinderte Mens[X.]hen Anspru[X.]h auf Ausbildungsgeld während einer berufli[X.]hen Ausbildung, wenn ein Übergangsgeld ([X.]) ni[X.]ht erbra[X.]ht werden kann. Die Klägerin absolvierte als behinderter Mens[X.]h eine berufli[X.]he Ausbildung. Ein [X.] na[X.]h § 160 [X.]B III aF konnte ni[X.]ht erbra[X.]ht werden, weil die Klägerin ihre zuvor abgebro[X.]hene Ausbildung wieder aufnahm, wodur[X.]h das dahinterliegende [X.] als einheitli[X.]he Maßnahme wieder auflebte. Da die Klägerin einen eigenen Hausstand führte und damit iS des Gesetzes "anderweitig" - ni[X.]ht bei den Eltern - ohne Kostenerstattung untergebra[X.]ht war, bemaß si[X.]h ihr monatli[X.]her Bedarf na[X.]h § 104 Abs 1 [X.], [X.], § 105 Abs 1 [X.] [X.]B III.

Wel[X.]he Einkommen auf das Ausbildungsgeld anzure[X.]hnen sind, regelt § 108 [X.]B III aF. Na[X.]h § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF bleibt bei der Einkommensanre[X.]hnung anre[X.]hnungsfrei "das Einkommen der Eltern bis 2909 [X.] monatli[X.]h, des verwitweten Elternteils oder bei getrennt lebenden Eltern, das Einkommen des Elternteils, bei dem der behinderte Mens[X.]h lebt, ohne Anre[X.]hnung des Einkommens des anderen Elternteils, bis 1813 [X.] monatli[X.]h".

Was die Anre[X.]hnung von Einkommen ni[X.]ht getrennt lebender Elternpaare anbelangt, differenziert der Wortlaut des § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF ni[X.]ht dana[X.]h, wo der behinderte Mens[X.]h lebt. Das könnte nahelegen, dass in allen Fällen, also au[X.]h bei einem im eigenen Haushalt lebenden behinderten Mens[X.]hen wie der Klägerin, eine Anre[X.]hnung des Einkommens der - ni[X.]ht getrennt lebenden - Eltern jenseits des Freibetrags von 2909 [X.] vorzunehmen sei. Dies übersähe jedo[X.]h, warum bei getrennt lebenden Eltern darauf abgestellt wird, ob der behinderte Mens[X.]h bei einem Elternteil lebt.

§ 104 Abs 1 [X.] und [X.], § 105 Abs 1 [X.], § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF sind dahin auszulegen, dass behinderten Mens[X.]hen im Grundsatz Ausbildungsgeld unabhängig vom Einkommen der Eltern gewährt werden soll. Im Rahmen des § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF soll elterli[X.]hes Einkommen dur[X.]hweg nur dann zu einer Minderung des [X.] führen, wenn der behinderte Mens[X.]h mit diesen in häusli[X.]her Gemeins[X.]haft lebt.

Dies ergibt si[X.]h maßgebli[X.]h aus der Entstehungsges[X.]hi[X.]hte der Norm, während zuglei[X.]h ein Rü[X.]kgriff auf die Regeln zur Berü[X.]ksi[X.]htigung elterli[X.]hen Einkommens im Berei[X.]h der Berufsausbildungsbeihilfe (§ 71 [X.] [X.]B III aF iVm § 25 [X.]) auss[X.]heidet, weil § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF insoweit abs[X.]hließend etwas iS des § 104 [X.] [X.]B III aF Abwei[X.]hendes bestimmen will (B[X.]E 106, 141 = [X.]-4300 § 108 [X.] = B[X.] Urteil vom [X.] - B 7 [X.] 36/08 R - mwN).

Im Rahmen der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung ([X.] <[X.]>) wird zu dem später ohne Änderung verabs[X.]hiedeten § 108 [X.]B III aF ausgeführt, die Vors[X.]hrift regele "die Anre[X.]hnung von Einkommen auf die [X.] in Übernahme des geltenden Re[X.]hts (§ 27 [X.]) (…)" (BT-Dru[X.]ks 13/5676, [X.], [X.] 1; 13/4941, [X.]).

Na[X.]h § 27 [X.] S 1 [X.] der Anordnung des Verwaltungsrats der [X.] über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter ([X.]) vom 31.7.1975 ([X.] 1975, 994) idF der [X.] zur [X.] vom 26.10.1995 ([X.] [X.]2/1995, 1813, 1821) war auf das Ausbildungsgeld in den alten (neuen) Bundesländern anzure[X.]hnen "Einkommen der Eltern a), soweit es 4680 (4210) DM monatli[X.]h übersteigt, b) bei verwitweten Elternteilen, soweit es 2910 (2600) DM monatli[X.]h übersteigt, [X.]) bei dauernd getrennt lebenden Eltern, soweit es 2910 (2600) DM bei dem Elternteil monatli[X.]h übersteigt, bei dem der Behinderte lebt. Das Einkommen des anderen Elternteils bleibt außer Betra[X.]ht."

Ermä[X.]htigungsrundlage für diese Anordnung war § 58 [X.] S 1 Arbeitsförderungsgesetz ([X.]), dort eingefügt mit Wirkung vom 1.10.1974 dur[X.]h das Gesetz über die Anglei[X.]hung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7.8.1974 ([X.] 1881) und dem erklärten Ziel, die [X.] "dur[X.]h Anordnung das Nähere über Voraussetzungen, Art und Umfang der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation" bestimmen zu lassen (vgl au[X.]h - wiederholend - BT-Dru[X.]ks 7/1237, S 78).

Als der Entwurf des [X.] samt Begründung am 18.6.1996 erstmalig in den [X.] eingebra[X.]ht wurde, lautete § 58 Abs 1 [X.] [X.]: "Behinderte Auszubildende erhalten Leistungen na[X.]h § 40 au[X.]h dann, wenn ihnen die erforderli[X.]hen Mittel auf Grund eines Unterhaltsanspru[X.]hes zur Verfügung stehen; dies gilt ni[X.]ht, soweit die Ni[X.]htberü[X.]ksi[X.]htigung des Unterhaltsanspru[X.]hes offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigt wäre" (zuerst eingefügt zum 1.1.1976 als § 58 Abs 1 S 2 [X.] dur[X.]h das Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsberei[X.]h des [X.] vom 18.12.1975 ([X.] 3113), mit redaktionellen Änderungen in § 58 Abs 1 [X.] [X.] überführt dur[X.]h das Fünfte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (5. [X.]-ÄndG) vom [X.] ([X.] 1189).

Da die [X.] aus § 58 [X.] S 1 [X.] immer nur so weit gehen konnte, wie die vorrangigen Regelungen des § 58 Abs 1 [X.] überhaupt etwas zur näheren Bestimmung übrigließen, konnte mit den Maßgaben zur Anre[X.]hnung elterli[X.]hen Einkommens in § 27 [X.] seit dem 1.1.1976 angesi[X.]hts des seither klaren Wortlauts jeweils des § 58 Abs 1 S 2 bzw [X.] [X.] nur no[X.]h bestimmt werden, in wel[X.]hen Fällen die (gänzli[X.]he) Ni[X.]htberü[X.]ksi[X.]htigung eines Unterhaltsanspru[X.]hs offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigt wäre.

Indem der Gesetzgeber zur Begründung des [X.] ausführt, § 108 [X.]B III aF übernehme zum [X.] das mit § 27 [X.] gegenwärtig geltende Re[X.]ht (vgl BT-Dru[X.]ks 13/5676, [X.], [X.] 1; 13/4941, [X.] , [X.]), gibt er zu verstehen, dass er an dem dort zugrunde liegenden Regime einer grundsätzli[X.]h vom Unterhaltsanspru[X.]h unabhängigen Leistungsgewährung an behinderte Auszubildende, § 58 Abs 1 [X.] [X.] in der zum 18.6.1996 geltenden Fassung, festhalten will.

§ 108 [X.] [X.] [X.]B III aF verfolgt daher - wie zuvor § 27 [X.] [X.] - das Ziel, die Grenze des offensi[X.]htli[X.]h Ungere[X.]htfertigten zu bestimmen, ab der die Leistungsgewährung ni[X.]ht mehr als vom Unterhaltsanspru[X.]h unabhängig ausgestaltet ist. Bei Festlegung und Ausgestaltung dieser Grenze kommt dem Gesetzgeber eine Eins[X.]hätzungsprärogative zu, dieser ist insoweit aber an das selbsterklärte Ziel gebunden. Die Benennung bestimmter Tatbestände einer offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigten Leistungsgewährung muss daher no[X.]h na[X.]hvollziehbar sein und glei[X.]hgelagerte Fälle glei[X.]hmäßig erfassen. Eine geri[X.]htli[X.]he Kontrolle kann nur daraufhin stattfinden, ob die Auslegung und Anwendung der Norm in Übereinstimmung mit diesen Vorgaben stehen.

In Ausgestaltung dessen, was als offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigte Leistungsgewährung an behinderte Auszubildende anzusehen ist, gibt § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF auf den ersten Bli[X.]k zwei Arten von Grenzen vor: Eine variable Einkommenss[X.]hwelle und die Tatsa[X.]he, dass der behinderte Auszubildende bei einem Elternteil lebt.

Aus der Norm selbst ist abzuleiten, dass die am Elterneinkommen orientierte Bestimmung einer offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigten Leistungserbringung innerhalb der gesamten Norm zur Voraussetzung haben muss, dass der behinderte Auszubildende au[X.]h bei seinen Eltern lebt, dass also beide im Gesetz angelegte Kriterien der Grenzziehung zu einer vom Elterneinkommen unabhängigen Leistungserbringung kumulativ erfüllt sein müssen.

Denn die Höhe der Festlegung der Einkommenss[X.]hwellen in § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF (zu den vorher abzuziehenden Freibeträgen s § 71 [X.] S 1 [X.]B III aF iVm §§ 21, 25 f [X.]) lässt für si[X.]h nur die Auslegung zu, dass bei deren Übers[X.]hreiten ein zivilre[X.]htli[X.]her Unterhaltsanspru[X.]h na[X.]h §§ 1601 ff, § 1610 [X.] Bürgerli[X.]hes Gesetzbu[X.]h (BGB) mit einer gewissen Ertragsaussi[X.]ht geltend gema[X.]ht werden könnte. Hätte der Gesetzgeber allein an diese Ertragsaussi[X.]ht die Wertung knüpfen wollen, dass eine ungeminderte Leistungserbringung offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigt sei, müsste dies einhergehen mit der impliziten Aufforderung an den behinderten Auszubildenden, si[X.]h um die Geltendma[X.]hung dieses Anspru[X.]hs zu kümmern. Dann aber stellte es s[X.]hon innerhalb des Wortlauts der Norm einen unverständli[X.]hen, unter keinem Gesi[X.]htspunkt zu re[X.]htfertigenden Wertungswiderspru[X.]h dar, im Falle getrennt lebender Eltern denjenigen Elternteil von der Einkommensberü[X.]ksi[X.]htigung auszunehmen, der ni[X.]ht mit dem Auszubildenden zusammenlebt. Dies gilt umso mehr, als dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Ausbildungsgelds die Bere[X.]hnung eines familienre[X.]htli[X.]hen Unterhaltsanspru[X.]hs dur[X.]haus vor Augen stand, wie § 104 [X.], § 71 Abs 5 [X.]B III aF eindru[X.]ksvoll belegen. Dies lässt nur die Annahme zu, dass es dem Gesetzgeber ni[X.]ht um eine leistungsmindernde Zure[X.]hnung allein der wirts[X.]haftli[X.]hen Ertragsaussi[X.]ht einer Geltendma[X.]hung familienre[X.]htli[X.]her Unterhaltsansprü[X.]he ging. Dies hätte er nämli[X.]h - wie er anhand desselben [X.] bereits zuvor gezeigt hat - dur[X.]h die Festlegung regeln können, ab wel[X.]her Höhe eines Unterhaltsanspru[X.]hs eine Leistungsminderung in wel[X.]her Höhe einzutreten habe.

Der dargestellte Wertungswiderspru[X.]h löst si[X.]h auf, wenn man mit dem aus § 58 Abs 1 [X.] [X.] in der zum 18.6.1996 geltenden Fassung übernommenen Zwe[X.]k des Gesetzes, behinderte Auszubildende dur[X.]h die Gewährung von Rehabilitationsleistungen grundsätzli[X.]h au[X.]h der Auseinandersetzungen um ihren familienre[X.]htli[X.]hen Ausbildungsunterhalt zu entheben, ni[X.]ht auf eine Zure[X.]hnung wirts[X.]haftli[X.]her Ertragsaussi[X.]hten etwaiger Unterhaltsstreitigkeiten abstellt, sondern die S[X.]hwelle der Einkommensanre[X.]hnung erst da ansetzen lässt, wo der behinderte Auszubildende aus normativen Gründen so zu stellen ist, als erhielte er konkret elterli[X.]hen Unterhalt in einer die Leistungsminderung re[X.]htfertigenden Höhe.

Diese S[X.]hwelle der Einkommensanre[X.]hnung ist - unter Berü[X.]ksi[X.]htigung der gesetzli[X.]h bestimmten Einkommensbeträge - dann errei[X.]ht, wenn der behinderte Auszubildende mit seinen Eltern oder einem Elternteil in häusli[X.]her Gemeins[X.]haft zusammenlebt. Denn dieser Umstand begründet die Vermutung einer (teilweisen) Bedarfsde[X.]kung aus dem zur Verfügung stehenden elterli[X.]hen Einkommen innerhalb der Haushaltsgemeins[X.]haft.

Diese Voraussetzung knüpft systematis[X.]h s[X.]hlüssig an die dem Konzept der Einstandsgemeins[X.]haft (vor Erlass des § 108 [X.]B III aF vor allem in § 137 [X.], 2a [X.] und § 16, § 11 Abs 1 S 2 und § 122 [X.] geregelt, mit Erlass des [X.]B III aF für die Arbeitslosenhilfe in § 193 [X.] [X.]B III aF übernommen, ab dem 1.1.2005 in § 7 [X.] ff, § 9 [X.], Abs 5 Zweites Bu[X.]h Sozialgesetzbu[X.]h sowie § 27 [X.], § 39 Zwölftes Bu[X.]h Sozialgesetzbu[X.]h überführt) zugrunde liegende typisierende Annahme an, dass innerhalb des nä[X.]hsten Familienverbunds bei räumli[X.]hem Zusammenleben in einem Haushalt "aus einem Topf" gewirts[X.]haftet und füreinander aufgekommen wird. Dass si[X.]h der Gesetzgeber dieses Konzepts im Rahmen der Förderung berufli[X.]her Ausbildung im [X.]B III aF bedient, wird daran deutli[X.]h, dass ni[X.]ht behinderte Auszubildende na[X.]h § 64 Abs 1 S 1 [X.] [X.]B III aF überhaupt keine Berufsausbildungsbeihilfe erhalten können, solange sie im Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils wohnen. Die im Verglei[X.]h mit der familienre[X.]htli[X.]h einsetzenden Einstandspfli[X.]ht na[X.]h §§ 1601 ff BGB hohen Einkommenss[X.]hwellen entspre[X.]hen der Vorgabe, nur diejenigen Fälle einer Berü[X.]ksi[X.]htigung elterli[X.]hen Einkommens zuzuführen, in denen anderenfalls von einer offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigten Leistungsgewährung auszugehen wäre. Denn die hohen Einkommenss[X.]hwellen lassen die Annahme eines von dort an tatsä[X.]hli[X.]h praktizierten bedarfsde[X.]kenden Einstehens gegenüber anderen Einstandsgemeins[X.]haften, insbesondere aber gegenüber dem vollständigen Leistungsauss[X.]hluss für ni[X.]ht behinderte Auszubildende, die no[X.]h im elterli[X.]hen Haushalt wohnen, umso bere[X.]htigter ers[X.]heinen.

Abs[X.]hließend untermauert wird dieser Befund dur[X.]h den verglei[X.]henden Bli[X.]k auf den vorangehenden § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF, der regelungsglei[X.]he Vorgänger in § 27 [X.] findet (vgl zuletzt § 27 [X.] [X.] [X.] in der Fassung der [X.] zur [X.] vom 26.10.1995 <[X.] [X.]2/1995, 1813, 1821>). Dort wird die tatsä[X.]hli[X.]he Leistung elterli[X.]hen [X.] ab einer gewissen Höhe leistungsmindernd berü[X.]ksi[X.]htigt. Damit ist über die dur[X.]h § 58 Abs 1 S 2 bzw [X.] [X.] aufgeworfene Frage ents[X.]hieden, in wel[X.]hem Umfang eine Leistungsminderung eintreten soll, soweit dem behinderten Auszubildenden "die erforderli[X.]hen Mittel auf Grund eines Unterhaltsanspru[X.]hs zur Verfügung stehen" (§ 58 Abs 1 S 2 Var 1 bzw [X.] Var 1 [X.]). Dies zeigt, dass für § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF zu bestimmen verbleibt, wel[X.]he Leistungsgrenzen gelten sollen, wenn und obwohl gerade kein Barunterhalt geleistet wird, mithin inwieweit "die Ni[X.]htberü[X.]ksi[X.]htigung des Unterhaltsanspru[X.]hes offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigt wäre" (§ 58 Abs 1 S 2 Var 2 bzw [X.] Var 2 [X.]).

Mit Urteil vom [X.] (B 7 [X.] 36/08 R - B[X.]E 106, 141 = [X.]-4300 § 108 [X.]) hat das B[X.] bisher nur darüber ents[X.]hieden, ob im Fall eines behinderten Auszubildenden, der weder bei dem einen no[X.]h bei dem anderen getrennt lebenden Elternteil lebt, eine Anre[X.]hnung elterli[X.]hen Einkommens erfolgen müsse. Darüber hinaus gilt in Fällen wie dem vorliegenden Folgendes: Auf das Ausbildungsgeld eines behinderten Mens[X.]hen, der bei keinem Elternteil lebt, ist das Einkommen der Eltern ni[X.]ht anzure[X.]hnen.

Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den grundgesetzli[X.]hen Vorgaben aus Art 3 Abs 1 - Diskriminierungsverbot - und Art 6 Abs 1 - S[X.]hutz der Familie - des [X.]. Dass die Anre[X.]hnung elterli[X.]hen Einkommens vom Zusammenleben mit dem behinderten Auszubildenden abhängt, führt ni[X.]ht zur Diskriminierung einer bestimmten Form der familiären Lebensführung als sol[X.]her. Denn das Kriterium des Zusammenlebens ents[X.]heidet über die mögli[X.]he Minderung einer Sozialleistung, die ihrem Wesen na[X.]h bedürftigkeitsabhängig ausgestaltet ist, wenn au[X.]h für behinderte Auszubildende nur in Gestalt einer äußeren Grenze der offensi[X.]htli[X.]h ungere[X.]htfertigten Leistungsgewährung (vgl § 108 [X.] [X.], § 104 [X.], § 71 [X.]B III aF). Wenn der Gesetzgeber zur Bestimmung dieser besonderen Bedürftigkeitsgrenze an das Vorliegen einer Haushaltsgemeins[X.]haft anknüpft, ist dies das [X.], ni[X.]ht die familiäre Verbundenheit der Mitglieder der Haushaltsgemeins[X.]haft (vgl zur Zulässigkeit dieser Perspektive für die Ehe [X.] 75, 382, 395; 87, 234, 256).

Soweit die Beklagte vorbringt, die Anre[X.]hnung elterli[X.]hen Einkommens vom Zusammenleben mit dem behinderten Auszubildenden abhängig zu ma[X.]hen, verleite Eltern dazu, ihre behinderten Kinder aus dem gemeinsamen Haushalt zu drängen, sodass hierdur[X.]h mittelbar das Grundre[X.]ht aus Art 6 Abs 1 [X.] verletzt werde, vermag der Senat dem ni[X.]ht zu folgen.

Dass dem behinderten Auszubildenden umgekehrt eine Option eröffnet wird, aus eigenem Wuns[X.]h s[X.]hon in der Ausbildung einen eigenen Hausstand zu begründen, ist dem Rehabilitations[X.]harakter des § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF ges[X.]huldet.

Au[X.]h bleiben die besonderen Leistungen zur Teilhabe behinderter Mens[X.]hen am Arbeitsleben insoweit einkommens- bzw unterhaltsabhängig, als na[X.]h § 108 [X.] [X.] [X.]B III aF Waisenrenten, Waisengeld sowie tatsä[X.]hli[X.]he Unterhaltsleistungen oberhalb des Freibetrags auf den Bedarf des behinderten Mens[X.]hen in Ausbildung angere[X.]hnet werden, ferner Einkommen na[X.]h § 108 [X.] Nr 3 [X.]B III aF. Ledigli[X.]h für die fiktiven Anre[X.]hnungsregelungen na[X.]h [X.] der Vors[X.]hrift kommt es auf das Zusammenleben des behinderten Mens[X.]hen mit den Eltern oder einem Elternteil an.

Die Kostenents[X.]heidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 3/13 R

14.05.2014

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Koblenz, 8. Mai 2012, Az: S 9 AL 34/12, Gerichtsbescheid

§ 104 Abs 1 Nr 1 SGB 3, § 104 Abs 2 SGB 3, § 105 Abs 1 Nr 4 SGB 3, § 108 Abs 2 Nr 2 SGB 3, § 422 Abs 1 Nr 2 SGB 3, § 64 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 3, § 71 Abs 5 SGB 3, § 27 Abs 2 S 1 Nr 2 RehaAnO 1975, § 58 Abs 1 S 2 AFG, § 58 Abs 1 S 3 AFG, § 58 Abs 2 S 3 AFG, § 58 Abs 2 S 1 AFG, § 1610 Abs 2 BGB, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 14.05.2014, Az. B 11 AL 3/13 R (REWIS RS 2014, 5614)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5614

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