Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.09.2011, Az. VI R 6/09

6. Senat | REWIS RS 2011, 3308

STEUERRECHT BUNDESFINANZHOF (BFH) UMSATZSTEUER

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Gegenstand

(Keine Steuerfreiheit für Gefahrenzulagen - Keine verfassungsrechtlich gebotene Ausdehnung des § 3b EStG auf andere Zulagen)


Leitsatz

Es ist von Verfassungs wegen nicht geboten, die Steuerbefreiung für Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit oder Nachtarbeit gezahlt werden, auf Gefahrenzulagen und Zulagen im Kampfmittelräumdienst auszudehnen .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Zuschläge zum Lohn, die für das Auffinden, Entfernen und Beseitigen von Minen, Bomben und sonstigen Kampfmitteln gezahlt wurden, von [X.] wegen wie Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit von der Einkommensteuer zu befreien sind.

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr (2005) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist im Kampfmittelbeseitigungsdienst tätig. Seine Tätigkeit besteht im Auffinden, Entfernen und Beseitigen von Kampfmitteln jeder Art einschließlich Minen. Der Kläger erhielt im Streitjahr neben seinem Grundgehalt eine Zulage "Kampfmittelräumdienst" von insgesamt 10.675,92 € sowie zusätzlich eine Gefahrenzulage für die tatsächliche Räumung einer Bombe in Höhe von einmalig 567,53 €.

3

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) sämtliche Zulagen der Einkommensteuer. Mit Einspruch machten die Kläger dagegen im Ergebnis erfolglos geltend, dass die Steuerbefreiung für Sonntags-, Nacht- und Feiertagszuschläge in verfassungskonformer Auslegung des § 3b des Einkommensteuergesetzes ([X.]) auf Gefahrenzuschläge der vorliegenden Art zu erstrecken sei. Die besondere Erschwernis, mit der die Steuerbefreiung für Sonntags-, Nacht- und Feiertagszuschläge begründet werde, sei auch bei Tätigkeiten im Kampfmittelräumdienst gegeben. Es sei im Sinne der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zu Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) willkürlich, solche Zulagen nicht in den Bereich der Steuerbefreiung einzubeziehen.

4

Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) stützte sich zur Begründung im Wesentlichen darauf, dass zwar § 3b [X.] die Steuerfreiheit von Zuschlägen erfasse, aber nicht die Zuschläge für die Tätigkeit im Bombenentschärf- und Kampfmittelräumdienst einbeziehe und auf diese auch nicht in verfassungskonformer Auslegung auszudehnen sei. § 3b [X.] begegne auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn bei der Besteuerung der Zuschläge handele es sich um eine jener Massenerscheinungen, bei deren Bewältigung sich der Gesetzgeber generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen dürfe. Der Gesetzgeber sei daher frei, lediglich die Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit wegen ihrer besonderen Belastung für den Arbeitnehmer und deren Familien steuerfrei zu belassen, ohne andere Zuschläge in die Steuerbefreiung einzubeziehen.

5

Die Kläger rügen mit der Revision die Verletzung materiellen [X.]rechts. § 3b [X.] sei verfassungswidrig, die in der Literatur geltend gemachten schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken seien berechtigt. Ohne zwingenden Grund würden bestimmte Teile des Arbeitslohns begünstigt, andere damit vergleichbare nicht.

6

Die Kläger beantragen,

das Urteil des [X.] aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger durch die derzeitige Fassung des § 3b [X.] in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.

7

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die [X.] nicht in den Anwendungsbereich des § 3b [X.] einzubeziehen sind.

9

1. Nach § 3b Abs. 1 [X.] in der im Streitjahr geltenden Fassung sind neben dem Grundlohn gewährte Zuschläge steuerfrei, wenn sie für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden. Angesichts dessen begründet § 3b Abs. 1 [X.] selbst keinen Rechtsanspruch zu Gunsten des [X.] dahingehend, dass die vom Kläger bezogenen Zuschläge für dessen Tätigkeit im Bombenentschärf- und Kampfmittelräumdienst steuerfrei zu belassen sind.

2. Es ist entgegen der Auffassung der Kläger aber auch nicht von [X.] wegen geboten, angesichts der Steuerbefreiung für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit auch Zuschläge der hier vorliegenden Art auf Grundlage des Art. 3 Abs. 1 GG steuerfrei zu stellen. Daher ist im Streitfall auch nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 des Gesetzes über das [X.] dazu eine Entscheidung des [X.] einzuholen.

a) Zutreffend hat das [X.] entschieden, dass § 3b [X.] auch in verfassungskonformer Auslegung keine Steuerbefreiung zu Gunsten des [X.] begründet. Denn nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Norm erfasst die Begünstigung ausschließlich Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit oder Nachtarbeit. Der Senat hatte bereits früher entschieden, dass § 3b [X.] nicht über den Wortlaut hinaus auszulegen ist (vgl. Senatsurteil vom 17. Juni 2010 [X.]/09, [X.], 150, [X.], 43, m.w.N.). Die tatbestandliche Begrenzung auf Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit oder Nachtarbeit lässt auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der verfassungskonformen Auslegung keinen Raum für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 3b [X.] auf überwiegend pauschale Zuschläge für andere Tätigkeiten, auch wenn sie aus sonstigen Gründen [X.] sein könnten. Eine solche Auslegung lässt sich im Sinne dieser Auslegungsgrundsätze aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung und deren Sinn und Zweck nicht entnehmen ([X.]-Beschluss vom 9. Januar 1991  1 BvR 929/89, [X.] 83, 201 <214 f.>).

b) Der Gesetzgeber ist auch nicht von [X.] wegen aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) mit Blick auf § 3b [X.] verpflichtet, die vom Kläger bezogenen Zuschläge steuerfrei zu stellen. Denn trotz des unzureichend erkennbaren einkommensteuerrechtlichen Entlastungsgrundes des § 3b [X.] gründet diese Norm ersichtlich nicht auf dem [X.], sämtliche gemeindienlichen, für die [X.], die auf die Erzielung von Einkünften gerichtet sind, von der Einkommensteuer zu befreien. Daher mag zwar der Hinweis des [X.] zutreffen, dass die von ihm ausgeübte Tätigkeit der Kampfmittelräumung und Kampfmittelentschärfung im öffentlichen Interesse unverzichtbar sei. Daraus folgt aber nicht, dass der Gesetzgeber Zuschläge auch für diese Tätigkeit aus Gründen der Gleichbehandlung von der Einkommensteuer befreien müsste. Denn nach der Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 21. Juni 2006  2 BvL 2/99, [X.] 116, 164, m.w.N.) kommt dem Gesetzgeber für direkte und auch für indirekte (steuerliche) Subventionen hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Diagnose und Prognose sowie bei der Wahl sachgerechter Mittel und insbesondere auch hinsichtlich der sachgerechten Abgrenzung des [X.] der Begünstigten ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu, ohne dass es dabei insbesondere darauf ankommt, ob er die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. So begründet Art. 3 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des [X.] im Falle einer Steuervergünstigung für eine Gruppe keinen Anspruch einer anderen Gruppe auf eine vergleichbare steuerliche Entlastung (Urteil vom 20. April 2004  1 BvR 1748/99, 1 BvR 905/00, [X.] 110, 274; [X.]-Beschluss vom 20. April 2004  1 BvR 610/00, [X.] --[X.]-- 2004, 696). Daher finden sich auch eine Reihe anderer Tätigkeiten, die ebenfalls gemeindienlich sind, ohne dass dafür geleistete Zuschläge von der Einkommensteuer befreit wären, wie auch umgekehrt bei Zuschlägen für an Sonntagen, Feiertagen oder nachts ausgeübte Tätigkeiten, die kaum als gemeindienlich zu bezeichnen sind, die Steuerbefreiung greift.

aa) Die rechtssystematische Bedeutung und das Subventionsziel der in der Literatur überwiegend als rechtspolitisch verfehlt bezeichneten Steuerbefreiungsvorschrift des § 3b [X.] steht nicht eindeutig fest (vgl. Senatsurteil in [X.], 150, [X.], 43, m.w.N.). Die Rechtsprechung sieht darin insbesondere einen --allerdings auf Arbeitnehmer [X.] finanziellen Ausgleich für die besonderen Erschwernisse und Belastungen der mit Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit verbundenen Arbeitszeiten, die den biologischen und kulturellen Lebensrhythmus stören (Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2009 [X.], [X.], 201, m.w.N.; [X.]-Beschluss vom 2. Mai 1978  1 BvR 174/78, [X.] 1978, Nr. 449). Daneben werden auch wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Gründe als Motiv und [X.] des § 3b [X.] vermutet (vgl. Senatsurteil in [X.], 150, [X.], 43, m.w.N.).

bb) Trotz dieses nicht hinreichend präzise umschriebenen einkommensteuerrechtlichen Entlastungsgrundes lässt sich aber nach Maßgabe vorgenannter verfassungsrechtlicher Grundsätze aus § 3b [X.] jedenfalls nicht ableiten, dass der Gesetzgeber sämtliche allgemeindienlichen und für die [X.], mit denen Einkünfte erzielt werden, einkommensteuerrechtlich durch Steuererleichterungen oder Steuerbefreiungen fördern müsste. Denn § 3b [X.] begünstigt ersichtlich Lohnzuschläge für an Sonntagen, Feiertagen und nachts ausgeübte Tätigkeiten, ohne danach zu unterscheiden, ob diese Tätigkeiten gemeindienlich oder für die Allgemeinheit in besonderer Weise nützlich sind. [X.] für die einkommensteuerrechtliche Vergünstigung ist allein der Zeitpunkt, zu dem die Tätigkeit ausgeübt wird.

Meta

VI R 6/09

15.09.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 16. April 2008, Az: 3 K 691/07, Urteil

§ 3b Abs 1 EStG 2002, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.09.2011, Az. VI R 6/09 (REWIS RS 2011, 3308)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3308

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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(Steuerfreiheit der sog. Theaterbetriebszulage gemäß § 3b EStG)


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Steuerfreie Zuschläge für tatsächlich an Sonn-, Feiertagen oder zur Nachtzeit geleistete Arbeit


Referenzen
Wird zitiert von

B 10 EG 17/11 R

B 10 EG 3/11 R

Zitiert

2 BvL 2/99

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