Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.02.2023, Az. 7 VR 1/23

7. Senat | REWIS RS 2023, 950

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Gegenstand

Vorzeitige Einweisung in den Besitz landwirtschaftlicher Grundstücke für Bau und Betrieb einer Energietransportleitung


Leitsatz

1. Für Streitigkeiten über vorzeitige Besitzeinweisungen nach § 44b des Energiewirtschaftsgesetzes ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

2. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts aus § 12 Satz 1 und 2 Nr. 1 LNGG erfasst nicht nur die eigentlichen Planfeststellungsentscheidungen, sondern auch begleitende Entscheidungen wie die vorzeitige Besitzeinweisung.

3. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass am baldigen Bau der Energieleitungen zum Transport von Flüssiggas ein erhebliches öffentliches Interesse besteht, wird nicht durch die Einschätzung der Bundesnetzagentur entkräftet, dass die gegenwärtige Versorgungslage stabil sei.

4. In den Fällen vorzeitiger Besitzeinweisung scheidet regelmäßig eine Störerhaftung der betroffenen Grundstückseigentümer oder -besitzer als Zustandsstörer aus.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller je zur Hälfte.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 7 500 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den [X.] des Antragsgegners vom 21. Dezember 2022. Mit dem angegriffenen Beschluss hat der Antragsgegner die [X.] (im Folgenden: [X.]) für den Bau und Betrieb der Energietransportleitung 180 [X.]-[X.] entsprechend den Vorgaben eines zu erwartenden Planfeststellungsbeschlusses in den Besitz von Teilen der im Eigentum des Antragstellers zu 1 stehenden landwirtschaftlichen Grundstücke eingewiesen. Der Antragsteller zu 2 ist Pächter eines dieser Grundstücke.

2

Die [X.] ist [X.] einer zu errichtenden Energietransportleitung zwischen [X.] und [X.]. Mit dieser soll das in [X.] geplante, landgebundene LNG-Terminal sowie eine geplante schwimmende [X.] zur Einfuhr, Entladung, Lagerung und [X.] verflüssigten Erdgases an das bestehende Gasfernleitungsnetz angeschlossen werden.

3

Die Einwendungsfrist zu dem von der [X.] gestellten Antrag auf Planfeststellung endete am 1. August 2022. Der Antragsteller zu 1 erhob verschiedene Einwendungen. Die [X.] führte mit den Antragstellern Verhandlungen über den Abschluss eines Nutzungsvertrags. Der Aufforderung zur Erteilung einer Bauerlaubnis im Oktober 2022 kamen sie nicht nach.

4

Am 4. November 2022 stellte die [X.] bei dem Antragsgegner einen Antrag auf vor-vorzeitige Besitzeinweisung. Der Antragsgegner führte anstelle einer mündlichen Verhandlung eine [X.] durch. Im [X.] erließ der Antragsgegner den angegriffenen Bescheid, der den Antragstellern am 22. Dezember 2022 zugestellt wurde.

5

Die Antragsteller haben am 23. Januar 2023 Klage gegen den Bescheid erhoben, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beantragt und beide Rechtsbehelfe begründet.

6

Das Vorhaben zerschneide die Grundstücke der Antragsteller und die darauf befindlichen Drainagen rücksichtslos. Eine andere Trassenführung sei nicht durch den Vorhabenträger geprüft worden. Die Antragsteller müssten bei einem Störfall damit rechnen, als [X.] in Anspruch genommen zu werden, weil die [X.] nicht Eigentümerin werde. Durch die geplante Leitung würde zudem die Errichtung einer Photovoltaikanlage an dieser Stelle verhindert. Die Besitzeinweisung schaffe Fakten, die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten, wenn der Planfeststellungsbeschluss aufgehoben werden würde. Die Antragsteller seien durch die kurzen Fristen zur Begründung der Klage in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Sie würden zudem mit begleitenden Duldungsanordnungen überhäuft und durch Gefährderansprachen der Polizei bedroht. Die durch den Antragsgegner vorgebrachte Eile sei übertrieben; die Lage am Gasmarkt sei stabil. Schließlich seien die Tatbestandsvoraussetzungen der [X.] Besitzeinweisung nicht gegeben. Der sofortige Beginn der Arbeiten sei nicht geboten. Auch hätten sich die Antragsteller einer Überlassung der Grundstücke nicht grundsätzlich verweigert; sie hätten lediglich Nachfragen bezüglich einer Trassenverlegung gehabt. Die [X.] ersetze nicht die durch das Gesetz vorgesehene mündliche Verhandlung.

7

Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die vorzeitige Besitzeinweisung mit Beschluss vom 21. Dezember 2022 anzuordnen.

II

8

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

9

1. a) Der Rechtsweg zu den [X.] ist eröffnet. Die Streitigkeit gehört namentlich nicht vor die Baulandkammer des [X.]. Dies folgt zum einen daraus, dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt, ohne dass eine abdrängende Sonderzuweisung besteht. Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG eröffnet den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nur für Streitigkeiten über die Entschädigung im Falle der Enteignung. Zum anderen verweist die maßgebliche Norm des § 44b des [X.]es ([X.]) vom 7. Juli 2005 ([X.], 3621), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Januar 2023 ([X.] 2023 I Nr. 9), in ihrem Absatz 7 Satz 2 ausdrücklich auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO und damit auf Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte (vgl. [X.], in: [X.], [X.], 2. Aufl. 2019, § 44b Rn. 23; [X.], in: [X.], Energierecht, Stand Mai 2022, § 44b [X.] Rn. 28). Soweit das [X.] mit Urteil vom 26. Februar 1999 - 4 U 169 Baul/98 - ([X.] 1999, 476) die Zuständigkeit der Baulandkammer in einem Fall einer Besitzeinweisung bejaht hat, ist dies hier ohne Belang, weil das [X.] seine Argumentation auf eine Besonderheit des [X.] Straßenrechts gestützt hat.

b) Die erstinstanzliche Zuständigkeit des [X.] ergibt sich aus § 12 Satz 1 und 2 Nr. 1 des LNG-Beschleunigungsgesetzes ([X.]) vom 24. Mai 2022 ([X.]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Oktober 2022 ([X.]). Gemäß § 12 Satz 1 [X.] entscheidet das [X.] im ersten und im letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten über Vorhaben nach § 2 dieses Gesetzes. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 [X.] gilt dieses Gesetz u. a. für Leitungen, die der Anbindung von Anlagen nach Nummer 1 oder Nummer 2 an die [X.] dienen (LNG-Anbindungsleitungen). Nummer 1 und 2 erfassen u. a. schwimmende und landgebundene Anlagen zur Einfuhr, Entladung, Lagerung und [X.].

Bei den in [X.] geplanten Anlagen handelt es sich um eine landgebundene und eine schwimmende Anlage im Sinne der zuletzt genannten Vorschrift. Die streitgegenständliche Energietransportleitung dient der Anbindung dieser Anlagen an das bestehende Gasfernleitungsnetz.

Die genannten Vorschriften erfassen nicht nur die eigentlichen Planfeststellungsentscheidungen, sondern auch begleitende Entscheidungen wie die vorzeitige Besitzeinweisung. Das findet seinen Ausdruck - über die Bezugnahme auf "sämtliche Streitigkeiten" in § 12 Satz 1 [X.] hinaus - in § 12 Satz 2 Nr. 1 [X.], wonach Satz 1 auch auf die für den Betrieb der genannten Vorhaben notwendige Anlagen bezogene Zulassungen des vorzeitigen Baubeginns und Anzeigeverfahren anzuwenden ist. Der Begriff der Zulassungen des vorzeitigen Baubeginns ist hier weit auszulegen und ist - mit Blick auf das [X.] - nicht auf die so bezeichnete Zulassung des vorzeitigen Baubeginns im Sinne des § 44c [X.] beschränkt. Er erfasst auch die in § 44b [X.] geregelte vorzeitige Besitzeinweisung, die dasselbe Ziel der Ermöglichung des zügigen Baubeginns verfolgt. Das ist aus der gesamten Zielsetzung des LNG-Beschleunigungsgesetzes herzuleiten, das nach seinem § 1 Abs. 1 der zügigen Einbindung verflüssigten Erdgases in das bestehende [X.] dient. Entsprechend soll eine Aufteilung des Rechtsschutzes auf verschiedene Instanzen gerade vermieden werden. § 12 Satz 2 [X.] dient diesem Zweck, indem er Streitigkeiten umfassend dem [X.] in erster und letzter Instanz überträgt ([X.]. 20/1742 S. 38).

c) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der zugleich erhobenen Klage ist statthaft gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 80a Abs. 3 VwGO. Der Klage kommt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 44b Abs. 7 Satz 1 [X.] keine aufschiebende Wirkung zu.

d) Gemäß § 44b Abs. 7 Satz 2 [X.] ist der Antrag auf aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach der Zustellung des [X.]es zu stellen und zu begründen. Dem sind die Antragsteller am 23. Januar 2023 - einem Montag - fristgerecht nachgekommen (§ 57 Abs. 1 und 2 VwGO; § 222 Abs. 1 und 2 ZPO).

Die Monatsfrist verletzt die Antragsteller auch nicht in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Danach steht jedermann der Rechtsweg offen, wenn er durch die öffentliche Hand in seinen Rechten verletzt wird. Die Vorschrift enthält die verfassungsrechtliche Verbürgung effektiven Rechtsschutzes. Dieser darf nicht in unzumutbarer und durch [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 - [X.]K 11, 398 <402> und vom 18. Juni 2019 - 1 BvR 587/17 - [X.]E 151, 173 Rn. 27). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Zunächst wird der Einwand der Antragsteller dadurch widerlegt, dass es ihnen tatsächlich gelungen ist, die gesetzliche Frist einzuhalten. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass sowohl dem Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als auch dem Verfahren auf vorzeitige Besitzeinweisung der Sache nach ein beschleunigendes Element innewohnt, das kurze Begründungsfristen rechtfertigt. Eine unzumutbare Erschwerung effektiven Rechtsschutzes ist hierin nicht zu erblicken.

2. Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage steht im Ermessen des Gerichts der Hauptsache (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die in diesem Rahmen vorzunehmende Abwägung zwischen dem [X.] des Antragsgegners und dem Suspensivinteresse der Antragsteller geht zu deren Lasten aus. Dies beruht vor allem darauf, dass sich bei der hier [X.] summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage diese als voraussichtlich unbegründet erweist.

Gemäß § 44b Abs. 1 Satz 1 [X.] hat die Enteignungsbehörde den Träger des Vorhabens auf Antrag nach Feststellung des Plans oder Erteilung der Plangenehmigung in den Besitz einzuweisen, wenn der sofortige Beginn von Bauarbeiten geboten ist und der Eigentümer oder Besitzer sich weigert, den Besitz eines für den Bau, die Änderung oder Betriebsänderung von [X.], Erdkabeln oder Gasversorgungsleitungen im Sinne des § 43 [X.] benötigten Grundstücks durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche zu überlassen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift müssen der Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung vollziehbar sein. Weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht (Satz 3).

a) Bei der geplanten Energietransportleitung handelt es sich um eine Gasversorgungsleitung im Sinne des § 43 [X.], zu deren Bau die Grundstücke der Antragsteller benötigt werden.

b) In verfahrensrechtlicher Hinsicht schreibt § 44b Abs. 2 [X.] vor, dass die Enteignungsbehörde spätestens sechs Wochen nach Eingang des Antrags auf Besitzeinweisung mit den Beteiligten mündlich zu verhandeln hat. Die Antragsteller monieren insoweit, dass anstelle der mündlichen Verhandlung nur eine [X.] stattgefunden hat. Dies ist jedoch nicht zu beanstanden. Gemäß § 5 Abs. 2 des Planungssicherstellungsgesetzes (PlanSiG) vom 20. Mai 2020 ([X.] I S. 1041), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Dezember 2022 ([X.] I S. 2234), genügt die Durchführung einer [X.] nach Absatz 4, wenn in Verfahren nach den in § 1 PlanSiG genannten Gesetzen die Durchführung eines Erörterungstermins oder einer mündlichen Verhandlung angeordnet ist, auf die nach den dafür geltenden Vorschriften nicht verzichtet werden kann. Die Verfahren nach dem [X.] sind in § 1 Satz 1 Nr. 9 PlanSiG aufgeführt. Nach § 44b Abs. 2 Satz 1 [X.] ist die Durchführung der mündlichen Verhandlung verpflichtend. Dass im Rahmen der Durchführung der [X.] Rechte der Antragsteller nicht hinreichend gewahrt worden sind, wird von diesen nicht vorgetragen.

c) Der sofortige Beginn von Bauarbeiten ist geboten. Davon ist auszugehen, wenn der Vorhabenträger die Dringlichkeit der [X.] schlüssig darlegt und die Inanspruchnahme der Fläche nach der Besitzeinweisung in unmittelbarer oder naher Zukunft bevorsteht ([X.], Urteil vom 29. Oktober 2020 - 11 A 6.18 - juris Rn. 37). Hier hat der Antragsgegner im [X.] ausführlich dargelegt, dass die Bauarbeiten nach der vorgesehenen [X.] unmittelbar bevorstehen. Außerdem hat er das erhebliche öffentliche Interesse am baldigen Bau der Energieleitungen vor dem Hintergrund des [X.] [X.] auf die [X.] und der daraus resultierenden Einstellung [X.] Gaslieferungen an die [X.] hervorgehoben. Auf die Ausführungen auf Seite 16 bis 18 des [X.]es wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen.

Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Argumentation der Antragsteller entkräftet, die [X.] berichte von vollen Gasspeichern und schätze die Lage als stabil ein. Schon dem Umstand, dass sich das Besitzeinweisungsverfahren auf eine künftig erst entstehende Gastransportleitung bezieht, ist zu entnehmen, dass die Leitung nicht der Behebung eines gegenwärtigen Mangels dient, worauf sich aber die Verlautbarungen der [X.] beziehen. Außerdem ist dem Gesetzgeber hier ein Prognosespielraum zuzugestehen, in dessen Rahmen sich auch die Dringlichkeit des Baus der streitgegenständlichen Leitung bewegt.

d) Die Antragsteller haben sich auch im Sinne des § 44b Abs. 1 Satz 1 [X.] geweigert, die maßgeblichen Flächen der [X.] freiwillig zu überlassen. Eine Weigerung ist zwar nicht schon dann anzunehmen, wenn zwischen den Grundstückseigentümern oder -besitzern und dem Vorhabenträger Gespräche stattfinden. Dies ist im Vorfeld durchaus gewollt. An diese Verhandlungen sind aber keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Von einer Weigerung ist deshalb schon dann auszugehen, wenn der Vorhabenträger dem Eigentümer oder Besitzer durch ein entsprechendes Angebot die Möglichkeit eröffnet hat, die Überlassung des Besitzes unter Vorbehalt sämtlicher Entschädigungsansprüche durch eine Vereinbarung im Sinne des § 854 Abs. 2 BGB herbeizuführen und dieser das Angebot nicht angenommen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 23. September 2021 - 4 MB 32/21 - juris Rn. 63). Auf ein entsprechendes Angebot der [X.] sind die Antragsteller im Oktober 2022 nicht eingegangen. Nach den Ausführungen im [X.] haben sie diese Ablehnung im Verfahren der [X.] wiederholt.

e) § 44b Abs. 1 Satz 2 [X.] sieht als Regelfall für die vorzeitige Besitzeinweisung die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses vor. Diese ist hier nicht gegeben; der Erlass des Planfeststellungsbeschlusses wird nach Angaben der Antragsteller erst im März 2023 erwartet. Daneben sieht § 44b Abs. 1a Satz 1 [X.] die Möglichkeit vor, die Besitzeinweisung nach Abschluss des Anhörungsverfahrens nach § 43a [X.] durchzuführen. In diesem Fall ist gemäß Satz 2 der Vorschrift der [X.] mit der aufschiebenden Bedingung zu erlassen, dass sein Ergebnis durch den Planfeststellungsbeschluss bestätigt wird. Noch weitergehend gestattet § 8 Abs. 1 Nr. 3 [X.], dass der Vorhabenträger bereits nach Ablauf der Einwendungsfrist verlangen kann, dass das Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 44b [X.] durchgeführt wird. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers wird die Behörde auch zu so einem frühen Zeitpunkt ausreichend Kenntnisse über das Vorhaben haben, um eine Prognoseentscheidung zu treffen ([X.]. 20/1742 S. 23). In diesen Fällen wird von der [X.] Besitzeinweisung gesprochen.

Die Einwendungsfrist lief hier bereits am 1. August 2022 ab, also rund zwei Monate, bevor die [X.] den Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung gestellt hat. Die Wirksamkeit der Besitzeinweisung ist zudem von der Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses abhängig gemacht worden.

f) Der Einwand der Antragsteller, bei einem denkbaren Störfall könnten sie als Störer für etwaige Schäden haften, verfängt nicht. Schon nach allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen kämen die Antragsteller allenfalls nachrangig für eine Störungsbeseitigung in Betracht, da sie hierfür keinesfalls die unmittelbare Ursache gesetzt hätten (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juli 2002 - 10 S 2153/01 - juris Rn. 111 ff.; [X.], Urteil vom 26. Januar 2012 - 8 A 11081/11 - DVBl 2012, 515 <519>). Entsprechend wird auch bei den Fällen der vorzeitigen Besitzeinweisung nicht von einer Störerhaftung der betroffenen Grundstückseigentümer oder -besitzer ausgegangen ([X.], Beschluss vom 26. Mai 1993 - 8 [X.] - NVwZ-RR 1994, 131 <132>; [X.], Beschluss vom 23. September 2021 - 4 MB 32/21 - juris Rn. 63).

g) Soweit die Antragsteller schließlich zahlreiche Einwände gegen den beabsichtigten Planfeststellungsbeschluss selbst erheben (fehlende Alternativenprüfung, Zerschneidung der Grundstücke, Verhinderung von Photovoltaikanlagen, fehlende Sicherheitsprüfung), ist das für die Besitzeinweisung ohne Belang. Denn diese steht gemäß § 44b Abs. 1 Satz 3 [X.] unter keinen weiteren Voraussetzungen als § 44b Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] dies vorsehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1; § 159 Satz 1 VwGO; § 100 Abs. 1 ZPO. Ohne Bedeutung ist insoweit, dass der Antragsteller zu 2 im Verhältnis zum Antragsteller zu 1 nur der Pächter eines der betroffenen Grundstücke ist, der Antragsteller zu 1 aber Eigentümer sämtlicher betroffenen Grundstücke. Denn beide Antragsteller haben den die [X.] begünstigenden [X.] in vollem Umfang angegriffen.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Die Bedeutung der Sache bestimmt sich hier entsprechend Nr. 34.2.4 i. V. m. Nr. 1.5 des [X.] für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach ist wegen der dauerhaften Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen und der zusätzlich vorübergehend in Anspruch genommenen Flächen der Streitwert auf 15 000 € festzusetzen. Der Gesamtbetrag ist wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu halbieren (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Juli 2019 - 21 B 1378/18 - juris Rn. 26).

Meta

7 VR 1/23

10.02.2023

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: VR

§ 43 EnWG, § 43a EnWG, § 44b EnWG, § 8 Abs 1 Nr 3 LNGG, § 12 S 1 LNGG, § 12 S 2 Nr 1 LNGG, § 1 S 1 Nr 9 PlanSiG, § 5 Abs 2 PlanSiG, § 40 Abs 1 S 1 VwGO, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 80a Abs 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.02.2023, Az. 7 VR 1/23 (REWIS RS 2023, 950)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 950

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