Bundesgerichtshof, Verfügung vom 25.09.2014, Az. 2 StR 163/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2600

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) MENSCHENRECHTE STRAFVERFAHREN VERFAHRENSGRUNDSÄTZE

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verletzung des Verfahrensgrundrechts eines Angeklagten auf Verteidigung: Durchführung einer Revisionshauptverhandlung in Abwesenheit des Wahlverteidigers; notwendige Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger bei dessen - angekündigten - Ausbleiben im Termin


Leitsatz

Die Praxis, wonach Revisionshauptverhandlungen ohne Anwesenheit des vom Angeklagten gewählten Verteidigers durchgeführt werden, genügt den Anforderungen des Art. 6 Absatz 3 Buchst. c MRK nicht. Erscheint ein Wahlverteidiger, dem der Termin der Hauptverhandlung gemäß § 350 Absatz 1 StPO mitgeteilt wurde, zur Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht, oder teilt er vorab mit, das er nicht erscheinen werde, ist er in der Regel zum Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung zu bestellen, um das Recht des Angeklagten auf Verteidigung aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK zu wahren.

Tenor

Der Termin vom 26. November 2014 wird aufgehoben.

1. Neuer Termin zur Hauptverhandlung über die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten [X.]:

Mittwoch, 7. Januar 2015, 11.00 Uhr.

2. Für den Angeklagten [X.]wird Herr Rechtsanwalt    H.            aus [X.]zum Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung bestimmt.

Gründe

1

In der Hauptverhandlung des Senats am 20. August 2014 ist für den Angeklagten [X.]der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt [X.]     erschienen. Der Wahlverteidiger des Angeklagten [X.], Herr Rechtsanwalt [X.], hatte mit Schreiben vom 19. August 2014 mitgeteilt, dass er zur Hauptverhandlung nicht anreisen werde; das Schreiben lag dem Senat erst am 20. August 2014 vor.

2

Der Senat hat die Hauptverhandlung über die Revisionen der Staatsanwaltschaft ausgesetzt, weil der Angeklagte [X.]nicht verteidigt war.

3

Nach dem Wortlaut des § 350 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StPO ist die Anwesenheit eines gewählten Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung grundsätzlich nicht erforderlich. Nach der bisherigen Rechtsprechung und Übung ist ein Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung nur dann zu bestellen, wenn ein "schwerwiegender Fall" vorliegt ([X.] 46, 202) oder die Rechtslage besonders schwierig ist (vgl. BGHSt 19, 258; [X.]/[X.] StPO 57. Aufl. § 350 Rn. 7 f. mit weiteren Nachweisen).

4

Nach Auffassung des [X.] genügt die bisherige Praxis, wonach zahlreiche [X.] ohne Anwesenheit der Angeklagten und ihrer gewählten Verteidiger durchgeführt werden, den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Buchstabe [X.] nicht. In Anbetracht des Umstands, dass die Revision zum [X.] das einzige Rechtsmittel gegen Urteile der großen Strafkammer der Landgerichte und der erstinstanzlichen Senate der Oberlandesgerichte ist, erscheint es nicht vertretbar, den Angeklagten in [X.], an deren Ende eine ihn beschwerende Entscheidung ergehen kann, ohne jegliche Vertretung und - bei regelmäßiger Abwesenheit des Angeklagten selbst - jedenfalls faktisch ohne rechtliches Gehör zu lassen. Das gilt vor allem bei [X.] über Revisionen der Staatsanwaltschaft oder von Nebenklägern, muss aber gleichermaßen für solche über Revisionen des Angeklagten gelten.

5

Dem steht nicht entgegen, dass es dem Angeklagten freigestellt ist, sich in der Hauptverhandlung durch einen Wahlverteidiger vertreten zu lassen (§ 350 Abs. 2 Satz 1 StPO) und dass dem Nichterscheinen eines Verteidigers auch ein Kosteninteresse des Angeklagten zugrunde liegen kann.

6

Die Gründe, aus welchen ein Wahlverteidiger nicht zur Revisionshauptverhandlung erscheint, können vielfältig sein und müssen mit den Interessen des Angeklagten nicht übereinstimmen. Auf das mögliche Interesse des Angeklagten, nicht mit [X.] als Verfahrenskosten belastet zu werden, kommt es nach der gesetzlichen Wertung des § 140 StPO nicht an.

7

Teilt ein Wahlverteidiger mit, dass er zur Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht erscheinen werde, ist er daher in der Regel zum Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung zu bestellen, um die Durchführung des Verfahrens zu sichern.

8

Das hierin möglicherweise liegende berufstypische Sonderopfer hat er hinzunehmen.

[X.], den 25. September 2014

[X.]

Der Vorsitzende des [X.]

Prof. Dr. Fischer

Meta

2 StR 163/14

25.09.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Verfügung

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Fulda, 11. Dezember 2013, Az: 22 Js 6852/13 - 2 KLs jug

§ 140 Abs 2 S 1 StPO, § 350 Abs 1 StPO, § 350 Abs 2 S 1 StPO, Art 6 Abs 3 Buchst c MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Verfügung vom 25.09.2014, Az. 2 StR 163/14 (REWIS RS 2014, 2600)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2600

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 163/14 (Bundesgerichtshof)


1 StR 415/17 (Bundesgerichtshof)

Recht des Angeklagten auf Verteidigung durch den gewählten Verteidiger: Berücksichtigung von Begehren des Wahlverteidigers bei …


1 StR 415/17 (Bundesgerichtshof)


4 StR 506/04 (Bundesgerichtshof)


1 StR 474/06 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 163/14

3 StR 514/19

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.