Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.03.2018, Az. 1 StR 415/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 11968

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Gegenstand

Recht des Angeklagten auf Verteidigung durch den gewählten Verteidiger: Berücksichtigung von Begehren des Wahlverteidigers bei der Terminierung der Hauptverhandlung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 20. Mai 2016, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

2

Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg, soweit der Angeklagte eine Verletzung des Rechts auf Verteidigung durch den gewählten Verteidiger gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) [X.], § 137 Abs. 1 Satz 1 [X.] und des Grundsatzes des fairen Verfahrens geltend macht.

3

1. Der [X.] liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Die Hauptverhandlung fand am 27. April 2016, 29. April 2016 sowie ab dem 13. Mai 2016 an vier weiteren Tagen statt. Am ersten und zweiten [X.] waren lediglich der Angeklagte und sein Pflichtverteidiger Rechtsanwalt [X.], nicht jedoch der Wahlverteidiger Rechtsanwalt   [X.] anwesend. Rechtsanwalt [X.]war dem Angeklagten, der mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht einverstanden war, mit Beschluss des Vorsitzenden vom 21. März 2016 zur [X.] als Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt   [X.] beigeordnet worden.

5

Der Festlegung der [X.] vorausgegangen war eine Anfrage des Vorsitzenden an die Verteidiger der insgesamt drei Angeklagten für eine Terminierung der Hauptverhandlung auf den 27. April 2016 und 29. April 2016 sowie im Zeitraum vom 11. Mai bis 25. Mai 2016. Auf diese Terminanfrage hatte der Wahlverteidiger Rechtsanwalt    [X.] mitgeteilt, dass er am 27. April 2016 und 29. April 2016 wegen anderweitiger - konkret bezeichneter - Termine verhindert sei, im Zeitraum vom 11. Mai bis 25. Mai 2016 aber Termine wahrnehmen könne. Der Vorsitzende teilte sodann mit Schreiben an die Verfahrensbeteiligten vom 11. April 2016 mit, dass die Hauptverhandlung für den Fall der Anklagezulassung am 27. April 2016, 29. April 2016 sowie ab dem 13. Mai bis zum 25. Mai 2016 an fünf weiteren, im einzelnen bezeichneten Terminen stattfinden werde, und bat um verbindliche Terminreservierungen. Gegen die Terminierung wandte sich der Wahlverteidiger sodann mit einem Schreiben vom 12. April 2016 und einem [X.] vom 13. April 2016. Auf beide Schreiben reagierte die [X.] nicht.

6

Am ersten [X.] übergab der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt [X.] ein Schreiben von Rechtsanwalt   [X.]vom 27. April 2016, in dem dieser unter Hinweis auf den zuvor geschilderten Sachverhalt eine Verletzung der Verteidigungsrechte seines Mandanten geltend machte und zudem mitteilte, der Angeklagte werde in seiner Abwesenheit nur Pflichtangaben machen. Das Gericht wies am dritten [X.] im Zusammenhang mit einem Antrag von Rechtsanwalt   [X.], den dieser unter Bezugnahme auf das zuvor genannte Schreiben begründet hatte, unter anderem darauf hin, dass sich in der Akte ein „Terminverlegungsantrag vom 12. April 2016“ befinde. Dieser sei von der Geschäftsstelle nicht eigens vorgelegt und deshalb nicht formal verbeschieden worden; im Übrigen hätte eine Verlegung des Termins aufgrund der Terminlage der anderen Verfahrensbeteiligten und der Kammer nicht erfolgen können.

7

2. Diese Verfahrensweise war rechtsfehlerhaft. Sie verletzte den Angeklagten in seinem Recht auf Verteidigung durch den gewählten Verteidiger aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) [X.], § 137 Abs. 1 Satz 1 [X.] und verstieß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

8

a) Die [X.] ist zulässig erhoben. Bei der hier gegebenen Sachverhaltskonstellation bedurfte angesichts der Nichtbescheidung des Schreibens vom 12. April 2016 und des Übergehens des [X.] vom 13. April 2016, zu dessen Vorlage und Verbleib die [X.] keine Erklärung abgegeben hat, keines (Aussetzungs-)Antrags in der Hauptverhandlung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Juli 1996 - 2 [X.] 90/96, [X.] 1996, 94, 95; [X.], Beschluss vom 27. Oktober 1997 - 3 Ss 286/97, [X.], 13, 14; [X.] in [X.], [X.], 26. Aufl., § 213 Rn. 19; [X.] in [X.] Kommentar, [X.], § 213 Rn. 18; siehe allgemein zum [X.] hinsichtlich der Zulässigkeitsanforderungen an die Revision bei Terminverfügungen des Vorsitzenden: [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 213 Rn. 17 f.). Der [X.] kann deshalb dahinstehen lassen, ob in dem Schreiben des Wahlverteidigers vom 27. April 2016, in dem auf die Nichtbescheidung der zuvor genannten Schreiben hingewiesen wurde, nicht ein entsprechender Aussetzungsantrag gesehen werden müsste.

9

b) Die [X.] ist auch begründet. Grundsätzlich hat ein Angeklagter das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt allerdings nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte ([X.], Beschlüsse vom 29. August 2006 - 1 [X.], [X.], 163, 164 Rn. 5 und vom 18. Dezember 1997 - 1 [X.], [X.], 311, 312; Wessing in BeckOK [X.], [X.]. 1.1.2018, § 137 Rn. 4 mwN). Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden und steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen (§ 213 [X.]). Der Vorsitzende muss sich jedoch ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, soweit wie möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der [X.] und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Juli 2010 - 1 [X.], [X.], 312, 313; vom 6. November 1991 - 4 StR 515/91, [X.], 52, 53 und vom 11. September 1986 - 1 [X.], [X.], 34 f.). Ein derartiges Bemühen des Vorsitzenden ist vorliegend weder bei der Bestimmung der [X.] nach vorheriger Terminanfrage bei den Verfahrensbeteiligten noch hinsichtlich des nachfolgenden Schreibens und des [X.]s des Wahlverteidigers, der erkennbar das Vertrauen des Angeklagten genoss, ersichtlich. Eine andere Terminierung dürfte vorliegend auch nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen sein, da die [X.] mit der Hauptverhandlung am 13. Mai 2016 hätte beginnen können, die Verzögerung mithin zeitlich nicht erheblich ins Gewicht gefallen wäre.

c) Der Fehler führt zur Aufhebung des Urteils, weil sich nicht ausschließen lässt, dass die Hauptverhandlung bei Anwesenheit des Wahlverteidigers auch an den ersten beiden [X.]en, an denen sich die Mitangeklagten zur Sache geäußert haben sowie Zeugen und Sachverständige gehört wurden, zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis geführt hätte (vgl. [X.], Urteil vom 9. Oktober 1989 - 2 StR 352/89, [X.]St 36, 259, 262; Beschluss vom 6. Juli 1999 - 1 [X.], [X.], 524).

Raum     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Meta

1 StR 415/17

21.03.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 6. Dezember 2017, Az: 1 StR 415/17, Beschluss

Art 6 Abs 3 Buchst c MRK, § 137 Abs 1 S 1 StPO, § 213 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.03.2018, Az. 1 StR 415/17 (REWIS RS 2018, 11968)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11968


Verfahrensgang

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Az. 1 StR 415/17

Bundesgerichtshof, 1 StR 415/17, 21.03.2018.

Bundesgerichtshof, 1 StR 415/17, 06.12.2017.


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