Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.10.2012, Az. IX ZB 242/11

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1924

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Gegenstand

Insolvenzverwaltervergütung: Begrenzung des Pauschsatzes für Auslagen in Übergangsfällen


Leitsatz

Die durch die Änderungsverordnung vom 4. Oktober 2004 für ab dem 1. Januar 2004 eröffnete Insolvenzverfahren eingeführte Begrenzung des Pauschsatzes für Auslagen verstößt für Insolvenzverfahren, die bei Inkrafttreten der Änderungsverordnung am 7. Oktober 2004 noch andauerten, nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 10. Zivilkammer des [X.] vom 15. August 2011 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 11.904 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der weitere Beteiligte ist Verwalter in dem am 1. März 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der als GmbH geführten Schuldnerin. Im Dezember 2010 hat er beantragt, seine Vergütung festzusetzen. Ausgehend von einer Teilungsmasse von 333.397,78 € hat er die Regelvergütung mit 32.751 € berechnet und eine Vergütung in Höhe des 2,75-fachen Satzes, mithin [X.] € zuzüglich Umsatzsteuer beantragt. Daneben hat er für 83 Monate eine Auslagenpauschale in Höhe von jeweils 250 €, insgesamt 20.750 € zuzüglich Umsatzsteuer geltend gemacht.

2

Das Insolvenzgericht hat die Vergütung antragsgemäß, die Auslagenpauschale jedoch nur auf netto 10.746,64 € festgesetzt. Es hat für die Monate von März 2004 bis September 2004 eine monatliche Pauschale von 250 € gewährt, für die Folgezeit ab Oktober 2004 aber den [X.] gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] auf 30 vom Hundert der Regelvergütung begrenzt. Hiervon hat es wiederum im Hinblick auf die sieben Monate, für die es die Monatspauschale von 250 € gewährt hat, einen Abzug von 828,66 € vorgenommen. Die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Vergütungsantrag betreffend die Auslagenerstattung weiter.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 7 aF, § 6 Abs. 1, § 64 Abs. 3 [X.], Art. 103f EG[X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1, § 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob es verfassungsgemäß sei, dass die am 7. Oktober 2004 in die [X.] eingefügte Bestimmung des § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.], wonach der [X.] für Auslagen 30 vom Hundert der Regelvergütung nicht übersteigen dürfe, gemäß § 19 Abs. 1 [X.] rückwirkend auch für Insolvenzverfahren gelte, die ab dem 1. Januar 2004 eröffnet wurden. Ein Verfassungsverstoß betreffe allenfalls die [X.] bis zum Inkrafttreten der Änderung der Vergütungsverordnung am 7. Oktober 2004. Es begegne deshalb keinen Bedenken, dass das Insolvenzgericht die neue Vorschrift für die [X.] ab dem 7. Oktober 2004 angewandt habe.

5

2. Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, die rückwirkende Beschränkung des Anspruchs des Insolvenzverwalters auf Auslagenerstattung in § 19 Abs. 1, § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] sei verfassungswidrig. Dies habe zur Folge, dass die Regelung auf Insolvenzverfahren, die vor dem 7. Oktober 2004 eröffnet wurden, nicht anwendbar sei. Eine Aufspaltung der Anwendbarkeit in einen verfassungswidrigen und einen verfassungsmäßigen Teil bei Insolvenzverfahren, die zwischen dem 1. Januar 2004 und dem 6. Oktober 2004 eröffnet wurden, sei nicht möglich. Auch auf der Grundlage der Rechtsansicht der Vorinstanzen sei aber die Festsetzung der Vergütung insoweit fehlerhaft, als für den Monat Oktober 2004 keine Pauschale in Höhe von 250 € gewährt und von dem für die Folgezeit angesetzten Pauschbetrag ein Abzug für die ersten sieben Monate gemacht worden sei.

6

3. Die Entscheidung des [X.] enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des [X.]. Die Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist auf den gesamten Anspruch des weiteren Beteiligten auf Auslagenerstattung ab dem [X.]punkt seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter am 1. März 2004 anwendbar. Es kann deshalb offen bleiben, ob der Anspruch vom Insolvenzgericht auf der Grundlage der von den Vorinstanzen angenommenen nur teilweisen Anwendbarkeit von § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] richtig berechnet wurde.

7

a) Die am 7. Oktober 2004 in [X.] getretene Verordnung zur Änderung der [X.] vom 4. Oktober 2004 ([X.] I S. 2569) diente in erster Linie dem Ziel, die Mindestvergütung in massearmen Regel- und Verbraucherinsolvenzverfahren den verfassungsrechtlichen Anforderungen anzupassen, nachdem der [X.] die bisherige Regelung ab dem 1. Januar 2004 für verfassungswidrig erklärt hatte ([X.], Beschluss vom 15. Januar 2005 - [X.], [X.]Z 157, 282, 286 ff; Beschluss vom 15. Januar 2004 - [X.], [X.], 588; vgl. die Begründung des [X.] zum Entwurf der Änderungsverordnung, [X.], abgedruckt bei [X.], [X.], [X.]). Die Bestimmung in dem durch Art. 1 Nr. 10 der Änderungsverordnung neu gefassten § 19 Abs. 1 [X.], dass die Neuregelung für alle Insolvenzverfahren gelten sollte, die ab dem 1. Januar 2004 eröffnet wurden, entsprach der Vorgabe des [X.]s in den genannten Beschlüssen. Durch die Änderungsverordnung wurde allerdings nicht nur die Mindestvergütung des Insolvenzverwalters und des Treuhänders erhöht, sondern auch die Regelung über die Beschränkung des [X.] für die Auslagenerstattung in § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] eingefügt. Auch für diese Neuregelung gilt die Übergangsvorschrift des § 19 Abs. 1 [X.] ([X.], Beschluss vom 6. April 2006 - [X.], [X.], 127 Rn. 7). Die Beschränkung der in § 8 Abs. 3 Satz 1 geregelten Auslagenpauschale von 15 vom Hundert der Regelvergütung im [X.], danach 10 vom Hundert, höchstens jedoch 250 € monatlich, auf maximal 30 vom Hundert der Regelvergütung ist deshalb nach dem Wortlaut der Verordnung in allen ab dem 1. Januar 2004 eröffneten Insolvenzverfahren anzuwenden, auch für die [X.] vor dem Inkrafttreten der Änderungsverordnung am 7. Oktober 2004.

8

b) Die darin liegende Rückwirkung der Neuregelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

9

aa) Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz gehören, und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) setzen Regelungen in Gesetzen, welche die rechtliche Behandlung von Sachverhalten der Vergangenheit belastend verändern, Grenzen. Für die nähere Bestimmung der Grenzen wird zwischen echter Rückwirkung (genannt auch Rückwirkung von Rechtsfolgen) und unechter Rückwirkung (genannt auch tatbestandliche Rückanknüpfung) unterschieden. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn an Tatbestände, die in der Vergangenheit liegen und bereits abgeschlossen sind, ungünstigere Rechtsfolgen geknüpft werden als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte. Regelungen solchen Inhalts sind in Gesetzen und ebenso in Rechtsverordnungen ([X.] 45, 142, 167 f, 174) grundsätzlich unzulässig. Ausnahmen kommen nur unter engen Voraussetzungen in Betracht, etwa wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls eine Durchbrechung des [X.] erfordern oder wenn ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen auf die bisherige Rechtslage nicht oder nicht mehr vorhanden ist ([X.] 13, 261, 270 ff; 30, 367, 385 f; 32, 111, 123; 72, 200, 257 f; 95, 64, 86 f). Von einer unechten Rückwirkung wird hingegen gesprochen, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Sie ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, es sei denn, die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung ist zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich oder die Bestandsinteressen der Betroffenen überwiegen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers ([X.] 30, 392, 402 f; 95, 64, 86; 101, 239, 263; 103, 392, 403; 109, 96, 122; zum Ganzen Grzeszick in [X.]/[X.], GG, 2006, Art. 20 [X.] Rn. 72, 76 ff).

bb) Die Übergangsregelung in § 19 Abs. 1 [X.], nach der die am 7. Oktober 2004 eingeführte Begrenzung des [X.] gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] auch für Insolvenzverfahren gilt, die ab dem 1. Januar 2004 eröffnet wurden, beinhaltet für Insolvenzverfahren, die - wie das vorliegende - am 7. Oktober 2004 noch fortdauerten, lediglich eine unechte Rückwirkung, und zwar auch insoweit, als eine Auslagenerstattung für die [X.] vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 7. Oktober 2004 in Rede steht. Entscheidet sich der Verwalter dafür, anstelle der tatsächlich entstandenen Auslagen den gesetzlichen [X.] zu fordern, erhält er einen pauschalen Betrag, dessen Höhe sich gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 [X.] nach der Dauer des Verfahrens bemisst. Ähnlich wie beim Anspruch auf Vergütung ([X.], Beschluss vom 20. Mai 2010 - [X.], [X.]Z 185, 353 Rn. 9 f) handelt es sich dabei um einen einheitlichen Anspruch. Dieser einheitliche Anspruch auf pauschale Erstattung der Auslagen für das gesamte Verfahren wird durch den am 7. Oktober 2004 neu eingeführten § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] auf einen Höchstbetrag begrenzt. Gegenstand der Neuregelung sind somit, auch soweit § 19 Abs. 1 [X.] ihre Geltung für ab dem 1. Januar 2004 eröffnete Insolvenzverfahren anordnet, nicht isoliert die vor der Neuregelung getätigten Auslagen. Sie begrenzt vielmehr die Pauschale für das gesamte Verfahren. Damit regelt die Änderungsverordnung in diesem Punkt nicht einen in der Vergangenheit liegenden bereits abgeschlossenen Sachverhalt, sondern durch den Bezug auf die für das gesamte Verfahren zu erstattende Auslagenpauschale einen nicht abgeschlossenen Sachverhalt, der zwar in der Vergangenheit begonnen hat, aber bei Inkrafttreten der Neuregelung noch andauert und in die Zukunft hineinreicht.

cc) Die für Regelungen mit unechter Rückwirkung geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen sind erfüllt. Das bereits seit dem Inkrafttreten der [X.] am 1. Januar 1999 nach § 8 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestehende Recht des Insolvenzverwalters, anstelle der tatsächlich entstandenen Auslagen einen [X.] zu fordern, soll die Arbeit des Verwalters und des Insolvenzgerichts erleichtern, indem ihnen die aufwändige Vorlage und Prüfung von Einzelbelegen erspart wird (Amtliche Begründung zu § 8 [X.], abgedruckt bei [X.], [X.], [X.]). Erfahrungsgemäß nimmt der Umfang der anfallenden Auslagen bei fortschreitender Dauer des Insolvenzverfahrens eher ab. Der [X.] bleibt demgegenüber ab dem [X.] gleich. Der Verordnungsgeber verfolgte deshalb mit der Einführung des § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] das Ziel, falschen Anreizen entgegenzuwirken, das Insolvenzverfahren nicht zügig abzuschließen (Begründung des Entwurfs der Änderungsverordnung, zu § 8 Abs. 3, abgedruckt bei [X.], [X.], [X.]).

Die Einführung einer Obergrenze für die zu erstattende Auslagenpauschale auch für bereits laufende Insolvenzverfahren war geeignet und erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen. Letztlich dient die Neuregelung dem Interesse der Gläubiger und des Schuldners an einem Schutz der Masse vor überhöhten, weil sachlich nicht gerechtfertigten Forderungen des Insolvenzverwalters. Dieses Interesse wiegt stärker als das Vertrauen des Insolvenzverwalters auf einen Fortbestand der bisherigen Regelung. Dem Insolvenzverwalter steht gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 4 Abs. 2 [X.] im Grundsatz ein unbeschränkter Anspruch auf Erstattung sämtlicher Auslagen zu, die ihm bei seiner Tätigkeit tatsächlich entstanden sind, sofern sie nicht den allgemeinen Geschäftskosten zuzurechnen und deshalb mit der Vergütung abgegolten sind (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.]). Es bleibt dem Verwalter auch nach der Begrenzung des [X.]es durch die am 7. Oktober 2004 in [X.] getretene Neuregelung unbenommen, die entstandenen Auslagen durch Einzelnachweis geltend zu machen, wenn der in der Höhe begrenzte [X.] die tatsächlichen Auslagen nicht deckt (Begründung des Entwurfs zu Art. 1 Nr. 2 der Änderungsverordnung, aaO). Dadurch ist sichergestellt, dass der Verwalter die Erstattung aller angefallenen Auslagen erreichen kann. Die Beschränkung des [X.]es verletzt deshalb nicht das durch die [X.] berührte Grundrecht des Verwalters aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2004 - [X.], [X.]Z 157, 282, 286). Das Recht, anstelle der tatsächlich entstandenen Aufwendungen eine Pauschale zu fordern, soll ihm nicht die Möglichkeit verschaffen, einen höheren Betrag erstattet zu bekommen als im Falle des [X.]. Sein mögliches Vertrauen auf ein Fortbestehen der vor dem 7. Oktober 2004 geltenden Regelung, welche den [X.] nur auf den Monatsbetrag von 250 € begrenzte, nicht aber auf den Gesamtbetrag von 30 vom Hundert der Regelvergütung, verdient deshalb nur geringen Schutz.

c) Die Begrenzung des [X.]es auf 30 vom Hundert der Regelvergütung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] gilt sonach für die gesamte [X.] der Tätigkeit des weiteren Beteiligten. Da die Regelvergütung 32.751 € beträgt, ist der Anspruch auf pauschale Erstattung der Auslagen auf 9.825,30 € begrenzt. Die Vorinstanzen haben den Erstattungsanspruch auf 10.746,64 € festgesetzt. Dabei hat es wegen des im Rechtsbeschwerdeverfahren geltenden Verschlechterungsverbots zu bleiben.

[X.]                                               Fischer

                            Grupp                                                  [X.]

Meta

IX ZB 242/11

25.10.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Göttingen, 15. August 2011, Az: 10 T 69/11

§ 8 Abs 3 S 2 InsVV, § 19 Abs 1 InsVV, Art 20 Abs 3 GG, InsVVÄndV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.10.2012, Az. IX ZB 242/11 (REWIS RS 2012, 1924)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1924

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

IX ZB 242/11

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