Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.07.2014, Az. III ZR 102/12

3. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 3796

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Revision in unionsrechtlichem Staatshaftungsprozess: Befreiung des Bundes von den Gerichtskosten


Tenor

Die Erinnerung der Klägerin gegen die Kostenrechnung der Rechnungsstelle des [X.] vom 4. September 2013 - [X.] 780013135239 - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin macht gegen die beklagte [X.] einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geltend. Das [X.] hat die Klage in einem ersten Berufungsverfahren dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Der Senat hat nach einer Vorlage der Sache an den [X.] das Berufungsurteil mit seinem Urteil vom 4. Juni 2009 ([X.], [X.], 199) aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], zurückverwiesen. Mit seinem zweiten Urteil hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich derjenigen des vorangegangenen Revisionsverfahrens, auferlegt. Daraufhin hat die Rechnungsstelle des [X.] der Klägerin gemäß § 29 Nr. 1 GKG eine Kostenrechnung für dieses Verfahren erteilt, die auch beglichen wurde.

2

Gegen das zweite Berufungsurteil hat die Klägerin eine vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Der Senat hat durch sein zweites Urteil vom 12. Dezember 2013 ([X.], juris) die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache abermals zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an die Vorinstanz zurückverwiesen.

3

Die Rechnungsstelle des [X.] hat die Klägerin als Antragstellerin gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG zu den Kosten für das zweite Revisionsverfahren herangezogen und die mit der vorliegenden Erinnerung angegriffene Kostenrechnung erstellt.

4

Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Belastung mit den Kosten beider Revisionsverfahren und die Kostenbefreiung der [X.] gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in den freien Warenverkehr und in das daraus folgende Recht auf Schadensersatz dar. Dieser Eingriff sei offenkundig nicht durch zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die nationalen Vorschriften des Gerichtskostengesetzes dürften wegen des Vorrangs des Unionsrechts im vorliegenden Fall nicht angewendet werden.

II.

5

Die gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige Erinnerung ist unbegründet.

6

1. Die Klägerin schuldet gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG als Revisionsklägerin die mit der angegriffenen Kostenrechnung angesetzten Gerichtskosten für das zweite Revisionsverfahren. Dass sie zuvor bereits für die Kosten des ersten Revisionsverfahrens gemäß § 29 Nr. 1 GKG als diejenige [X.], der diese durch das zweite Berufungsurteil auferlegt wurden, herangezogen wurde, ändert hieran nichts, da es sich um kostenrechtlich zwei getrennte Rechtsmittelverfahren handelte. Diese nach den nationalen Bestimmungen bestehende Rechtslage zieht die Klägerin auch nicht in Zweifel.

7

2. Entgegen der Ansicht der Klägerin steht die Rechtslage nicht in Widerspruch zum Recht der [X.] mit der Folge, dass § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG vorliegend unanwendbar wäre. Nach ständiger Rechtsprechung ist es mangels einer europarechtlichen Regelung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs Sache der nationalen Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und das Verfahren für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Daher hat der Staat die Folgen des entstandenen Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität) (z.B. [X.], Urteil vom 24. März 2009 - [X.] - Slg. [X.] = NVwZ 2009, 771 Rn. 31; Senatsurteil vom 4. Juni 2009 - [X.], [X.], 199 Rn. 39 jew. mwN).

8

Zu dem der Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten überlassenen Verfahren gehört auch die Regelung der Gerichtskosten. Die von der Klägerin im vorliegenden Zusammenhang beanstandeten Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes gelten für Amtshaftungsklagen auf der (nationalen) Grundlage von § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG ebenfalls, so dass der Grundsatz der Gleichwertigkeit gewahrt ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin wird durch die Anwendung von § 2 Abs. 1 Satz 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 und § 29 Nr. 1 GKG auf die beiden Revisionsverfahren auch nicht die Effektivität des geltend gemachten unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs beeinträchtigt.

9

a) Dass die Beklagte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG von den Gerichtskosten befreit ist, schränkt die Effektivität des Anspruchs nicht ein.

Die Bestimmung beruht darauf, dass [X.] und Länder als Träger der [X.] den Aufwand für die Errichtung und Unterhaltung der Gerichtsorganisation zu tragen haben ([X.], Beschluss vom 27. Oktober 1981 - [X.], [X.], 145). Hätte die Beklagte Gerichtskosten für das Revisionsverfahren zu entrichten, würde dies lediglich zu einer Zahlung innerhalb des [X.]eshaushalts führen. Für die Kostenbefreiung besteht damit ein sachlicher Grund.

Überdies hat sich die Befreiung der [X.] von den Gerichtskosten im vorliegenden Verfahren im Ergebnis nicht zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt, da sie auch ohne das Fiskusprivileg mit den Kosten beider Revisionsverfahren belastet worden wäre. Zwar hätte die Beklagte ohne § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG im ersten Revisionsverfahren zunächst gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG die Gerichtsgebühren und -auslagen geschuldet. Aufgrund der Kostenentscheidung im zweiten Berufungsurteil war die Klägerin gemäß § 29 Nr. 1 GKG jedoch weitere Kostenschuldnerin. Nach § 31 Abs. 2 Satz 1 GKG ist derjenige, dem die Kosten gemäß § 29 Nr. 1 GKG auferlegt sind, [X.], der gegenüber anderen Kostenschuldnern vorrangig heranzuziehen ist, insbesondere auch gegenüber demjenigen, der nach § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG haftet. Das bedeutet, dass die Klägerin aufgrund der Kostengrundentscheidung im zweiten Berufungsurteil auch ohne Anwendung von § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG von der Rechnungsstelle des [X.] für die Gerichtskosten des ersten Revisionsverfahrens herangezogen worden wäre. Falls die Beklagte aufgrund ihrer - unterstellten - Kostenhaftung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG diese Kosten bereits zuvor beglichen hätte, hätte sie gegen die Klägerin einen Erstattungsanspruch nach § 91 Abs. 1 ZPO gehabt.

Für das von ihr betriebene zweite Revisionsverfahren ist unabhängig von § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG bislang allein die Klägerin Kostenschuldnerin (§ 22 Abs. 1 Satz 1 GKG). Eine Entscheidung nach § 29 Nr. 1 GKG ist noch nicht ergangen.

b) Auch der Umstand, dass die Klägerin (vorläufig, siehe sogleich) für die Kosten beider Revisionsverfahren haftet, bedeutet nicht, dass die Durchsetzung ihres etwaigen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs übermäßig erschwert wird. Da in dem Rechtsstreit um diesen Anspruch die Revisionsinstanz zweimal in Anspruch genommen wurde, ist es nur folgerichtig, dass für die staatliche Leistung auch zweimal Gebühren anfallen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass, soweit die Kostenlast die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der [X.] überfordert, unter den weiteren Voraussetzungen von § 114 und gegebenenfalls § 116 ZPO Prozesskostenhilfe gewährt wird, mit der Folge, dass die [X.]es- oder Landeskasse die Gerichtskosten nicht mehr oder nur in Raten geltend machen kann. Darüber hinaus kann nach § 59 Abs. 1 [X.] in Härtefällen von der Einziehung der Kosten vorübergehend oder endgültig abgesehen werden.

Weiterhin ist anzumerken, dass die Pflicht der Klägerin, derzeit die Kosten beider Revisionsverfahren zu tragen, nicht die endgültige Belastung hiermit bedeutet. Wenn und soweit die Klägerin obsiegt und ihrem Gegner die Kosten (auch) der Revisionsrechtszüge auferlegt werden, hat sie einen Rückzahlungsanspruch gegen die Gerichtskasse gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1, Halbsatz 2 GKG (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2002 - [X.], NJW 2003, 1322, 1324; KG, [X.], 643 f; [X.], [X.], 762, 763).

Der weitere Hinweis der Klägerin, sie habe "ihrem Schädiger" bereits Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe mehrerer Millionen Euro gezahlt, ist eine reine Billigkeitserwägung, die rechtlich ohne Substanz bleibt und zudem auf der Prämisse beruht, dass ihr Schadensersatzanspruch begründet ist. Dies steht jedoch im vorliegenden Verfahrensstadium noch nicht fest.

3. Die Heranziehung der Klägerin zu den Kosten beider Revisionsverfahren und das Fiskusprivileg des § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG stellen, anders als die Klägerin geltend macht, aus den vorstehenden Gründen auch keine unverhältnismäßige und damit unzulässige Beschränkung des freien Warenverkehrs (Art. 28 ff AEUV) dar. Durch die Erhebung von Gerichtskosten für [X.] wegen der Verletzung dieser Grundfreiheit ist deren Schutzbereich selbst nicht betroffen.

4. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch eine Vorlage an den [X.] gemäß Art. 267 AEUV entbehrlich. Es steht mit der nach den Maßstäben der acte-clair-Doktrin erforderlichen Gewissheit (vgl. z.B.: [X.], Urteile 15. September 2005 - [X.]/03 - [X.], Slg. 2005, [X.] Rn. 33 und vom 6. Oktober 1982 - 283/81 - [X.], Slg. 1982, 3415 Rn. 16; [X.], Beschluss vom 26. November 2007 - [X.] 23/07, [X.]Z 174, 273 Rn. 34) fest, dass der Vorrang des Unionsrechts nicht gebietet, von der Erhebung der mit der angegriffenen Rechnung festgesetzten Kosten abzusehen. Dass sich das gerichtliche Verfahren zur Geltendmachung eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs grundsätzlich nach den nationalen Vorschriften richtet, entspricht der oben mit einem Beispiel zitierten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.]. Die Wahrung der Grundsätze der Gleichwertigkeit und Effektivität durch die einschlägigen Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes liegt nach den vorstehenden Erwägungen ebenso auf der Hand wie das Fehlen eines mit Art. 28 ff AEUV unvereinbaren Eingriffs in den freien Warenverkehr.

Die von der Klägerin zum Beleg für ihre Ansicht, der Senat müsse gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs einholen, zitierte Entscheidung des [X.]s Naumburg vom 1. September 2008 (6 [X.], juris) ist nicht einschlägig. Der Vorlagebeschluss dieses Gerichts bezog sich auf die Fragen, ob es mit Art. 86 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 EGV (= Art. 106 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AEUV) vereinbar sei, dass die vom [X.] errichtete Investitionsbank von Gerichtskosten befreit sei, und gegebenenfalls ob dies nur für die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben gelte. Nicht - wie vorliegend - die Vereinbarkeit der Kostenfreiheit gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG mit dem Unionsrecht als solche stand in Frage, sondern lediglich, ob die Ausdehnung der Kostenfreiheit der Investitionsbank mit Art. 86 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 EGV unvereinbare Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Kreditinstituten verschaffe (siehe aaO Rn. 54 f).

Schlick                                  Herrmann                                  Wöstmann

                      Seiters                                           [X.]

Meta

III ZR 102/12

24.07.2014

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 12. Dezember 2013, Az: III ZR 102/12, Urteil

§ 2 Abs 1 S 1 GKG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.07.2014, Az. III ZR 102/12 (REWIS RS 2014, 3796)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3796


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. III ZR 102/12

Bundesgerichtshof, III ZR 102/12, 24.07.2014.

Bundesgerichtshof, III ZR 102/12, 12.12.2013.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III ZR 102/12 (Bundesgerichtshof)


III ZR 117/17 (Bundesgerichtshof)


2 B 3/14 (Bundesverwaltungsgericht)


III ZR 117/17 (Bundesgerichtshof)

Verjährter unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch bei unionsrechtswidrig geleisteter Zuvielarbeit: Anwendbarkeit des deutschrechtlichen Herausgabeanspruchs nach Eintritt der Verjährung …


2 B 2/14 (Bundesverwaltungsgericht)

Verjährungsregeln des nationalen Rechts bei unionsrechtlichem Staatshaftungsanspruch


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.