Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.10.2016, Az. IX ZR 305/14

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 3623

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:201016BIXZR305.14.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX
ZR
305/14

vom

20. Oktober 2016

in dem Rechtsstreit

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Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] Dr.
Kayser,
[X.] Dr. Gehrlein, Prof. [X.], [X.] und die Richterin Möhring

am
20. Oktober 2016
beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 10. Dezember 2014 zugelassen.
Auf die Revision des [X.] wird das vorbezeichnete Urteil auf-gehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Be-rufungsgericht zurückverwiesen.

festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Anträge
vom 9. Dezember 2010 und vom 11. Januar 2011 am 18. März 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der K.

GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Schuldnerin
war im April 2006 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten 1
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Krankenkasse (im Folgenden: Beklagte) mit der Zahlung von [X.] im Gesamtbetrag von 9.406,96

aus der [X.] seit August 2005 im Rückstand. Nach fruchtlosen Vollstreckungsversuchen beantragte die [X.] am 19. April 2006 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver-mögen der Schuldnerin. Die Schuldnerin zahlte bis Ende Juni 2006 in [X.] erledigt erklärte. Zwischen dem 14. Juli 2006 und dem 26. November 2010 leistete die Schuldnerin an die Beklagte weitere Sozialversicherungsbeträge im Gesamtbetrag von 67.314,07

Der Kläger begehrt von der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichts-punkt der Insolvenzanfechtung die Erstattung der Zahlungen in Höhe von [X.] hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] die Klage abgewie-sen. Mit seiner Beschwerde erstrebt der Kläger die Zulassung der Revision.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 [X.] ver-letzt. Das Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-weisen.
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1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Zahlungen der Schuldnerin seien nicht nach § 133 Abs. 1 [X.] anfechtbar. Zwar stellten sie Rechtshand-lungen der Schuldnerin dar, auch soweit die Arbeitnehmeranteile an den Sozi-alversicherungsbeiträgen bezahlt wurden. Die Zahlungen im [X.]raum bis Ende 2009 benachteiligten jedoch nicht die Insolvenzgläubiger. Die im Frühjahr 2006 bestehende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sei, wie sich aus dem vom [X.] erstellten Eröffnungsgutachten ergebe,
spätestens Ende des Jahres 2009 wiederhergestellt gewesen. Die im Jahr 2010 eingetretene Insolvenz stelle ein neues Insolvenzereignis dar. Es könne deshalb kein ursäch-licher Zusammenhang zwischen den Zahlungen aus der [X.] bis Ende 2009 und den Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger im später eröffneten Insolvenzverfahren festgestellt werden. Hinsichtlich der ab Januar 2010 geleis-teten Zahlungen scheide eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] aus, weil nicht festgestellt werden könne, dass die Beklagte Kenntnis von einem Benach-teiligungsvorsatz der Schuldnerin gehabt habe. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte Anhaltspunkte für die im Jahr 2010 eingetretene erneute Krise gehabt habe. Aus diesem Grund und mangels Kenntnis des Eröffnungsantrags
seien die in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag und danach geleiste-ten Zahlungen auch nicht nach § 130 Abs. 1 Satz 1 [X.] anfechtbar. Das in der Berufungsverhandlung vom Kläger beantragte [X.] zu den aus sei-nem Eröffnungsgutachten gezogenen Schlüssen sei nicht zu gewähren, weil die Frage einer Zahlungsunfähigkeit und ihres Wegfalls von der Beklagten unter Hinweis auf das Gutachten des [X.] zum zentralen Streitpunkt im Beru-fungsverfahren gemacht worden sei.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungs-gericht mit der Verweigerung eines [X.]s den
Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 [X.]) verletzt habe.
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a) Nach der Rechtsprechung des [X.] darf eine in erster Instanz siegreiche [X.] darauf vertrauen, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis nach § 139 ZPO zu erhalten, wenn es der Beurteilung der Vor-instanz nicht folgen will, insbesondere aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält ([X.], Beschluss vom 10. Juli 2012 -
II ZR 212/10, NJW 2012, 3035 Rn. 6 mwN; st.Rspr.). Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Über-raschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der [X.]en auf rechtliches Gehör ([X.] 84, 188, 189 f). Rechtliche Hinweise müssen da-nach den [X.]en in ihrer konkreten Situation so erteilt werden, dass es diesen auch tatsächlich möglich ist, vor einer Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können, sie also nicht gehindert werden, rechtzeitig ihren Sachvortrag zu ergänzen ([X.] 84, 188, 190; 86, 133, 144).

Ein rechtlicher Hinweis ist hingegen regelmäßig nicht geboten, wenn eine [X.] in erster Instanz obsiegt hat, die ihr günstige Auffassung des erstinstanz-lichen Gerichts als zentraler Streitpunkt zur Überprüfung durch das Berufungs-gericht gestellt wird und das Berufungsgericht sich sodann der Ansicht des [X.] anschließt. In diesem Fall muss die in erster Instanz erfolgreiche [X.] von vornherein damit rechnen, dass das Berufungsgericht anderer Auf-fassung ist; seine dementsprechende Entscheidung kann im Grundsatz nicht überraschend sein. Das Berufungsgericht hat regelmäßig keinen Anlass zu der Annahme, trotz der in der Berufung zentral geführten Auseinandersetzung über den Streitpunkt bestehe noch Aufklärungsbedarf und müsse der [X.] Gele-genheit zu weiterem Vortrag und Beweisantritt gegeben werden (vgl. [X.], Ur-teil vom 19. August 2010 -
VII ZR 113/09, NJW 2010, 3089 Rn. 18; Beschluss vom 10. Juli 2012, aaO Rn. 7).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht den in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag des [X.] auf Gewährung eines [X.]s nicht zurückweisen.

aa) Das Gutachten, das der Kläger als Sachverständiger am 9. März 2011 insbesondere zur Frage des Vorliegens eines Insolvenzgrundes erstatte-te, ist
von der Beklagten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] zu den Akten gereicht worden. Die Beklagte hat
sich ins-besondere auf die Aussage im Gutachten
bezogen, dass die Schuldnerin
erst
im Verlauf des
Jahres
2010 insolvenzreif
geworden
sei.
Das [X.] hat dagegen angenommen, dass bereits im [X.] Zahlungsunfähigkeit gege-ben war und diese fortdauerte; anderes ergebe sich auch nicht aus dem [X.] des [X.]. Mit ihrer Berufung ist
die Beklagte zunächst der
Annahme
des [X.]s entgegengetreten,
auch die Arbeitnehmeranteile seien aus dem Vermögen der Schuldnerin geleistet worden. Sie hat sodann einen Be-nachteiligungsvorsatz der Schuldnerin in Abrede
gestellt
und dabei die Würdi-gung angegriffen, der Kläger habe eine Zahlungsunfähigkeit
der Schuldnerin nachgewiesen. In diesem Zusammenhang hat sie darauf
verwiesen, dass sich die Schuldnerin nach dem Eröffnungsgutachten des [X.] jedenfalls bis Ende 2008 nicht in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe. Den Schwerpunkt
der Berufung haben jedoch Angriffe gegen die Annahme des [X.]s
gebildet, die Beklagte habe einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gekannt. Der Kläger hat zu diesen Angriffen in seiner Berufungs-erwiderung Stellung genommen
und unter anderem darauf hingewiesen, dass die vom [X.] festgestellte Zahlungseinstellung nur dadurch beseitigt werden könne, dass der Schuldner alle Zahlungen wieder aufnehme, was die Beklagte zu beweisen habe. Die Beklagte habe aber dazu nicht substantiiert vorgetragen. Der pauschale Verweis auf gewinnbringendes Wirtschaften der 8
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Schuldnerin bis 2008 sei nicht belegt, zumal die im Gutachten vom 9. März 2011 angesprochenen Bilanzen unzutreffend sein dürften.

bb) Unter diesen Umständen war das Berufungsgericht nicht der Pflicht enthoben, den Kläger rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass nach seiner [X.] die Schuldnerin zwar im Frühjahr 2006 zahlungsunfähig war, die [X.] aber spätestens Ende 2009 nicht mehr bestanden habe, weil die einzelnen im Gutachten des [X.] vom 9. März 2011 wiedergegebenen Umstände die Feststellung rechtfertigten, dass die Schuldnerin spätestens [X.] des Jahres 2009 ihre Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen [X.]. Die Frage, welche Schlüsse aus dem späteren Eröffnungsgutachten des [X.] im Einzelnen für die Beurteilung der Anfechtungsvoraussetzungen [X.] werden konnten, war kein zentraler Streitpunkt der [X.]en im Beru-fungsverfahren. Soweit das Gutachten angesprochen wurde, ging es zudem wesentlich darum, ob sein Inhalt den vom Kläger zu erbringenden Nachweis des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit bereits im [X.] in Frage stellte. Das Berufungsgericht hat hingegen entscheidend darauf abgestellt, dass aufgrund der
vom Kläger in seinem Gutachten gemachten Angaben
die Beklagte den Wegfall der zuvor eingetretenen Zahlungsunfähigkeit durch eine Wiederauf-nahme der Zahlungen im Allgemeinen bewiesen habe. Hiermit musste der Klä-ger nicht rechnen.

cc) Das Berufungsgericht hat den gebotenen Hinweis in der [X.] erteilt und seine Auffassung ausführlich begründet. Wegen des Umfangs und der Schwierigkeit der Materie war es dem Kläger aber nicht [X.], hierauf sogleich in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen. Sein Recht auf rechtliches Gehör hätte in dieser Situation nur dadurch gewahrt werden können, dass ihm das beantragte [X.] gewährt und dadurch 10
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Gelegenheit gegeben worden wäre, zu den Hinweisen des Gerichts im [X.] an die Berufungsverhandlung Stellung zu nehmen und seinen Sachvor-trag entsprechend zu ergänzen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass
das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn der Kläger nach Gewährung des [X.]s so vorgetragen hätte, wie er es im Beschwerdeverfahren dargelegt hat.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die
Insolvenzgläubiger können durch Zahlungen des Schuldners auch dann im Sinne von § 129 Abs. 1 [X.] benachteiligt werden, wenn der zum [X.]-punkt der Zahlungen zahlungsunfähige Schuldner vor dem Eintritt der zur [X.] führenden Insolvenz vorübergehend seine Zahlungsfähigkeit wiedererlangt. Sowohl für die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] als auch für die Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 [X.] genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Diese setzt nicht eine durchgängige
[X.] des Schuldners voraus. Zahlungen des Schuldners aus sei-nem pfändbaren Vermögen verkürzen die den späteren [X.] haftende Masse grundsätzlich auch dann, wenn der Schuldner
zunächst noch oder später vorübergehend wieder
zahlungsfähig ist.
Von maßgeblicher Bedeu-tung ist eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erst
bei der Beurteilung der weiteren Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 [X.]
sowie bei der Beurtei-lung der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs.
1 [X.].

b) Bei der Prüfung, ob die Beklagte Kenntnis von einer (drohenden) [X.] der Schuldnerin hatte (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 Satz 2 [X.]), ist auf den [X.]punkt der jeweils angefochtenen Zahlung abzustel-12
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len (§ 140 Abs. 1 [X.]). Steht jedoch fest, dass der [X.] zu ei-nem früheren [X.]punkt von der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste, hat der [X.] darzulegen und zu beweisen, warum er später davon ausging, der Schuldner habe seine Zahlungen möglich-erweise allgemein wieder aufgenommen. Dabei sind die Anforderungen zu be-achten, die der Senat an einen solchen Nachweis stellt (vgl. [X.], Urteil vom 25. Februar 2016 -
IX [X.], [X.], 560 Rn. 24, 28 ff mwN).

Kayser
Gehrlein
Pape

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 04.07.2014 -
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O 306/13 -

OLG [X.], Entscheidung vom 10.12.2014 -
4 [X.] -

Meta

IX ZR 305/14

20.10.2016

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.10.2016, Az. IX ZR 305/14 (REWIS RS 2016, 3623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3623

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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