Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2013, Az. IX ZR 49/13

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 1352

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 49/13

Verkündet am:

7. November 2013

Kluckow

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 133 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2;
ZPO § 286 C, F

Tilgt der Schuldner Sozialversicherungsbeiträge über einen Zeitraum von zehn [X.] jeweils mit einer Verspätung von drei bis vier Wochen, kann das Tatgericht zu der Würdigung gelangen, dass der Sozialversicherungsträger allein aus diesem [X.] nicht auf eine Zahlungseinstellung des Schuldners schließen musste.

[X.], Urteil vom 7. November 2013 -
IX ZR 49/13 -
O[X.]

[X.]

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2013 durch [X.] [X.], [X.] Dr. Gehrlein und [X.], die Richterin [X.] und den Richter Dr.
Fischer

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 1.
Zivilsenats des [X.] vom 31.
Januar 2013 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger
ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 26.
Februar 2007 über das Vermögen der A.

GmbH & Co. KG (nachfolgend: Schuldnerin) am 1. Mai 2007 eröffneten Insolvenzverfahren.

Die Schuldnerin entrichtete im Zeitraum von Februar bis Dezember 2006 von ihr geschuldete Sozialversicherungsbeiträge in Höhe eines Gesamtbetra-ges von 15.320,91

zwischenzeitlich angefallener Säumniszuschläge und Mahngebühren in einer Größenordnung von monatlich rund
1.300

ohne dass Zahlungsrückstände verblieben, jeweils etwa drei bis vier Wochen nach Fälligkeit statt.
1
2
-
3
-

Der Kläger verlangt unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung Erstattung sämtlicher Zahlungen. Die
Vorinstanzen haben die Klage abgewie-sen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Klä-ger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, eine Deckungsanfechtung (§
130 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 [X.]) scheide für die Monate November und Dezember 2006 aus, weil nicht festgestellt werden könne, dass der Beklagten die [X.] der Schuldnerin positiv bekannt gewesen sei. Zwar stelle die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ein starkes Indiz gegen eine bloße Zahlungsunwilligkeit und für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit dar. Der Kläger könne indes mangels sonstiger Beweisanzeichen einzig auf eine insge-samt zehn Monate andauernde verzögerte Zahlung der fälligen [X.] um regelmäßig drei bis vier Wochen abheben. Die Zahlungen seien nicht unter dem Druck der Androhung der Zwangsvollstreckung erfolgt. Die Beklagte habe keine Kenntnis vom Zahlungsverhalten der Schuldnerin
ge-genüber anderen Gläubigern gehabt. Die bloße Zahlungsverzögerung deute nicht zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hin, sondern lege 3
4
5
-
4
-
eine bloße Zahlungsstockung nahe. Aus diesen Erwägungen greife auch eine Vorsatzanfechtung (§
133 Abs.
1 [X.]) nicht durch.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

1. Soweit das Berufungsgericht eine Vorsatzanfechtung (§
133 Abs.
1 [X.]) für die von der Schuldnerin im Zeitraum von Februar bis Oktober 2006 bewirkten Zahlungen abgelehnt hat, ist seine Würdigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Die subjektiven Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können
-
weil es sich um innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen handelt
-
meist nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden. So-weit dabei Rechtsbegriffe wie Zahlungsunfähigkeit betroffen sind, muss deren Kenntnis außerdem oft aus der Kenntnis von Anknüpfungstatsachen erschlos-sen werden. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass solche Tatsachen nur mehr oder weniger gewichtige Beweisanzeichen darstellen, die eine Ge-samtwürdigung nicht entbehrlich machen und nicht schematisch im Sinne einer vom anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden dürfen. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung hat der Tatrichter gemäß §
286 ZPO unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme zu prüfen ([X.], Urteil vom 13.
August 2009 -
IX
ZR 159/06, [X.], 1943 Rn.
8; vom 1. Juli 2010 -
IX
ZR 70/08, [X.], 1756 Rn.
9; vom 26.
April 2012 -
IX ZR 74/11, [X.]Z 193, 129 Rn.
20; vom 10. Januar 2013
6
7
8
-
5
-
-
IX
ZR 28/12, [X.], 253 Rn.
27). Dabei beschränkt sich die revisionsrecht-liche
Kontrolle darauf, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des §
286 ZPO mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinan-dergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze
verstößt ([X.], Urteil vom 16. April 2013 -
VI
ZR 44/12, [X.], 1045
Rn.
13).

b) Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit [X.], weil er weiß, dass sein Vermögen nicht
ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen ([X.], Urteil vom 26. April 2012, aaO Rn.
17). Erkennt der [X.] die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so ist er infolge der damit verbundenen Schlussfolgerung, dass Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungs-möglichkeit anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren und verzö-gern, über den [X.] unterrichtet ([X.], aaO Rn.
20).

c) Nach diesen Maßstäben konnte das Berufungsgericht, ohne Feststel-lungen zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und ihrem Benachteiligungs-vorsatz treffen zu müssen, davon ausgehen, dass die Beklagte einen etwaigen [X.] mangels Wissens
um die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin jedenfalls nicht erkannt hatte.

aa) Im [X.] ist die Erstellung einer Liquiditätsbi-lanz nicht erforderlich, wenn auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht [X.] konnte. Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß §
17 Abs.
2 Satz
2 [X.] die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit ([X.], Urteil vom 6.
Dezember 2012
9
10
11
-
6
-
-
IX
ZR 3/12, [X.], 174 Rn.
20). Kennt der Gläubiger die [X.], ist aufgrund dieser gesetzlichen Vermutung auch seine Kenntnis der [X.] anzunehmen. Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit steht auch im Rahmen des §
133 Abs.
1 [X.] ([X.], Urteil vom 8. Oktober 2009
-
IX
ZR 173/07, [X.], 2229 Rn.
10) die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (§
130 Abs.
2 [X.]). Dies ist anzunehmen, wenn der [X.] die tatsächlichen [X.] kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die Zahlungsunfä-higkeit zweifelsfrei folgt ([X.], Urteil vom 19.
Februar 2009 -
IX
ZR 62/08, [X.]Z 180, 63 Rn.
13).

bb) Das Berufungsgericht ist, ohne dass dies revisionsrechtlich zu [X.] ist, zu der möglichen tatrichterlichen Würdigung gelangt, dass der [X.] aufgrund der ihr bekannten Umstände ein eindeutiges Urteil dahin, dass die Schuldnerin die Zahlungen eingestellt hatte, nicht möglich war (vgl. [X.], Urteil vom 15.
Oktober 2009 -
IX
ZR 201/08, [X.], 2322 Rn.
13).

(1) Die Kenntnis der Beklagten von der Liquiditätslage der Schuldnerin beschränkte sich auf den Umstand, dass diese über eine Dauer von zehn [X.] die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge jeweils um drei bis vier Wochen verspätet gezahlt hatte. Zwar bildet die
Nichtbegleichung von Sozial-versicherungsbeiträgen infolge ihrer Strafbewehrtheit (§
266a StGB) ein [X.], das den Schluss auf eine Zahlungseinstellung gestatten kann ([X.], Urteil vom 30.
Juni 2011 -
IX ZR 134/10, [X.], 1429 Rn.
15 mwN; vom 25. Oktober 2012 -
IX
ZR 117/11, [X.], 2251 Rn.
30). In Fällen einer verspäteten Zahlung wird angenommen, dass erst eine mehrmonatige [X.] eine Zahlungseinstellung umfassend glaubhaft macht ([X.], Urteil vom 20. November 2001 -
IX
ZR 48/01, [X.]Z 12
13
-
7
-
149, 178, 187; vom 10. Juli 2003 -
IX
ZR 89/02, [X.], 1776, 1778; vom 13.
Juni 2006 -
IX
ZB 238/05, [X.], 1631 Rn.
6; Beschluss vom 24. April 2008 -
II
ZR 51/07, Z[X.] 2008, 1019 Rn.
2). Eine solche Gestaltung war [X.] nicht gegeben, weil die Sozialversicherungsbeiträge lediglich mit einer Verzögerung von jeweils drei bis vier Wochen beglichen wurden.

(2) Das Beweisanzeichen ist überdies auch deshalb als nicht sehr schwerwiegend zu gewichten, weil die Zahlungsrückstände angesichts von Be-trägen zwischen 1.300

e-schäftsbetriebs der Schuldnerin und ihre von dem Kläger mitgeteilten Gesamt-r-reichten. Auch wenn die Schuldnerin zur Tilgung der Rückstände eine Frist von drei bis vier Wochen benötigte und damit den für eine Kreditbeschaffung eröff-neten Zeitraum überschritten hatte, konnte aus Sicht der Beklagten wegen der geringen Höhe der Verbindlichkeiten eine nur geringfügige Liquiditätslücke vor-liegen (vgl. [X.], Urteil vom 20. November 2001, aaO S. 187; vom 24.
Mai 2005 -
IX
ZR 123/04, [X.]Z 163, 134, 142; vom 11. Februar 2010 -
IX
ZR 104/07, [X.], 711 Rn.
43; vom 30. Juni 2011 -
IX
ZR 134/10, [X.], 1429 Rn.
12; vom 14. Juni 2012 -
IX
ZR 145/09, [X.], 1401 Rn.
32). Der Beklagten musste sich, weil die Beitragsforderungen einschließlich der Säum-niszuschläge und Mahngebühren vollständig erfüllt wurden, auch nicht zwin-gend der Schluss aufdrängen, dass Verbindlichkeiten anderer Gläubiger unbe-glichen blieben. Da der Beklagten weitere auf eine Zahlungseinstellung hindeu-tende Beweisanzeichen nicht geläufig waren (vgl. [X.], Urteil vom 30.
Juni 2011, aaO Rn.
18), konnte das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung zu der Bewertung gelangen, dass sie die Zahlungsunfähigkeit und damit der [X.] der Schuldnerin nicht erkannt hatte.

14
-
8
-

(3) Eine Kenntnis der Beklagten von einer etwaigen (drohenden) [X.] der Schuldnerin oder von Umständen, die zwingend auf die (drohende) Zahlungsunfähigkeit hätten schließen lassen (§
130 Abs.
2, §
133 Abs.
1 Satz
2 [X.]), ergibt sich aus dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt ebenfalls nicht. Für die Beklagte waren auch unter Berücksichti-gung ihrer eigenen, verspätet beglichenen Forderungen keine tragfähigen [X.] ersichtlich, dass sich die Schuldnerin in existenziellen wirtschaftli-chen Schwierigkeiten befand. Von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Schuldnerin hatte sie keine Kenntnis; insbesondere wusste sie nicht, dass die Schuldnerin auch anderen Gläubigern gegenüber Schulden hatte, die nicht pünktlich beglichen wurden (vgl. [X.], Urteil vom 7. Mai 2013 -
IX
ZR 113/10, [X.], 1361 Rn.
10).

2. Aus den vorstehenden Erwägungen scheidet für die Monate [X.] und Dezember 2006 eine Anfechtung nach §
130 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 [X.] aus. Infolge unveränderter tatsächlicher Gegebenheiten kann auch für den [X.] nicht festgestellt werden, dass die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu den [X.] erkannt hat (§
130 Abs.
2 [X.]).

15
16
-
9
-
III.

Da sich die angefochtene Entscheidung als zutreffend erweist, ist die Revision gemäß §
561 ZPO zurückzuweisen.

Kayser
Gehrlein
[X.]

[X.]
Fischer

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 19.03.2012 -
4 [X.]/11 -

O[X.], Entscheidung vom 31.01.2013 -
1 [X.] -

17

Meta

IX ZR 49/13

07.11.2013

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2013, Az. IX ZR 49/13 (REWIS RS 2013, 1352)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1352

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 49/13 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Kenntnis des Sozialversicherungsträgers von Zahlungseinstellung des Schuldners bei verzögerter Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge


IX ZR 242/13 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 111/14 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 95/14 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 280/13 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZR 49/13

IX ZR 74/11

IX ZR 134/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.