Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.10.2016, Az. IX ZR 305/14

9. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 3625

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Gegenstand

Rückgewährklage des Insolvenzverwalters nach Insolvenzanfechtung: Hinweispflichten des Berufungsgerichts; Feststellung der Gläubigerbenachteiligung; Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 10. Dezember 2014 zugelassen.

Auf die Revision des [X.] wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 78.675,38 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Anträge vom 9. Dezember 2010 und vom 11. Januar 2011 am 18. März 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (im Folgenden: Schuldnerin). Die Schuldnerin war im April 2006 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Krankenkasse (im Folgenden: Beklagte) mit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen im Gesamtbetrag von 9.406,96 € aus der [X.] seit August 2005 im Rückstand. Nach fruchtlosen Vollstreckungsversuchen beantragte die Beklagte am 19. April 2006 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Die Schuldnerin zahlte bis Ende Juni 2006 in Teilbeträgen an die Beklagte 11.031,31 €, worauf die Beklagte den Insolvenzantrag für erledigt erklärte. Zwischen dem 14. Juli 2006 und dem 26. November 2010 leistete die Schuldnerin an die Beklagte weitere Sozialversicherungsbeträge im Gesamtbetrag von 67.314,07 €, am 10. Januar 2011 folgte eine letzte Zahlung im Betrag von 330 €.

2

Der Kläger begehrt von der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung die Erstattung der Zahlungen in Höhe von insgesamt 78.675,38 € nebst Zinsen. Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] die Klage abgewiesen. Mit seiner Beschwerde erstrebt der Kläger die Zulassung der Revision.

II.

3

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

4

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Zahlungen der Schuldnerin seien nicht nach § 133 Abs. 1 [X.] anfechtbar. Zwar stellten sie Rechtshandlungen der Schuldnerin dar, auch soweit die Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen bezahlt wurden. Die Zahlungen im [X.]raum bis Ende 2009 benachteiligten jedoch nicht die Insolvenzgläubiger. Die im Frühjahr 2006 bestehende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sei, wie sich aus dem vom [X.] erstellten Eröffnungsgutachten ergebe, spätestens Ende des Jahres 2009 wiederhergestellt gewesen. Die im Jahr 2010 eingetretene Insolvenz stelle ein neues Insolvenzereignis dar. Es könne deshalb kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Zahlungen aus der [X.] bis Ende 2009 und den Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger im später eröffneten Insolvenzverfahren festgestellt werden. Hinsichtlich der ab Januar 2010 geleisteten Zahlungen scheide eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] aus, weil nicht festgestellt werden könne, dass die Beklagte Kenntnis von einem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gehabt habe. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte Anhaltspunkte für die im Jahr 2010 eingetretene erneute Krise gehabt habe. Aus diesem Grund und mangels Kenntnis des [X.] seien die in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag und danach geleisteten Zahlungen auch nicht nach § 130 Abs. 1 Satz 1 [X.] anfechtbar. Das in der Berufungsverhandlung vom Kläger beantragte [X.] zu den aus seinem Eröffnungsgutachten gezogenen Schlüssen sei nicht zu gewähren, weil die Frage einer Zahlungsunfähigkeit und ihres Wegfalls von der Beklagten unter Hinweis auf das Gutachten des [X.] zum zentralen Streitpunkt im Berufungsverfahren gemacht worden sei.

5

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht mit der Verweigerung eines [X.]s den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt habe.

6

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] darf eine in erster Instanz siegreiche [X.] darauf vertrauen, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis nach § 139 ZPO zu erhalten, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, insbesondere aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält ([X.], Beschluss vom 10. Juli 2012 - [X.], NJW 2012, 3035 Rn. 6 mwN; st.Rspr.). Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der [X.]en auf rechtliches Gehör ([X.] 84, 188, 189 f). Rechtliche Hinweise müssen danach den [X.]en in ihrer konkreten Situation so erteilt werden, dass es diesen auch tatsächlich möglich ist, vor einer Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können, sie also nicht gehindert werden, rechtzeitig ihren Sachvortrag zu ergänzen ([X.] 84, 188, 190; 86, 133, 144).

7

Ein rechtlicher Hinweis ist hingegen regelmäßig nicht geboten, wenn eine [X.] in erster Instanz obsiegt hat, die ihr günstige Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts als zentraler Streitpunkt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt wird und das Berufungsgericht sich sodann der Ansicht des Berufungsklägers anschließt. In diesem Fall muss die in erster Instanz erfolgreiche [X.] von vornherein damit rechnen, dass das Berufungsgericht anderer Auffassung ist; seine dementsprechende Entscheidung kann im Grundsatz nicht überraschend sein. Das Berufungsgericht hat regelmäßig keinen Anlass zu der Annahme, trotz der in der Berufung zentral geführten Auseinandersetzung über den Streitpunkt bestehe noch Aufklärungsbedarf und müsse der [X.] Gelegenheit zu weiterem Vortrag und Beweisantritt gegeben werden (vgl. [X.], Urteil vom 19. August 2010 - [X.], NJW 2010, 3089 Rn. 18; Beschluss vom 10. Juli 2012, aaO Rn. 7).

8

b) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht den in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag des [X.] auf Gewährung eines [X.]s nicht zurückweisen.

9

aa) Das Gutachten, das der Kläger als Sachverständiger am 9. März 2011 insbesondere zur Frage des Vorliegens eines Insolvenzgrundes erstattete, ist von der Beklagten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] zu den Akten gereicht worden. Die Beklagte hat sich insbesondere auf die Aussage im Gutachten bezogen, dass die Schuldnerin erst im Verlauf des Jahres 2010 insolvenzreif geworden sei. Das [X.] hat dagegen angenommen, dass bereits im [X.] Zahlungsunfähigkeit gegeben war und diese fortdauerte; anderes ergebe sich auch nicht aus dem Gutachten des [X.]. Mit ihrer Berufung ist die Beklagte zunächst der Annahme des [X.]s entgegengetreten, auch die Arbeitnehmeranteile seien aus dem Vermögen der Schuldnerin geleistet worden. Sie hat sodann einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin in Abrede gestellt und dabei die Würdigung angegriffen, der Kläger habe eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nachgewiesen. In diesem Zusammenhang hat sie darauf verwiesen, dass sich die Schuldnerin nach dem Eröffnungsgutachten des [X.] jedenfalls bis Ende 2008 nicht in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe. Den Schwerpunkt der Berufung haben jedoch Angriffe gegen die Annahme des [X.]s gebildet, die Beklagte habe einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gekannt. Der Kläger hat zu diesen Angriffen in seiner Berufungserwiderung Stellung genommen und unter anderem darauf hingewiesen, dass die vom [X.] festgestellte Zahlungseinstellung nur dadurch beseitigt werden könne, dass der Schuldner alle Zahlungen wieder aufnehme, was die Beklagte zu beweisen habe. Die Beklagte habe aber dazu nicht substantiiert vorgetragen. Der pauschale Verweis auf gewinnbringendes Wirtschaften der Schuldnerin bis 2008 sei nicht belegt, zumal die im Gutachten vom 9. März 2011 angesprochenen Bilanzen unzutreffend sein dürften.

bb) Unter diesen Umständen war das Berufungsgericht nicht der Pflicht enthoben, den Kläger rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass nach seiner Auffassung die Schuldnerin zwar im Frühjahr 2006 zahlungsunfähig war, die Zahlungsunfähigkeit aber spätestens Ende 2009 nicht mehr bestanden habe, weil die einzelnen im Gutachten des [X.] vom 9. März 2011 wiedergegebenen Umstände die Feststellung rechtfertigten, dass die Schuldnerin spätestens Ende des Jahres 2009 ihre Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen habe. Die Frage, welche Schlüsse aus dem späteren Eröffnungsgutachten des [X.] im Einzelnen für die Beurteilung der Anfechtungsvoraussetzungen gezogen werden konnten, war kein zentraler Streitpunkt der [X.]en im Berufungsverfahren. Soweit das Gutachten angesprochen wurde, ging es zudem wesentlich darum, ob sein Inhalt den vom Kläger zu erbringenden Nachweis des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit bereits im [X.] in Frage stellte. Das Berufungsgericht hat hingegen entscheidend darauf abgestellt, dass aufgrund der vom Kläger in seinem Gutachten gemachten Angaben die Beklagte den Wegfall der zuvor eingetretenen Zahlungsunfähigkeit durch eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen bewiesen habe. Hiermit musste der Kläger nicht rechnen.

cc) Das Berufungsgericht hat den gebotenen Hinweis in der Berufungsverhandlung erteilt und seine Auffassung ausführlich begründet. Wegen des Umfangs und der Schwierigkeit der Materie war es dem Kläger aber nicht zuzumuten, hierauf sogleich in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen. Sein Recht auf rechtliches Gehör hätte in dieser Situation nur dadurch gewahrt werden können, dass ihm das beantragte [X.] gewährt und dadurch Gelegenheit gegeben worden wäre, zu den Hinweisen des Gerichts im [X.] an die Berufungsverhandlung Stellung zu nehmen und seinen Sachvortrag entsprechend zu ergänzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn der Kläger nach Gewährung des [X.]s so vorgetragen hätte, wie er es im Beschwerdeverfahren dargelegt hat.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die Insolvenzgläubiger können durch Zahlungen des Schuldners auch dann im Sinne von § 129 Abs. 1 [X.] benachteiligt werden, wenn der zum [X.]punkt der Zahlungen zahlungsunfähige Schuldner vor dem Eintritt der zur Verfahrenseröffnung führenden Insolvenz vorübergehend seine Zahlungsfähigkeit wiedererlangt. Sowohl für die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] als auch für die Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 [X.] genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Diese setzt nicht eine durchgängige Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraus. Zahlungen des Schuldners aus seinem pfändbaren Vermögen verkürzen die den späteren [X.] haftende Masse grundsätzlich auch dann, wenn der Schuldner zunächst noch oder später vorübergehend wieder zahlungsfähig ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erst bei der Beurteilung der weiteren Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 [X.] sowie bei der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.].

b) Bei der Prüfung, ob die Beklagte Kenntnis von einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hatte (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 Satz 2 [X.]), ist auf den [X.]punkt der jeweils angefochtenen Zahlung abzustellen (§ 140 Abs. 1 [X.]). Steht jedoch fest, dass der [X.] zu einem früheren [X.]punkt von der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste, hat der [X.] darzulegen und zu beweisen, warum er später davon ausging, der Schuldner habe seine Zahlungen möglicherweise allgemein wieder aufgenommen. Dabei sind die Anforderungen zu beachten, die der Senat an einen solchen Nachweis stellt (vgl. [X.], Urteil vom 25. Februar 2016 - [X.], [X.], 560 Rn. 24, 28 ff mwN).

Kayser                          Gehrlein                          Pape

                  Grupp                            [X.]

Meta

IX ZR 305/14

20.10.2016

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 10. Dezember 2014, Az: 4 U 129/14

§ 129 Abs 1 InsO, § 139 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.10.2016, Az. IX ZR 305/14 (REWIS RS 2016, 3625)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3625

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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