Bundesfinanzhof, EuGH-Vorlage vom 10.07.2012, Az. XI R 22/10

11. Senat | REWIS RS 2012, 4882

STEUERRECHT TAXI BUNDESFINANZHOF (BFH) UMSATZSTEUER

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

EuGH-Vorlage zur Frage des Anwendungsbereichs des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Personenbeförderungsleistungen im Nahverkehr


Leitsatz

Steht Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 5 der Richtlinie 77/388/EWG unter Beachtung des Neutralitätsprinzips einer nationalen Regelung entgegen, die für die Beförderung von Personen im Verkehr mit Taxen im Nahverkehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz vorsieht, wohingegen für die Beförderung von Personen mit sog. Mietwagen im Nahverkehr der Regelsteuersatz gilt?

Tatbestand

1

I. Sachverhalt

2

Streitig ist, ob für Umsätze aus Personenbeförderungsleistungen mit Mietwagen der ermäßigte Steuersatz anwendbar ist, der nach nationalem Recht für Personenbeförderungsleistungen mit Kraftdroschken (Taxen) im Nahverkehr gilt.

3

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt seit Ende Dezember 1994 in der [X.] ein Mietwagenunternehmen mit [X.]. Der Leistungskatalog umfasste Personenbeförderung, Krankentransporte (sitzend), Dialysefahrten, Beförderung von Schülern, Kurierdienst und Materialfahrten, [X.]otel- und Flughafentransfers, Stadtrundfahrten sowie Organisation von Transfers.

4

Zu den Kunden der Klägerin gehörten neben Privatpersonen auch eine Reihe von Dauer- und Großkunden. Aufträge bzw. Vorbestellungen wurden telefonisch bzw. per Telefax oder E-Mail entgegengenommen. Die Fahrpreisgestaltung richtete sich bei der Klägerin nach einem festen Tarifzonenplan, aus dem sich die Endpreise für die Kunden ergaben. Die Klägerin verfügte in den Streitjahren über zehn betriebseigene Fahrzeuge.

5

In ihren Umsatzsteuererklärungen für 2003 bis 2006 (Streitjahre) unterwarf die Klägerin ihre Umsätze aus der Personenbeförderung mit Mietwagen bei Beförderungsstrecken von nicht mehr als 50 km bzw. innerhalb der [X.] dem ermäßigten Steuersatz (7 %).

6

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) folgte den Erklärungen nicht und besteuerte diese Umsätze mit dem Regelsteuersatz (16 %).

7

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage, mit der die Klägerin die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf ihre streitbefangenen Mietwagenumsätze begehrte, im Wesentlichen ab. Das [X.] führte aus, die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) seien nicht erfüllt, weil diese Vorschrift Umsätze eines Mietwagenunternehmens aus [X.] nicht erfasse. Die Regelung sei verfassungsgemäß. Auch aus den unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur [X.]armonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/[X.]) ergebe sich kein Anspruch der Klägerin auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Dieser lasse sich aus dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Umsatzsteuer gleichfalls nicht ableiten. Zwar sei eine Wettbewerbsbeeinträchtigung zwischen dem Mietwagenunternehmen der Klägerin und konkurrierenden Taxiunternehmen zu bejahen, da die von der Klägerin erbrachten Leistungen im Verhältnis zu den Leistungen eines Taxiunternehmers gleichartig seien. Diese Wettbewerbsbeeinträchtigung sei aber zulässig, weil sie aufgrund des öffentlichen Interesses an einer flächendeckenden und geordneten Erfüllung von Aufgaben des Nahverkehrs durch Taxen gerechtfertigt sei.

8

Zur Begründung der hiergegen eingelegten Revision beruft sich die Klägerin auf die Verletzung materiellen Rechts. Nach ihrer Auffassung kann sie sich unmittelbar auf Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang [X.] Kategorie 5 der Richtlinie 77/388/[X.] berufen. Danach könnten die [X.] den ermäßigten Steuersatz ohne Einschränkung im subjektiven oder sachlichen Bereich auf die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks anwenden. Eine selektive Anwendung der Norm führe zu einer unzulässigen Wettbewerbsverzerrung. Die Nichtanwendung des ermäßigten Steuersatzes verletze den Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Die bestehende Ungleichbehandlung der Beförderungsleistungen von Taxen- und Mietwagenunternehmen sei nicht durch nationale Rechtsvorschriften und durch rein formale Aspekte --etwa die Erteilung einer Konzession für den Betrieb von [X.] gerechtfertigt. Dies widerspreche dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts.

9

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das [X.]-Urteil insoweit aufzuheben, als es die Klage abgewiesen hat, und die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2006 dahingehend zu ändern, dass auf die streitigen Mietwagenumsätze der Klägerin der ermäßigte Steuersatz angewendet wird,
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und den [X.] (EuG[X.]) im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) anzurufen.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Der [X.] legt dem [X.] die im Leitsatz bezeichnete Frage zur Auslegung des Unionsrechts vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des [X.] aus.

1. Die maßgeblichen Vorschriften und Bestimmungen

a) Nationales Recht

aa) Nach § 12 Abs. 1 des in den Streitjahren 2003 bis 2006 geltenden UStG betrug die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 % der Bemessungsgrundlage.

Der Steuersatz ermäßigte sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG auf 7 % für die Beförderungen von Personen im [X.] mit Ausnahme der Bergbahnen, im Verkehr mit [X.], im genehmigten Linienverkehr mit Kfz, im [X.]nverkehr und die Beförderungen im Fährverkehr
aa) innerhalb einer [X.] oder
bb) wenn die [X.] nicht mehr als 50 km betrug.

Nach den Streitjahren wurde der Begriff "[X.]nverkehr" durch die Wörter "Verkehr mit Taxen" ersetzt (Art. 7 Nr. 5 Buchst. b des Jahressteuergesetzes 2007). Dabei handelt es sich "um eine redaktionelle Änderung", da die Verwendung des Begriffs "[X.]" bei Einführung des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG in Anlehnung an das Personenbeförderungsgesetz ([X.]) erfolgte, und in diesem Gesetz der Begriff "[X.]" zwischenzeitlich durch den Begriff "Taxen" ersetzt worden war (BTDrucks 16/2712, 75).

bb) Das [X.] in der in den Streitjahren geltenden Fassung vom 8. August 1990 ([X.] 1990, 1690) definiert den Verkehr mit Taxen als die Beförderung von Personen mit PKW, die der Unternehmer an behördlich zugelassenen Stellen bereithält und mit denen er Fahrten zu einem vom Fahrgast bestimmten Ziel ausführt (§ 47 Abs. 1 [X.]). Der Unternehmer kann Beförderungsaufträge auch während einer Fahrt oder am Betriebssitz entgegennehmen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

Die Beförderungsentgelte und -bedingungen werden gemäß § 51 Abs. 1 [X.] für Taxen durch Rechtsverordnung festgesetzt.

Im räumlichen Geltungsbereich der festgesetzten Beförderungsentgelte besteht nach § 22 i.V.m. § 47 Abs. 4 [X.] eine Beförderungspflicht. Die Unternehmer des [X.] unterliegen einer Betriebspflicht, die allgemein auf die ordnungsmäßige Einrichtung und Aufrechterhaltung des Betriebs gerichtet ist (§ 21 [X.]) und deren Umfang durch Rechtsverordnung noch weiter ausgestaltet werden kann, insbesondere auch durch Vorschriften über das Bereithalten von Taxen in Sonderfällen einschließlich eines Bereitschaftsdienstes (§ 47 Abs. 3 Nr. 1 [X.]).

cc) Verkehr mit Mietwagen ist nach § 49 Abs. 4 Satz 1 [X.] die Beförderung von Personen mit PKW, die nur im Ganzen zur Beförderung angemietet werden und mit denen der Unternehmer Fahrten ausführt, deren Zweck, Ziel und Ablauf der Mieter bestimmt und die nicht Verkehr mit Taxen nach § 47 [X.] sind.

Mit Mietwagen dürfen nur [X.] ausgeführt werden, die am Betriebssitz oder in der Wohnung des Unternehmers eingegangen sind (§ 49 Abs. 4 Satz 2 [X.]). Nach Ausführung des [X.] hat der Mietwagen unverzüglich zum Betriebssitz zurückzukehren, es sei denn, er hat vor der Fahrt von seinem Betriebssitz oder der Wohnung oder während der Fahrt fernmündlich einen neuen [X.] erhalten (§ 49 Abs. 4 Satz 3 [X.]). Der Eingang des [X.] am Betriebssitz oder in der Wohnung hat der Mietwagenunternehmer buchmäßig zu erfassen und die Aufzeichnung ein Jahr aufzubewahren (§ 49 Abs. 4 Satz 4 [X.]). Annahme, Vermittlung und Ausführung von [X.]n, das Bereithalten des Mietwagens sowie Werbung für [X.] dürfen weder allein noch in ihrer Verbindung geeignet sein, zur Verwechslung mit dem [X.] zu führen (§ 49 Abs. 4 Satz 5 [X.]). Den Taxen vorbehaltene Zeichen und Merkmale dürfen für Mietwagen nicht verwendet werden (§ 49 Abs. 4 Satz 6 [X.]).

Für Unternehmer des [X.]s besteht keine Betriebs- und Beförderungspflicht (§ 49 Abs. 4 Satz 7 [X.]). Sie unterliegen anders als die [X.]unternehmer (§ 51 [X.]) keinen Tarifvorschriften, sondern können ihr Entgelt frei vereinbaren.

dd) Die Beförderung von Personen mit [X.]n (Taxen) und mit Mietwagen bedarf der Genehmigung (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 [X.]), wobei für den Verkehr mit Taxen eine besondere Zulassungsschranke besteht, wonach die Genehmigung zu versagen ist, wenn die öffentlichen Verkehrsinteressen dadurch beeinträchtigt werden, dass durch die Ausübung des beantragten Verkehrs das örtliche Taxengewerbe in seiner Funktionsfähigkeit bedroht wird (§ 13 Abs. 4 Satz 1 [X.]).

b) Unionsrecht

Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der [X.]/[X.] können die Mitgliedstaaten (neben dem [X.]) einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang [X.] der [X.]/[X.] genannten Kategorien anwendbar (Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 Satz 2 der [X.]/[X.]).

Anhang [X.] der [X.]/[X.] enthält ein Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden können. Die Kategorie 5 des Anhangs [X.] der [X.]/[X.] lässt dies für die "Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" zu. Darunter fallen die Umsätze der Klägerin, die unstreitig in der Beförderung von Personen bestehen. Insoweit wäre die [X.] befugt, dafür in ihrem nationalen Umsatzsteuerrecht einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden.

2. Zur Anrufung des [X.]

a) Rechtslage nach nationalem Recht

Die von der Klägerin mit ihren Mietwagen erbrachten Personenbeförderungsleistungen unterliegen nach nationalem Recht dem allgemeinen Steuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG. Denn Mietwagen fallen weder vom Wortlaut der nationalen Bestimmung in § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG noch nach dem Sinn und Zweck der Regelung unter den Begriff "[X.]" ("[X.]"), so dass der ermäßigte Steuersatz keine Anwendung findet.

aa) Da ein "Mietwagen" nach der nationalen Gesetzgebung begrifflich keine "[X.]" bzw. kein "[X.]" ist, kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf den Wortlaut der Vorschrift berufen.

bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der gebotenen Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift.

Von der Steuervergünstigung des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG sollen [X.] im öffentlichen Nahverkehr, zu denen auch der besonderen Anforderungen unterliegende Betrieb von [X.]n bzw. Taxen gehört, erfasst werden (vgl. Urteile des [X.] --BF[X.]-- vom 31. Mai 2007 V R 18/05, BF[X.]E 217, 88, [X.], 206; vom 19. Juli 2007 V R 68/05, BF[X.]E 219, 224, [X.], 208).

Der Gesetzgeber knüpft die Steuerermäßigung für die Personenbeförderung in § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG an zwei Voraussetzungen: die Beförderungsart ([X.], [X.]nverkehr usw.) und die [X.] (Nahverkehr innerhalb einer [X.] oder auf einer [X.] von nicht mehr als 50 km).

Seit je herrscht Einvernehmen darüber, dass die Vorschrift den ermäßigten Steuersatz lediglich für die Beförderung von Personen im [X.] festsetzt, nicht aber für den [X.], weil beide Formen der Personenbeförderung durch das [X.] eindeutig voneinander abgegrenzt sind. Eine Begründung für die unterschiedliche Behandlung von [X.]n- und [X.] lässt sich allerdings den Gesetzesmaterialien zum UStG nicht entnehmen (vgl. Beschluss des [X.] vom 11. Februar 1992  1 BvL 29/87, [X.] 85, 238, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1992, 1815, unter A.I.).

cc) Die von der Klägerin begehrte richtlinienkonforme Auslegung ist gleichfalls nicht möglich.

Zwar hat sich ein Gericht bei der Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen auszurichten (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 11. Juli 2002 [X.]/00 --Marks & Spencer--, [X.]. 2002, [X.], [X.], 436, Rz 24, m.w.N.). Eine richtlinienkonforme Auslegung kommt aber nur in Betracht, wenn es im konkreten Fall verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gibt. Eine Auslegung gegen den Wortlaut und Wortsinn des Gesetzestextes ist nicht möglich (BF[X.]-Urteil vom 15. Februar 2012 XI R 24/09, BF[X.]E 236, 267, BF[X.]/NV 2012, 1081).

dd) Die unterschiedliche Behandlung von [X.]n- bzw. [X.] und [X.] nach nationalem Recht ist  verfassungsgemäß. Insbesondere ist kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) und auch nicht gegen das in Art. 12 Abs. 1 GG verankerte Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit gegeben (BVerfG-Beschluss in [X.] 85, 238, NJW 1992, 1815; BF[X.]-Urteile vom 30. Oktober 1969 V R 99/69, BF[X.]E 97, 267, BStBl II 1970, 78; vom 5. März 1992 V R 97/88, BF[X.]/NV 1992, 775).

Die unterschiedliche Behandlung liegt nach der nationalen Rechtsprechung im öffentlichen Interesse. Denn der Allgemeinheit soll mit dem [X.] ein dem Kontrahierungszwang unterliegendes öffentliches Verkehrsmittel für individuelle Fahrten zu einem festgelegten Tarif zur Verfügung stehen. Das im [X.] niedergelegte gesetzgeberische Ziel, den Betrieb des [X.] in einem gewissen Umfang vor der Konkurrenz des durch die Vorgaben des [X.] weniger belasteten [X.]s zu schützen, darf danach --zusätzlich zu den einschlägigen Regelungen dieses [X.] auch dadurch verwirklicht werden, dass das UStG dem [X.]n- bzw. [X.]gewerbe günstigere umsatzsteuerrechtliche Rahmenbedingungen als den Mietwagenunternehmen einräumt (vgl. BVerfG-Beschluss in [X.] 85, 238, NJW 1992, 1815; BF[X.]-Urteile in BF[X.]E 97, 267, BStBl II 1970, 78, und in BF[X.]/NV 1992, 775).

b) Zur Vorlagefrage

aa) Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der [X.]/[X.] haben die Mitgliedstaaten unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt, die Möglichkeit, konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Dienstleistungen i.S. des Anhangs [X.] der [X.]/[X.] mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen (vgl. [X.]-Urteile vom 11. Oktober 2001 [X.]/99 --Adam--, [X.]. 2001, [X.], Rz 35, 36; vom 23. Oktober 2003 [X.]/[X.], [X.]. 2003, [X.], Rz 19; vom 6. Mai 2010 [X.]/09 --Kommission/[X.], [X.]. 2010, [X.], [X.], 454, [X.]öchstrichterliche Finanzrechtsprechung --[X.]FR-- 2010, 781, Rz 26, m.w.N.).

Diese den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit einer selektiven Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes ist u.a. dadurch gerechtfertigt, dass Befreiungen oder Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind (vgl. [X.]-Urteil in [X.]. 2010, [X.], [X.], 454, [X.]FR 2010, 781, Rz 29, m.w.N.).

bb) Der nationale Gesetzgeber hat von der Ermächtigung in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang [X.] Kategorie 5 der [X.]/[X.] in selektiver Weise dadurch Gebrauch gemacht, dass nicht jegliche "Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" dem ermäßigten Steuersatz unterworfen wird, sondern nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG in dem hier relevanten Rahmen nur in dem vorgesehenen örtlichen Umfang und nur bei einer Beförderung durch Verkehrsmittel des öffentlichen Nahverkehrs, zu dem entsprechend dem Willen des Gesetzgebers [X.]n bzw. Taxen, nicht aber Mietwagen gehören.

cc) Der [X.] hält es für zweifelhaft, ob die nationale selektive Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG, die eine unterschiedliche Behandlung der Mietwagenumsätze und [X.]n- bzw. Taxenumsätze im [X.]inblick auf den anwendbaren Steuersatz zur Folge hat, mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität im Einklang steht.

[X.]) Der Grundsatz der Neutralität verbietet es insbesondere, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. z.B. [X.]-Urteil in [X.]. 2010, [X.], [X.], 454, [X.]FR 2010, 781, Rz 40; vom 10. November 2011 [X.]/10 und [X.]/10 --The Rank Group--, [X.], 104, [X.]FR 2012, 98, Rz 32, m.w.N.), so dass solche Waren oder Dienstleistungen einem einheitlichen Steuersatz zu unterwerfen sind (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 3. Mai 2001 [X.]/98 --Kommission/[X.], [X.]. 2001, [X.], [X.], 352, Rz 22; in [X.]. 2001 [X.]; in [X.]. 2003, [X.], Rz 20).

Nach der Rechtsprechung des [X.] ist der Grundsatz der steuerlichen Neutralität bereits dann verletzt, wenn zwei aus der Sicht des Verbrauchers gleiche oder gleichartige Dienstleistungen, die dieselben Bedürfnisse des Verbrauchers befriedigen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt werden (vgl. z.B. [X.]-Urteil in [X.], 104, [X.]FR 2012, 98, Rz 36).

Dienstleistungen sind gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des [X.], die eine oder die andere dieser Dienstleistungen zu wählen, nicht erheblich beeinflussen ([X.]-Urteil in [X.], 104, [X.]FR 2012, 98, Rz 44).

bbb) Aus maßgeblicher Sicht des [X.] dienen sowohl Taxen bzw. [X.]n als auch Mietwagen mit [X.] der Personenbeförderung, was für eine Vergleichbarkeit der Leistungen spricht. Davon ist auch das [X.] ausgegangen. Andererseits bestehen hinsichtlich der Bedingungen der Personenbeförderung wesentliche Unterschiede, so etwa bei der Festlegung der Fahrpreise sowie der Betriebs- und Beförderungspflicht, die ausschließlich auf den aufgezeigten rechtlichen Vorgaben zur Regelung der jeweiligen Tätigkeitsbereiche im nationalen [X.] beruhen.

ccc) Nach der Rechtsprechung des [X.] können die unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben im [X.] möglicherweise dazu führen, dass keine gleichartigen Dienstleistungen vorliegen und damit kein Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip gegeben ist.

Der [X.] hat im Zusammenhang mit Art. 13 Teil B Buchst. f der [X.]/[X.] im [X.] an die Rechtssache --Linneweber-- ([X.]-Urteil vom 17. Februar 2005 [X.]/02 und [X.]/02 --Linneweber und [X.], [X.]. 2005, [X.], [X.] 2005, 194) entschieden, dass bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit von Glücksspielen hinsichtlich der Gewährung der Mehrwertsteuerbefreiung bei der Prüfung des Grundsatzes der Neutralität die unterschiedlichen Lizenzkategorien für die Glücksspiele und unterschiedlichen rechtlichen Regelungen hinsichtlich ihrer Aufsicht und Regulierung nicht zu berücksichtigen sind ([X.]-Urteil in [X.], 104, [X.]FR 2012, 98, Rz 51). Dieses Ergebnis werde nicht dadurch infrage gestellt, dass der [X.] in bestimmten Ausnahmefällen anerkannt habe, dass unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Wirtschaftszweige Unterschiede im rechtlichen Rahmen und in der rechtlichen Regelung der betreffenden Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen, wie die etwaige Erstattungsfähigkeit eines Arzneimittels oder der Umstand, dass der Leistungserbringer möglicherweise Universaldienstverpflichtungen unterliegt, aus der Sicht des Verbrauchers zu einer Unterscheidbarkeit im [X.]inblick auf die Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse führen könnten ([X.]-Urteil in [X.], 104, [X.]FR 2012, 98, Rz 50, m.w.N.).

Ein Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip wäre demnach dann nicht gegeben, wenn die Rechtsprechung des [X.] zu bestimmten Ausnahmefällen auf den Streitfall übertragbar wäre (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 104, [X.]FR 2012, 98, Rz 50, mit [X.]inweis auf [X.]-Urteile in [X.]. 2001, [X.], [X.], 352; vom 23. April 2009 [X.]/07 --TNT Post [X.], [X.]. 2009, [X.], [X.] 2009, 348).

ddd) Der [X.] hält es für denkbar, dass der Streitfall mit den Sachverhalten vergleichbar ist, über die der [X.] in der Rechtssache --Kommission/[X.] (Urteil in [X.]. 2001, [X.], [X.], 352) und in der Rechtssache --TNT Post [X.] (Urteil in [X.]. 2009, [X.], [X.] 2009, 348) befunden hat.

(1) In der Rechtssache --Kommission/[X.] ([X.]-Urteil in [X.]. 2001, [X.], [X.], 352) hat der [X.] entschieden, dass der niedrigere Steuersatz von 2,1 % für die im Rahmen der [X.] Sicherheit erstattungsfähigen Arzneimittel im Vergleich zu dem für die übrigen Arzneimittel geltenden ermäßigten Steuersatz von 5,5 % in [X.] unionsrechtskonform sei. In den Gründen seiner Entscheidung führt der [X.] aus, dass erstattungsfähige und nicht erstattungsfähige Arzneimittel keine gleichartigen Erzeugnisse seien, die miteinander in Wettbewerb stünden (Rz 25, 27).

(2) In der Rechtssache --TNT Post [X.] ([X.]-Urteil in [X.]. 2009, [X.], [X.] 2009, 348) hat der [X.] im Zusammenhang mit der Wahrung des Neutralitätsprinzips ausgeführt, dass es für die Beurteilung der Vergleichbarkeit der Umsätze nicht allein auf die Gegenüberstellung einzelner Leistungen ankommt, sondern auf ihren Kontext (Rz 38).

(3) Der [X.] hält es für möglich, dass auch in Fällen, in denen es um unterschiedliche rechtliche Regelungen zur Sicherstellung der im allgemeinen Interesse liegenden Versorgung der Bevölkerung (hier: mit Beförderungsleistungen im Nahverkehr) geht, keine vergleichbaren Leistungen anzunehmen sind.

Denn in der Rechtssache --TNT Post [X.] hat der [X.] ausdrücklich hervorgehoben, dass der Zweck der Steuerbefreiung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der [X.]/[X.] für Dienstleistungen der "öffentlichen Posteinrichtungen" in der Förderung einer Tätigkeit von allgemeinem Interesse bestehe ([X.]-Urteil in [X.]. 2009, [X.], [X.] 2009, 348, Rz 46). Dem entspricht in der Rechtssache --Kommission/[X.] der [X.]inweis auf den Zweck der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf erstattungsfähige Arzneimittel, der "offensichtlich im [X.] Interesse" liege (vgl. [X.]-Urteil in [X.]. 2001, [X.], [X.], 352, Rz 32).

eee) Der [X.] hält es für möglich, dass bei der Beantwortung der Vorlagefrage auch Erwägungen des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen sein könnten (vgl. z.B. [X.]-Urteil in [X.]. 2001, [X.], [X.], 352, Rz 29).

So enthält etwa die Verordnung ([X.]) Nr. 1370/2007 ([X.] 1370/2007) des [X.] und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße ([X.] Nr. L 315/1 vom 3. Dezember 2007, S. 1) Regelungen, ob und wie die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs Ausgleichsleistungen gewähren dürfen, um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu gewährleisten, die u.a. zahlreicher, sicherer, höherwertig oder preisgünstiger sind als diejenigen, die das freie Spiel des Marktes ermöglicht hätte (vgl. Art. 1 Abs. 1 [X.] 1370/2007).

Es ist denkbar, dass die der genannten [X.] zugrunde liegenden Überlegungen auch bei der Frage der Vereinbarkeit der Gewährung eines ermäßigten Umsatzsteuersatzes (nur) für [X.] mit Taxen mit dem Neutralitätsprinzip zu beachten sind (vgl. auch [X.]-Urteil vom 24. Juli 2003 [X.]/00 --Altmark Trans Gmb[X.]--, [X.]. 2003, [X.], NJW 2003, 2515).

dd) Die Antwort des [X.] auf die Vorlagefrage ist im Streitfall entscheidungserheblich.

Wäre nach Auffassung des [X.] ein Verstoß des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG gegen das [X.]. dem Neutralitätsprinzip zu bejahen, wäre der Klage stattzugeben. Denn bei einer Verletzung des Unionsrechts wäre ein einheitlicher Steuersatz unterschiedslos auf die von Taxen und Mietwagen erbrachten Personenbeförderungsleistungen im Geltungsbereich des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG anzuwenden (vgl. z.B. [X.]-Urteile in [X.]. 2001, [X.], [X.], 352, Rz 22; in [X.]. 2001, [X.]; in [X.]. 2003, [X.], Rz 20). Der [X.] versteht diese Rechtsprechung des [X.] dahingehend, dass wenn die Bedingungen oder Beschränkungen, von denen ein Mitgliedstaat eine Steuerermäßigung abhängig macht, gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen, sich dieser Mitgliedstaat nicht auf diese Bedingungen oder Beschränkungen berufen kann (vgl. für die Steuerbefreiung für Glücksspiele mit Geldeinsatz: [X.]-Urteil in [X.]. 2005, [X.], [X.] 2005, 194, Rz 37). Da für die von Taxen erbrachten Personenbeförderungsleistungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG der ermäßigte Steuersatz gilt, kommt als einheitlicher Steuersatz im Streitfall ebenfalls nur der ermäßigte Steuersatz in Betracht.

Läge nach Auffassung des [X.] kein Verstoß des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG gegen das [X.]. dem Neutralitätsprinzip vor, wäre die Klage abzuweisen.

3. Rechtsgrundlage für die Anrufung des [X.] ist Art. 267 Abs. 3 AEUV.

Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.

Meta

XI R 22/10

10.07.2012

Bundesfinanzhof 11. Senat

EuGH-Vorlage

vorgehend FG Nürnberg, 8. Juni 2010, Az: 2 K 877/2008, Urteil

Art 12 Abs 3 Buchst a UAbs 3 Anh H EWGRL 388/77, § 12 Abs 2 Nr 10 Buchst b UStG 1999, § 47 PBefG vom 08.08.1990, § 49 Abs 4 PBefG vom 08.08.1990, Anh H EWGRL 388/77, Art 3 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 12 Abs 2 Nr 10 Buchst b UStG 2005, EGV 1370/2007

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, EuGH-Vorlage vom 10.07.2012, Az. XI R 22/10 (REWIS RS 2012, 4882)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4882

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XI R 39/10 (Bundesfinanzhof)

EuGH-Vorlage zur Frage des Anwendungsbereichs des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Personenbeförderungsleistungen im Nahverkehr


XI R 22/10 (Bundesfinanzhof)

Grundsätzlich kein ermäßigter Umsatzsteuersatz für Personenbeförderungsleistungen von Mietwagenunternehmern


XI R 39/10 (Bundesfinanzhof)

Zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf von Mietwagenunternehmern durchgeführte Krankentransporte


V R 4/15 (Bundesfinanzhof)

Umsatzsteuersatz bei Personenbeförderungsleistungen im öffentlichen Nahverkehr durch Taxen


XI R 12/11 (Bundesfinanzhof)

Kein ermäßigter Steuersatz für Umsätze mit einer sog. "Coaster-Bahn" (Schlittenbahn) - Beförderungsleistung


Referenzen
Wird zitiert von

11 K 236/17

21 B 14.2091

21 B 14.2092

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.