Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. 5 AZR 949/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 3729

ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) STAATSRECHT UND STAATSORGANISATIONSRECHT IMMUNITÄT DIPLOMATIE INDIVIDUAL-ARBEITSRECHT SCHMERZENSGELD

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Diplomatenimmunität


Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des [X.] vom 9. November 2011 - 17 Sa 1468/11 - und des [X.] vom 14. Juni 2011 - 36 [X.]/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütungs- und Schmerzensgeldansprüche. Der am 4. Oktober 1967 geborene [X.] war akkreditierter Attaché der Botschaft des [X.] in der [X.]. Er schloss am 13. Januar 2009 mit der am 9. Juli 1980 geborenen [X.] Staatsangehörigen R einen Arbeitsvertrag. Als monatliche Vergütung wurden 750,00 Euro bei freier Kost und Unterbringung vereinbart. Der Umfang der geschuldeten Arbeitszeit wurde nicht bestimmt. In einer Verbalnote bestätigte die Botschaft des [X.] die Bedingungen des Arbeitsvertrags und notifizierte Frau R Ankunft als private Hausangestellte eines Mitglieds der Mission. Frau R arbeitete vom 3. April 2009 bis zum 30. Oktober 2010 im Privathaushalt des [X.]n. Mit [X.] trat sie ihre Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis an die Klägerin ab. Der [X.] verließ die [X.] Ende Juli 2011.

2

Die Klägerin hat behauptet, der [X.] habe Frau R ausgebeutet, misshandelt, bedroht und gefangen gehalten. Die vereinbarte Vergütung habe sie nicht erhalten.

3

Die Klägerin hat zuletzt - sinngemäß - beantragt,

        

den [X.]n zu verurteilen, an sie 30.754,00 Euro brutto sowie immateriellen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 40.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, jeweils nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.

4

Der [X.] hat Klageabweisung beantragt. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage.

5

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das [X.] hat abgesondert über die Zulässigkeit der Klage verhandelt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Klage ist zulässig. Der [X.] ist nicht mehr von der [X.] Gerichtsbarkeit befreit. Dies führt zur Aufhebung der Urteile beider Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Sache an das Arbeitsgericht.

7

I. Es kann dahinstehen, ob der [X.] bis zu seiner Ausreise von der [X.] Gerichtsbarkeit befreit war, wie die Vorinstanzen angenommen haben.

8

1. Die [X.] Gerichtsbarkeit ist eine allgemeine Verfahrensvoraussetzung. Ihr [X.]estehen und ihre Grenzen sind als Rechtsfragen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ([X.] 13. Dezember 1977 - 2 [X.]/76 - zu [X.] 2 b der Gründe, [X.]E 46, 342). Die [X.] Gerichtsbarkeit beschränkt sich grundsätzlich auf [X.]s Hoheitsgebiet. Ungeachtet der jeweiligen Staatsangehörigkeit unterliegen alle sich in der [X.]undesrepublik aufhaltenden Personen zunächst uneingeschränkt der den [X.] Gerichten übertragenen Rechtsprechungshoheit. Die §§ 18 bis 20 [X.] regeln personelle und sachbezogene Ausnahmen, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Nach § 18 [X.] sind die Mitglieder der im Geltungsbereich des Gesetzes errichteten diplomatischen Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten nach Maßgabe des [X.] über diplomatische [X.]eziehungen - [X.] - vom 18. April 1961 ([X.]G[X.]l. 1964 II S. 957 ff.) von der [X.] Gerichtsbarkeit befreit.

9

2. Der [X.] gehörte zum Kreis der gemäß § 18 [X.] von der [X.] Gerichtsbarkeit ausgenommenen Personen. Er war als Attaché Mitglied einer diplomatischen Mission (vgl. Art. 1 lit. d, e [X.]). Gemäß Art. 31 Abs. 1 [X.] war er damit von der [X.] Gerichtsbarkeit befreit. Eine Streitigkeit, für die nach Art. 31 Abs. 1 lit. a bis c [X.] ausnahmsweise keine Immunität besteht, war nicht gegeben.

3. Es kann dahinstehen, ob - wie die Klägerin meint - die Immunität des [X.]n im Hinblick auf die Schwere der erhobenen Vorwürfe und der behaupteten Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung im [X.] ausnahmsweise eingeschränkt war, denn der [X.] ist jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Revision nicht mehr von der [X.] Gerichtsbarkeit befreit. Seine Immunität endete gemäß Art. 39 Abs. 2 [X.] mit der Ausreise (vgl. [X.]/[X.]itz ZPO 4. Aufl. § 18 [X.] Rn. 9). Sie besteht auch nicht gemäß Art. 39 Abs. 2 Satz 2 [X.] fort, weil der [X.] nicht wegen der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit in Anspruch genommen wird.

4. Damit ist das [X.] im Zeitpunkt der Ausreise des [X.]n aus der [X.]undesrepublik Deutschland entfallen und der Mangel der [X.] Gerichtsbarkeit nachträglich geheilt worden (vgl. Oberster Gerichtshof der [X.] 17. Mai 2000 - 2 [X.] -).

II. Der Rechtsstreit wird an das Arbeitsgericht zurückverwiesen, denn keine Instanz hat bislang in der Sache entschieden.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    [X.]iebl    

        

        

        

    Kremser    

        

    [X.]usch    

                 

Meta

5 AZR 949/11

22.08.2012

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 14. Juni 2011, Az: 36 Ca 3627/11, Urteil

§ 18 GVG, Art 39 Abs 2 DiplBezÜbk, Art 31 Abs 1 DiplBezÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. 5 AZR 949/11 (REWIS RS 2012, 3729)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3729

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 125/15 (Bundesgerichtshof)

Zwangsversteigerungsverfahren für ein mit einer Zwangssicherungshypothek belastetes, inländisches Grundstück eines ausländischen Staates


10 AZR 711/10 (Bundesarbeitsgericht)

Sozialkassenverfahren - Baugewerbe - internationale Zuständigkeit


V ZB 125/15 (Bundesgerichtshof)


2 AZR 270/09 (Bundesarbeitsgericht)

Staatenimmunität - Hoheitliche Tätigkeit - Rechtliches Gehör


2 Wx 34/03 (Oberlandesgericht Köln)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.