Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.07.2022, Az. B 7 AS 1/22 B

7. Senat | REWIS RS 2022, 5031

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anforderungen an eine formgerechte Sachaufklärungsrüge - keine gerichtliche Hinwirkungspflicht zur sachgerechten Stellung von Beweisanträgen - Beweiserhebung von Amts wegen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 24. August 2021 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der Zulassungsgrund des [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]), der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.]) noch der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) in der gebotenen Weise bezeichnet bzw dargelegt worden ist. Der [X.] konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung [X.] nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 [X.] entscheiden.

2

Gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.] und § 128 Abs 1 Satz 1 [X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl [X.] vom 29.9.1975 - 8 [X.] 64/75 - [X.] 1500 § 160a [X.]; BSG vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - [X.] 1500 § 160a [X.]4; BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.]6).

3

Wer sich - wie hier - ua auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 [X.] stützt, muss für die ordnungsgemäße Darlegung des behaupteten [X.] einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des [X.] wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl [X.] vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG vom [X.] - B 8 [X.] 15/13 B; BSG vom [X.] - B 9a [X.]/06 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 13 Rd[X.] 11 mwN). Bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten sind zwar weniger strenge Anforderungen an die Form und den Inhalt eines Beweisantrags zu stellen. Auch ein [X.] Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (BSG vom [X.] - B 8 [X.] 15/13 B - Rd[X.] 10; BSG vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B - Rd[X.] 8 mwN; BSG vom [X.] U 103/12 B - Rd[X.] 7). Erfolgt eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines unvertretenen [X.], hat er diese Verdeutlichung grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung vorzunehmen ([X.] - B 1 KR 3/18 B - Rd[X.] 5).

4

Diesen Anforderungen an die formgerechte Rüge eines Aufklärungsmangels wird die Beschwerdebegründung nicht in vollem Umfang gerecht. Der Kläger rügt zwar eine Verletzung des § 103 [X.] mit der Begründung, das [X.] sei von ihm schriftsätzlich formulierten Beweisanträgen mit der Behauptung nicht nachgegangen, es habe sich um bloße [X.] gehandelt und habe ihn als unvertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung trotz entsprechend formulierter Erwartung seinerseits nicht dazu angeleitet, formgerechte Beweisanträge zu formulieren. Doch fehlt es jedenfalls an Vortrag dazu, warum das Gericht, ausgehend von seiner Rechtsauffassung, der Kläger habe vor dem Hintergrund der von § 21 Abs 6 SGB II normativ verlangten Unabweisbarkeit eines Mehrbedarfs bereits keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen als Grundlage für die beantragte Beweiserhebung vorgebracht, noch weitere Aufklärung für notwendig hätte erachten, einem Beweisantrag also nachgehen müssen. Dies betrifft den vom Kläger behaupteten Mehrbedarf für Ernährung gleichermaßen wie einen Mehrbedarf für Bekleidung und Schuhe.

5

Soweit der Kläger geltend macht, das Gericht habe jedenfalls gegen die ihm obliegende richterliche Hinweispflicht (§ 106 [X.]) verstoßen, weil es ihn nicht bei der Formulierung sachdienlicher Beweisanträge unterstützt habe, ist der behauptete Mangel aus dem gleichen Grund nicht ausreichend dargelegt, denn es fehlt auch insoweit an Vortrag dazu, weshalb das Gericht trotz seiner Auffassung, weitere Beweiserhebung sei nicht erforderlich, darauf hätte hinwirken sollen. Zudem sind die [X.]e nicht verpflichtet, auf die Stellung von Beweisanträgen hinzuwirken oder im Rahmen von Beweisanträgen sonstige Formulierungshilfen zu geben. Selbst wenn das [X.] eine Beweisaufnahme für notwendig hält, hat es keinen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben. Lehnt es die Beweiserhebung dagegen ab, so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde vorzubereiten (vgl BSG vom [X.] - Rd[X.] 10 mwN; BSG vom 23.7.2017 - B 9 V 51/16 B). Deshalb hätte sich die Beschwerdebegründung im Zusammenhang mit einer Rüge der Verletzung des § 106 [X.] auch damit beschäftigen müssen, wieso das Hinwirken auf eine Vervollständigung eines ggf vorliegenden Beweis(ermittlungs)antrags überhaupt Gegenstand einer Hinweispflicht nach § 106 [X.] gewesen sein könnte. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das [X.] die Beweiserhebung nach dem eigenen Vortrag des [X.] nicht nur mit fehlenden Formanforderungen an einen Beweisantrag abgelehnt hat, sondern ua damit, dass die geltend gemachten Mehrbedarfe nicht substantiiert dargelegt seien. Dieser Mangel der Begründung eines Verstoßes gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass der Kläger zugleich im Rahmen der [X.] geltend macht, das Gericht hätte Hinweise darauf geben müssen, dass es an sachdienlichem Vortrag zu den behaupteten Mehrbedarfen fehle.

6

Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) hat der Kläger nicht ordnungsgemäß gerügt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) [X.]keit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG vom [X.] [X.] 142/02 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.]4 S 70 mwN). Der Kläger formuliert zwar die Rechtsfrage, "ob ein hinreichend enger sachlicher Zusammenhang zur Anmietung der Wohnung bei Zahlungsverpflichtungen, die ein Mieter gegenüber [X.] aufgrund mietvertraglicher Vereinbarung einzugehen hat, mit der Folge, dass diese Zahlungsverpflichtungen zu den Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gehören, nur dann vorliegt, wenn der Vermieter einen Nachweis des Abschlusses oder Fortbestandes der Zahlungsverpflichtung tatsächlich einfordert".

7

Es fehlt aber an hinreichendem Vortrag zur [X.]keit der Frage im vorliegenden Rechtsstreit. [X.] ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist ([X.] BK 28/77 - [X.] 1500 § 160a [X.]1). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten [X.]keit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - [X.] 1500 § 160 [X.]9 und [X.] BK 28/77 - [X.] 1500 § 160a [X.]1). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht ([X.] BK 28/77 - [X.] 1500 § 160a [X.]1). Daran fehlt es hier.

8

Der Kläger nimmt zur Begründung zwar Bezug auf das Urteil des BSG vom [X.] ([X.] [X.]/20 R), wonach der Unterkunftsbedarf auch solche Zahlungsverpflichtungen umfasst, die ein Mieter aufgrund mietvertraglicher Vereinbarungen gegenüber [X.] einzugehen hat, soweit ein hinreichend enger sachlicher Zusammenhang zur Anmietung der Wohnung vorhanden ist und er weist darauf hin, das BSG habe - anders als das [X.] - gerade nicht den Nachweis des Abschlusses oder Fortbestands der Zahlungsverpflichtung gefordert. Zur ordnungsgemäßen Darlegung der [X.]keit der von ihm formulierten Rechtsfrage fehlt es allerdings schon an Ausführungen dazu, dass die von ihm abgeschlossene Privathaftpflichtversicherung in einem "engen sachlichen Zusammenhang" zur Anmietung von Wohnraum steht. Dies hatte das BSG angenommen, weil in dem entschiedenen Fall Schäden versichert worden sind, für deren Ersatz der Mieter gegenüber seinem Vermieter einzustehen hat. Fehlte es daran, wären Kosten einer Privathaftpflichtversicherung denknotwendig nicht den Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 SGB II zuzuordnen.

9

Aus dem gleichen Grund mangelt es an hinreichendem Vortrag zur Darlegung der hilfsweise geltend gemachten Divergenz der Entscheidung des [X.] zu der des BSG vom [X.]. Divergenz iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das [X.] tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das [X.] eine höchstrichterliche Entscheidung nur unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewandt hat, sondern erst, wenn das [X.] Kriterien, die ein in der Norm genanntes Gericht aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das [X.] weicht damit nur dann iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einer zu demselben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb aufzeigen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist, und welcher in der instanzabschließenden Entscheidung des [X.] enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht, und darlegen, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann ([X.] B 13 R 139/16 B - [X.] 4-2600 § 16 [X.] Rd[X.] 9 f mwN). Daran fehlt es hier. Denn selbst nach dem eigenen Vortrag des [X.] sei das [X.] "irrigerweise" bei seiner Subsumtion unter den vom BSG formulierten Leitsatz davon ausgegangen, das BSG habe auch einen Nachweis des Abschlusses oder des [X.] eingefordert. Damit liegt nach dem eigenen Vorbringen des [X.] aber keine Abweichung im Grundsätzlichen, sondern ggf (nur) eine inhaltlich unrichtige Entscheidung vor, die die Zulassung der Revision aber nicht zu begründen vermag.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 [X.].

S. [X.] Siefert

Meta

B 7 AS 1/22 B

19.07.2022

Bundessozialgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 23. Dezember 2020, Az: S 65 AS 11238/18, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 103 SGG, § 106 Abs 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.07.2022, Az. B 7 AS 1/22 B (REWIS RS 2022, 5031)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5031

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