Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2022, Az. 10 AZR 532/20

10. Senat | REWIS RS 2022, 9410

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Gegenstand

Angemessener Nachtarbeitszuschlag - Dauernachtarbeit - Zeitungszusteller - Pressefreiheit


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5. Juni 2020 - 10 [X.]/19 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ein Zinsanspruch

a) aus einem Betrag in Höhe von 61,71 Euro brutto seit dem 3. Februar 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 75,39 Euro brutto seit dem 3. März 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 13,48 Euro brutto seit dem 2. April 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 35,05 Euro brutto seit dem 5. Mai 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 80,83 Euro brutto seit dem 2. Juni 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 89,02 Euro brutto seit dem 2. Juli 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 102,76 Euro brutto seit dem 4. August 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 121,42 Euro brutto seit dem 2. September 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 127,90 Euro brutto seit dem 2. Oktober 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 98,99 Euro brutto seit dem 3. November 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 95,38 Euro brutto seit dem 2. Dezember 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 52,09 Euro brutto seit dem 5. Januar 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 111,00 Euro brutto seit dem 2. März 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 110,06 Euro brutto seit dem 2. April 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 123,35 Euro brutto seit dem 3. Mai 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 96,73 Euro brutto seit dem 2. Juni 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 210,52 Euro brutto seit dem 2. Juli 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 139,43 Euro brutto seit dem 2. August 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 183,90 Euro brutto seit dem 2. September 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 195,77 Euro brutto seit dem 5. Oktober 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 126,48 Euro brutto seit dem 3. November 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 65,17 Euro brutto seit dem 2. Dezember 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 74,02 Euro brutto seit dem 3. Januar 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 103,73 Euro brutto seit dem 2. Februar 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 28,96 Euro brutto seit dem 2. März 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 45,46 Euro brutto seit dem 4. April 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 39,64 Euro brutto seit dem 3. Mai 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 64,36 Euro brutto seit dem 2. Juni 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 55,33 Euro brutto seit dem 4. Juli 2017 und

aus einem Betrag in Höhe von 56,55 Euro brutto seit dem 2. August 2017 sowie

b) aus einem Betrag in Höhe von 20,97 Euro brutto seit dem 3. Februar 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 6,54 Euro brutto seit dem 3. März 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 61,15 Euro brutto seit dem 2. April 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 40,24 Euro brutto seit dem 5. Mai 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 17,24 Euro brutto seit dem 2. Juli 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 24,19 Euro brutto seit dem 3. November 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 13,79 Euro brutto seit dem 2. Dezember 2015,

aus einem Betrag in Höhe von 133,74 Euro brutto seit dem 5. Januar 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 88,00 Euro brutto seit dem 2. Februar 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 3,37 Euro brutto seit dem 2. April 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 3,27 Euro brutto seit dem 3. Mai 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 7,64 Euro brutto seit dem 2. Juni 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 11,93 Euro brutto seit dem 2. Juli 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 28,08 Euro brutto seit dem 2. August 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 29,93 Euro brutto seit dem 2. Dezember 2016,

aus einem Betrag in Höhe von 84,75 Euro brutto seit dem 3. Januar 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 2,00 Euro brutto seit dem 2. März 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 17,22 Euro brutto seit dem 4. April 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 8,32 Euro brutto seit dem 3. Mai 2017,

aus einem Betrag in Höhe von 12,90 Euro brutto seit dem 2. Juni 2017 und

aus einem Betrag in Höhe von 14,62 Euro brutto seit dem 4. Juli 2017 besteht.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe angemessener Nachtarbeitszuschläge nach § 6 Abs. 5 [X.].

2

Die Beklagte gehört zur Unternehmensgruppe D. Sie ist ein Zustellbetrieb und stellt die [X.]ungstitel der Unternehmensgruppe an die jeweiligen Abonnenten zu. Sie beschäftigt etwa 1.050 Zusteller. In ihrem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.

3

Der Kläger war im streitgegenständlichen [X.]raum bei der Beklagten als [X.]ungszusteller beschäftigt und erbrachte seine Arbeit während der gesetzlichen Nachtzeit im Umfang von mehr als zwei Stunden an mehr als 48 Tagen pro Kalenderjahr. Die Beklagte zahlte dem Kläger einen [X.] in Höhe von 20 % auf den jeweiligen Bruttostundenlohn.

4

In einer Betriebsvereinbarung zur innerbetrieblichen Lohngestaltung vom 23. Dezember 2016 ([X.]) ist in Abschn. I Nr. 3 geregelt:

        

„Lohnbestandteil: angemessener Nachtzuschlag. Dieser beträgt für bis zum 31.12.2016 eingestellte Arbeitnehmer mindestens 20 Prozent und für ab dem 01.01.2017 eingestellte Arbeitnehmer mindestens 10 Prozent.“

5

Der Kläger verlangt mit der Klage einen um zehn Prozentpunkte höheren [X.] für den [X.]raum Januar 2015 bis Juli 2017. Die rechnerisch unstreitige Vergütungsdifferenz für den vorgenannten [X.]raum beläuft sich insgesamt auf 3.415,13 Euro brutto.

6

Der Kläger hat gemeint, für seine dauerhaft während der Nachtzeit versehene Arbeitsleistung sei ein Zuschlag von insgesamt 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen. Selbst wenn sich die Beklagte für ihr Zustellkonzept auf die Medienfreiheit berufen könne, dürfe das den Gesundheitsschutz der Nachtarbeitnehmer nicht unterlaufen, der durch § 6 Abs. 5 [X.] gewährleistet werde.

7

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.785,24 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in gestaffelter Höhe zu zahlen;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 629,89 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in gestaffelter Höhe zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Zustellung von Tageszeitungen in den frühen Morgenstunden sei Gegenstand der grundrechtlich garantierten Medienfreiheit und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unverzichtbar. Sie sei im streitgegenständlichen [X.]raum für die Verwirklichung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wegen der Kundenanforderungen zwingend auf die Nachtarbeit angewiesen gewesen. Die [X.]ungszustellung sei für das Gemeinwohl ebenso bedeutsam wie etwa die Arbeit von Rettungsdiensten und Feuerwehren. Da allein die mit der ungünstigen Lage der Arbeitszeit verbundene Erschwernis habe ausgeglichen werden können, sei ein geringerer [X.] iSd. § 6 Abs. 5 [X.] angemessen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass es keinen „Regelsatz“ für einen Zuschlag in Höhe von 30 % für „Dauernachtarbeit“ gebe. Außerdem stelle die [X.]ungszustellung eine leichte Tätigkeit dar, die Teilhabe am [X.] Leben sei nicht gravierend tangiert, die tägliche Arbeitszeitdauer während der Nacht sei gering, habe zudem nur im frühmorgendlichen Randbereich des [X.] gelegen und es habe nur ein kurzer Arbeitsweg vorgelegen. Auch europarechtliche Wertungen seien bei der Festlegung des angemessenen [X.]s zu berücksichtigen, wonach nur die [X.] zwischen 24:00 Uhr und 05:00 Uhr als Nachtarbeitszeitraum umfasst sei. Schließlich sei zu beachten, dass die wirtschaftliche Lage der [X.] dramatisch sei und bereits die Einführung des Mindestlohns nach dem [X.] zu einer deutlichen Erhöhung der Zustellkosten geführt habe. Im Übrigen zeige die [X.], dass die Betriebsparteien grundsätzlich einen [X.] von 10 % für angemessen hielten.

9

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die Beklagte zu Recht dazu verurteilt, höhere [X.] zu zahlen. Lediglich die [X.] waren im Hinblick auf die mit Zustimmung der Beklagten erfolgte [X.] zu korrigieren.

I. Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als abschließende Gesamtklage hinreichend bestimmt (vgl. zu den Voraussetzungen [X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 11).

II. Die Klage ist begründet. Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass für die Arbeitsstunden, die der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum während der gesetzlichen Nachtzeit geleistet hat, ein Zuschlag von insgesamt 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen ist. Der Anspruch in Höhe von insgesamt - rechnerisch unstreitigen - 3.415,13 Euro brutto folgt aus § 611 Abs. 1 BGB (bis 31. März 2017) bzw. aus § 611a Abs. 2 BGB (ab 1. April 2017) iVm. § 6 Abs. 5 [X.]. Für [X.] ergibt sich der Anspruch aus den Bestimmungen des EFZG und [X.].

1. § 6 Abs. 5 [X.] verpflichtet den Arbeitgeber, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung besteht im Streitfall nicht.

2. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig Nachtarbeitnehmer iSd. Arbeitszeitgesetzes (§ 2 Abs. 3 bis 5 [X.]). Er hat, soweit [X.] gefordert werden, ausschließlich während der gesetzlichen Nachtzeit in dem gesetzlich geforderten Umfang gearbeitet.

3. Die Beklagte hat das ihr im Rahmen von § 6 Abs. 5 [X.] zustehende Wahlrecht für den streitgegenständlichen Zeitraum dahin ausgeübt, den Ausgleichsanspruch allein durch Zahlung von Geld zu erfüllen (vgl. hierzu [X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 16).

4. Bei dem Merkmal „angemessen“ in § 6 Abs. 5 [X.] handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem [X.] ein Beurteilungsspielraum zukommt. Er ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr., zuletzt zB [X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 23 mwN). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des [X.]s stand.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] stellt ein Zuschlag in Höhe von 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt oder die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit iSv. § 6 Abs. 5 [X.] dar. Eine Erhöhung des [X.] auf 30 % kommt typischerweise bei einer Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit in Betracht. Allerdings handelt es sich bei diesen Werten nicht um starre Grenzen. Demnach kann sowohl ein geringerer als auch ein höherer Zuschlag angemessen sein; es handelt sich weder um Unter- noch um Obergrenzen ([X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 26 f., 29 mwN). Für die Zeitungszustellung in Dauernachtarbeit hat der [X.] in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass ein [X.] in Höhe von 30 % angemessen iSv. § 6 Abs. 5 [X.] ist. Der [X.] hat dabei insbesondere umfangreich begründet, dass der Schutz der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in Abwägung mit dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht dazu führen kann, die Zuschläge nach § 6 Abs. 5 [X.] gegenüber der regelmäßig anfallenden Höhe abzusenken ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 41 ff.; zustimmend [X.]. [X.] [X.] § 6 Nr. 22; Kohte [X.] 42/2022 [X.]. 3).

b) Dem entspricht die Entscheidung des [X.]s. Bei der Beurteilung des Rechtsbegriffs der Angemessenheit hat es weder den Rechtsbegriff selbst verkannt noch bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle entscheidungserheblichen Umstände in sich widerspruchsfrei berücksichtigt. Die Angriffe der Revision führen zu keiner anderen Beurteilung. Die vorgebrachten Argumente der Beklagten hat der [X.] bereits weitgehend geprüft. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des [X.]s vom 10. November 2021 (- 10 [X.] -) verwiesen. Auch soweit einzelne neue Aspekte dargetan sind, hat der [X.] sie geprüft. Diese verhelfen aber der Revision nicht zum Erfolg. Ergänzend ist lediglich noch auf Folgendes hinzuweisen:

aa) Soweit die Beklagte einwendet, es handle sich bei der Zeitungszustellung um eine leichte Tätigkeit, hat der [X.] hierzu in der vorgenannten Entscheidung bereits klargestellt, dass dies keine andere Beurteilung rechtfertigt, da der Zuschlag an das geschuldete Bruttoarbeitsentgelt anknüpft ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 35). Im Übrigen geht es um den Ausgleich für die spezifische Belastung durch die Nachtarbeit (vgl. [X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 37), nicht durch die Tätigkeit an sich. Ebenfalls auseinandergesetzt hat sich der [X.] mit dem Umstand, dass nur im „Randbereich“ der Nachtzeit bzw. nicht während des gesamten Nachtzeitraums Arbeitsleistungen erbracht wurden. Auch wurde der Einwand behandelt, der Wegfall des sog. Lenkungszwecks müsse zu einer Absenkung des Zuschlags führen ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 36, 38 f.).

bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt der Umstand, dass der Kläger wohnortnah arbeitet und deshalb einen kurzen Weg zur Arbeit hat, keinen Aspekt dar, der bei der Beurteilung der Angemessenheit des [X.] positiv oder negativ zu berücksichtigen wäre. Die Wahl des Wohnorts und daraus folgend die Länge des [X.] zählt regelmäßig - so auch hier - nicht zur Arbeitsleistung, sondern ist Privatsache des Arbeitnehmers (vgl. [X.] 13. Oktober 2021 - 5 [X.] - Rn. 45 f.).

cc) Ebenfalls entgegen der Ansicht der Beklagten ergeben sich zur Frage der Angemessenheit der [X.] für Dauernachtarbeit auch keine Aspekte aus dem [X.]srecht, die eine Absenkung des Zuschlags begründen könnten. Soweit die Beklagte auf die Richtlinie 2003/88/[X.] verweist, strebt diese keine Vollharmonisierung an, sondern enthält Mindestvorgaben, die bei der Umsetzung der Richtlinie einzuhalten sind (vgl. den ersten Erwägungsgrund zur Richtlinie 2003/88/[X.]). Dementsprechend definiert Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie, dass die Nachtzeit mindestens sieben Stunden zu betragen hat, welche auf jeden Fall die Spanne zwischen 24:00 Uhr und 05:00 Uhr umfasst. Dass der [X.] Gesetzgeber diese Spanne der Nachtzeit auf 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr festgelegt hat, hält sich an diese Vorgaben. Maßgeblich ist diese Umsetzung in das [X.] Arbeitszeitrecht, wonach für die genannte Zeitspanne - und nicht lediglich für die in der Richtlinie aufgeführte - ein angemessener Ausgleich zu gewähren ist. Gleiches gilt, soweit die Beklagte einwendet, der Kläger sei iSd. Richtlinie nicht als Nachtarbeiter zu qualifizieren, weil er nicht mindestens drei Stunden in der „europarechtlichen Kernnachtarbeitszeit“ tätig gewesen sei (Art. 2 Nr. 3, Nr. 4 Buchst. a der Richtlinie 2003/88/[X.]). Auch insoweit kommt es auf das [X.] Arbeitszeitrecht an, das für einen über 05:00 Uhr morgens hinausgehenden Schutz sorgt. Eine Ausnahme von dem gesetzlichen Nachtzeitraum nach § 2 Abs. 3 Halbs. 1 [X.] gibt es nur für Bäckereien und Konditoreien in § 2 Abs. 3 Halbs. 2 [X.] (vgl. dazu [X.]. 13/4245 S. 7). Das hat zur Folge, dass für diese Tätigkeiten von 05:00 Uhr bis 06:00 Uhr morgens kein Ausgleich geschuldet ist. Eine entsprechende Regelung fehlt aber für die Zustellung von Zeitungen, obwohl auch diese in den späten Nacht- bzw. frühen Morgenstunden üblich war und ist. Daraus kann gefolgert werden, dass der Gesetzgeber diesen Aspekt gerade nicht zur Rechtfertigung einer diesbezüglichen, sich in einem geringeren [X.] manifestierenden Sonderstellung der Zeitungszusteller genügen lässt (vgl. [X.]. [X.] [X.] § 6 Nr. 22 zu III 3). Schließlich gilt, dass die Richtlinie 2003/88/[X.] nicht Fragen des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer regelt, da dieser Aspekt nach Art. 153 Abs. 5 AEUV außerhalb der Zuständigkeit der [X.] liegt (vgl. EuGH 7. Juli 2022 - [X.]/21 und [X.]/21 - [Coca-Cola European Partners Deutschland] Rn. 45 ff.).

dd) Soweit die Beklagte auch vorliegend geltend macht, die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Pressefreiheit stehe einem höheren [X.] entgegen, hat sich der [X.] damit bereits ausführlich auseinandergesetzt ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 42 ff.). Insbesondere ist berücksichtigt worden, dass die Pressefreiheit für das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen von hoher und wertsetzender Bedeutung ist ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 45).

ee) Gleiches gilt für den Einwand, der Regelung in § 24 Abs. 2 [X.] könne entnommen werden, dass eine Anhebung des Zuschlags für die in Dauernachtarbeit versehene Zeitungszustellung auf 30 % ausgeschlossen sei ([X.] 10. November 2021 - 10 [X.] - Rn. 54 ff.).

ff) Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es schließlich bei der Bewertung der Angemessenheit von [X.] nicht auf die [X.] an. § 6 Abs. 5 [X.] sieht einen Vorrang tariflicher Bestimmungen vor, enthält aber keine Öffnungsklausel für die Betriebsparteien. Eine betriebliche Regelung, die zum Nachteil der Arbeitnehmer hinter den gesetzlichen Vorgaben für einen angemessenen Ausgleich zurückbleibt, ist nach § 6 Abs. 5 [X.] iVm. § 134 BGB unwirksam (vgl. [X.] 25. Mai 2022 - 10 [X.]/19 - Rn. 22).

5. Soweit vorliegend höhere [X.] für Lohnfortzahlungszeiträume gefordert werden (Antrag zu 2.), ist der Anspruch ebenfalls gegeben.

a) Für Urlaubszeiträume des Klägers folgt der Anspruch aus §§ 1, 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 3 [X.], § 6 Abs. 5 [X.]. Nach § 1 [X.] hat der Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub und demgemäß Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung während des Urlaubs. Das Gesetz stellt mit dem sog. Referenzprinzip auf das in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhaltene Arbeitsentgelt ab ( § 11 Abs. 1 [X.] ). Es kommt auf den in den letzten 13 Wochen vor Urlaubsantritt gezahlten durchschnittlichen Arbeitsverdienst an (vgl. [X.] 27. Juli 2021 - 9 [X.] - Rn. 30). Aus der Durchschnittsvergütung des [X.] ist nur der zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsverdienst herauszunehmen ( § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] ). Zur Arbeitsvergütung zählt daher auch der [X.], soweit er im Referenzzeitraum - wie hier - angefallen ist (vgl. [X.] 12. Januar 1989 - 8 [X.] - zu II 2 der Gründe, [X.]E 61, 1).

b) Für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ergeben sich die Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus § 3 Abs. 1 iVm. § 4 Abs. 1, § 12 EFZG, § 6 Abs. 5 [X.]. Nach dem Lohnausfallprinzip ist die volle Vergütung einschließlich etwaiger Zuschläge zu zahlen, denn diese wären angefallen, wenn ein Arbeitnehmer, der - wie der Kläger - dauerhaft Nachtarbeit leistet, gearbeitet hätte, wäre er nicht arbeitsunfähig erkrankt (vgl. [X.] 1. Dezember 2004 - 5 [X.] - zu II 4 a der Gründe mwN; 13. März 2002 - 5 [X.] 2 a der Gründe). Gleiches gilt für die Entgeltfortzahlung an Feiertagen. Hier folgt der Anspruch aus § 2 Abs. 1 EFZG, § 6 Abs. 5 [X.] (vgl. [X.] 1. Dezember 2004 - 5 [X.] - aaO).

6. Dem Kläger stehen auch - nach der mit Zustimmung der Beklagten erfolgten [X.] - die jetzt noch begehrten Zinsansprüche zu.

a) Verzugszinsen stehen dem Kläger gemäß § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zu (vgl. [X.] 19. Mai 2021 - 5 [X.] - Rn. 38). Fällig sind die Ansprüche auf [X.] mangels ausdrücklicher Regelung nach Ablauf des jeweiligen Zeitabschnitts - hier der Monat - am ersten Tag des Folgemonats (§§ 614, 271 BGB). Handelt es sich beim Monatsersten um einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, tritt an die Stelle dieses Tags aber erst der nächste Werktag (§ 193 BGB; [X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 20). Die Verzinsungspflicht beginnt nach § 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Fälligkeit ([X.] 5. Juli 2022 - 9 [X.] - Rn. 53).

b) Der Kläger hat nach seiner teilweisen Klagerücknahme im Hinblick auf den Zinsbeginn dementsprechend Zinsen erst ab dem 2. des jeweils nachfolgenden Kalendermonats bzw. bei einer Verschiebung nach § 193 BGB erst ab dem [X.], [X.] oder Fünften des jeweiligen Monats beantragt. Soweit die Vorinstanzen dem Kläger Zinsen jeweils ab dem [X.] zugesprochen haben, war der Tenor entsprechend neu zu fassen.

III. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die teilweise Klagerücknahme hinsichtlich der Zinsen wirkt sich nicht aus (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

        

    [X.]    

        

    Nowak    

        

    Günther-Gräff    

        

        

        

    S. Viehl     

        

    [X.]     

                 

Meta

10 AZR 532/20

14.12.2022

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Köln, 3. Juli 2019, Az: 20 Ca 8603/18, Urteil

Art 153 Abs 5 AEUV, § 2 Abs 3 Halbs 1 ArbZG, § 2 Abs 3 Halbs 2 ArbZG, § 2 Abs 4 ArbZG, § 2 Abs 5 ArbZG, § 6 Abs 5 ArbZG, § 77 BetrVG, § 187 Abs 1 BGB, § 193 BGB, § 271 BGB, § 614 BGB, § 1 BUrlG, § 11 Abs 1 BUrlG, § 13 Abs 1 S 3 BUrlG, § 2 Abs 1 EntgFG, § 3 Abs 1 EntgFG, § 4 Abs 1 EntgFG, § 12 EntgFG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 24 Abs 2 MiLoG, Art 2 Nr 3 EGRL 88/2003

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2022, Az. 10 AZR 532/20 (REWIS RS 2022, 9410)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9410

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