Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2017, Az. VII ZR 155/15

7. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 7025

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Gegenstand

Berufung im Werklohnprozess: Pflicht des Berufungsgerichts zur erneuten Zeugenvernehmung bei abweichender Würdigung von Zeugenaussagen


Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 23. Zivilsenats des [X.] vom 9. Juni 2015 wird im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, § 544 Abs. 7 ZPO.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 25.204,11 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt von der [X.], einer Bauträgergesellschaft, Werklohn für Rohbauarbeiten an verschiedenen Objekten in [X.] Zunächst schlossen die Parteien einen Vertrag betreffend ein nicht streitgegenständliches Bauvorhaben in der [X.]. Vertragsbestandteil war unter anderem ein von der Klägerin unter dem 6. April 2009 ausgefülltes Leistungsverzeichnis der [X.] (im Folgenden: [X.]) mit [X.]. Zudem beauftragte die Beklagte die Klägerin mit Erd-, Maurer- und Betonarbeiten am Bauvorhaben [X.], ebenfalls unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das [X.].

2

Am 12. März 2010 erteilte die Klägerin einen Auftrag zum Neubau eines Doppelhauses in der [X.], am 12. Mai 2010 einen solchen für ein Doppelhaus an der [X.] und am 21. Juni 2010 über Maurer- und Betonarbeiten zum Neubau eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück [X.], wobei bei sämtlichen Verträgen gemäß 2.1. des von der [X.] vorgegebenen [X.] das [X.] Vertragsinhalt werden sollte. Neben diesem Passus ist jeweils handschriftlich vermerkt "Angebot Standard-Klose".

3

Die Beklagte kürzte die Schlussrechnungen für die sechs Bauvorhaben [X.], [X.] links, [X.] rechts, [X.], [X.] links und [X.] rechts. Im Januar 2011 sprachen die Geschäftsführer der Parteien in Anwesenheit des [X.] über streitige Rechnungspositionen.

4

Die Klägerin hat behauptet, mit dem Zusatz "Angebot Standard-Klose" habe die Beklagte in den Angeboten auf ein von der Klägerin erstelltes [X.] vom 19. April 2010 (im Folgenden: [X.]) Bezug genommen, welches dadurch Vertragsbestandteil geworden sei. Sie hat den sich aus den sechs Schlussrechnungen ergebenden Restwerklohn eingeklagt.

5

Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 33.047,97 € nebst Zinsen zu zahlen. Soweit für das [X.] noch von Interesse, hat es zur Begründung ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Parteien sich bei der gemeinsamen Besprechung über jede Position der streitigen Schlussrechnungen abschließend verständigt hätten. Die Klägerin habe daher Anspruch auf den sich hieraus ergebenden Restwerklohn.

6

Auf die Berufung der [X.] hat das Berufungsgericht das Urteil abgeändert, der Klägerin nur noch 7.843,86 € Restwerklohn für das Bauvorhaben [X.] zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

7

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde, mit der sie nach Zulassung der Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen möchte.

II.

8

Die Nichtzulassungsbeschwerde führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im tenorierten Umfang und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG entscheidungserheblich verletzt.

9

1. Das Berufungsgericht führt aus, es könne nicht festgestellt werden, dass die Parteien im Januar 2011 einen [X.] über die Höhe sämtlicher Restwerklohnforderungen geschlossen hätten.

Zwar stehe nach der Beweisaufnahme fest, dass die Parteien an diesem Tag über die Abrechnung des Bauvorhabens [X.] gesprochen hätten, aber nicht, dass man sich auf einen abschließenden Zahlbetrag geeinigt hätte. Auch eine Verständigung über die streitigen Rechnungspositionen sei nicht bewiesen. Zwar habe der Zeuge B. bekundet, eine solche sei hinsichtlich aller Rechnungspositionen erfolgt, er habe aber nur ausweichend auf den Vorhalt geantwortet, dass nicht über alle Punkte eine Einigung herbeigeführt worden sei. Eine solche lasse sich nicht dem Exemplar der Schlussrechnung entnehmen, welches der Zeuge B. mit Durchstreichungen versah und handschriftlich ergänzte, zumal sich hieraus nicht ergebe, worauf sich die Parteien bezüglich einiger der streitigen Punkte geeinigt hätten. Die Beklagte könne deshalb als Schlusszahlung für das Bauvorhaben [X.] nur den durch die Beklagte nach Rechnungsprüfung anerkannten Betrag verlangen.

Auch eine Einigung hinsichtlich des Restwerklohns für die übrigen Bauvorhaben sei nicht bewiesen. Zwar habe dies der Zeuge B. so erklärt. Dies treffe aber für das Bauvorhaben [X.] offensichtlich nicht zu. Die Klägerin selbst habe dies noch nicht einmal behauptet, sondern darauf verwiesen, dass die Beklagte erstmals mit der Klageerwiderung hierzu eine Rechnungsprüfung vorgelegt habe. Die pauschale Aussage des [X.], es sei über alle streitgegenständlichen Rechnungen gesprochen worden, sei daher nicht glaubhaft. Es sei auch nicht erklärlich, warum der Zeuge B. die Rechnung betreffend [X.] mit handschriftlichen Vermerken versah, nicht aber diejenigen für die Bauvorhaben [X.] und [X.] Im nachfolgenden Schriftverkehr habe die Klägerin die vermeintlich getroffene Vereinbarung nicht thematisiert.

Die Klägerin könne unabhängig davon für die übrigen Bauvorhaben keinen Restwerklohn beanspruchen, denn sie habe nicht substantiiert dargelegt, dass sie die für die Bauvorhaben [X.], [X.] und [X.] in Rechnung gestellten Mehrforderungen beanspruchen könne. Insbesondere lasse sich dem Vortrag nicht entnehmen, dass die Beklagte die höheren Einheitspreise, Zulagen oder zusätzlichen Leistungsverzeichnispositionen des [X.] vom 19. April 2010 akzeptiert habe. Die Klägerin habe nicht substantiiert vorgetragen, wann sie der [X.] das Angebot [X.] übermittelt habe und die Beklagte deshalb den handschriftlichen Zusatz "Angebot Standard-Klose" dahin verstehen musste, dass hiermit die Preise des [X.] maßgeblich sein sollten.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht den erstinstanzlich vernommenen [X.] entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO nicht erneut vernommen hat, obwohl es seine Aussage im Ergebnis anders würdigt als das [X.].

a) Das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Rechtsmittelgericht, erstinstanzlich vernommene Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es deren protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will ([X.], Urteil vom 29. September 2011 - [X.], [X.], 115 Rn. 16 = NZBau 2011, 746; Beschluss vom 10. Oktober 2013 - [X.], [X.], 141 Rn. 8). Eine nochmalige Vernehmung kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht lediglich auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen ([X.], Beschluss vom 4. Juli 2013 - [X.], [X.], 1726 Rn. 12 m.w.N.).

b) Ein solcher Ausnahmefall liegt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht vor.

aa) [X.] hat ausgesagt, dass das Treffen im Januar 2011 dazu gedient habe, über die Restwerklohnforderungen zu sprechen, um die die Beklagte die Schlussrechnungen gekürzt habe. Die Geschäftsführer seien die Rechnungen Punkt für Punkt durchgegangen und hätten sich hierüber verständigt. Man sei so auseinander gegangen, dass das jeweils erzielte Ergebnis habe gelten sollen. Ein Zahlbetrag sei dabei nicht ausgerechnet worden, es sei seine Aufgabe gewesen, die sich jeweils aus der Verständigung ergebenden Endsummen zu Hause auszurechnen, was er getan habe. Bei dem Termin seien die vier Schlussrechnungen besprochen worden, die Gegenstand des Klageverfahrens seien, einschließlich der G.-Straße.

bb) Das [X.] hat die Aussage des [X.] dahin gewürdigt, dass die Parteien anlässlich des Gesprächs eine abschließende Einigung über die Rechnungspositionen getroffen haben, auch wenn der Zahlbetrag nicht konkret ermittelt worden sei. Demgegenüber sieht das Berufungsgericht weder für das Bauvorhaben [X.] noch für die übrigen Bauvorhaben eine solche Einigung als bewiesen an. Es hält die Aussage des [X.], wonach über alle streitgegenständlichen Rechnungen abschließend gesprochen worden sei, nicht für glaubhaft. Das Berufungsgericht stützt sich jedoch nicht lediglich auf die Glaubhaftigkeit der Aussage, sondern auf die Wahrheitsliebe und das Erinnerungsvermögen des [X.]

cc) Das Berufungsgericht hätte deshalb den [X.] erneut vernehmen müssen.

3. Auf dem vorgenannten [X.] beruht die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden wurde, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach erneuter Zeugeneinvernahme die Berufung der [X.] weitergehend zurückgewiesen hätte.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Sollte das Berufungsgericht in Würdigung der nachzuholenden erneuten Vernehmung des [X.] den Beweis, dass im Januar 2011 eine Einigung über alle streitigen Rechnungspositionen erzielt wurde, als nicht geführt ansehen, wird es in die Sachprüfung eintreten müssen, ob und in welcher Höhe die geltend gemachten Restwerklohnforderungen berechtigt sind, und hierzu gegebenenfalls den [X.] der Klägerin nachgehen müssen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin die Restwerklohnforderungen bezüglich der fünf Bauvorhaben [X.] links und rechts, [X.] links und rechts und [X.], die nach dem [X.] abgerechnet wurden, schlüssig dargelegt. Die Klägerin behauptet, dass in einem Gespräch der Geschäftsführer im Vorfeld der Beauftragung des Bauvorhabens [X.] thematisiert worden sei, dass das [X.] zu ungenau und lückenhaft sei und Zusatzleistungen nicht enthalte. Der Geschäftsführer der Klägerin habe dem Geschäftsführer der [X.] vorgeschlagen, ein detaillierteres [X.] zu erstellen, welches für künftige Aufträge alle Wünsche preislich erfasse und beziffere. Hiermit sei der Geschäftsführer der [X.] einverstanden gewesen, woraufhin das [X.] vom 19. April 2010, überschrieben mit "Bauvorhaben für verschiedene Objekte", erstellt worden sei. Dieses [X.] sei dadurch Vertragsbestandteil geworden, dass die kaufmännische Mitarbeiterin der [X.] hierauf Bezug genommen habe, indem sie die Vertragsunterlagen jeweils handschriftlich mit dem Zusatz "Angebot Standard-Klose" versehen und der Klägerin zugesandt habe.

Mit diesen Angaben genügt die Klägerin den Substantiierungsanforderungen (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 2009 - [X.], [X.], 1003 Rn. 4), denn - die Richtigkeit des Vorbringens unterstellt - beinhaltet der Vortrag, dass die Beklagte das [X.] vom 19. April 2010 kannte, hierunter das "Angebot Standard-Klose" verstand und die Beklagte - und nicht wie das Berufungsgericht meint, die Klägerin - es durch den handschriftlichen Vermerk und die Übersendung an die Klägerin zum Bestandteil ihrer Willenserklärung gemacht hat.

Sollte die Klägerin weder beweisen können, dass das [X.] als solches in die Verträge über die fünf Bauvorhaben einbezogen worden ist, noch dass der Geschäftsführer der [X.] anlässlich der Besprechung im Januar 2011 die im [X.] gelisteten Preise akzeptiert hat, wird das Berufungsgericht dennoch, dann unter Zugrundelegung des [X.], zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe die geltend gemachten Restwerklohnforderungen berechtigt sind. Das Berufungsgericht hat unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagte [X.] nur zu einem kleinen Teil wegen Preisdifferenzen der Leistungsverzeichnisse [X.] und [X.], zu einem größeren Teil unter anderem wegen vermeintlicher Nichtausführungen abgerechneter Leistungen und im Hinblick auf angeblich nur geringere Massen vorgenommen hat (vgl. hierzu Hinweisbeschluss des [X.]s vom 28. September 2012).

Vorstehendes gilt auch für das Bauvorhaben [X.], welches nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien anhand des [X.] abzurechnen war und deshalb von dem Streit um die Einbeziehung der Leistungsverzeichnisse ohnehin nicht betroffen ist.

[X.]     

      

Kartzke     

      

Graßnack

      

Borris     

      

Brenneisen     

      

Meta

VII ZR 155/15

02.08.2017

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 9. Juni 2015, Az: I-23 U 99/14

§ 286 ZPO, § 398 Abs 1 ZPO, § 529 Abs 1 Nr 1 ZPO, § 544 Abs 7 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 632 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2017, Az. VII ZR 155/15 (REWIS RS 2017, 7025)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 7025

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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