Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2014, Az. V ZR 53/14

5. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 384

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Gegenstand

Beschlussanfechtung im Wohnungseigentumsverfahren: Grenzen der Auslegung von Klageanträgen


Leitsatz

Auch bei einer Beschlussanfechtungsklage darf die Auslegung des Klageantrags - wie allgemein im Prozessrecht - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen; nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung unter Einbeziehung der gesamten Klageschrift nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten.

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des [X.] - 1. Zivilkammer - vom 13. Januar 2014 aufgehoben und das Urteil des [X.] vom 27. Dezember 2012 im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als die Klage hinsichtlich [X.] 4 Antrag 2 abgewiesen worden ist.

Der in der ordentlichen Eigentümerversammlung der [X.],    M.    , vom 22. Mai 2012 zu [X.] 4 Antrag 2 gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Deren Gemeinschaftsordnung sieht vor, dass eine Änderung „um wirksam zu werden, der Zustimmung von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer“ bedarf.

2

Die mit der Einladung zu der Eigentümerversammlung vom 22. Mai 2012 übersandte Tagesordnung führte unter [X.] 4 „Beschluss über die Genehmigung der Einzel- und Gesamtabrechnung 2011 incl. Heizkostenabrechnung“ auf und unter [X.] 6 „Beschluss über den Einzel- und [X.] (…)“. In der Eigentümerversammlung wurde zu [X.] 4 unter Antrag 1 die Genehmigung der Gesamt- und Einzelabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2011 mehrheitlich beschlossen. Unter der Bezeichnung [X.] 4 Antrag 2 wurde noch ein weiterer Beschluss gefasst, mit dem der in der Teilungserklärung vorgesehene [X.] ab dem Geschäftsjahr 2012 geändert wurde. Die zu [X.] 6 gefassten Beschlüsse betreffen den Einzel- und [X.].

3

Gegen die „zu [X.] 4 und [X.] 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 und Einzel- und [X.]“ hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Das Amtsgericht hat die zu [X.] 6 gefassten Beschlüsse für ungültig erklärt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die auf [X.] 4 Antrag 2 beschränkte Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Das [X.] hat die Revision „bezüglich der Frage zugelassen, ob das Nichterreichen eines [X.] im Rahmen einer vereinbarten Öffnungsklausel zur Nichtigkeit eines Mehrheitsbeschlusses oder lediglich zu dessen Anfechtbarkeit führt“. Mit der Revision will der Kläger erreichen, dass der zu [X.] 4 Antrag 2 gefasste Beschluss für ungültig erklärt wird. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in [X.], 480 ff. abgedruckt ist, sieht die Anfechtungsfrist im Hinblick auf [X.] 4 Antrag 2 nicht als gewahrt an. Die Auslegung der Klageschrift ergebe hinsichtlich [X.] 4, dass lediglich ein Beschluss über die Genehmigung der Einzel- und Gesamtabrechnung 2011 angefochten werden solle. Dies betreffe nur Antrag 1, nicht aber Antrag 2. Dessen Anfechtung ergebe sich auch nicht daraus, dass die „zu [X.] 4 und [X.] 6 gefassten Beschlüsse“ unter Verwendung des Plurals genannt worden seien; zudem sei die Anfechtung inhaltlich auf [X.] 4 Antrag 1 beschränkt worden. Dass sie sich auch auf die zu [X.] 4 Antrag 2 erfolgte Änderung des Kostenverteilungsschlüssels mit Wirkung ab dem Wirtschaftsjahr 2012 beziehen solle, lasse sich weder der Klageschrift noch dem beigefügten Einladungsschreiben entnehmen. Zwar habe der Kläger in der Klageschrift mitgeteilt, dass er selbst bei der Versammlung nicht anwesend gewesen sei; dies gebiete es aber nicht, die Klage dahin auszulegen, dass er auch einen ihm gegebenenfalls unbekannten Beschluss anfechten wolle.

5

Die [X.] für die Änderung des Kostenverteilungsschlüssels ergebe sich zwar nicht aus § 16 Abs. 3 und 4 [X.], weil auch eine allgemeine Regelung für Instandhaltungskosten getroffen worden sei. Hieraus folge aber nicht die Nichtigkeit des gefassten Beschlusses, weil die Gemeinschaftsordnung eine Öffnungsklausel enthalte. Werde - wie hier - ein in einer solchen Klausel vorgesehenes Quorum nicht erreicht, führe dies nur zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit des Beschlusses.

II.

6

1. Die Revision, mit der sich der Kläger gegen die Abweisung der auf [X.] 4 Antrag 2 bezogenen Anfechtungsklage wendet, ist zulässig; insbesondere ist das Rechtsmittel insoweit ohne Einschränkung zugelassen. Zwar bezieht sich die von dem Berufungsgericht zur Begründung seiner Zulassungsentscheidung angeführte Rechtsfrage nur auf die Nichtigkeitsklage. Dies ist aber nicht als inhaltliche Beschränkung der Zulassungsentscheidung zu verstehen, die ohnehin unzulässig wäre. Da Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage denselben Streitgegenstand haben (vgl. nur Senat, Urteil vom 26. Oktober 2012 - [X.], [X.], 65 Rn. 8 mwN), kann die Revision nämlich nicht auf die Nachprüfung von [X.] begrenzt werden; die Zulassung kann nur auf einen tatsächlich und rechtlich abgrenzbaren Teil des [X.] beschränkt werden, der Gegenstand eines Teil- oder Grundurteils sein kann oder auf den der Rechtsmittelkläger selbst sein Rechtsmittel beschränken könnte ([X.], Urteil vom 27. Mai 2009 - [X.], [X.], 2450 Rn. 8 mwN).

7

2. Die Revision ist auch begründet. Mit Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Berufungsgerichts, er habe hinsichtlich [X.] 4 Antrag 2 die Anfechtungsfrist versäumt.

8

a) Die Auslegung des Klageantrags unterliegt vollen Umfangs der revisionsrechtlichen Nachprüfung. Zwar ist die Einhaltung der Klage- und der Begründungsfrist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 [X.] keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschlussanfechtungsklage; ihre Versäumung führt vielmehr zu einem materiell-rechtlichen Ausschluss von [X.] (Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 - [X.], [X.]Z 179, 230 Rn. 7 ff.). Das ändert aber nichts daran, dass die Klage und ihre Begründung Prozesshandlungen darstellen, deren Auslegung das Revisionsgericht nach ständiger Rechtsprechung des [X.] uneingeschränkt nachprüfen kann (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2009 - [X.], [X.], 2132 Rn. 8 mwN).

9

b) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der Kläger zwecks Wahrung der Klagefrist mitteilen muss, gegen welchen Beschluss aus welcher Eigentümerversammlung er sich wenden will (vgl. Senat, Urteil vom 6. November 2009 - [X.], NJW 2010, 446 Rn. 15), und dass die Auslegung eine Beschränkung auf einzelne Beschlüsse oder abtrennbare Punkte ergeben kann. Aber auch bei einer Beschlussanfechtungsklage darf die Auslegung - wie allgemein im Prozessrecht - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der [X.] zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2012 - [X.], [X.], 47 Rn. 11 f. mwN). Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten ([X.] in [X.]/Kümmel/Vandenhouten, [X.], 11. Aufl., § 46 Rn. 63; missverständlich insoweit Suilmann in [X.], [X.], 4. Aufl., § 46 Rn. 85; zum früheren Verfahren nach dem [X.], [X.] 1989, 183 ff.; [X.] 1994, 195; [X.], [X.] 2005, 80, 81; [X.], NJW-RR 1995, 397 f.).

c) Bei umfassender Würdigung des Klageantrags unter Einbeziehung des weiteren Inhalts der Klageschrift erweist sich die Auslegung des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft. Der Kläger hat nämlich mitgeteilt, an der Versammlung persönlich nicht teilgenommen und eine Niederschrift noch nicht erhalten zu haben. Da er keine näheren Kenntnisse von den gefassten Beschlüssen hatte und sie folglich nicht genau bezeichnen konnte, ist sein Antrag im Zweifel so zu verstehen, dass er die zu [X.] 4 gefassten Beschlüsse (jedenfalls zunächst) umfassend anfechten wollte. Dagegen lässt sich der Klageschrift nicht eindeutig entnehmen, dass seine Anfechtung der „zu [X.] 4 und [X.] 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 und Einzel- und [X.] 2012“ nur [X.] 4 Antrag 1 betreffen sollte. Eine solche Beschränkung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Zusatz „betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011“, der zwar der Konkretisierung dienen soll, aber lediglich den Wortlaut der vor der Versammlung mitgeteilten und der Klageschrift als Anlage beigefügten Tagesordnung wiedergibt.

Dies gilt umso mehr, als der Kläger sein Rechtsschutzziel durch die Mitteilung verdeutlicht hat, ihm sei berichtet worden, dass „insbesondere bei der Aufteilung der [X.] zu seinem Nachteil von den Vorgaben der Teilungserklärung abgewichen worden“ sei. Diese Begründung konnte zwar auch den zu [X.] 4 Antrag 1 gefassten Beschluss betreffen, sofern die Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 mit den Vorgaben der Teilungserklärung nicht im Einklang stand; vornehmlich und offenkundig bezog sie sich jedoch - wie die Revision zu Recht hervorhebt - auf die dauerhafte Änderung des in der Teilungserklärung vorgesehenen Kostenverteilungsschlüssels, die Gegenstand des Beschlusses zu [X.] 4 Antrag 2 war und über die der Kläger erklärtermaßen nur vom [X.] berichten konnte.

III.

Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sache ist zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

1. Der geltend gemachte Anfechtungsgrund besteht.

a) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Mehrheit von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer nicht erreicht worden ist, die nach der Gemeinschaftsordnung eine Änderung derselben erlaubt. Aus § 16 Abs. 3 [X.] ergibt sich keine [X.]. Diese Norm erlaubt unter näher geregelten Voraussetzungen eine generelle Änderung des gesetzlichen Verteilungsschlüssels gemäß § 16 Abs. 2 [X.] durch Mehrheitsbeschluss. Über ihren Wortlaut hinaus gilt sie zwar auch für die Änderung eines - wie hier - durch Vereinbarung festgelegten Verteilungsschlüssels (Senat, Urteil vom 9. Juli 2010 - [X.], NJW 2010, 2654 Rn. 9 mwN), aber stets nur im Hinblick auf die Betriebskosten des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums im Sinne des § 556 Abs. 1 BGB und die Kosten der Verwaltung. Dagegen setzt sich das vereinbarte „Nutzungsentgelt“, dessen Aufbringung der angefochtene Beschluss verändern soll, aus Betriebs- und Instandsetzungskosten zusammen; im Hinblick auf letztere kann die Kostenverteilung nur unter den Voraussetzungen von § 16 Abs. 4 [X.] im Einzelfall, nicht aber generell geändert werden.

b) Der Beschluss kann auch nicht gemäß § 139 BGB, § 16 Abs. 3 [X.] beschränkt auf die Betriebskosten aufrechterhalten bleiben. Nach dem hypothetischen [X.]willen kann schon deshalb nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass der Beschluss auch als Teilregelung beschlossen worden wäre (zu diesem Erfordernis näher Senat, Urteil vom 10. Oktober 2014 - [X.]/13 Rn. 21, juris, zur Veröffentlichung in [X.]Z vorgesehen), weil dies zur Folge hätte, dass Betriebs- und Instandhaltungskosten nach unterschiedlichen Verteilungsschlüsseln abzurechnen wären.

2. Einer Klärung der umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage nach der Nichtigkeit eines solchen Beschlusses, die das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus zu Recht zu der Zulassung der Revision veranlasst hat, bedarf es nicht; denn in Fallkonstellationen wie der vorliegenden kann das Gericht den Beschluss ohne weiteres für ungültig erklären (näher Senat, Urteil vom 2. Oktober 2009 - [X.], [X.]Z 182, 307 Rn. 21 f.).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

Stresemann                        [X.]Roth

                     Brückner                                    Göbel

Meta

V ZR 53/14

12.12.2014

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG München I, 13. Januar 2014, Az: 1 S 1817/13 WEG, Urteil

§ 46 WoEigG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2014, Az. V ZR 53/14 (REWIS RS 2014, 384)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 384

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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