Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.08.2018, Az. 1 BvR 2674/17

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2018, 4623

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mangels grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen sozialgerichtliche Entscheidung, durch die einer materiell nicht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin Leistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12 < Fassung 02.12.2006> zu gewähren sind - zur Anwendung einer bereits außer Kraft getretenen Gesetzesfassung und der hierzu entwickelten Rechtsprechung in Fällen, in denen sich ein Anspruch mangels abweichender Regelung nach der „alten“ Gesetzesfassung richtet


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin war als Trägerin der Leistungen zur Sozialhilfe Beigeladene des streitigen Ausgangsverfahrens. Darin ging es um Ansprüche einer Unionsbürgerin, der Klägerin des Ausgangsverfahrens, auf existenzsichernde Leistungen nach dem [X.] - gegenüber der Beklagten des Ausgangsverfahrens, dem Jobcenter, oder nach dem [X.] - gegenüber der Beigeladenen, der hiesigen Beschwerdeführerin. Nachdem das Sozialgericht Ansprüche der Klägerin des Ausgangsverfahrens sowohl nach dem [X.] als auch nach dem [X.] (jeweils in der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung) verneint hatte, verurteilte das [X.] die Beschwerdeführerin nach dem [X.] - ebenfalls in der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung -, der Klägerin des Ausgangsverfahrens für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2015 Leistungen zu gewähren. Das [X.] bestätigte damit seine in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Rechtsauffassung zum Leistungsanspruch von Unionsbürgern nach der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Rechtslage. Der Gesetzgeber hat die einschlägigen Regelungen zwar zum 29. Dezember 2016 geändert. Das [X.] hat hier jedoch nach alter Gesetzesfassung und seiner hierzu entwickelten Rechtsprechung entschieden, weil sich der für 2015 geltend gemachte Anspruch mangels abweichender Regelung nach der damals geltenden, alten Gesetzesfassung richte.

2

Die Beschwerdeführerin rügt, das [X.] habe mit seiner Auslegung der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Vorschriften die Grenzen zulässiger Rechtsausübung überschritten. Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG sei es zur Vor-lage an das [X.] verpflichtet gewesen. Indem das [X.] dies unterlassen habe, habe es die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt (unter Verweis auf [X.] 138, 64 ff.).

II.

3

Es liegt kein Annahmegrund im Sinne von § 93a Abs. 2 [X.] vor.

4

Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]). Es besteht regelmäßig kein über den Einzelfall hinausgreifendes Interesse daran, die Verfassungsmäßigkeit von Recht zu klären, das außer [X.] getreten ist (vgl. [X.] 91, 186 <200>; stRspr). Nichts anderes gilt, wenn mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht wird, das entscheidende Gericht habe gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es eine Regelung unter Umgehung der Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG zur (vermeintlichen) Wahrung ihrer Verfassungskonformität in nicht vertretbarer Weise ausgelegt habe, diese Regelung aber - wie hier - bereits außer [X.] getreten ist. So wie regelmäßig kein Interesse an der Klärung der Verfassungsmäßigkeit von außer [X.] getretenem Recht besteht, besteht im Regelfall auch kein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der Klärung, ob eine außer [X.] getretene Regelung jener Auslegung zugänglich war, die das Gericht zur Vermeidung ihrer (vermeintlichen) Verfassungswidrigkeit gewählt hat oder ob das Gericht nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Vorlage verpflichtet war. Der durch Art. 100 Abs. 1 GG bezweckte Schutz davor, dass sich die Fachgerichte über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen, indem sie seinem Gesetz durch vermeintlich verfassungskonforme, unzulässige Auslegung die Anerkennung versagen (vgl. [X.] 138, 64 <90 Rn. 78> m.w.N.), ist regelmäßig nicht mehr erforderlich, wenn das Gesetz ohnehin nicht mehr gilt. Auch der Durchsetzung des Rechts auf den durch Art. 100 Abs. 1 GG bestimmten gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. [X.] 138, 64 <89 ff. Rn. 76 ff.>) bedarf es dann grundsätzlich nicht mehr. Anderes ist hier weder dargetan noch sonst ersichtlich.

5

Es sind auch keine Gründe dargetan oder sonst ersichtlich, die eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt erscheinen lassen (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]).

6

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2674/17

21.08.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 30. August 2017, Az: B 14 AS 31/16 R, Urteil

Art 100 Abs 1 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 93a Abs 2 Buchst a BVerfGG, § 23 Abs 1 S 3 SGB 12 vom 02.12.2006

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.08.2018, Az. 1 BvR 2674/17 (REWIS RS 2018, 4623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4623

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 2534/14 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Parallelentscheidung


1 BvR 2926/14 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zur Kostenbeteiligung schwerbehinderter Empfänger von Grundleistungen gem § 3 AsylbLG an Wertmarken für unentgeltliche …


1 BvR 2584/14 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines Syndikusanwalts gegen die Ablehnung seiner Befreiung von der Rentenversicherungspflicht - zum …


1 BvR 1326/15 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: § 19 Abs 3 ZO-Ärzte wegen Verstoßes gegen Art 12 Abs 1 …


1 BvR 2778/13 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Anspruchsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (juris: SGB …


Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 917/20

2 BvR 390/21

B 14 AS 31/18 R

B 14 AS 18/17 R

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.