Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.03.2013, Az. VII B 134/12

7. Senat | REWIS RS 2013, 7335

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(Verlust des Rechts, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen - Art 6 Abs 1 EMRK im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar)


Leitsatz

1. NV: Lässt sich ein Kläger, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung ein oder stellt er Anträge, hat er das ihm aus § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO zustehende Ablehnungsrecht verwirkt.  

2. NV. Ein "Einlassen" liegt bereits vor, wenn sich der Kläger in einem Schriftsatz ohne Anträge zu stellen zu dem Ergebnis eines vom FG anberaumten Erörterungstermins äußert.

Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) hat gegenüber der [X.] und Beschwerdeführers (Kläger) eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung erlassen. Den dagegen gerichteten Einspruch hat das [X.] als unbegründet zurückgewiesen; der vom Kläger zudem beantragte [X.] wurde nicht gewährt. Nachdem die Drittschuldnerin die Steuerrückstände beglichen hatte, erhob der Kläger mit der Begründung Klage, das [X.] habe das ihm zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

2

Am 9. November 2011 hat die beim Finanzgericht ([X.]) mit der Sache befasste Berichterstatterin einen Erörterungstermin durchgeführt, zu dem der Kläger mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 Stellung nahm. Zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung lehnte der Kläger die Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte er an, die Berichterstatterin habe ihm auf seinen Hinweis, der Ermessensspielraum sei verkannt worden, entgegnet: "Sie wollen doch keine [X.] Verhältnisse."

3

Aufgrund der durch die Tilgung der Steuerrückstände eingetretenen Erledigung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen und aufgrund des fehlenden Feststellungsinteresses wies das [X.] die Klage als unzulässig ab. Als unzulässig erachtete das [X.] auch den Befangenheitsantrag, der rechtsmissbräuchlich gestellt worden sei. Zudem habe der Kläger ein etwaiges Recht zur [X.] bereits vor Stellung des Antrags am 21. Mai 2012 verloren, da er sich zuvor durch Einreichung der Schriftsätze vom 9. Dezember 2011 und vom 13. Januar 2012 in eine Verhandlung eingelassen habe.

4

Unter Hinweis auf den Beschluss des [X.] vom 25. Juli 2012  2 BvR 615/11 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2012, 3228) begehrt der Kläger mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] habe den Antrag auf Ablehnung der Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit nicht als rechtsmissbräuchlich und deshalb unzulässig ablehnen dürfen. Deshalb verstoße das Urteil gegen § 45 Abs. 1 und § 44 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 51 [X.]O, gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes und gegen das Gebot des fairen Verfahrens nach der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ([X.]). Die im Ablehnungsgesuch dargelegten Gründe seien geeignet, bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Berichterstatterin zu wecken, die unsachlich reagiert und unjuristisch argumentiert habe.

5

Das [X.] ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) zum Teil nicht schlüssig dargelegt ist, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O erfordert, jedenfalls aber nicht vorliegt.

7

1. Ein [X.] kann gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines [X.]s zu rechtfertigen. Gründe für ein derartiges Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der [X.] nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Jedoch kann eine Partei gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 43 ZPO einen [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.

8

a) Ein "Einlassen" in eine Verhandlung bedeutet jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln unter Mitwirkung eines [X.]s. Hierzu gehört auch das Einreichen eines Schriftsatzes (Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 6. Juli 2005 II R 28/02, [X.] 2005, 2027, und vom 28. Juli 1997 III B 56/96, [X.] 1998, 184, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 51 Rz 41). Ausreichend ist, wenn in einem Schriftsatz Ausführungen zur Streitsache gemacht werden, auch wenn keine konkreten Anträge gestellt werden ([X.] in [X.] 1998, 184).

9

b) Im Streitfall hat der Kläger nach dem Erörterungstermin im Schriftsatz vom 9. Dezember 2011 Ausführungen zu den von der Vertreterin des [X.] im Termin geäußerten Rechtsauffassungen in Bezug auf die Ausübung des [X.] gemacht. Auch hat der Kläger die Äußerung der Berichterstatterin wiedergegeben, er wolle doch auch keine [X.] Verhältnisse, und abschließend ausgeführt, der Erörterungstermin habe damit bestätigt, dass die Klage zulässig und begründet sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, die zur Kenntnis genommenen und schriftlich festgehaltenen Äußerungen der Berichterstatterin zum Gegenstand eines Befangenheitsantrags zu machen. Dies hat er jedoch unterlassen. In einem weiteren Schriftsatz vom 13. Januar 2012 hat er dem [X.] geraten, die Klageanträge anzuerkennen und sich vom Finanzminister des [X.] fachkundig beraten zu lassen. Auch diesem Schriftsatz ist ein Befangenheitsantrag nicht zu entnehmen. Einen solchen hat der Kläger erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 21. Mai 2012 gestellt. Erst in diesem Schriftsatz hat er zu erkennen gegeben, die Äußerungen der Berichterstatterin werte er als einen Umstand, der bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit hervorrufe.

Da der Kläger bereits Monate zuvor zum Ergebnis des Erörterungstermins Stellung genommen hat, ohne konkrete Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Berichterstatterin zu äußern, erweist sich der Befangenheitsantrag nach § 43 ZPO als unzulässig. Das [X.] hat den Antrag demnach zu Recht abgelehnt und unter Mitwirkung der erfolglos abgelehnten Berichterstatterin in der Sache entschieden. Somit liegt der von der Beschwerde gerügte Verfahrensfehler nicht vor.

2. Ergänzend weist der beschließende Senat darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] und des [X.]. 6 Abs. 1 [X.], der das verfahrensrechtliche Fairnessgebot regelt, aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters der Besteuerung im finanzgerichtlichen Verfahren keine Anwendung finden kann (vgl. Entscheidungen des [X.] vom 12. Juli 2001  44759/98, NJW 2002, 3453, und vom 13. Januar 2005  62023/00, [X.] Grundrechte Zeitschrift 2005, 234, sowie [X.] vom 21. Februar 2006 I B 32/05, [X.] 2006, 1305, und vom 31. Juli 2003 IX E 6/03, [X.] 2003, 1603).

Meta

VII B 134/12

18.03.2013

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 23. Mai 2012, Az: 14 K 4263/10, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 51 FGO, § 42 ZPO, § 43 ZPO, Art 6 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.03.2013, Az. VII B 134/12 (REWIS RS 2013, 7335)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7335

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

XII ZB 377/12

ARNot 1/21

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