Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.10.2012, Az. III B 66/12

3. Senat | REWIS RS 2012, 2333

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Rechtsbehelfsbelehrung muss nicht auf Möglichkeit der Einspruchseinlegung durch E-Mail hinweisen - Keine Besorgnis der Befangenheit wegen salopper Formulierungen des Richters - Darlegung einer Divergenz


Leitsatz

NV: Nach § 157 Abs. 1 Satz 3 AO muss einem Steuerbescheid eine Belehrung darüber beigefügt werden, welcher Rechtsbehelf zulässig ist und binnen welcher Frist und bei welcher Behörde er einzulegen ist. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die den Wortlaut des § 357 Abs. 1 AO wiedergibt und verständlich über allgemeine Merkmale des Fristbeginns sowie der Fristdauer informiert, ist daher auch dann ordnungsgemäß, wenn die Behörde in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung durch E-Mail hingewiesen hat, obwohl sie einen elektronischen Zugang im Sinne von § 87a Abs. 1 Satz 1 AO eröffnet hat .

Tatbestand

1

I. Die damals verheiratete Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhielt aufgrund eines Festsetzungsbescheids vom 16. April 2004 für ihre im März 1981 geborene Tochter und ihren [X.] ab Oktober 2002 laufend Kindergeld ausgezahlt. Nachdem die damals zuständige [X.] mehrfach erfolglos versucht hatte, der Klägerin unter der von ihr benannten Anschrift ([X.], [X.]) Schreiben zuzusenden, und auch Anfragen beim Einwohnermeldeamt keine andere Adresse ergaben, hob sie mit Bescheid vom 15. April 2008 die Kindergeldfestsetzung ab November 2003 auf und forderte das für den Zeitraum November 2003 bis Oktober 2007 bereits ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 7.392 € von der Klägerin zurück. Der Bescheid enthielt keine E-Mail-Adresse der Familienkasse, war mit der üblichen Rechtsbehelfsbelehrung versehen und wurde öffentlich zugestellt.

2

Am 2. Oktober 2008 ging bei der [X.] eine Mitteilung der Klägerin ein, wonach sich ihre Anschrift geändert habe ([X.], [X.]) und sie nunmehr getrennt lebe. Zudem legte die Klägerin eine Studienbescheinigung der Tochter vor, aus der sich ergab, dass die Tochter vom Wintersemester 2005/2006 bis zum Wintersemester 2008/2009 durchgehend immatrikuliert war. Am 15. April 2009 ging bei der inzwischen zuständig gewordenen Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) ein Kindergeldantrag der Klägerin für beide Kinder und eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen der Tochter in den Jahren 2007 und 2008 ein.

3

Mit Bescheid vom 7. Mai 2009 lehnte die Familienkasse den Antrag u.a. wegen der Bestandskraft des --in Kopie beigefügten-- Bescheids vom 15. April 2008 ab. Der Bescheid enthielt im Briefkopf die Angabe der E-Mail-Adresse der Familienkasse und war mit der üblichen Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Den gegen beide Bescheide gerichteten Einspruch vom 17. September 2009 verwarf die Familienkasse mit [X.] vom 23. November 2009 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig.

4

In dem gegen beide Bescheide gerichteten Klageverfahren führte der zuständige Berichterstatter einen Erörterungstermin durch. Den auf Äußerungen in diesem Termin gestützten Befangenheitsantrag wies das Finanzgericht ([X.]) ohne Mitwirkung des abgelehnten Berichterstatters mit Beschluss vom 24. Januar 2012 als unbegründet zurück. Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen.

5

Mit der dagegen gerichteten Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 [X.]O). Sofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O genügenden Form geltend gemacht wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.

7

1. Die Revision ist nicht wegen des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 [X.]r. 3 [X.]O) zuzulassen.

8

a) Ein solcher Verfahrensmangel ergibt sich nicht aus der Rüge, das [X.] habe unter Verstoß gegen § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 47 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter Teilnahme eines [X.]s, der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden sei, mündlich verhandelt und entschieden.

9

Beschlüsse über die Ablehnung von [X.] --d.h. auch die Zurückweisung eines [X.] können gemäß § 128 Abs. 2 [X.]O nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Sie unterliegen deshalb gemäß § 124 Abs. 2 [X.]O nicht der Prüfung im Revisionsverfahren; anderes gilt nur dann, wenn die unberechtigte Ablehnung eines Befangenheitsantrages die Vorenthaltung des gesetzlichen [X.]s zur Folge hat, was nur bei einer greifbar gesetzwidrigen, d.h. willkürlichen Zurückweisung eines Befangenheitsantrages der Fall ist (Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 13. Januar 2010 I B 83/09, [X.], 913, m.w.[X.]; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 6, m.w.[X.].).

b) Im Streitfall sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin aus willkürlichen Erwägungen zurückgewiesen wurde.

aa) [X.]ach § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 ZPO kann ein [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund besteht, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus --jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven [X.] davon ausgehen kann, der [X.] werde nicht unvoreingenommen, sondern unsachlich oder willkürlich entscheiden. Freimütige oder saloppe Formulierungen geben grundsätzlich keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit (vgl. [X.] vom 28. Mai 2001 IV B 118/00, [X.] 2001, 1431, m.w.[X.].). [X.] unsachliche oder unangemessene sowie herabsetzende und beleidigende Äußerungen des [X.]s können aber die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn sie den nötigen Abstand zwischen Person und Sache vermissen lassen.

bb) Das [X.] hat bei seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch der Klägerin sowohl die Darstellung der Prozessbevollmächtigten zu den zur Ablehnung führenden Äußerungen des Berichterstatters im Erörterungstermin als auch die dienstliche Äußerung des abgelehnten [X.]s hierzu in Betracht gezogen. Eine greifbare Gesetzwidrigkeit der Entscheidung ergibt sich hieraus nicht.

Die Befangenheit des abgelehnten [X.]s beruht nach Auffassung der Klägerin darauf, dass der [X.] im Erörterungstermin auf das Angebot, das Vorbringen der Klägerin eidesstattlich zu versichern, erklärt habe: "Ich muss ja nicht alles glauben." Zudem habe er vor dem Hintergrund, dass die Klägerin im gerichtlichen Verfahren nach einem erneuten Umzug ihre neue Anschrift nicht mitgeteilt habe, geäußert, dass sie es mit solchen Dingen und insbesondere mit Fristen nicht sehr genau nehme.

Das von der Klägerin daraufhin gestellte Ablehnungsgesuch wurde ohne Mitwirkung des abgelehnten [X.]s zurückgewiesen. Der Berichterstatter hatte in seiner dienstlichen Äußerung hierzu im Wesentlichen erklärt, er habe mit seinen Bemerkungen darauf aufmerksam machen wollen, dass es zum einen auf den genauen Inhalt einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung ankäme und zum anderen keine ausnahmslose Bindung des Gerichts an diese bestehe. Ferner sei das Verhalten der Klägerin im Prozess im Hinblick auf die strittigen Punkte der Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung und der behaupteten rechtzeitigen Einspruchseinlegung zur Sprache gekommen.

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Prozessförderungspflicht des Berichterstatters im vorbereitenden Verfahren (§ 76 Abs. 2 [X.]O) erscheint das vom [X.] gefundene Ergebnis, dass die Äußerungen des Berichterstatters die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung nicht überschritten haben und insbesondere keinen evident unsachlichen Inhalt hatten, jedenfalls nicht willkürlich.

2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 [X.]r. 2 Alternative 2 [X.]O) zuzulassen, da die Beschwerde insoweit nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O genügt.

a) [X.]ach § 115 Abs. 2 [X.]r. 2 Alternative 2 [X.]O ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] "erfordert". Die Erforderlichkeit einer [X.]-Entscheidung bildet neben dem Erfordernis der Sicherung der Rechtseinheit eine eigenständige Voraussetzung für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 [X.]r. 2 Alternative 2 [X.]O (Senatsbeschluss vom 29. März 2012 III B 94/10, [X.] 2012, 1147, m.w.[X.]). Denn das Allgemeininteresse an einer Entscheidung des [X.] wird bei vorliegender Divergenz nicht kraft Gesetzes vermutet, sondern ist bei der Entscheidung über die Zulassung gesondert zu prüfen (Gräber/ Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 65). Macht der Beschwerdeführer geltend, dass die angegriffene [X.]-Entscheidung von der Entscheidung eines anderen [X.] abweicht, ist daher im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen eine Entscheidung des [X.] erforderlich ist (Lange in [X.]/[X.]/[X.], § 116 [X.]O Rz 198).

b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie legt zwar dar, dass das [X.] in der angefochtenen Entscheidung einen von der Entscheidung des [X.]iedersächsischen [X.] vom 24. [X.]ovember 2011  10 K 275/11 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 292) abweichenden Rechtssatz formuliert habe. Sie setzt sich jedoch nicht mit der Frage auseinander, ob und inwieweit die angefochtene Entscheidung mit der Rechtsprechung des [X.] in Einklang steht. Da die angefochtene Entscheidung von den durch die Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 2. Februar 2010 III B 20/09, [X.], 830) aufgestellten Rechtsgrundsätzen ausgeht, wonach eine Rechtsbehelfsbelehrung, die den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung des § 357 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) wiedergibt und verständlich über allgemeine Merkmale des Fristbeginns sowie der Fristdauer informiert, ausreichend ist, und die Divergenzentscheidung bereits dem [X.] in einem anderen Verfahren (Az. des anhängigen Verfahrens: [X.]) zur Prüfung vorliegt, hätte die Klägerin im Einzelnen darlegen müssen, weshalb gleichwohl eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung der Rechtseinheit erforderlich ist.

[X.]icht ausreichend ist insoweit der Vortrag, der [X.] habe in der Entscheidung in [X.], 830 nur über die Frage zu entscheiden gehabt, ob die Angabe einer Internetadresse eine geänderte Rechtsbehelfsbelehrung notwendig mache, während im vorliegenden Fall im Bescheid eine E-Mail-Adresse genannt worden sei. Denn aus den Gründen des Senatsbeschlusses in [X.], 830 ergibt sich, dass der Senat die Anforderungen an die Ordnungsgemäßheit der Rechtsbehelfsbelehrung vor dem Hintergrund der [X.] Eröffnung des elektronischen Zugangs beurteilt hat. [X.] Sachverhalt war daher nur der Umstand, dass ein elektronischer Zugang --möglicherweise-- eröffnet wurde, nicht dagegen wie dies gegebenenfalls geschehen ist.

3. Die Revision ist schließlich auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 [X.]r. 1 [X.]O zuzulassen, da der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist.

Die Klägerin hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob eine Familienkasse, die in einem Bescheid auf ihre E-Mail-Adresse hinweist, in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids darauf hinweisen muss, dass auch per E-Mail Einspruch eingelegt werden kann.

Entsprechend den Ausführungen des Senats im Beschluss in [X.], 830 ist diese Frage jedoch nicht klärungsbedürftig, weil sich ihre Beantwortung aus dem Gesetz ergibt. [X.]ach § 157 Abs. 1 Satz 3 [X.] hat eine Belehrung darüber zu erfolgen, welcher Rechtsbehelf zulässig ist und binnen welcher Frist und bei welcher Behörde er einzulegen ist. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die --wie im [X.] den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung des § 357 Abs. 1 [X.] wiedergibt und verständlich über allgemeine Merkmale des Fristbeginns sowie der Fristdauer informiert, ist ausreichend ([X.]-Urteil vom 7. März 2006 [X.], [X.]E 212, 407, [X.], 455, m.w.[X.].). Auf die Möglichkeit einer Einspruchseinlegung in elektronischer Form brauchte die Familienkasse somit auch dann nicht hinzuweisen, wenn sie durch Angabe einer E-Mail-Adresse konkludent einen "Zugang" i.S. von § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] eröffnet hat.

Meta

III B 66/12

12.10.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 13. März 2012, Az: 5 K 5119/09, Urteil

§ 157 Abs 1 S 3 AO, § 357 Abs 1 AO, § 87a Abs 1 S 1 AO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 51 Abs 1 S 1 FGO, § 47 ZPO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.10.2012, Az. III B 66/12 (REWIS RS 2012, 2333)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2333

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