Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.10.2010, Az. VI R 38/09

6. Senat | REWIS RS 2010, 2461

STEUERRECHT STEUERN SOZIALRECHT BUNDESFINANZHOF (BFH) EINKOMMENSTEUER PFLEGE SENIOREN

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Gegenstand

Heimkosten als außergewöhnliche Belastung


Leitsatz

1. Bei einem durch Krankheit veranlassten Aufenthalt in einem Seniorenheim sind die Kosten für die Unterbringung als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 Abs. 1 EStG abziehbar .

2. Der Aufenthalt kann auch dann krankheitsbedingt sein, wenn keine zusätzlichen Pflegekosten entstanden sind und kein Merkzeichen "H" oder "Bl" im Schwerbehindertenausweis festgestellt ist (gegen BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008 III R 12/07, BFH/NV 2009, 1102) .

Tatbestand

1

I. Die 1930 geborene Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielt neben Renteneinkünften Einkünfte aus Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung. Sie ist seit 1999 in psychiatrischer Behandlung. Im [X.] an eine stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Klinik von April bis Juli 2004 zog sie auf ärztliche Empfehlung in ein Appartement in einem Seniorenheim. In der Fachärztlichen Bescheinigung vom 23. Mai 2005 heißt es u.a.:

2

"Aufgrund der Ausprägung der bei ihr bestehenden Erkrankung aus unserem Fachgebiet war aus ärztlicher Sicht im [X.] an die stationäre Behandlung in der hiesigen Klinik von April bis Juli 2004 eine Unterbringung in einem Seniorenheim im Bereich des Betreuten Wohnens dringend erforderlich. Die [X.]. war krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, ihr Leben in ihrem bisherigen häuslichen Milieu selbständig zu führen."

3

Ihre bis dahin genutzte Wohnung im eigenen Zweifamilienhaus behielt sie bei.

4

Mit Beschluss vom 18. August 2005 ordnete das Amtsgericht (AG) ... die Betreuung der Klägerin an. In dem Beschluss heißt es u.a.:

5

"Nach dem ärztlichen Attest der Sachverständigen ... leidet Frau ... an einer bipolaren affektiven Psychose, gegenwärtig schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen. Danach bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass Frau ... aus gesundheitlichen Gründen gehindert ist, eigene Angelegenheiten wahrzunehmen ...".

6

Mit Beschluss vom 3. März 2006 wurde die Betreuung bis 2013 verlängert und einer der Prozessbevollmächtigten zum Betreuer bestimmt.

7

Der [X.]eimbetreiber rechnete gegenüber der Klägerin monatlich die Kosten für Miete (1.288,46 €) und Verpflegung (269,45 €) ab. Pflegekosten wurden nicht in Rechnung gestellt.

8

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre (2005 und 2006) machte die Klägerin die Mietaufwendungen in [X.]öhe von insgesamt 15.462 € (1.288,46 € x 12) als außergewöhnliche Belastung geltend. Dies lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) ab, weil es an einer Einstufung der Klägerin in eine der Pflegestufen oder einem Eintrag des Merkzeichens "[X.]" im Behindertenausweis fehle. Das [X.] berücksichtigte allerdings den [X.]aushaltsfreibetrag nach § 33a Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. der Streitjahre.

9

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage, mit der die Klägerin den Abzug der Mietkosten beantragte, mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 479 veröffentlichten Gründen teilweise statt. Die geltend gemachten Kosten einschließlich der Aufwendungen für Verpflegung (insgesamt 18.695 €) seien dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, weil zur Überzeugung des Gerichts feststehe, dass die Klägerin ausschließlich wegen ihrer Erkrankung, nicht aber wegen ihres Alters in das Seniorenheim gezogen sei. Die Kosten seien aber um die [X.]aushaltsersparnis zu kürzen.

Mit seiner Revision rügt das [X.] die Verletzung von § 33 EStG.

Das [X.] beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen.

Das [X.] hat zu Recht die strittigen Mietaufwendungen der Klägerin für die Unterbringung dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt.

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer [X.]öhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in [X.]öhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen ([X.]-Urteil vom 15. April 2010 [X.]/09, [X.]E 229, 206, [X.], 794, m.w.N.). Krankheitskosten sind regelmäßig eine außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG.

a) Zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung rechnen regelmäßig auch die Kosten für die altersbedingte Unterbringung in einem Altersheim. Liegt dagegen ein durch Krankheit veranlasster Aufenthalt in einem Alters- oder Pflegeheim vor, stellen sich die Aufwendungen für die [X.]eimunterbringung als Krankheitskosten dar ([X.]-Urteile vom 24. Februar 2000 III R 80/97, [X.]E 191, 280, [X.], 294; vom 23. Mai 2002 [X.], [X.]E 199, 296, [X.] 2002, 567; vom 18. April 2002 [X.]/00, [X.]E 199, 135, [X.] 2003, 70; s. auch R 33.3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 2008). Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten ([X.]/[X.], EStG, 29. Aufl., § 33 Rz 35, Stichwort Altersheim).

b) Nach diesen Grundsätzen stellen die Aufwendungen der Klägerin Krankheitskosten dar. Denn das [X.] hat vor allem unter Bezugnahme auf den erwähnten Beschluss des [X.] vom 18. August 2005 und die [X.] Bescheinigung vom 23. Mai 2005 nach § 118 Abs. 2 [X.]O für das Revisionsgericht bindend festgestellt, dass die Klägerin in den Streitjahren krankheitsbedingt und nicht wegen ihres Alters im Seniorenheim untergebracht war. Das [X.] hat zu Recht kein amtsärztliches Attest verlangt ([X.]-Urteil in [X.]E 199, 296, [X.] 2002, 567).

c) Dem steht nicht entgegen, dass der Klägerin keine Pflegekosten in Rechnung gestellt worden sind. Zwar ist der Abzug von Unterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung vornehmlich bei krankheitsbedingter Pflegebedürftigkeit von Bedeutung ([X.]-Urteile vom 18. Dezember 2008 [X.], [X.]/NV 2009, 1102; in [X.]E 199, 135, [X.] 2003, 70). Das bedeutet jedoch nicht, wie das [X.] offensichtlich meint, dass die Pflegebedürftigkeit notwendige Voraussetzung für den Abzug ist. Vielmehr kann, wie der Streitfall zeigt, der Aufenthalt in einem Altersheim auch dann krankheitsbedingt sein, wenn eine ständige Pflegebedürftigkeit (noch) nicht gegeben ist. Soweit der III. Senat des [X.] im Urteil in [X.]/NV 2009, 1102 die Auffassung vertreten hat, dass ein ausschließlich krankheitsbedingter Aufenthalt noch nicht gegeben sei, wenn keine zusätzlichen Pflegekosten entstanden seien und kein Merkzeichen "[X.]" oder "[X.]" im Schwerbehindertenausweis nach § 69 Abs. 5 des [X.]. § 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung festgestellt sei, folgt dem der erkennende Senat nicht. Einer Vorlage an den [X.] gemäß § 11 Abs. 3 [X.]O bedarf es nicht, weil der erkennende Senat seit 2009 für außergewöhnliche Belastungen sachlich allein zuständig ist.

2. Werden Kosten einer [X.]eimunterbringung dem Grund nach als außergewöhnliche Belastung (Krankheitskosten) berücksichtigt, sind sie nur insoweit gemäß § 33 Abs. 1 EStG abziehbar, als sie die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) sowie die sog. [X.]aushaltsersparnis übersteigen ([X.]-Urteil in [X.]E 229, 206, [X.], 794). Im Streitfall hat das [X.] die [X.]aushaltsersparnis entsprechend dem in § 33a Abs. 1 EStG vorgesehenen [X.]öchstbetrag zu Recht auf 7.680 € geschätzt und dabei die Kosten für Verpflegung, deren Berücksichtigung die Klägerin nicht ausdrücklich beantragt hatte, gegengerechnet.

Meta

VI R 38/09

13.10.2010

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 28. April 2009, Az: 8 K 1337/08, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2002, § 69 Abs 5 SGB 9, § 1 SchwbAwV

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.10.2010, Az. VI R 38/09 (REWIS RS 2010, 2461)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2461

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