Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.11.2013, Az. VI R 20/12

6. Senat | REWIS RS 2013, 1118

STEUERRECHT BUNDESFINANZHOF (BFH) EINKOMMENSTEUER PFLEGE SENIOREN

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Gegenstand

Aufwendungen für die Unterbringung im Seniorenwohnstift als außergewöhnliche Belastungen


Leitsatz

Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung in einem Seniorenwohnstift sind zwangsläufig i.S. des § 33 EStG. Sie sind nach Maßgabe der für Krankheitskosten geltenden Grundsätze als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, soweit sie nicht außerhalb des Rahmens des Üblichen liegen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Abziehbarkeit von Aufwendungen für die Unterbringung in einem [X.] als außergewöhnliche [X.]elastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Die am 12. Juni 1929 geborene Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde in den Streitjahren 2004 und 2005 mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann der Klägerin ist am 26. Februar 2005 verstorben. Er wurde von seinen Kindern zu je einem Drittel beerbt. Im Dezember 1997 hatte die Klägerin eine Gehirnblutung erlitten, die zu gesundheitlichen [X.]eeinträchtigungen führte. Ihr wurden deshalb mit [X.]escheid des [X.] ein Grad der [X.]ehinderung von 100 sowie die [X.], aG, [X.] und [X.] zuerkannt. Zudem wurde sie aufgrund ihrer Erkrankung als pflegebedürftig im Sinne der Pflegestufe III anerkannt.

3

Die Klägerin und ihr Ehemann wohnten zunächst weiterhin gemeinsam in der Ehewohnung. Am 26. März 2003 schlossen sie mit der X Seniorenstift Gmb[X.] (X Gmb[X.]) einen sog. [X.] über die Vermietung eines aus drei Zimmern bestehenden Apartments mit 74,54 qm Wohnfläche. Der [X.] beinhaltet u.a. auch die Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen sowie allgemeine altengerechte Grundbetreuung über 24 Stunden am Tag (z.[X.]. Therapieangebote, ständige Notrufbereitschaft, gelegentliche [X.]ausmeistertätigkeiten, Vermittlung ärztlicher Versorgung, Grundpflege im Apartment bei leichten vorübergehenden Erkrankungen bis zu 14 [X.]). Der Umzug in das [X.] erfolgte im November 2003. Das monatliche Entgelt betrug zunächst 3.532,65 € und setzte sich aus den [X.]estandteilen Wohnen (2.527 €), Verpflegung (400 €) sowie [X.]etreuung (605,65 €) zusammen.

4

Zusätzlich schloss die Klägerin mit der X Gmb[X.] einen Pflegevertrag, in dem sich die X Gmb[X.] zur Erbringung von Pflegesachleistungen nach dem Elften [X.]uch Sozialgesetzbuch --Soziale Pflegeversicherung-- und zur häuslichen Krankenpflege nach dem Fünften [X.]uch Sozialgesetzbuch --Gesetzliche [X.] verpflichtete. Die Entgelte wurden der Klägerin nach Abzug der anzurechnenden Leistungen der Pflege- und Krankenversicherung gesondert in Rechnung gestellt.

5

Die Klägerin machte in den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2004 und 2005 die Aufwendungen, die mit dem Aufenthalt im [X.] und ihrer Pflegebedürftigkeit in Zusammenhang standen, als außergewöhnliche [X.]elastungen geltend. Die Aufwendungen beliefen sich für das Streitjahr 2004 insgesamt auf 41.272 € und für 2005 insgesamt auf 49.235,22 €. Der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) erkannte --vor Abzug der zumutbaren [X.]elastung-- Aufwendungen in [X.]öhe von 4.101 € für das Streitjahr 2004 und in [X.]öhe von 18.828 € für das Streitjahr 2005 als außergewöhnliche [X.]elastung i.S. des § 33 EStG an. Mit Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2010 änderte das [X.] die angefochtenen [X.]escheide u.a. dahingehend, dass es für die Unterbringung der Klägerin in der Senioreneinrichtung einen Tagessatz in [X.]öhe von 50 € berücksichtigte und von den so errechneten Aufwendungen eine [X.]aushaltsersparnis in [X.]öhe von 7.680 € abzog. Vor Abzug der zumutbaren [X.]elastung ergaben sich danach [X.]eträge in [X.]öhe von 13.747 € (2004) bzw. 17.634 € (2005).

6

Mit der Klage begehrte die Klägerin den vollen Abzug der Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung im [X.] abzüglich einer [X.]aushaltsersparnis. Sie vertrat die Auffassung, von den Entgelten seien lediglich die Zuschläge für die zweite Person in Abzug zu bringen, soweit sie noch mit ihrem später verstorbenen Ehemann zusammen im [X.] gewohnt habe. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1347 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.

7

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 33 EStG.

8

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] Düsseldorf vom 21. Februar 2012  10 K 2504/10 E aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 21. November 2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2010 dahingehend zu ändern, dass Krankheitskosten in [X.]öhe von insgesamt 34.821 € als außergewöhnliche [X.]elastungen nach § 33 EStG berücksichtigt werden, sowie den Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 19. Dezember 2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2010 dahingehend zu ändern, dass Krankheitskosten in [X.]öhe von insgesamt 38.708 € berücksichtigt werden.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung). Die Aufwendungen der Klägerin für ihre Unterbringung im [X.] sind dem Grunde nach außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG. Sie sind nach den für Krankheitskosten geltenden Grundsätzen zu berücksichtigen, soweit sie im Rahmen des Üblichen liegen.

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen (z.B. [X.]-Urteile vom 18. April 2002 III R 15/00, [X.]E 199, 135, [X.] 2003, 70; vom 10. Mai 2007 III R 39/05, [X.]E 218, 136, [X.] 2007, 764; vom 25. Juli 2007 III R 64/06, [X.]/NV 2008, 200).

2. In ständiger Rechtsprechung geht der [X.] davon aus, dass Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Dies gilt auch für Aufwendungen für die Pflege eines Steuerpflichtigen infolge einer Krankheit. Entsprechend sind auch krankheitsbedingte Unterbringungskosten in einer dafür vorgesehenen Einrichtung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig und daher dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG zu berücksichtigen (z.B. Senatsurteile vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, [X.]E 226, 536, [X.] 2010, 280; vom 15. April 2010 VI R 51/09, [X.]E 229, 206, [X.] 2010, 794; vom 9. Dezember 2010 VI R 14/09, [X.]E 232, 343, [X.] 2011, 1011; vom 5. Oktober 2011 VI R 88/10, [X.]/NV 2012, 35), und zwar unabhängig davon, ob neben dem Pauschalentgelt gesondert Pflegekosten in Rechnung gestellt werden (Senatsurteile vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, [X.]E 231, 158, [X.] 2011, 1010; in [X.]E 232, 343, [X.] 2011, 1011). Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die [X.]keit von Krankheitskosten (Senatsurteil in [X.]E 232, 343, [X.] 2011, 1011). Aufwendungen eines nicht pflegebedürftigen Steuerpflichtigen, der mit seinem pflegebedürftigen Ehegatten in ein [X.] übersiedelt, erwachsen hingegen nicht zwangsläufig (Senatsurteil in [X.]E 229, 206, [X.] 2010, 794).

Zu den Krankheitskosten gehören die Aufwendungen, die unmittelbar zum Zwecke der Heilung der Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, wie insbesondere Kosten für die eigentliche Heilbehandlung und eine krankheitsbedingte Unterbringung (z.B. [X.]-Urteil vom 26. Juni 1992 III R 83/91, [X.]E 169, 43, [X.] 1993, 212). Solche Aufwendungen werden von der Rechtsprechung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Erforderlich ist lediglich, dass die Aufwendungen mit der Krankheit und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen (z.B. [X.]-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 240/94, [X.]E 181, 468, [X.] 1997, 346). Erfasst wird nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung. Dem Grunde und der Höhe nach zwangsläufig sind vielmehr die medizinisch indizierten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen, die in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt sind, es sei denn, der erforderliche Aufwand steht zum tatsächlichen in einem offensichtlichen Missverhältnis (Senatsurteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, [X.]E 133, 545, [X.] 1981, 711; vom 12. Mai 2011 VI R 37/10, [X.]E 234, 25, [X.] 2013, 783; vom 5. Oktober 2011 VI R 20/11, [X.]/NV 2012, 38). In einem solchen Fall fehlt es an der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erforderlichen Angemessenheit (Senatsurteil in [X.]E 234, 25, [X.] 2013, 783). Ob die Aufwendungen diesen Rahmen übersteigen, hat das [X.] anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.

3. Die im Streitfall angefallenen Aufwendungen sind dem Grunde nach außergewöhnliche Belastungen, soweit sie die Klägerin betreffen. Anlass und Grund für den Umzug der Klägerin in das [X.] war ihre durch Krankheit eingetretene Pflegebedürftigkeit; es lag somit eine krankheitsbedingte Unterbringung im [X.] vor. Für die Entscheidung des Streitfalls kann offen bleiben, ob Voraussetzung für die Anerkennung von außergewöhnlichen Belastungen ist, dass der Steuerpflichtige in einem Heim i.S. des § 1 des [X.] ([X.]) untergebracht ist. Denn nach den Bestimmungen des [X.]vertrags wird nicht lediglich Wohnraum überlassen; vielmehr wird auch Betreuung und Verpflegung zur Verfügung gestellt bzw. vorgehalten, so dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 [X.] erfüllt sind. Aus diesem Grund sind neben den konkret angefallenen und in Rechnung gestellten Pflegekosten dem Grunde nach auch die Unterbringungskosten bzw. das Pauschalentgelt für die Wohnung im [X.] als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil in [X.]E 229, 206, [X.] 2010, 794).

[X.] sind im Streitfall diejenigen Beträge, die bei Unterbringung nur einer Person im Apartment angefallen wären. Denn dies sind die aufgrund der Krankheit der Klägerin entstandenen Aufwendungen, in denen nicht nur ein Wohnkostenanteil, sondern wesentlich auch der Kostenbeitrag für eine krankheitsbedingte Grundversorgung enthalten ist.

Die zu berücksichtigenden Aufwendungen sind um eine Haushaltsersparnis zu kürzen. Eine zusätzliche Gewährung des [X.] nach § 33a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 EStG ist ausgeschlossen, da dies zu einer doppelten Berücksichtigung der in den Heimunterbringungskosten enthaltenen Kosten für Dienstleistungen führen würde ([X.]-Urteil vom 24. Februar 2000 III R 80/97, [X.]E 191, 280, [X.] 2000, 294).

4. Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Pflegeversicherung ([X.]) einen Anteil an den geltend gemachten Heimunterbringungskosten übernommen hat. Denn außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG sind nur insoweit abziehbar, als der Steuerpflichtige die Aufwendungen endgültig selbst tragen muss (z.B. Senatsbeschluss vom 14. April 2011 VI R 8/10, [X.]E 233, 241, [X.] 2011, 701). Sollte das [X.] in seiner ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Streitfalls weiter zu dem Ergebnis kommen, dass die von der Klägerin krankheitshalber getragenen Unterbringungskosten (beispielsweise aufgrund der Größe des Apartments) in einem offensichtlichen Missverhältnis zu dem medizinisch indizierten Aufwand stehen, hat es die Aufwendungen der Klägerin entsprechend zu kürzen. [X.] sind die üblichen Kosten für eine krankheitsbedingte Unterbringung. Wegen des Ansatzes einer zumutbaren Belastung bei Krankheitskosten kommt im Hinblick auf das beim [X.] unter dem [X.]. VI R 33/13 anhängige Verfahren eine vorläufige Steuerfestsetzung in Betracht (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung).

Meta

VI R 20/12

14.11.2013

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 21. Februar 2012, Az: 10 K 2504/10 E, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2002, § 33 Abs 2 S 1 EStG 2002, EStG VZ 2005, § 33a Abs 3 S 2 Nr 2 EStG 2002, § 1 HeimG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.11.2013, Az. VI R 20/12 (REWIS RS 2013, 1118)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1118

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Heimkosten als außergewöhnliche Belastung


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