Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.04.2010, Az. VI R 51/09

6. Senat | REWIS RS 2010, 7609

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Gegenstand

(Heimkosten des nicht pflegebedürftigen Ehegatten keine außergewöhnlichen Belastungen - Zwangsläufigkeit i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG - Keine Zwangsläufigkeit aufgrund ehelicher Gemeinschaft oder sittlicher Verpflichtung - Höhe der Heimunterbringungskosten - Berücksichtigung einer Haushaltsersparnis)


Leitsatz

1. Aufwendungen des nicht pflegebedürftigen Steuerpflichtigen, der mit seinem pflegebedürftigen Ehegatten in ein Wohnstift übersiedelt, erwachsen nicht zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG  .

2. Eine Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen ist ausgeschlossen, weil der Umzug in das Pflegeheim auf einer freien Entschließung beruht. Eine tatsächliche Zwangslage i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG kann aber nur durch ein unausweichliches Ereignis tatsächlicher Art begründet werden, nicht durch eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste Situation .

3. Die Verpflichtung zu ehelicher Gemeinschaft gemäß § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB begründet keine Rechtspflicht des Steuerpflichtigen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG, seinen pflegebedürftigen Ehegatten in ein Pflegeheim zu begleiten. Eine unausweichliche sittliche Verpflichtung hierzu besteht ebenfalls nicht .

4. Werden Kosten einer Heimunterbringung dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung (Krankheitskosten) berücksichtigt, sind sie nur insoweit gemäß § 33 Abs. 1 EStG abziehbar, als sie die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) sowie die sog. Haushaltsersparnis übersteigen. Dies gilt selbst dann, wenn durch die Heimunterbringung zusätzliche Kosten der Lebensführung entstanden sind .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, in welchem Umfang Aufwendungen für die Unterbringung in einem Wohnstift bei Ehegatten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

2

Der 1931 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit 1941 an Osteomyelitis erkrankt. Insbesondere seit den 1970er Jahren wurde er deswegen von Fachärzten, auch stationär, fortlaufend behandelt. In den 1980er und 1990er Jahren waren starke arthrotische Veränderungen an mehreren Gelenken entstanden. Seit [[X.].] 2001 ist der Kläger als Folge dieser Krankheit in die Pflegestufe 1 eingeordnet. Der Grad der Behinderung wurde ab 30. Januar 2003 auf 90 (Merkzeichen "aG") festgestellt. Im Streitjahr war der Kläger auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war hingegen nicht pflegebedürftig. Sie erhielt Pflegegeld für die Pflege des [X.].

3

[[X.].] schlossen die Kläger einen Vorvertrag mit dem [X.], einem Wohnstift in [X.] Im März 1999 übersiedelten die Kläger wegen der bestehenden Erkrankung des [X.] und der sicheren Annahme, dass dieser ein Pflegefall werde, von ihrer Wohnung in [X.] nach dort. Das damalige Stadium seiner Erkrankung hätte den Kläger noch nicht zum sofortigen Übertritt in das Alten- und Pflegeheim gezwungen. Er befürchtete jedoch eine alsbaldige drastische Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Diese hätte der Aufnahme in die Einrichtung entgegenstehen können, da die Geschäftsleitung vor Abschluss des [X.] ein ärztliches [X.]eugnis über den Gesundheitszustand der zukünftigen Bewohner verlangt, aus dem hervorgeht, dass sich diese noch in einem guten geistigen und körperlichen [X.]ustand befinden.

4

Im Wohnstift nutzte der Kläger das Appartement A, die Klägerin bis zum 29. Dezember 2004 das Appartement B und ab dem 14. Dezember 2004 das [X.] Die Wohnverträge enthalten Entgeltbestandteile für Wohnen (beispielsweise wöchentliche Reinigung der Fußböden), für Verpflegung (beispielsweise ein warmes Mittagsmenü, alternativ eine Abendmahlzeit oder ein großes Frühstück) sowie für Betreuung (beispielsweise Krankenpflege, Notfallbereitschaft).

5

In ihrer Einkommensteuererklärung für das [X.] machten die Kläger (neben dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen Ausgaben in Höhe von 582 €) weitere Aufwendungen in Höhe von insgesamt 51.405,40 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) anerkannte hiervon sämtliche den Kläger betreffende Aufwendungen (Wohn-, Verpflegungs- und Betreuungskosten) und damit insgesamt einen Betrag in Höhe von 18.132 € als außergewöhnliche Belastungen. Die von der Klägerin geltend gemachten Beträge wurden lediglich teilweise als außergewöhnliche Belastungen des [X.] angesetzt. Das [X.] rechnete dem Kläger ein Drittel der Wohn- sowie Wohnnebenkosten der Klägerin zu und berücksichtigte weiteren Aufwand in Höhe von 8.137,10 € nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das [X.] ging dabei davon aus, dass der Kläger die Wohnung der Klägerin in diesem Umfang mitbenutzt. Insgesamt hat das [X.] den Kläger betreffende Kosten in Höhe von insgesamt 26.269,10 € dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Hiervon hat das [X.] sodann eine geschätzte Haushaltsersparnis in Höhe von 7.680 € in Abzug gebracht und damit letztlich einen Betrag in Höhe von 19.172 € (18.590 € + unstreitige Aufwendungen in Höhe von 582 €) nach § 33 EStG steuermindernd berücksichtigt. Der auf die Unterbringung der Klägerin entfallende Anteil an den Wohn- und Wohnnebenkosten sowie ihre Aufwendungen für Betreuung und Verpflegung blieben unberücksichtigt. Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos.

6

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

7

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Finanzgerichts (FG) [X.] vom 3. Dezember 2007  6 K 363/05 aufzuheben und den Steuerbescheid vom 11. Oktober 2005 in der Form des letzten Änderungsbescheids vom 17. September 2007 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 21. November 2005 dahingehend zu ändern, dass weitere 23.815,74 € als außergewöhnliche Belastungen i.S. von § 33 Abs. 1 EStG anerkannt werden.

8

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Das [X.] hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die streitigen Aufwendungen der Klägerin für die Unterbringung in dem Wohnstift sowie ihre Kosten für Verpflegung und Betreuung in Höhe von insgesamt 23.815,74 € als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen (2.). Ebenfalls zutreffend hat es die Unterbringungs- und Verpflegungskosten des [X.] um die [X.] gekürzt (3.).

a) Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen (z.B. [X.]-Urteile vom 18. April 2002 [X.]/00, [X.]E 199, 135, [X.] 2003, 70; vom 10. Mai 2007 [X.], [X.]E 218, 136, [X.] 2007, 764, und vom 25. Juli 2007 [X.]/06, [X.]/NV 2008, 200).

aa) Zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung rechnen regelmäßig auch die Kosten für die altersbedingte Unterbringung in einem [X.]. Dagegen sind Aufwendungen für die Pflege eines pflegebedürftigen Steuerpflichtigen ebenso wie Krankheitskosten eine außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG aus tatsächlichen Gründen ([X.]surteil vom 22. Oktober 2009 [X.], [X.]E 226, 536, [X.] 2010, 280). Ist der Steuerpflichtige in einem [X.] untergebracht, sind die tatsächlich angefallenen Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung abziehbar, wenn sie von den --zu den Kosten der üblichen Lebensführung rechnenden-- Kosten für die Unterbringung abgrenzbar sind.

bb) Ausnahmsweise sind nach der bisherigen Rechtsprechung auch die Unterbringungskosten bzw. das Pauschalentgelt --abzüglich einer [X.]-- als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn die Unterbringung in einem [X.] ausschließlich durch eine Krankheit veranlasst ist, weil der Betroffene infolge einer Krankheit pflegebedürftig geworden ist, nicht dagegen, wenn der Steuerpflichtige erst während des Aufenthalts erkrankt ist (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 199, 135, [X.] 2003, 70). Abweichend hiervon lässt die Finanzverwaltung --wie im [X.] derartige Aufwendungen auch dann zum Abzug zu, wenn die krankheitsbedingte Pflegebedürftigkeit erst nach dem Einzug in das [X.] eintritt, jedoch nur, wenn mindestens ein Schweregrad der Pflegebedürftigkeit i.S. der §§ 14, 15 des [X.] festgestellt ist (vgl. [X.] vom 20. Januar 2003, [X.], 89).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das [X.] die streitigen Aufwendungen der Klägerin zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zum Abzug zugelassen. Der Klägerin sind durch die geltend gemachten Aufwendungen für Unterbringung, Verpflegung und Betreuung keine steuerlich zu berücksichtigenden außergewöhnlichen Belastungen entstanden.

a) Insbesondere sind ihr die Kosten ihrer Unterbringung nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Die Klägerin ist nach den Feststellungen des [X.] weder pflegebedürftig noch hält sie sich krankheitsbedingt im Wohnstift auf. An diese Feststellungen ist der erkennende [X.] gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O gebunden.

Die von den Klägern insoweit erhobenen Verfahrensrügen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen (umfassend hierzu z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 48 ff.; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 116 [X.]O Rz 58 ff.). Sie haben bereits nicht schlüssig dargelegt, dass das [X.] seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) durch die Nichtvernehmung der Zeugin V verletzt habe. Die Kläger verkennen insbesondere, dass diese Rüge zu den verzichtbaren Verfahrensrügen gehört (§ 155 [X.]O i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Deshalb erfordert eine ordnungsgemäße Rüge dieser Verfahrensmängel auch den Vortrag, dass die Verletzung der betreffenden Verfahrensvorschrift in der Vorinstanz gerügt wurde, sofern sich die Rüge nicht schon aus dem angegriffenen Urteil ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 10. Oktober 2008 [X.]-22/08, [X.]/NV 2009, 183; vom 16. Juli 2008 [X.]/07, [X.]/NV 2008, 1681; vom 9. September 2005 [X.], [X.]/NV 2006, 101; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 103). Entsprechende Darlegungen fehlen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Kläger das Übergehen ihres schriftsätzlich gestellten Beweisantrags gerügt haben. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] vom 3. Dezember 2007 ergibt sich jedenfalls nichts [X.]. Im Übrigen hatte der Beweisantrag der Kläger vom 3. Dezember 2007 lediglich zum Ziel, festzustellen, dass die Klägerin bereits vor dem Einzug in das Wohnstift an Osteoporose erkrankt war, nicht aber, dass der Aufenthalt der Klägerin dort ausschließlich dieser Krankheit geschuldet sei.

Daher kann der [X.] offenlassen, ob die Kosten einer Heimunterbringung --abweichend von der bisherigen [X.] auch dann zu berücksichtigen sind, wenn ein Steuerpflichtiger erst nach dem Umzug in das [X.] krank und pflegebedürftig geworden ist. Für eine Berücksichtigung unter Anrechnung einer [X.] könnte sprechen, dass auch bei nachträglich eintretender Pflegebedürftigkeit der weitere Heimaufenthalt aus tatsächlichen Gründen als zwangsläufig anzusehen sein könnte. [X.] kann ferner, ob und ggf. ab welcher Pflegestufe die Kosten für die Unterbringung eines pflegebedürftigen Steuerpflichtigen in einem [X.] aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig entstanden sind.

b) Schließlich sind die geltend gemachten Aufwendungen der Klägerin auch nicht deshalb tatsächlich zwangsläufig erwachsen, weil sich der Kläger aus Krankheitsgründen in dem Pflegeheim aufhält. Für diesen vermag sich der Aufenthalt im Pflegeheim mittlerweile als krankheitsbedingtes unabwendbares Ereignis darstellen. Der Umstand, dass die Klägerin dem Kläger in das Wohnstift gefolgt ist, beruht jedoch nicht auf einem solchen unabwendbaren Ereignis, sondern auf einem freien Willensentschluss. Eine tatsächliche Zwangslage i.S. des § 33 Abs. 1 EStG kann aber nur durch ein unausweichliches Ereignis tatsächlicher Art begründet werden, nicht durch eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste Situation (vgl. [X.]-Urteil vom 18. April 1990 [X.]/86, [X.]E 160, 516, [X.] 1990, 738, sowie Kanzler in [X.]/[X.]/[X.], § 33 EStG Rz 189).

c) Die streitigen Wohn- und Wohnnebenkosten sowie die Kosten für Verpflegung und Betreuung im Wohnstift sind der Klägerin auch nicht aus rechtlichen oder sittlichen Gründen zwangsläufig entstanden.

aa) Eine Zwangsläufigkeit aus rechtlichen Gründen ist nur zu bejahen, wenn die Aufwendungen aufgrund unmittelbar aus dem Gesetz folgender Verpflichtungen geleistet werden ([X.]-Urteil vom 18. Juli 1986 [X.]/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745). Eine gesetzliche Pflicht der Klägerin, den Kläger in das Wohnstift zu begleiten und nach dort zu übersiedeln, ist nicht ersichtlich.

Insbesondere begründet § 1353 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs keine solche Verpflichtung. Nach dieser Vorschrift sind die Ehegatten einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Eine Pflicht zum räumlichen Zusammenleben folgt daraus jedoch nicht. Zwar gilt als Grundelement der ehelichen Lebensgemeinschaft regelmäßig das Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft. Anders ist es aber, wenn die Lebensverhältnisse entgegenstehen oder im gegenseitigen Einvernehmen eine abweichende Lebensgestaltung vereinbart ist ([X.]/Brudermüller, [X.], 69. Aufl., § 1353 Rz 6; Soergel-Lange, [X.], 12. Aufl., § 1353 Rz 8). Deshalb heben beispielsweise Haft oder ein längerer Aufenthalt in einer Klinik die eheliche Lebensgemeinschaft nicht auf (MünchKomm[X.]/[X.], 5. Aufl., § 1353 Rz 34). Dies gilt selbst dann, wenn ein Ehegatte aller Voraussicht nach dauerhaft in einem Heim lebt (Urteil des [X.] vom 7. November 2001 [X.], [X.], 140 <144>).

bb) Ein die Zwangsläufigkeit begründendes sittliches Gebot ist ebenfalls nicht erkennbar. Ein solches ist nur dann anzunehmen, wenn nach dem Urteil der Mehrzahl billig und gerecht denkender Mitbürger ein Steuerpflichtiger sich zu einem solchen Umzug verpflichtet sehen kann. [X.] zu billigende oder besonders anerkennenswerte Gründe allein genügen deshalb nicht. Es reicht vor allem nicht aus, dass ein gemeinsames Übersiedeln in das Wohnstift menschlich verständlich ist. Die sittlichen Motive müssen vielmehr so stark sein, dass eine andere Entscheidung kaum möglich erscheint, d.h. der Steuerpflichtige muss bei einem Zuwiderhandeln nicht nur vor sich selbst, sondern auch vor seinen Mitbürgern als "unsittlich" oder "unanständig" gelten. Es ist daher darauf abzustellen, ob die Unterlassung der zu beurteilenden Handlung "Nachteile im Sinne von Sanktionen im sittlich-moralischen Bereich oder auf [X.]" zur Folge haben kann, ob das Unterlassen also als moralisch anstößig empfunden wird.

Dementsprechend setzt nach der Rechtsprechung die Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen voraus, dass die Sittenordnung das Handeln "erfordert" ([X.]-Urteil vom 26. Mai 1971 VI R 271/68, [X.]E 102, 389, [X.] 1971, 628). Infolgedessen ist eine Zwangsläufigkeit nicht schon gegeben, wenn sich der Steuerpflichtige subjektiv verpflichtet fühlt; auch ist nicht jede aus sittlichen Gründen verständliche Unterstützung Dritter zwangsläufig. Vorausgesetzt wird vielmehr, dass der Steuerpflichtige keine Möglichkeit hatte, den Aufwendungen auszuweichen, sich ihnen zu entziehen ([X.]-Urteil vom 24. Juli 1987 [X.]/82, [X.]E 150, 351, [X.] 1987, 715, mit Hinweis auf [X.]-Urteil vom 18. November 1977 [X.], [X.]E 124, 39, [X.] 1978, 147). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen nur anzunehmen, wenn die sittliche Verpflichtung so unabdingbar ist, dass sie einer Rechtspflicht gleichkommt (beispielsweise [X.]-Urteile vom 27. Februar 1987 [X.], [X.]E 149, 240, [X.] 1987, 432; vom 30. Oktober 2003 [X.], [X.]E 204, 113, [X.] 2004, 267; vom 12. Dezember 2002 [X.]/01, [X.]E 201, 188, [X.] 2003, 299, und vom 23. Oktober 2002 [X.]/99, [X.]E 201, 31, [X.] 2003, 187).

Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Zwar ist es verständlich, dass sich die Klägerin entschieden hat, mit ihrem Ehemann in das Wohnstift zu übersiedeln. [X.] verpflichtet hierzu war sie indessen nicht. Nach Auffassung des erkennenden [X.]s erwartet die Gesellschaft nicht unausweichlich, dass ein "gesunder" Ehegatte den bisher gemeinsam geführten Hausstand aufgibt und seinen kranken bzw. pflegebedürftigen Ehepartner in ein Alters- oder Pflegeheim begleitet.

d) Eine gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßende Benachteiligung der Eheleute liegt darin --entgegen der Auffassung der [X.] nicht. Das [X.] hat zutreffend dargelegt, dass die Versagung des Abzugs der geltend gemachten Wohn- und Lebenshaltungskosten als außergewöhnliche Belastungen nicht auf der Ehe der Klägerin, sondern vielmehr auf dem Umstand gründet, dass das [X.] die Aufwendungen zu Recht nicht unter den Tatbestand des § 33 Abs. 1 EStG zu subsumieren vermochte.

3. Ebenfalls zutreffend hat das [X.] die als außergewöhnliche Belastungen dem Grunde nach anerkannten Unterbringungs-, Verpflegungs- und Betreuungskosten des [X.] um die [X.] gekürzt.

Werden Kosten einer Heimunterbringung dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung (Krankheitskosten) berücksichtigt, sind sie nur insoweit gemäß § 33 Abs. 1 EStG abziehbar, als sie die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) sowie die sog. [X.] übersteigen. Nur in dieser Höhe entstehen dem Steuerpflichtigen hierdurch gegenüber seiner bisherigen Lebensführung zusätzliche Kosten. Entsprechend sind Unterbringungskosten um eine [X.], die der Höhe nach den ersparten Verpflegungs- und Unterbringungskosten entspricht, zu kürzen ([X.]-Urteile in [X.]E 199, 135, [X.] 2003, 70, und vom 10. August 1990 III R 2/86, [X.]/NV 1991, 231).

Von der Berücksichtigung einer [X.] ist nach Auffassung des [X.]s nur dann abzusehen, wenn dem Steuerpflichtigen nur vorübergehend, etwa anlässlich eines Sanatoriumsaufenthaltes im [X.] an eine Krankenhausbehandlung, ausschließlich krankheitsbedingte Unterbringungskosten entstehen. Denn dem Steuerpflichtigen kann dann nicht zugemutet werden, seine Wohnung aufzugeben (so auch [X.]-Urteil vom 22. August 1980 VI R 138/77, [X.]E 131, 381, [X.] 1981, 23).

Aufwendungen für eine krankheitsbedingte Unterbringung in einem Pflegeheim sind nur dann nicht um eine [X.] zu kürzen, solange der Pflegebedürftige seinen normalen Haushalt beibehält. Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist die Tatsache, dass der Steuerpflichtige in einem solchen Fall trotz der Unterbringung in einem Pflegeheim mit den Fixkosten des Hausstandes wie Miete oder Zinsaufwendungen, Grundgebühr für Strom, Wasser etc. sowie Reinigungskosten belastet bleibt. Hieran ändert nichts, dass die frühere Wohnung eines Pflegebedürftigen von dessen Ehegatten weiter bewohnt wird. Auch in einem solchen Fall entstehen durch die dann zu große Wohnung bedingte Fixkosten, die den Abzug einer [X.] von den als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Kosten einer Pflegeheimunterbringung als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen ([X.]-Urteil in [X.]/NV 1991, 231).

Im Streitfall haben die Kläger jedoch ihren ursprünglich gemeinsamen Haushalt aufgegeben, so dass eine Kürzung um die [X.] geboten ist. Der [X.] verkennt dabei nicht, dass durch den im Pflegeheim neu begründeten gemeinsamen Haushalt auch dem Kläger neben den ihn betreffenden Pflegeheimkosten zusätzliche Kosten der Lebensführung entstanden sind, die einer Vorteilsanrechnung entgegenstehen können. Gleichwohl ist vorliegend der Ansatz einer [X.] gerechtfertigt, da das [X.] den auf den Kläger entfallenden Anteil an den Fixkosten dieses Hausstandes als außergewöhnliche Belastungen in Abzug gebracht hat. Der von den Klägern begehrte Verzicht auf die Kürzung um die [X.] würde damit eine ungerechtfertigte Doppelbegünstigung bewirken. Dem steht nicht entgegen, dass das [X.] die Unterbringungs- und Verpflegungskosten der Klägerin nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt hat. Eine [X.] ist schon dann gerechtfertigt, wenn nur der Kläger entsprechende Lebenshaltungskosten erspart.

Die [X.] des [X.] schätzt der [X.] entsprechend dem in § 33a Abs. 1 EStG vorgesehenen Höchstbetrag für den Unterhalt unterhaltsbedürftiger Personen auf 7.680 € (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 218, 136, [X.] 2007, 764; [X.] München, Urteil vom 5. November 2008  15 K 2814/07, Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2009, 309; [X.] Köln, Urteil vom 28. April 2009  8 K 1337/08, E[X.] 2010, 479; [X.] Abs. 2 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 2003). Soweit die Kläger hiergegen einwenden, dass ihnen durch den Umzug Mehr- und nicht Wenigerkosten entstanden sind, verkennen sie, dass die [X.] (des [X.]) durch einen Vergleich der Pflegeheimkosten mit den Kosten eines entsprechenden privaten Haushalts und nicht durch einen Vergleich mit den Kosten eines [X.]s zu ermitteln ist ([X.]-Urteil in [X.]E 131, 381, [X.] 1981, 23).

4. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht mehr streitig, dass den Klägern im Streitfall die [X.] nach § 33a Abs. 3 Satz 2 EStG i.d.F. bis Veranlagungszeitraum 2008 nicht zu gewähren sind. Das [X.] hat die Pflegekosten des [X.] sowie seine Kosten für Unterbringung und Verpflegung zum Abzug nach § 33 EStG zugelassen. In einem solchen Fall ist die Gewährung des [X.] nach § 33a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 EStG ausgeschlossen (vgl. [X.]-Urteil vom 24. Februar 2002 III R 80/97, [X.]E 191, 280, [X.] 2000, 294). Der Klägerin hat das [X.] anstelle des [X.] nach § 33a Abs. 3 Satz 2 EStG eine Steuerermäßigung für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen nach § 35a Abs. 2 EStG ausgehend von Aufwendungen in Höhe von 3.000 € zugesprochen. Die daraus resultierende Steuerermäßigung in Höhe von 600 € wirkt sich für die Klägerin günstiger als der Abzug des [X.] vom Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 33a Abs. 3 EStG aus. Sie ist deshalb durch die angefochtene Steuerfestsetzung insoweit nicht beschwert.

Meta

VI R 51/09

15.04.2010

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 3. Dezember 2007, Az: 6 K 363/05, Urteil

§ 33 EStG 2002, § 33a EStG 2002, § 1353 Abs 1 S 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.04.2010, Az. VI R 51/09 (REWIS RS 2010, 7609)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7609

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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