Bundessozialgericht, Urteil vom 03.11.2021, Az. B 11 AL 6/21 R

11. Senat | REWIS RS 2021, 1377

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Berechnung des Kurzarbeitergelds - Nettoentgeltdifferenz - Berücksichtigung von pauschalierten Abzügen für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag - Unzulässigkeit des fiktiven Abzugs bei echten Grenzgängern und fehlender Lohnsteuerpflicht im Inland - Europarechtskonformität


Leitsatz

Unterliegt ein echter Grenzgänger nach einem Doppelbesteuerungsabkommen nicht der Steuerpflicht im Inland, darf bei der Bemessung des Kurzarbeitergelds mangels Lohnsteuerklasse als Lohnsteuerabzugsmerkmal kein pauschalierter Abzug für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag berücksichtigt werden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 22. Februar 2021 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe von [X.] für die Monate März und April 2020, insbesondere über einen Abzug für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag im Rahmen der Bemessung.

2

Die Klägerin - eine GmbH mit Sitz und ihrem Betrieb in [X.] - beantragte für die bei ihr beschäftigte, in [X.] wohnende Arbeitnehmerin M ab dem 1.3.2020 [X.] (Antrag vom 12.3.2020), das die Beklagte in Höhe von 1656,87 [X.] für den Monat März 2020 und in Höhe von 1490,88 [X.] für den Monat April 2020 bewilligte (Bescheid vom 13.5.2020; Widerspruchsbescheid vom 24.7.2020). Die Beklagte führte zur Berechnung aus, auch für Grenzgänger, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der [X.] in der Bundesrepublik [X.] befreit seien, gelte § 153 Abs 1 [X.], selbst wenn in [X.] das nach [X.] Recht gezahlte [X.] besteuert würde. Grenzgänger aus den Mitgliedstaaten der [X.] müssten bei der Bemessung des [X.] genauso wie [X.] Arbeitnehmer behandelt werden. Beschränkt Steuerpflichtige würden in die [X.] eingereiht. Danach müsse das Leistungsentgelt um die pauschalierten Abzüge, also auch um fiktive Steuern entsprechend der Lohnsteuertabelle des [X.] vermindert werden. Bei dem Abzug handele es sich nicht um eine Besteuerung, sondern um den gesetzlich geregelten [X.]. [X.] sei als Lohnersatzleistung gemäß § 3 [X.] b EStG steuerfrei.

3

Das [X.] hat die Klage, gerichtet auf Zahlung von [X.] ohne fiktive Abzüge für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag, unter Zulassung der Berufung abgewiesen (Urteil vom 15.9.2020). Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg (Urteil des L[X.] vom [X.]). Es liege keine Doppelbesteuerung vor, denn von der Frage der Besteuerung zu unterscheiden sei die Berechnungsweise des § 153 Abs 1 [X.], die einen fiktiven Steuerabzug vorsehe. Dieser fiktive Abzug stelle nur ein Berechnungselement des [X.] dar und sei für die Berechnung sowohl für Grenzgänger als auch für inländische Bezieher einfachgesetzlich bindend vorgeschrieben. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte infolge der fehlenden [X.] der Arbeitnehmerin in [X.] den fiktiven Steuerabzug nach § 153 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] durch die Einordnung der Grenzgängerin als beschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs 4 EStG mit der [X.] ermittelt habe. Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 A[X.]V sowie gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 18 A[X.]V liege nicht vor, da die Berechnung des [X.] für alle Bezugsberechtigten in [X.] unabhängig von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz erfolge.

4

Mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 153 Abs 1 [X.], der nicht auf eine fiktive Lohnsteuer abstelle, sondern auf die Lohnsteuer, die sich aus dem [X.] ergebe. Maßgeblich sei die Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres als [X.] gebildet worden sei. Einer Lohnsteuerklasse sei der Arbeitnehmerin als Grenzgängerin aber tatsächlich nicht zugeordnet worden. Die Berücksichtigung einer fiktiven Steuersituation in [X.] führe zudem zu einer europarechtlich unzulässigen mittelbaren Diskriminierung. Grenzgänger, die das [X.] in [X.] versteuern müssten, seien gegenüber Arbeitnehmern, die in [X.] ihren Wohnsitz haben, benachteiligt. Sie würden so behandelt, als ob sie in [X.] Steuern zahlen würden und müssten auf den reduzierten Betrag noch einmal Steuern in [X.] zahlen.

5

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] vom 22. Februar 2021 und das Urteil des [X.] vom 15. September 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 13. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2020 zu verurteilen, höheres Kurzarbeitergeld für die Arbeitnehmerin M für die Monate März und April 2020 ohne pauschalierte Abzüge für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Der Senat konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, ohne dass die [X.]lägerin im Termin vertreten war, denn sie ist mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden und hat sich damit einverstanden erklärt. Die Revision der [X.]lägerin, die in zulässiger Weise Rechte einer Arbeitnehmerin ihres Betriebs auf [X.] im Wege der Prozessstandschaft geltend macht (vgl nur B[X.] vom [X.] - B 7 [X.] 21/09 R - [X.] 4-4300 § 173 [X.] Rd[X.]0 mwN; zuletzt B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 11/18 R - [X.] 4-4300 § 175 [X.] Rd[X.]0) hat im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]). Die Feststellungen des [X.] reichen nicht aus, um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides überprüfen zu können.

9

Streitgegenstand ist neben den Entscheidungen der Vorinstanzen der Bescheid vom 13.5.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.7.2020. Durch diesen Bescheid hat die [X.] im Leistungsverfahren, also bereits auf der zweiten Stufe des zweistufig konzipierten Verwaltungsverfahrens die Zahlung von [X.] für die Monate März und April 2020 in bestimmter Höhe verfügt. Für die erste Stufe sieht § 99 Abs 3 [X.], der § 173 Abs 3 [X.] aF entspricht, vor, dass auf die Anzeige des [X.] vorab unverzüglich ein schriftlicher Bescheid darüber zu erteilen ist, ob aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl dazu B[X.] vom [X.] - B 7 [X.] 21/09 R - [X.] 4-4300 § 173 [X.] Rd[X.]6; B[X.] vom 21.6.2018 - [X.] [X.] 4/17 R - Rd[X.]4). Ein solcher Bescheid ist hier nach den Anträgen der [X.]lägerin ausdrücklich nicht Gegenstand des Verfahrens. Die [X.]lägerin begehrt höhere, insoweit von der [X.]n abgelehnte Leistungen. Richtige [X.]lageart ist die hier auch erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1, 4 [X.]. Die [X.]lägerin macht die Geldleistungen für die betroffene Arbeitnehmerin zulässigerweise dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 [X.]) geltend.

Die Arbeitnehmerin war zu dem Verfahren nicht notwendig nach § 75 Abs 2 [X.] beizuladen. Dies folgt aus der fehlenden [X.]lagebefugnis eines Arbeitnehmers in Verfahren über einen Anspruch auf [X.], was sich aus der besonderen Ausgestaltung dieses Verfahrens ergibt (vgl B[X.] vom [X.] - [X.]a/11 [X.] 15/04 R - [X.] 4-4300 § 323 [X.] Rd[X.]7 ff, mwN). Eine [X.]lagebefugnis hat das B[X.] bisher auch in Fällen verneint, in denen - wie hier - individuelle [X.]omponenten des [X.]-Anspruchs umstritten sind (B[X.] vom [X.] - [X.]a/11 [X.] 15/04 R - [X.] 4-4300 § 323 [X.] Rd[X.]0 ff; kritisch hierzu [X.] in [X.], [X.]/[X.], § 95 [X.] Rd[X.]8 ff, Stand Mai 2020). Hiervon abzuweichen, besteht jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Arbeitgeber alle Rechte der Arbeitnehmerin geltend macht, kein Anlass. Es bedarf auch keiner [X.]lärung, ob und unter welchen außergewöhnlichen Umständen Ausnahmen von dem dargelegten Grundsatz denkbar sind (auch dazu bereits B[X.] vom [X.] - [X.]a/11 [X.] 15/04 R - [X.] 4-4300 § 323 [X.] Rd[X.]1). Indessen dürfte - insbesondere in den Fällen, in denen individuelle [X.]omponenten des [X.]-Anspruchs im Streit sind - eine einfache Beiladung nach § 75 Abs 1 Satz 1 [X.] sachdienlich sein.

Ob der betroffenen Arbeitnehmerin höheres als von der [X.]n bewilligtes [X.] zusteht, vermag der Senat mangels ausreichender Feststellungen des [X.] nicht zu entscheiden. Nach § 95 Satz 1 [X.] besteht ein Anspruch auf [X.] nur, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt ([X.]), die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind ([X.]), die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind ([X.]) und der Arbeitsausfall der [X.] angezeigt worden ist ([X.]). Auf die Anzeige des [X.] soll, wie oben dargelegt, nach § 99 Abs 3 [X.] ein Bescheid darüber ergehen, ob ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Wird ein solcher Bescheid bindend (§ 77 [X.]), muss sich die [X.] im weiteren Verfahren grundsätzlich an die in diesem Bescheid getroffenen Regelungen halten (B[X.] vom [X.] - B 7 [X.] 21/09 R - [X.] 4-4300 § 173 [X.] Rd[X.]6 f). Das Urteil des [X.] enthält jedoch weder Feststellungen dazu, ob auf eine [X.] der [X.]lägerin ein solcher Bescheid ergangen ist, noch ergibt sich aus dem Urteil, in welchem Umfang ein Arbeitsausfall vorgelegen hat und ob die betrieblichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf [X.] erfüllt sind. Zwar verweist das [X.] in allgemeiner Form am Ende des Tatbestandes auf diverse Akten, darunter auch auf "die beigezogene Verwaltungsakte der [X.]n", aus der sich weiteres ergeben könnte. Doch vermag dieser unspezifische Verweis nicht ausdrückliche Feststellungen im Urteil, wie sie § 163 [X.] fordert, zu ersetzen. Es ist nicht Aufgabe des [X.], das Aktenmaterial zu ordnen und sich aus den Gerichts- und Beiakten selbst den Sach- und Streitstand herauszusuchen (so bereits B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 9 zu § 163 [X.] juris Rd[X.]2; vgl auch [X.] in [X.][X.], [X.], 2017, § 163 Rd[X.]2; [X.] in [X.], [X.], 6. Aufl 2021, § 163 Rd[X.] 7, 22).

Des Weiteren reichen auch die Feststellungen zu den persönlichen Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs auf [X.], die im Einzelnen in § 98 [X.] geregelt sind, nicht aus um prüfen zu können, ob der Anspruch besteht. Die persönlichen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn nach Beginn des [X.] die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ua eine versicherungspflichtige Beschäftigung fortsetzt (§ 98 Abs 1 [X.] Buchst a [X.]). Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] dürfte zwar davon auszugehen sein, dass die Arbeitnehmerin in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden und diese ohne den vermeintlichen Arbeitsausfall fortgesetzt hätte. Es fehlen aber die erforderlichen Feststellungen dazu, auf welcher vertraglichen Grundlage die Arbeitnehmerin welche konkrete Beschäftigung in welchem zeitlichen Umfang ohne den Arbeitsausfall fortgesetzt hätte. Ob in dem hier streitbefangenen Zeitraum März und April 2020 Ausschlussgründe nach § 98 Abs 3 [X.] (Bezug anderer Leistungen) oder nach § 98 Abs 4 [X.] (ausreichende Mitwirkung an der Vermittlung) vorliegen, lässt sich ebenfalls nicht beurteilen.

Schließlich fehlen auch weitere zur Überprüfung der Höhe des bewilligten [X.] unerlässliche Feststellungen. Maßgebend für die Höhe des [X.] ist nach § 105 [X.] die aus dem Bruttoentgelt zu errechnende [X.]differenz, welche gemäß § 106 Abs 1 Satz 1 [X.] aus der Differenz zwischen dem pauschalierten [X.] aus dem Soll-Entgelt und dem pauschalierten [X.] aus dem [X.] errechnet wird. Das Urteil des [X.] enthält bereits keinerlei Feststellungen zum Bruttoentgelt, das die [X.]lägerin im Zeitraum des [X.] erzielt hätte (Soll-Entgelt) und tatsächlich erzielt hat ([X.]). Zudem fehlen Ausführungen dazu, ob bei der Arbeitnehmerin [X.]inder zu berücksichtigen sind, sodass nicht beurteilt werden kann, ob der einfache oder erhöhte Leistungssatz zu berücksichtigen ist (vgl § 105 [X.] und 2 [X.] iVm § 149 [X.] und 2 [X.]). Soweit das [X.] einen vor dem [X.] zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich zitiert, wonach Einigkeit bestehe, "dass das [X.] aufgrund eines berücksichtigungsfähigen [X.]indes in gesetzlicher Höhe von 67% zu bewilligen" sei, vermag dies fehlende tatsächliche Feststellungen nicht zu ersetzen (vgl zu den Grenzen von Vergleichen über [X.] nur B[X.] vom [X.] AS 58/08 R - B[X.]E 103, 153 = [X.] 4-4200 § 12 [X.]3, Rd[X.]2; B[X.] vom 20.9.2012 - [X.] [X.] 4/11 R - B[X.]E 112, 54 = [X.] 4-3500 § 28 [X.], Rd[X.]3).

Erst wenn das [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren aufgrund der nachgeholten Feststellungen zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Arbeitnehmerin der [X.]lägerin die genannten Voraussetzungen für einen Anspruch auf [X.] erfüllt, und auch das Bruttoarbeitsentgelt iS von § 106 Abs 1 Satz 2 [X.] ermittelt hat, wird es auf die Frage ankommen, von welchem pauschalierten [X.] bei der Berechnung der für die Höhe des [X.] nach § 105 [X.] maßgeblichen [X.]differenz iS von § 106 Abs 1 Satz 1 [X.] auszugehen ist.

Insoweit wird das [X.] ggf Folgendes zu beachten haben: Wenn die in [X.] wohnende Arbeitnehmerin im [X.] eine Beschäftigung ausübte, aber in der Regel täglich zu ihrem Wohnort nach [X.] zurückkehrte, was die Feststellungen des [X.] nahelegen, ist sie als (echte) Grenzgängerin iS von Art 1 Buchst f) [X.] ([X.]) 883/2004 anzusehen. In diesem Fall ist gemäß Art 11 [X.] ([X.]) 883/2004 iVm Art 65 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 die Zuständigkeit des Beschäftigungsstaats [X.] gegeben. Grundsätzlich kann sie [X.] nach den [X.] Rechtsvorschriften beanspruchen "als ob sie in diesem Mitgliedstaat wohnen würde" (Art 65 Abs 1 Satz 2 [X.] <[X.]> 883/2004). Der Regelungsgehalt dieser Norm als eine sogenannte [X.]ollisionsnorm ist allein auf die Festlegung des zuständigen Staates beschränkt; sie bestimmt mithin nicht - als Sachnorm - den materiell-rechtlichen Inhalt von Ansprüchen, enthält also auch keine Regelung zur Höhe der Leistung (vgl [X.], [X.] 2021, 10, 12).

Zu beachten ist zudem das Doppelbesteuerungsabkommen [X.]-[X.] (im Folgenden: [X.]) in der hier ab 1.1.2016 anwendbaren Fassung des [X.] vom 31.3.2015 ([X.] 2015, 1332 und [X.] 2016, 227). Art 13 Abs 5 des [X.] bestimmt, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Wohnsitzstaat, im Falle der Arbeitnehmerin der [X.]lägerin also in [X.], besteuert werden. Dies gilt seit dem 1.1.2016 auch für Sozialleistungen (vgl zum [X.] klarstellend die [X.]onsultationsvereinbarung [X.] - [X.] vom 13.5.2020 unter 4., Schreiben des [X.] vom 25.5.2020, [X.], 535; dazu [X.], [X.] 2020, 228, 233 f; [X.], [X.] 2021, 10, 11). Insoweit ist ein besonders Verfahren zur Freistellung von Grenzgängern vorgeschrieben, nicht zuletzt um den in Art 13a [X.] vorgesehenen Grenzgängerfiskalausgleich vornehmen zu können (vgl dazu Schreiben des [X.] vom 30.3.2017, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/ [X.]/[X.]/[X.]/2017-03-30-durchfuehrung-des-grenzgaengerfiskalausgleichs-Artikel-13-a-[X.]-[X.].pdf?_blob=publicationFile&v=3). Die Arbeitnehmerin wäre in [X.] unter den weiteren Voraussetzungen des [X.] und nach Durchführung des vorgesehenen Verfahrens zur Freistellung von Grenzgängern mit Auswirkungen auf die Höhe des [X.] nicht steuerpflichtig.

Denn für die Berechnung der pauschalierten [X.]e gilt § 153 [X.] über die Berechnung des Leistungsentgelts beim [X.] mit Ausnahme der Regelungen über den Zeitpunkt der Zuordnung der Lohnsteuerklassen und den Steuerklassenwechsel entsprechend (§ 106 Abs 1 Satz 6 [X.]). Nach § 153 Abs 1 Satz 1 [X.] ist Leistungsentgelt das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Nach § 153 Abs 1 Satz 2 [X.] sind solche Abzüge eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 20 % des [X.] ([X.]), die Lohnsteuer, die sich nach dem vom [X.] aufgrund des § 51 Abs 4 [X.]a EStG bekannt gegebenen Programmablaufplans bei Berücksichtigung der [X.] nach § 39b Abs 2 Satz 5 [X.] Buchst a bis c EStG zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, ergibt ([X.]) und der [X.] ([X.]). Die Feststellung der Lohnsteuer richtet sich beim [X.] nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, als [X.] gebildet war (§ 153 Abs 3 [X.]), beim [X.] allerdings nach der aktuellen Lohnsteuerklasse, weil die Regelung zum Zeitpunkt der Zuordnung von der vorgegebenen entsprechenden Anwendung ausgenommen ist. Zudem hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner Berechnungs- und Auszahlungspflichten, was ihm § 320 Abs 1 Satz 3 [X.] ausdrücklich vorschreibt, von den [X.]en im maßgeblichen [X.] auszugehen.

Besteht hingegen nach Durchführung einer Freistellung als Grenzgänger nach dem [X.] keine Steuerpflicht in [X.], liegt schon keine Lohnsteuerklasse als [X.] vor. Ein [X.] ist in diesem Fall nach § 39 Abs 4 [X.] 5 EStG vielmehr die - antragsabhängige - Mitteilung, dass der von einem Arbeitgeber gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Lohnsteuer freizustellen ist (dazu Weil in [X.]üttner, Personalbuch, 28. Aufl 2021, Stichwort: Grenzgänger Rd[X.] 9). Wegen des Vorrangs des [X.] (vgl § 2 AO) kann folglich auch keine Zuordnung einer Steuerklasse vorgenommen werden. Der Wortlaut des § 153 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] iVm den Vorschriften des EStG bieten hierfür keinen Anhalt. Eine Regelung, die - wie etwa § 167 Abs 2 [X.] [X.] zum Insolvenzgeld - auch Fälle einer nicht bestehenden Steuerpflicht im Inland ausdrücklich aufgreift, besteht für das [X.] nicht. Der sich ergebende Abzugsbetrag liegt mangels zuzuordnender Steuerklasse danach bei 0 Euro. Eine Gesetzeslücke, von der insoweit die [X.] nach ihren Fachlichen Weisungen zum [X.] (Rd[X.]06.18) ausgeht, und die sie über die unmittelbar gerade nicht anwendbaren Bestimmungen zur beschränkten Steuerpflicht schließen möchte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ziel der Sozialleistung [X.] ist ua, eine Lohnersatzleistung zur Verfügung zu stellen, die den Verdienstausfall zwar pauschaliert, aber dennoch individuell, also in Anlehnung an den tatsächlichen Nettoverdienstausfall, ausgleicht (vgl nur [X.] in [X.], [X.]/[X.], § 95 [X.] Rd[X.] 6 ff, Stand Mai 2020). Dementsprechend ist es system- und sachgerecht, bei grundsätzlich nicht bestehender Steuerpflicht auch keine Lohnsteuerklasse zu berücksichtigen.

Entgegen der Auffassung des [X.] steht dem nicht entgegen, dass individuelle Steuervorteile nach § 153 Abs 1 Satz 3 [X.] [X.] nicht leistungserhöhend zu berücksichtigen sind (vgl dazu B[X.] vom 23.10.2018 - [X.] [X.] 21/17 R - Rd[X.]5). § 153 Abs 1 Satz 3 [X.] [X.] benennt als nicht zu berücksichtigende Faktoren ausdrücklich Freibeträge und Pauschalen, die nicht jedem Arbeitnehmer zustehen. Die Regelung geht also von einer grundsätzlich bestehenden Steuerpflicht in [X.] aus und umfasst nicht den Fall, dass Arbeitnehmer aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht der Steuerpflicht unterworfen sind. Auch soweit das B[X.] für einen freiwillig in der Arbeitslosenversicherung weiterversicherten Selbständigen, der im Bemessungszeitraum nicht einem Lohnsteuerabzugsverfahren unterworfen war, entschieden hat, dass ggf auf die Steuerklasse abgestellt werden müsste, die fiktiv maßgebend gewesen wäre (vgl B[X.] vom 11.3.2014 - [X.] [X.] 10/13 R - [X.] 4-4300 § 133 [X.] 6 Rd[X.]0), führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn abgesehen davon, dass der besondere Sachverhalt eines im Bemessungszeitraum Selbständigen zu beurteilen war, hat auch in diesem Fall unbeschränkte Steuerpflicht (als Selbständiger) im Grundsatz vorgelegen.

Der weitere Zweck der [X.], durch Pauschalierungen den Anforderungen auch der Massenverwaltung zu entsprechen und eine möglichst schnelle Leistungsfeststellung zu gewährleisten (vgl nur [X.] in Eicher/[X.], [X.] nF, § 106 Rd[X.], Stand Februar 2017; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 106 Rd[X.], Stand V/21), steht dem Ergebnis ebenfalls nicht entgegen. Eine Berechnung der Leistung mit einem Abzug von 0 Euro für zu berücksichtigende Lohnsteuer in der umgrenzten Fallgruppe der nicht steuerpflichtigen Grenzgänger (zum 30.6.2020 waren rund 43600 Personen mit Wohnort in [X.] sozialversicherungspflichtig in [X.] beschäftigt, vgl BT-Drucks 19/30710 [X.]) erleichtert im Ergebnis die Rechtsanwendung. Nach § 320 Abs 1 Satz 3 [X.] hat der zunächst zur Berechnung verpflichtete Arbeitgeber ohnehin von den [X.]en im maßgeblichen [X.] auszugehen. Eine Freistellung von der Lohnsteuer steht fest, wenn das vorgesehene Verfahren durchlaufen wurde, und es bedarf in der Folge keines Rückgriffs mehr auf Tabellen oder Programmablaufpläne, weil allein der prozentual feststehende Abzug der Sozialversicherungspauschale vorzunehmen ist.

Schließlich überzeugt auch die Auffassung nicht, dass [X.]-Recht eine Gleichbehandlung von Grenzgängern mit in [X.] wohnenden und arbeitenden Arbeitnehmern erfordere (vgl Fachlichen Weisungen der [X.] zum [X.] Rd[X.]06.18 - noch unter Hinweis auf Regelungen der [X.] ([X.]) 1612/68 und 1408/71, die zwischenzeitlich durch [X.]-[X.] abgelöst wurden). Nach Auffassung des [X.] verbietet der sowohl in Art 45 A[X.]V als auch in Art 7 der [X.] ([X.]) 492/2011 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur unmittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle mittelbaren Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Eine Vorschrift des nationalen Rechts ist, wenn sie sich ihrem Wesen nach stärker auf [X.] als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie [X.] besonders benachteiligt, als mittelbar diskriminierend anzusehen (vgl nur [X.] vom 2.3.2017 - [X.]/15 - Rd[X.]5 f mwN; [X.] vom [X.] - [X.]/18 - Rd[X.]0 ff, zur Übernahme von [X.]osten der Schülerbeförderung). Außerdem verlangt das Diskriminierungsverbot nicht nur, dass gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden, sondern auch, dass ungleiche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden (vgl [X.] vom 16.9.2004 - [X.]/02 - Rd[X.]2; [X.] vom [X.] Rd[X.]0).

Bei in [X.] wohnenden Grenzgängern, die [X.] - ebenso wie ihr Arbeitsentgelt - nicht in [X.], sondern in [X.] versteuern müssen, handelt es sich gerade nicht um eine mit in [X.] wohnenden und beschäftigten Arbeitnehmern, die ihr Arbeitsentgelt in [X.] und wegen Arbeitsausfall bezogenes [X.] überhaupt nicht versteuern müssen, vergleichbare Gruppe. Vielmehr liegt ein ersichtlich ungleicher Sachverhalt vor. Deshalb würde die Gleichbehandlung von Grenzgängern mit in [X.] wohnenden und arbeitenden Beschäftigten, wie sie die [X.] vornehmen will, wegen der Sonderbelastung der Grenzgänger, unabhängig davon, ob es sich nun formal um eine Doppelbesteuerung handelt oder nicht, möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung und Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit darstellen: Grenzgänger, die in [X.] nicht der Lohnsteuerpflicht unterworfen sind, werden zu ihrem Nachteil wie in [X.] Lohnsteuerpflichtige behandelt, denn sie werden faktisch mit dem gleichen Entgelt zweimal einem Einkommen-/Lohnsteuerrecht - nämlich in [X.] und [X.] - unterworfen (vgl [X.] vom 16.9.2004 - [X.]/02 - Rd[X.]4 ff, zur Berechnung einer Überbrückungsbeihilfe nach den "um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderten Bruttoentgelts"; [X.] vom [X.] - Rd[X.]2 ff, zur Berechnung des Aufstockungsbetrags zu [X.]; so auch [X.], [X.] 2021, 10, 13 f; kritisch aus steuerrechtlicher Sicht [X.], [X.] 2020, 228, 237 f, die zwar auch eine "potentielle Beschwer" konstatiert, es aber als Aufgabe des Ansässigkeitsstaates ansieht, die Betroffenen hiervon zu befreien; in diesem Sinne auch die Antwort der Bundesregierung vom [X.], BT-Drucks 19/30710, [X.], auf eine kleine Anfrage zur Behandlung [X.] Grenzgänger).

Nichts anderes folgt aus der Entscheidung des [X.] in der Rechtssache [X.] ([X.] vom 2.3.2017 - [X.]/15), der ein abweichender Sachverhalt zugrunde gelegen hat. Der [X.] hatte in diesem Fall den pauschalierten Abzug von Lohnsteuer im Rahmen der Berechnung des Insolvenzgeldes eines in [X.] wohnenden und in [X.] arbeitenden [X.] - in Abgrenzung zu den oben genannten Entscheidungen in den Rechtssachen [X.] und [X.] - nicht als Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit nach Art 45 A[X.]V iVm Art 7 Abs 2 [X.] ([X.]) 492/2011 angesehen. Bis zum 1.1.2016 unterlagen aber nach dem [X.] Sozialleistungen nicht der Besteuerung in [X.]. Vor diesem Hintergrund hat der [X.] den Sachverhalt allein als [X.] Problem behandelt (vgl [X.], [X.] 2021, 10, 13 f).

Soweit der pauschalierte Abzug für Lohnsteuer mit 0 Euro zu erfolgen hat, ergibt sich auch kein pauschalierter Abzug nach § 153 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] für einen [X.], denn auch dieser wäre dann mit 0 Euro anzusetzen.

Die [X.]ostenentscheidung bleibt - auch wegen der [X.]osten des Revisionsverfahrens - dem [X.] vorbehalten.

Meta

B 11 AL 6/21 R

03.11.2021

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 15. September 2020, Az: S 4 AL 2438/20, Urteil

§ 105 SGB 3, § 106 Abs 1 S 1 SGB 3, § 153 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 3, § 153 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 3, § 153 Abs 1 S 3 Nr 1 SGB 3, Art 13 Abs 5 DBA FRA vom 31.03.2015, Art 45 AEUV, Art 7 EUV 492/2011

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 03.11.2021, Az. B 11 AL 6/21 R (REWIS RS 2021, 1377)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1377

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