Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.02.2012, Az. 10 AZR 711/10

10. Senat | REWIS RS 2012, 9148

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Gegenstand

Sozialkassenverfahren - Baugewerbe - internationale Zuständigkeit


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 31. August 2010 - 12/18 Sa 1479/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von [X.] zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe für die Monate Januar und Februar 2000 in nicht mehr streitiger Höhe von 13.960,54 Euro in Anspruch.

2

Der Kläger ist die Urlaubs- und [X.] der Bauwirtschaft, eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten Vorschriften des Bundesrahmentarifvertrags des Baugewerbes (BRTV) und des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ([X.]) vom 20. Dezember 1999 in der jeweils geltenden Fassung insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tariflichen Urlaubsvergütung an Arbeitnehmer der Bauwirtschaft zu sichern. Zur Finanzierung seiner Leistungen erhebt er von Arbeitgebern Beiträge.

3

Die Beklagte betreibt in der Form einer Aktiengesellschaft mit beschränkter Haftung nach litauischem Recht ein Bauunternehmen mit Sitz in [X.]/[X.]. In den Monaten Januar und Februar 2000 errichtete sie mit zumindest 42 Arbeitnehmern im Auftrag des Wirtschaftsministeriums der Republik [X.] den [X.] [X.]avillon auf der EX[X.]O 2000 in [X.]. Dabei setzte sie ausschließlich aus [X.] entsandte Arbeitnehmer ein. Im Betrieb wurden im Kalenderjahr 2000 überwiegend Trocken- und Montagebauarbeiten durchgeführt. Der Kläger forderte die Beklagte mehrmals vergeblich, zuletzt mit Schreiben vom 8. Dezember 2004, zur Zahlung der Beiträge auf.

4

Am 16. Dezember 2004 hat er die vorliegende Klage beim [X.] eingereicht. Die Klage ist der Beklagten am 15. November 2005 an ihrem Sitz in [X.]/[X.] zugestellt worden. Die lange Dauer des Zustellungsverfahrens beruht darauf, dass vom Gericht zunächst ein unzutreffender Zustellungsweg beschritten wurde.

5

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte unterliege der [X.] Gerichtsbarkeit. Sie sei nach dem [X.] ([X.]) zur Beitragszahlung für den Klagezeitraum verpflichtet. Das [X.] sei auch auf Bautätigkeiten im Zusammenhang mit der EX[X.]O 2000 anzuwenden. Der materiellen Beitragsverpflichtung der Beklagten stünden europarechtliche Normen schon deshalb nicht entgegen, weil die Republik [X.] zum Zeitpunkt der Entsendung der Arbeitnehmer nicht Mitglied der [X.] gewesen sei. Die tarifliche Ausschlussfrist sei ebenso gewahrt wie die Verjährungsfrist.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.960,54 Euro zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, sie sei der [X.] Gerichtsbarkeit entzogen. Die Besonderheit des Auftrags habe zur Folge, dass die Inanspruchnahme der Beklagten vor einem [X.] Gericht gegen völkerrechtliche Grundsätze verstoße. Die Teilnahme an der EX[X.]O 2000 einschließlich der Errichtung des [X.]avillons sei Teil einer diplomatischen Mission im Sinne des [X.] über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 gewesen. Die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte sei nicht gegeben. Die Heranziehung zu Beitragszahlungen verstoße gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs und das Diskriminierungsverbot. Aufgrund der Besonderheit des Auftrags, nämlich der Errichtung des [X.] EX[X.]O-[X.]avillons im Auftrag der Regierung [X.]s, sei sie nicht zur Zahlung der [X.] Tariflöhne verpflichtet. Außerdem habe sie die nach litauischem Recht entstandenen Urlaubsansprüche der Mitarbeiter für den fraglichen Zeitraum beglichen. Die Ansprüche seien überdies verfallen und verjährt.

8

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das [X.] hat in dem noch interessierenden Umfang die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden. Die Klage ist zulässig. Die [X.] ist der [X.] Gerichtsbarkeit nicht entzogen (unter I 1). Die [X.] Gerichte sind international zuständig (unter I 2). Die Klage ist begründet. Der [X.] folgt aus § 18 Abs. 1 [X.] iVm. § 1 Abs. 1 und Abs. 3 des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen ([X.] in der Fassung vom 19. Dezember 1998 - [X.]) (unter II 1). Der erhobene Anspruch ist weder verfallen (unter II 2) noch verjährt (unter II 3).

I. Die Klage ist zulässig.

1. Die [X.] unterliegt der [X.] Gerichtsbarkeit.

a) Die [X.] ist nicht nach § 18 GVG von der [X.] Gerichtsbarkeit befreit.

aa) Nach § 18 GVG sind die Mitglieder der im Geltungsbereich des Gesetzes errichteten diplomatischen Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten nach Maßgabe des [X.] über diplomatische Beziehungen - [X.] - vom 18. April 1961 ([X.]1964 II S. 957) von der [X.] Gerichtsbarkeit befreit. Dies gilt auch, wenn ihr [X.] nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist. In diesem Falle findet Artikel 2 des Gesetzes vom 6. August 1964 zum [X.] entsprechende Anwendung.

bb) Die [X.] gehört nicht zum Kreis der danach von der [X.] Gerichtsbarkeit ausgenommenen Personen. Weder sie selbst noch ihre Repräsentanten sind oder waren während der Errichtung des Pavillons Mitglied einer diplomatischen Mission, etwa Missionschef oder Angehörige des diplomatischen Personals, deren Familienangehörige, Angehörige des Verwaltungs- und technischen Personals oder des Hauspersonals der Mission (vgl. Art. 1 Buchst. a und Buchst. f, Art. 37 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 iVm. Art. 1 Buchst. f [X.]; vgl. [X.]/[X.] 3. Aufl. § 18 GVG Rn. 6 f.).

b) Die [X.] ist nicht nach § 20 Abs. 1 GVG von der [X.] Gerichtsbarkeit befreit.

aa) Nach § 20 Abs. 1 GVG sind Repräsentanten anderer [X.] und ihre Begleitung als exterritorial von der [X.] Gerichtsbarkeit ausgenommen. Repräsentanten sind zB Personen, die aufgrund ihrer staatsrechtlichen Stellung innerhalb des anderen Staats zur Vertretung desselben berechtigt sind. Dazu gehören Ministerpräsidenten, Kanzler und sonstige Regierungschefs sowie die übrigen Regierungsmitglieder. Sie müssen aufgrund einer amtlichen Einladung in [X.] sein (vgl. [X.]/[X.] § 20 GVG Rn. 2 f.).

bb) Die [X.] kann diesem Personenkreis nicht zugerechnet werden. Es mag sein, dass sie in einem allgemeinen Sinn zur Präsentation der [X.] beigetragen hat. Sie hatte und hat jedoch keinerlei staatsrechtliche Stellung innerhalb der [X.] oder nach außen inne. Sie hat sich um den Auftrag für die Errichtung des Pavillons mit anderen Bauunternehmen aufgrund einer Ausschreibung beworben und den Zuschlag erhalten. Sie wurde aufgrund eines Vertrags mit der [X.] tätig. Gegenstand dieses Vertrags war keine diplomatische oder repräsentative Aufgabe, sondern die Errichtung eines Gebäudes. Von einer Begleitung der Repräsentanten kann keine Rede sein.

c) Auch nach § 20 Abs. 2 GVG ist die [X.] nicht von der [X.] Gerichtsbarkeit ausgenommen.

aa) Nach § 20 Abs. 2 GVG erstreckt sich die [X.] Gerichtsbarkeit nicht auf Personen, die gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Nach dem als Bundesrecht iSv. Art. 25 GG geltenden allgemeinen Völkergewohnheitsrecht sind [X.] der Gerichtsbarkeit anderer [X.] nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit von einem Rechtsstreit betroffen ist. Ihre diplomatischen und konsularischen Beziehungen dürfen nicht behindert werden. Andernfalls könnte die rechtliche Prüfung durch die Gerichte eine Beurteilung des hoheitlichen Handelns erfordern mit der Folge, dass die ungehinderte Erfüllung der Aufgaben der Botschaft bzw. des Konsulats beeinträchtigt wäre ([X.] 1. Juli 2010 - 2 [X.]/09 - Rn. 11, [X.] Art. 25 Nr. 5 = EzA GVG § 20 Nr. 5; 16. Mai 2002 - 2 [X.], [X.] § 20 Nr. 3; [X.] Internationales Zivilverfahrensrecht 5. Aufl. Rn. 172 ff.).

bb) Die [X.] ist ein privatrechtlich verfasstes Bauunternehmen. Sie hat keine hoheitliche Tätigkeit entfaltet. Sie hat im Auftrag der [X.] in [X.] ein Gebäude errichtet. Dieser Umstand führt nicht dazu, dass die Bautätigkeit selbst als hoheitliches Handeln angesehen werden könnte. Die [X.] wurde von der [X.] - (jetzt in Liquidation) durchgeführt, an der zwar das [X.] und die Bundesrepublik [X.] zu [X.] beteiligt waren. Indes ist auch die [X.] nicht hoheitlich tätig geworden.

2. Die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte ist gegeben nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 76, 67 [X.] iVm. § 8 [X.] aF.

a) Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist diese Verordnung in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Die Beitragsklage betrifft zivilrechtliche Ansprüche, nicht aber die vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommene [X.] Sicherheit iSv. Art. 1 Abs. 2 Buchst. [X.]. Die Bedeutung des Begriffs der [X.]n Sicherheit entspricht demjenigen in der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971, wie er dort unter Art. 4 Abs. 1 definiert ist (außer [X.] getreten mit Wirkung zum 1. Mai 2010, vgl. nunmehr im Wesentlichen inhaltsgleich Art. 3 Abs. 1 Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 des [X.] und des Rates vom 29. April 2004). Die Vorschrift lautet auszugsweise:

        

„Artikel 4

        

Sachlicher Geltungsbereich

        

(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der [X.]n Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

        

a)    

Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft,

        

b)    

Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind,

        

c)    

Leistungen bei Alter,

        

d)    

Leistungen an Hinterbliebene,

        

e)    

Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten,

        

f)    

Sterbegeld,

        

g)    

Leistungen bei Arbeitslosigkeit,

        

h)    

Familienleistungen.“

Dieses Verständnis entspricht der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] ([X.] 14. November 2002 - [X.]/00 - [[X.]] Rn. 45, Slg. 2002, [X.]; [X.] 2. Juli 2008 - 10 [X.] 355/07 - Rn. 12, [X.]E 127, 111). [X.] gemeinsamer Einrichtungen zur Sicherung von Urlaubsansprüchen fallen ersichtlich nicht unter Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971. Abweichende Auffassungen hierzu sind bisher nicht vertreten worden. Die Voraussetzungen einer Vorlage nach Art. 267 A[X.]V sind nicht gegeben.

b) Nach Art. 2 Abs. 1 [X.] sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.

aa) Danach läge die internationale Zuständigkeit für diesen Rechtsstreit an sich bei den Gerichten der [X.], die seit Mai 2004 Mitglied der [X.] ist. Indes gilt die [X.] nach Art. 2 Abs. 1 [X.] nur vorbehaltlich anderer Regelungen. Solche anderen Regelungen enthält die [X.].

bb) Nach Art. 67 [X.] berührt die [X.] nicht die Anwendung derjenigen besonderen Bestimmungen, die für bestimmte Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit regeln und in gemeinschaftlichen Rechtsakten oder in dem in Ausführung dieser Akte harmonisierten einzelstaatlichen Recht enthalten sind.

cc) Für den hier gegebenen Fall der [X.] besteht eine derartige Sonderregelung über die internationale Zuständigkeit. Nach Art. 6 der Richtlinie 96/71/[X.] des [X.] und des Rates vom 16. Dezember 1996 (Entsenderichtlinie) kann zur Durchsetzung des Rechts auf die in Art. 3 der Richtlinie gewährleisteten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen eine Klage in dem Mitgliedstaat erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist oder war, in diesem Fall also in [X.]. Die genannte Vorschrift wurde durch § 8 [X.] aF ([X.]I S. 3843; jetzt § 15 [X.], in [X.] getreten am 24. April 2009, [X.]I, S. 799) umgesetzt. Danach kann ein Arbeitnehmer, der in den Geltungsbereich dieses Gesetzes entsandt ist oder war, eine auf den Zeitraum der Entsendung bezogene Klage auf Gewährung der Mindestarbeitsbedingungen auch vor einem [X.] Gericht für Arbeitssachen erheben. Die Klagemöglichkeit vor einem [X.] Gericht besteht ebenso für eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in Bezug auf die ihr zustehenden Beiträge im Zusammenhang mit der Gewährung von Urlaubsansprüchen. Dass § 8 [X.] aF mit Art. 6 der Entsenderichtlinie im Einklang steht, ist offenkundig. Die gegenteilige Auffassung ist bisher nicht vertreten worden. Die Voraussetzungen einer Vorlage nach Art. 267 A[X.]V sind nicht gegeben.

c) Die Auffassung der [X.]n, sie [X.] deshalb nicht der Zuständigkeitsbestimmung des § 8 [X.] aF, weil [X.] im [X.] nicht Mitglied der [X.] war (Beitritt am 1. Mai 2004), findet im Gesetz keine Stütze. § 8 [X.] aF enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass die internationale Zuständigkeit für [X.] nur für entsendende Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat geregelt werden sollte. Die Auffassung, die Norm müsse in diesem einschränkenden Sinne ausgelegt werden, ist bisher - soweit ersichtlich - unvertreten geblieben. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass § 8 [X.] aF und Art. 6 der Entsenderichtlinie Arbeitgeber aus [X.] bevorzugen wollten.

II. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die [X.] Anspruch auf Zahlung von [X.] Euro.

1. Grundlage des Anspruchs ist § 18 Abs. 1 [X.] iVm. § 1 Abs. 1 und Abs. 3 [X.] aF.

a) Die Vorschriften des § 1 Abs. 1 und Abs. 3 [X.] aF sind anwendbar.

aa) Das folgt aus Art. 34 [X.]BGB, der auf den Rechtsstreit noch zur Anwendung kommt (vgl. jetzt Art. 9 der Verordnung ([X.]) Nr. 593/2008 ([X.])). Danach sind Bestimmungen des [X.] Rechts ohne Rücksicht auf das im Übrigen anzuwendende Schuldrecht maßgebend, wenn sie den Sachverhalt zwingend regeln. § 1 [X.] aF enthält zwingendes Recht iSv. Art. 34 [X.]BGB (st. Rspr., vgl. [X.] 28. September 2005 - 10 [X.] 28/05 - zu II 2 der Gründe mwN, EzA [X.] § 1 Nr. 9). Ohne Bedeutung ist deshalb, dass die Arbeitsverhältnisse der von der [X.]n nach [X.] entsandten Arbeitnehmer litauischem Recht unterlagen.

bb) Die Erstreckung der tariflichen Bestimmungen des [X.] in der Bauwirtschaft auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und damit auch in [X.] nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] in der im Klagezeitraum geltenden Fassung ist wirksam (für [X.]: [X.] 25. Juni 2002 - 9 [X.] 405/00 - zu A II 5 der Gründe, [X.]E 101, 357). Die Voraussetzungen, die in § 1 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 iVm. Abs. 1 [X.] für die Anwendung der den Beitragseinzug regelnden tariflichen Rechtsnormen aufgestellt sind, werden durch den [X.] und den [X.] erfüllt (vgl. [X.] 18. Juli 2007 - [X.]/04 - Slg. 2007, [X.]; st. Rspr. [X.], vgl. 20. Juli 2004 - 9 [X.] 343/03 - [X.]E 111, 247; 25. Juni 2002 - 9 [X.] 439/01 - [X.]E 102, 1).

cc) Die Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] aF verstößt entgegen der Auffassung der [X.]n nicht gegen [X.] oder Völkerrecht.

(1) Die [X.] ist erst seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der [X.]. Die [X.] hatte damit im streitbefangenen Zeitraum ihren Sitz in einem Land, das kein Mitgliedstaat der [X.] war. Ein Verstoß gegen die in Art. 49 und Art. 50 [X.] geregelte Dienstleistungsfreiheit und die Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/[X.] vom 16. Dezember 1996 - ABl. [X.] L 18 vom 21. Januar 1997 S. 1) scheidet deshalb von vornherein aus ([X.] 28. September 2005 - 10 [X.] 28/05 - zu II 3 b aa der Gründe, EzA [X.] § 1 Nr. 9; 25. Juni 2002 - 9 [X.] 405/00 - zu A II 5 der Gründe, [X.]E 101, 357).

(2) Die Erstreckung der tariflichen Bestimmungen des [X.] in der Bauwirtschaft auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland ist im Übrigen seit dem 1. Januar 1999 mit dem in Art. 49 und Art. 50 [X.] festgelegten Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs vereinbar ([X.] 25. Januar 2005 - 9 [X.] 44/04 - zu [X.] 1 c der Gründe, [X.]E 113, 247; 25. Januar 2005 - 9 [X.] 146/04 - zu I 2 der Gründe, [X.]E 113, 238). Die Neufassung des [X.] durch das Gesetz vom 19. Dezember 1998 ([X.]I S. 3843, 3850 f., Art. 10 Nr. 1) hat die potenzielle Begünstigung inländischer Arbeitgeber (vgl. [X.] 25. Oktober 2001 - [X.]/98 ua. - [Finalarte ua.] Slg. 2001, I-7831) aufgehoben. Seit dem Inkrafttreten der Änderung am 1. Januar 1999 ist die Regelung in § 1 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 [X.] aF damit uneingeschränkt anwendbar ([X.] 28. September 2005 - 10 [X.] 28/05 - zu II 3 b bb der Gründe, EzA [X.] § 1 Nr. 9; 20. Juli 2004 - 9 [X.] 343/03 - [X.]E 111, 247).

(3) Auch das Gesetz zu dem [X.]Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen [X.]en und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der [X.] andererseits vom 12. September 1996 ([X.], [X.]II S. 2186) hindert entgegen der Auffassung der [X.]n die Erstreckung der tariflichen Bestimmungen des [X.] in der Bauwirtschaft auf die [X.] nicht. Die den Dienstleistungsverkehr zwischen der [X.] und [X.] betreffenden Regelungen in Art. 52 Abs. 1 [X.] begründeten keine unmittelbaren Rechte (vgl. für das [X.] mit [X.]: [X.] 25. Juni 2002 - 9 [X.] 405/00 - zu A II 5 b cc der Gründe, [X.]E 101, 357) und bezweckten keine Besserstellung von Arbeitgebern mit Sitz in [X.] gegenüber Arbeitgebern mit Sitz in einem [X.]-Mitgliedstaat. Nach Art. 52 Abs. 3 [X.] hatte der [X.] die erforderlichen Maßnahmen zur schrittweisen Umsetzung von Absatz 1 zu treffen. Art. 52 [X.] diente damit der schrittweisen Beseitigung innerstaatlicher Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr. Aus diesem Zweck wird deutlich, dass die Bestimmung [X.] für die Übergangsphase der Assoziation keine weitergehende, sondern nach Möglichkeit eine annähernd gleiche Freiheit des Dienstleistungsverkehrs sichern sollte als bzw. wie diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des [X.] [X.] einräumen. Diese Zielsetzung ist im Übrigen der Grundgedanke der Regelungen des Titels IV [X.] in Bezug auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Niederlassungsrecht und Dienstleistungsverkehr. Die schrittweise angestrebte Gleichstellung [X.]s mit den Mitgliedstaaten war nicht nur Ziel, sondern zugleich auch immanente Grenze der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs. Da der freie Dienstleistungsverkehr mit [X.] auf das Maß der einem Mitgliedstaat eingeräumten Dienstleistungsfreiheit begrenzt war, könnte die [X.] selbst dann aus Art. 52 [X.] nichts herleiten, wenn diese Bestimmung ihr unmittelbare Rechte gewähren würde.

b) Die [X.] unterhielt einen Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF, von dem überwiegend Bauleistungen iSd. § 211 Abs. 1 SG[X.]II erbracht wurden. Darüber streiten die [X.]en nicht.

c) Ebenso wenig stellt die [X.] in Abrede, dass sich bei Zugrundelegung von § 18 Abs. 1 [X.] der eingeklagte Betrag errechnet.

d) Die Auffassung der [X.]n, die Anwendung von § 18 Abs. 1 [X.] müsse deshalb unterbleiben, weil die betreffenden Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Urlaubsvergütung bzw. Urlaubsabgeltung oder Entschädigung in entsprechender Höhe erwürben, geht fehl. Die Arbeitnehmer haben - selbst den zwischenzeitlich eingetretenen Verfall der [X.] vorausgesetzt - nach § 8 Nr. 8 [X.] Anspruch auf Entschädigung in Höhe der Urlaubsvergütung. Bei einem Rechtsstreit über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Teilnahme an dem Urlaubskassenverfahren kann der Antrag auf Entschädigung noch innerhalb eines Jahres nach dessen rechtskräftigem Abschluss gestellt werden. Der Lauf der Frist nach § 8 Nr. 8 Satz 2 [X.] ist während eines Rechtsstreits aus Anlass der unterbliebenen Beitragszahlung gehemmt (§ 15 Abs. 2 [X.]). Zu Unrecht verweist die [X.] darauf, sie habe bereits „Urlaubsgelder“ nach litauischem Arbeitsrecht an ihre Arbeitnehmer gezahlt. Jedenfalls sehen § 13 Abs. 3, § 18 Abs. 5 [X.] entsprechende Erstattungsansprüche des Arbeitgebers gegen die Klägerin vor.

e) Die [X.] muss auch nicht gleichzeitig in [X.] Beiträge zu einer der Klägerin vergleichbaren Einrichtung zahlen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.] aF). Die [X.] hat weder vorgetragen, um welche Einrichtung es sich dabei handeln könnte, noch dargetan, wann und in welcher Weise sie zu Beiträgen herangezogen worden sein sollte.

2. Der [X.] ist nicht verfallen nach § 25 Abs. 1 [X.]. Der Kläger hat die [X.] rechtzeitig geltend gemacht.

a) Die [X.] lief am 31. Dezember 2004 ab. Denn nach § 25 Abs. 1 Satz 1 [X.] verfallen die Ansprüche des [X.] gegen den Arbeitgeber, wenn sie nicht innerhalb von vier Jahren seit Fälligkeit geltend gemacht worden sind. Nach Satz 2 der Vorschrift iVm. § 201 BGB aF begann die Frist erst mit dem Schluss des Jahres 2000.

b) Der Kläger hat vorgetragen, die Ansprüche mit Schreiben vom 8. Dezember 2004 geltend gemacht zu haben. Die [X.] hat darauf erwidert, das Schreiben sei „nicht im [X.] zugegangen“. Als „[X.]“ sieht die [X.] allerdings den Zeitraum von Februar 2000 bis Februar 2004 an. Das Arbeitsgericht - und ihm folgend das [X.] - haben es im Hinblick auf diesen Vortrag der [X.]en als unstreitig angesehen, dass das Geltendmachungsschreiben vom 8. Dezember 2004 der [X.]n noch im [X.] zuging. Diese Feststellung ist gemäß § 559 Abs. 2 ZPO für den Senat bindend. Eine zulässige und begründete Verfahrensrüge hat die [X.] nicht erhoben.

3. Der [X.] ist entgegen der Auffassung der [X.]n nicht verjährt. Die Verjährungsfrist endete am 31. Dezember 2004. Zuvor, am 16. Dezember 2004, hatte der Kläger die Klage beim [X.] eingereicht. Damit ist die Frist gewahrt und die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden. Die erst im November 2005 erfolgte [X.] (§ 253 Abs. 1 ZPO) wirkt nach § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung zurück, weil die Zustellung noch „demnächst” iSd. § 167 ZPO erfolgt ist.

a) Zwar kann nach § 167 ZPO nicht jede noch so lange Verzögerung bei der Zustellung der Klage zur Rückwirkung auf den Zeitpunkt des [X.] führen. Andernfalls würde die Anordnung des Gesetzgebers, die Zustellung müsse „demnächst“ erfolgt sein, missachtet. Vielmehr ist mit der Verwendung des Wortes „demnächst“ eine zwar nicht absolut bestimmte (vgl. [X.] 12. Juli 2006 - IV ZR 23/05 - mwN, [X.]Z 168, 306), aber doch vorhandene zeitliche Grenze vorausgesetzt, bei deren Überschreitung der beklagten [X.] die Verzögerung bei der Zustellung nicht zugemutet werden kann. Diese Grenze ist im Streitfall trotz der über zehnmonatigen Verzögerung noch nicht überschritten.

b) Bei der Bestimmung der genannten Grenze darf nicht auf eine rein zeitliche Betrachtungsweise abgestellt werden. Vielmehr sollen, da die Zustellung von Amts wegen geschieht, die [X.]en vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden, weil diese Verzögerungen von ihnen nicht beeinflusst werden können. Dies gilt auch dann, wenn es zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, muss sich der Kläger grundsätzlich nicht zurechnen lassen ([X.] 12. Juli 2006 - IV ZR 23/05 - mwN, [X.]Z 168, 306).

c) Wenn, wie im Streitfall, Zustellungsverzögerungen erst eintreten, nachdem der Kläger alle für eine ordnungsgemäße [X.] von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen erbracht hat, liegt die weitere Verantwortung für den ordnungsgemäßen Gang des [X.] ausschließlich in den Händen des Gerichts, dessen Geschäftsgang der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter nicht unmittelbar beeinflussen können ([X.] 11. Februar 2011 - V ZR 136/10 - [X.], 540). Für eine Verpflichtung oder Obliegenheit des [X.] und seines Prozessbevollmächtigten, auch noch in diesem Stadium des Verfahrens durch eine Kontrolle des gerichtlichen Vorgehens auf eine größtmögliche Beschleunigung hinzuwirken, fehlt die rechtliche Grundlage. Sie ergibt sich nicht aus dem Prozessrechtsverhältnis, weil der Kläger seinerseits bereits alles getan hat, was die Zivilprozessordnung für die [X.] von ihm fordert. Die [X.] darf in dieser prozessualen Situation vielmehr erwarten, dass das Gericht im Weiteren das Zustellungsverfahren in eigener Zuständigkeit ordnungsgemäß betreibt ([X.] 12. Juli 2006 - IV ZR 23/05 - mwN, [X.]Z 168, 306). Die Rückwirkung ist der [X.]n demnach auch unter Berücksichtigung ihres berechtigten Interesses an alsbaldiger Klarheit zumutbar. Das gilt jedenfalls angesichts der hier gegebenen Verzögerung von zehneinhalb Monaten und der jahrelangen Kenntnis der [X.]n, dass der Kläger die [X.] mit Nachdruck verfolgte.

III. [X.] fallen der [X.]n nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

        

    Mikosch    

        

    W. Reinfelder    

        

    [X.]    

        

        

        

    Kay Ohl    

        

    Frese    

                 

Meta

10 AZR 711/10

15.02.2012

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Wiesbaden, 28. Mai 2008, Az: 7 Ca 3619/04, Urteil

§ 8 AEntG vom 19.12.1998, § 15 AEntG 2009, § 34 BGBEG, Art 1 EGV 44/2001, Art 2 EGV 44/2001, Art 67 EGV 44/2001, Art 76 EGV 44/2001, § 18 GVG, § 20 GVG, § 167 ZPO, § 18 Abs 1 VTV-Bau

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.02.2012, Az. 10 AZR 711/10 (REWIS RS 2012, 9148)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9148

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