Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.07.2014, Az. VI ZR 219/13

6. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4419

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Gehörsverletzung im Schmerzensgeldprozess nach Verkehrsunfall mit Personenschaden: Nichtberücksichtigung eines dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen widersprechenden Privatgutachtens


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des [X.] vom 26. März 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 35.518 €

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer aus einem Verkehrsunfall vom 13. September 2009 auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Bei dem Unfall fuhr ein Fahrzeugführer mit dem bei der [X.] versicherten Fahrzeug auf den Motorroller des [X.] auf. Der Kläger wurde vom Roller geschleudert und erlitt eine Fraktur des dritten Lendenwirbelkörpers sowie multiple Prellungen. Die Beklagte zahlte an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 €. Mit der Behauptung, er habe noch heute ständig Schmerzen im Bereich des dritten Lendenwirbels und der Hüfte, die ins Bein ausstrahlten, begehrt er die Zahlung einer monatlichen Rente sowie eines weiteren Schmerzensgeldes in einer Größenordnung von 25.000 €. Das [X.] hat die Klage nach Einholung eines orthopädisch-unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Gutachters abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Bruch des dritten Lendenwirbels des [X.] sei [X.] verheilt, eine Gefügestörung zwischen den [X.] sei nicht festzustellen und die vom Kläger geklagten Beschwerden seien nicht zu erklären, den Kläger in entscheidungserheblicher Weise in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

3

1. Sowohl das [X.] als auch das Berufungsgericht haben übersehen, dass der gerichtliche Sachverständige den Beweisbeschluss des [X.]s vom 3. Mai 2012, wonach er sich mit dem von dem Kläger vorgelegten Privatgutachten vom 2. April 2012 auseinandersetzen sollte, nicht ausgeschöpft hat. Ausweislich seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15. Mai 2012 hat sich der gerichtliche Sachverständige lediglich mit dem vom Kläger vorgelegten ärztlichen Attest seines [X.]s vom 13. März 2012, nicht hingegen mit dessen ausführlichem Gutachten vom 2. April 2012 auseinandergesetzt. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, ist sowohl den Vorinstanzen als auch dem gerichtlichen Sachverständigen entgangen, dass sich das Privatgutachten vom 2. April 2012 auf aktuell angefertigte Röntgenaufnahmen vom 28. März 2012 stützte, die jedenfalls nach Darstellung des [X.]s deutliche Auffälligkeiten aufwiesen. In der Beschreibung der Röntgenaufnahmen vom 28. März 2012 durch den [X.] heißt es: "[X.] aufgebaute Lendenwirbelsäule mit Spondylarthrose und Osteochondrose der Segmente [X.], L 4/[X.] und [X.]/S 1. Im Bereich des dritten Lendenwirbels besteht eine deutliche Deformierung im Sinne eines Grundplatteneinbruchs, bei Zustand nach Berstungsfraktur. Ferner findet sich der Verdacht auf eine beginnende Gefügestörung im Segment L 2/3, im Sinne einer beginnenden [X.] nach [X.]." In der Bewertung beschreibt der Gutachter den Zustand als "röntgenologisch [X.] konsolidierte Berstungsfraktur des dritten Lendenwirbels mit fortgeschrittener Facettengelenkarthrose der angrenzenden Wirbelkörper, besonders des Segmentes L 3/4 beidseits".

4

Demgegenüber beruht das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen auf einer bildgebenden Dokumentation, die mehr als ein Jahr zuvor, nämlich am 10. Januar 2011 endete. Der gerichtliche Gutachter hat die Computertomographie vom 13. September 2008 sowie die Röntgenaufnahmen vom 17. September 2008, 17. Dezember 2008 und 10. Januar 2011 ausgewertet.

5

2. Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es dafür Sorge getragen hätte, dass der versehentlich nicht ausgeschöpfte Beweisbeschluss des [X.]s vom 3. Mai 2012 ausgeführt wird, und dem gerichtlichen Sachverständigen eine ergänzende Stellungnahme zu dem Privatgutachten des [X.] vom 2. April 2012 und den darin enthaltenen aktuellen [X.] aufgegeben hätte.

6

3. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird dabei Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwendungen der Nichtzulassungsbeschwerde auseinanderzusetzen und insbesondere die Frage zu klären, ob nicht angesichts der aktuellen Röntgenbefunde - wie sowohl der [X.] in seinem Gutachten vom 2. April 2012 als auch bereits der Gutachter der [X.] in seinem Gutachten vom 22. April 2010 angeregt haben - eine erneute neurologische Untersuchung des [X.] erforderlich ist.

[X.]                               [X.]

              [X.]                           von [X.]

Meta

VI ZR 219/13

01.07.2014

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 26. März 2013, Az: I-9 U 196/12, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.07.2014, Az. VI ZR 219/13 (REWIS RS 2014, 4419)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4419


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZR 219/13

Bundesgerichtshof, VI ZR 219/13, 01.07.2014.


Az. 9 U 196/12

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 196/12, 29.11.2016.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 219/13 (Bundesgerichtshof)


9 U 196/12 (Oberlandesgericht Hamm)


IV ZR 57/08 (Bundesgerichtshof)


IV ZR 190/08 (Bundesgerichtshof)

Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Berücksichtigung eines von dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen abweichenden Privatgutachtens


IV ZR 190/08 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

VI ZR 219/13

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.