Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.10.2012, Az. IX ZB 263/11

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1935

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Gegenstand

Restschuldbefreiungsverfahren: Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens bei Bezug von Arbeitseinkommen und Arbeitslosengeld II


Leitsatz

Für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens ist Arbeitslosengeld II mit Arbeitseinkommen nicht zusammenzurechnen, wenn der Schuldner nur deshalb Arbeitslosengeld II erhält, weil sein Arbeitseinkommen bei anderen Personen berücksichtigt wird, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben.

Tenor

Dem weiteren Beteiligten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. März 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der vorbezeichnete Beschluss aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Treuhänder erstrebt Zahlungen aus der Abtretung von pfändbaren Lohnanteilen des S[X.]huldners in der Wohlverhaltensperiode. Der S[X.]huldner bezog na[X.]h der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ab dem 15. September 2009 aus einem Arbeitsverhältnis mit der [X.] ein monatli[X.]hes Nettoeinkommen von rund 1.400 €. Ergänzend erhielt er [X.] in Höhe von monatli[X.]h 392,43 €, weil er zusammen mit seiner Lebensgefährtin, deren drei Kindern und einem gemeinsamen Kind in einer Bedarfsgemeins[X.]haft gemäß § 7 Abs. 2 und 3 [X.]I lebte.

2

Der Treuhänder hat beim Insolvenzgeri[X.]ht beantragt anzuordnen, dass die [X.] des S[X.]huldners mit den ergänzend bezogenen Sozialleistungen gemäß § 850e Nr. 2a ZPO zusammengere[X.]hnet werden und der pfändbare Anteil bei der Arbeitgeberin zu entnehmen ist. Das Insolvenzgeri[X.]ht hat den Antrag zurü[X.]kgewiesen. Die sofortige Bes[X.]hwerde des Treuhänders hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht dur[X.]h den Einzelri[X.]hter zugelassenen Re[X.]htsbes[X.]hwerde verfolgt der Treuhänder sein Begehren weiter.

II.

3

Na[X.]h Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe hat der weitere Beteiligte fristgere[X.]ht im Sinne von § 234 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Re[X.]htsbes[X.]hwerde na[X.]h § 575 Abs. 1, 2 ZPO beantragt. Zudem hat er die versäumten Re[X.]htshandlungen binnen der in § 236 Abs. 2 Satz 2, § 234 Abs. 1 ZPO geregelten Fristen na[X.]hgeholt, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

III.

4

Die Re[X.]htsbes[X.]hwerde ist na[X.]h § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO statthaft, weil sie vom [X.] zugelassen worden ist (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Das Insolvenzgeri[X.]ht hat bei der Prüfung der § 292 Abs. 1 Satz 3, § 36 Abs. 1 Satz 2 [X.], § 850e Nr. 2a ZPO als besonderes Vollstre[X.]kungsgeri[X.]ht na[X.]h § 36 Abs. 4 Satz 1 [X.] ents[X.]hieden, so dass si[X.]h der Re[X.]htsmittelzug na[X.]h den vollstre[X.]kungsre[X.]htli[X.]hen Vors[X.]hriften bestimmt (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 5. Juni 2012 - [X.], [X.], 1444 Rn. 3). Die Re[X.]htsbes[X.]hwerde ist na[X.]h Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand au[X.]h im Übrigen (§ 575 Abs. 1 bis 3 ZPO) zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefo[X.]htenen Ents[X.]heidung und zur Zurü[X.]kverweisung der Sa[X.]he an das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht.

5

1. Ents[X.]heidet der originäre Einzelri[X.]hter - wie hier - in einer Sa[X.]he, der er re[X.]htsgrundsätzli[X.]he Bedeutung beimisst, über die Bes[X.]hwerde und lässt er die Re[X.]htsbes[X.]hwerde zu, so ist die Zulassung wirksam. Auf die Re[X.]htsbes[X.]hwerde unterliegt die Ents[X.]heidung jedo[X.]h wegen fehlerhafter Besetzung des [X.] der Aufhebung von Amts wegen, weil der Einzelri[X.]hter in Re[X.]htssa[X.]hen, denen er grundsätzli[X.]he Bedeutung beimisst, zwingend das Verfahren an das Kollegium zu übertragen hat. [X.] er mit der Zulassungsents[X.]heidung zuglei[X.]h die grundsätzli[X.]he Bedeutung der Re[X.]htssa[X.]he, ist seine Ents[X.]heidung objektiv willkürli[X.]h und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzli[X.]hen Ri[X.]hters na[X.]h Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ([X.], Bes[X.]hluss vom 13. März 2003 - [X.] 134/02, [X.]Z 154, 200, 201 ff; vom 22. November 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 125 Rn. 8 f; vom 28. Juni 2012 - [X.] 298/11, Z[X.] 2012, 1439 mwN).

6

Die angefo[X.]htene Ents[X.]heidung ist daher aufzuheben und die Sa[X.]he zur erneuten Ents[X.]heidung an den Einzelri[X.]hter zurü[X.]kzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

7

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht in der Sa[X.]he ri[X.]htig ents[X.]hieden hat.

8

a) Die Befugnis des Treuhänders, beim Insolvenzgeri[X.]ht in der Wohlverhaltensperiode die Anordnung der Zusammenre[X.]hnung von [X.]n des S[X.]huldners mit pfändbaren Sozialleistungen zu beantragen, folgt aus § 292 Abs. 1 Satz 3 [X.] in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 [X.], § 850e Nr. 2a ZPO. Die Abtretungserklärung des S[X.]huldners erfasst na[X.]h § 287 Abs. 2 Satz 1 [X.], § 400 BGB nur die pfändbaren Teile seiner Einkünfte. Die Höhe der unpfändbaren Einkommensteile ri[X.]htet si[X.]h entspre[X.]hend § 36 Abs. 1 Satz 2 [X.] na[X.]h den [X.] des Einzelzwangsvollstre[X.]kungsre[X.]hts. Die Zusammenre[X.]hnung von [X.]n mit Sozialleistungen kann zu einer Übers[X.]hreitung der [X.] des § 850[X.] ZPO und damit zu abführbaren Beträgen an den Treuhänder führen.

9

b) Die Voraussetzungen, unter denen Sozialleistungen gemäß § 850e Nr. 2a ZPO mit [X.]n zusammengere[X.]hnet werden dürfen, liegen na[X.]h dem Wortlaut dieser Norm vor. Der Antrag des Treuhänders bezieht si[X.]h auf pfändbare laufende Geldleistungen im Sinne von § 54 Abs. 4 [X.], ni[X.]ht auf unpfändbare Dienst- oder Sa[X.]hleistungen na[X.]h § 54 Abs. 1 [X.]. Ein Ausnahmetatbestand gemäß § 54 Abs. 3 und 5 [X.] greift ni[X.]ht ein. Eine Billigkeitsprüfung, wie sie in der bis zum 17. Juni 1994 geltenden Fassung des § 850e Nr. 2a ZPO no[X.]h vorgesehen war, findet na[X.]h der Neufassung der Vors[X.]hrift dur[X.]h das [X.] zur Änderung des Sozialgesetzbu[X.]hs ([X.], [X.], 1251) ni[X.]ht mehr statt.

[X.]) Sinn und Zwe[X.]k der gesetzli[X.]hen Regelung verbieten es jedo[X.]h, das vom S[X.]huldner bezogene [X.] unter den im Streitfall gegebenen Umständen mit seinem Arbeitseinkommen zusammenzure[X.]hnen, weil die Zuerkennung öffentli[X.]her Leistungen auss[X.]hließli[X.]h auf der Art der Leistungsbere[X.]hnung beruht.

aa) Die Regelungen über die Zusammenre[X.]hnung mehrerer Arbeitseinkommen na[X.]h § 850e Nr. 2 ZPO und über die Zusammenre[X.]hnung von Arbeitseinkommen mit laufenden Geldleistungen na[X.]h dem Sozialgesetzbu[X.]h gemäß § 850e Nr. 2a ZPO dienen dem Interesse des Gläubigers an einer Befriedigung seiner Forderung unter Wahrung der bere[X.]htigten Belange des S[X.]huldners. Jene bestehen darin, dass ihm von seinem Arbeitseinkommen ein Betrag verbleiben muss, der sein Existenzminimum si[X.]hert und ihm dadur[X.]h ein mens[X.]henwürdiges Leben ermögli[X.]ht. Bezieht der S[X.]huldner mehrere Einkünfte, verlangen diese Belange ni[X.]ht, ihm den na[X.]h dem Gesetz pfändungsfreien Betrag auf jedes Einkommen zu gewähren. Er ist vielmehr ausrei[X.]hend ges[X.]hützt, wenn das Gesamteinkommen in Höhe des gesetzli[X.]h vorgesehenen Betrags pfändungsfrei bleibt.

bb) In Anbetra[X.]ht dieses Normzwe[X.]ks verbietet si[X.]h die Hinzure[X.]hnung der dem S[X.]huldner gewährten Sozialleistung zu seinem Arbeitseinkommen. Der S[X.]huldner lebt mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern sowie einem gemeinsamen Kind zusammen und bildet mit ihnen eine Bedarfsgemeins[X.]haft na[X.]h § 7 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 Bu[X.]hst. [X.] und Nr. 4 [X.]I. Bei der Bere[X.]hnung der Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeins[X.]haft wird das Einkommen des S[X.]huldners gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.]I anteilig berü[X.]ksi[X.]htigt. Infolge dieser re[X.]hneris[X.]hen Aufteilung des Arbeitseinkommens des S[X.]huldners gilt au[X.]h dieser selbst als hilfebedürftig, obwohl er Arbeitseinkommen bezieht, das seinen sozialre[X.]htli[X.]hen Bedarf übersteigt. Die Gewährung von [X.] an den S[X.]huldner beruht somit darauf, dass sein Einkommen sozialre[X.]htli[X.]h anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeins[X.]haft zugeordnet wird. Die Sozialleistung stellt si[X.]h unter diesen Umständen ni[X.]ht als eigenes Einkommen dar, wel[X.]hes dem S[X.]huldner zusätzli[X.]h zu seinem Arbeitseinkommen zur Verfügung steht. [X.] betra[X.]htet ersetzt es vielmehr einen Teil des Arbeitseinkommens, der innerhalb der Bedarfsgemeins[X.]haft sozialre[X.]htli[X.]h anders zugeordnet wird. Eine Zusammenre[X.]hnung der Sozialleistung und des Arbeitseinkommens zum Zwe[X.]k einer einheitli[X.]hen Bestimmung des pfändbaren Betrags ist bei dieser Sa[X.]hlage ni[X.]ht gere[X.]htfertigt.

Kayser                       Raebel                             Gehrlein

                Grupp                         [X.]

Meta

IX ZB 263/11

25.10.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Berlin, 29. März 2011, Az: 85 T 116/10

§ 36 Abs 1 S 2 InsO, § 292 Abs 1 S 3 InsO, § 850e Nr 2a ZPO, § 7 Abs 3 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.10.2012, Az. IX ZB 263/11 (REWIS RS 2012, 1935)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1935

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