Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.02.2013, Az. IX ZB 85/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8329

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Gegenstand

Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens eines insolventen Verbrauchers: Zusammenrechnung der Einkünfte des Schuldners; Berücksichtigung von mietfreiem Wohnen im eigenen Haus


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 14. Juni 2012 in der Fassung des [X.] vom 3. August 2012 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 7.200 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Am 9. August 2011 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der weitere Beteiligte zum Treuhänder bestellt. Die Schuldnerin ist langfristig erkrankt und bezieht ein monatliches Krankengeld in Höhe von 1.452 €. Mit Schriftsatz vom 21. November 2011 hat der Treuhänder beim Insolvenzgericht beantragt, das pfändbare Arbeitseinkommen der Schuldnerin zu berechnen. Dem Krankengeld der Schuldnerin sei der Wert der von ihr unentgeltlich genutzten Immobilie, der auf anteilig 600 € pro Monat festzusetzen sei, hinzuzurechnen. Die Schuldnerin ist diesem Antrag entgegengetreten. Das Insolvenzgericht hat ihn abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Treuhänders ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Treuhänder die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zusammenrechnung der von der Schuldnerin bezogenen Sozialleistungen und des Nutzungswerts der von ihr mitbewohnten Immobilie.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

3

1. Das Insolvenzgericht hat als besonderes Vollstreckungsgericht (§ 36 Abs. 4 Satz 1 [X.]) gemäß § 850e ZPO über die Höhe des pfändungsfreien Einkommens des Schuldners entschieden. In einem solchen Fall bestimmt sich auch der Rechtsmittelzug nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften ([X.], Beschluss vom 16. Juni 2011 - [X.] 166/11, [X.], 486, Rn. 4; vom 5. Juni 2012 - [X.] 31/10, Z[X.] 2012, 1260 Rn. 3; vom 13. Dezember 2012 - [X.] 7/12, Z[X.] 2013, 98 Rn. 3). Gegen vollstreckungsrechtliche Beschwerdeentscheidungen gemäß § 793 ZPO ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn sie vom Beschwerdegericht zugelassen ist. Dies ist hier der Fall.

4

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.], Beschluss vom 24. November 2003 - [X.], [X.], 1698, 1699; vom 12. März 2009 - [X.] 193/08, Z[X.] 2009, 885 Rn. 5 ff; vom 10. Mai 2012 - [X.] 295/11, Z[X.] 2012, 1085 Rn. 15) ist die Entscheidung über die Zulassung schon in dem Beschluss des [X.] zu treffen, mit dem es über die sofortige Beschwerde entschieden hat. Eine nachträgliche Entscheidung über die Zulassung kommt regelmäßig nicht in Betracht. Hiervon ausgenommen sind jedoch Fälle, in denen das Beschwerdegericht eine beschlossene Zulassung der Beschwerde versehentlich nicht in seine Entscheidung aufgenommen hat und sich aus dem Zusammenhang des Beschlusses selbst oder mindestens aus den Vorgängen bei seinem Erlass oder seiner Verkündung ergibt, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde beschlossen und nur versehentlich nicht in dem Beschluss ausgesprochen worden ist ([X.], Beschluss vom 12. März 2009, aaO Rn. 8 mwN). In diesen Fällen kann eine Berichtigung des Beschlusses nach § 319 ZPO erfolgen.

5

b) Im Streitfall kann dem Beschluss des [X.] vom 14. Juni 2012 entnommen werden, dass die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde nur versehentlich unvollständig geblieben ist und damit eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 319 ZPO vorgelegen hat. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, soweit sich seine Entscheidung darauf bezieht, ob der Ehemann der Schuldnerin bei der Berechnung des pfändungsfreien Einkommens als Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen ist. Hieraus folgt, dass es sich bei Erlass seiner Entscheidung mit der Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde auseinandergesetzt hat. Die Formulierung: "… soweit sich die vorliegende Entscheidung …" im Tenor des Beschlusses lässt darauf schließen, dass im Übrigen die Rechtsbeschwerde zugelassen werden sollte. Dies ist in dem Berichtigungsbeschluss vom 3. August 2012 nachträglich geschehen. Damit liegt eine das Rechtsbeschwerdegericht bindende (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO) nachträgliche Zulassung vor.

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Der weitere Beteiligte hat mit der nach Zustellung des [X.] am 13. August 2012 am 17. August 2012 beim [X.] eingelegten Rechtbeschwerde die Frist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewahrt. Die von dem weiteren Beteiligten vorsorglich beantragte Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist damit gegenstandslos.

7

Die Berichtigung eines Urteils wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 319 ZPO hat grundsätzlich keinen Einfluss auf Beginn und Lauf von [X.] ([X.], Beschluss vom 17. Januar 1991 - [X.], [X.]Z 113, 228, 230; vom 28. Juni 2000 - [X.] 157/99, NJW-RR 2001, 211; vom 12. Februar 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 712, 713). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Entscheidung als Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Verfahrensbeteiligten und für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nicht geeignet ist, insbesondere wenn die [X.] erst durch die Berichtigung Kenntnis davon erlangt, dass das Rechtsmittel ausdrücklich zugelassen ist ([X.], Urteil vom 7. November 2003 - [X.], [X.], 891, 893; Beschluss vom 12. Februar 2004, aaO; vom 11. Mai 2004 - [X.]; NJW 2004, 2389).

8

Die Voraussetzungen dieses Ausnahmefalls sind hier gegeben. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde ausdrücklich nicht schon in dem Beschluss vom 14. Juni 2012, sondern erst in dem nachfolgenden Berichtigungsbeschluss vom 3. August 2012 zugelassen. Die Rechtsbeschwerde konnte deshalb aus Sicht des weiteren Beteiligten erst nach Zustellung dieses Beschlusses wirksam eingelegt werden.

III.

9

In der Sache bleibt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht meint, eine Zusammenrechnung der Einkünfte der Schuldnerin mit dem Nutzungswert der Immobilie komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Verwaltung und Benutzung des Grundstücks schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Folge der Anordnung der Zwangsverwaltung der Schuldnerin und ihrem Ehemann entzogen worden und auf den Zwangsverwalter übergegangen seien. Dieser habe zu entscheiden, welche Nutzungen auf dem Grundstück stattfänden und ob der Schuldnerin und ihrem Ehemann die Nutzung des gesamten Anwesens überlassen bleibe. Ein Verwaltungs- und Verfügungsrecht hinsichtlich des Grundstücks gemäß § 313 Abs. 1 Satz 2, § 80 Abs. 1 Satz 1 [X.] habe der Treuhänder aufgrund der Anordnung der Zwangsverwaltung nicht erworben.

2. Diese Ausführungen halten der Rechtsbeschwerde nur im Ergebnis stand. Deren Auffassung, der anteilige Nutzungswert des Grundstücks stelle ungeachtet der Anordnung der Zwangsverwaltung sonstiges Einkommen der Schuldnerin dar, das mit ihren Einkünften zusammengerechnet werden müsse, um eine Gleichstellung von Schuldnern, die zur Miete wohnten, und von Schuldnern, die eine eigene Immobilie nutzten, zu erreichen, kann der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

Grundlage des Begehrens des Treuhänders ist zunächst § 850e Nr. 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift sind auf Antrag mehrere Arbeitseinkommen des Schuldners bei der Pfändung zusammenzurechnen. Zuständig für den Antrag ist nach § 850e Nr. 2 ZPO im eröffneten Insolvenzverfahren das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht (§ 36 Abs. 4 [X.]). Die Voraussetzungen der Vorschrift des § 850e Nr. 2 ZPO sind jedoch nicht erfüllt. Grundvoraussetzung für eine Zusammenrechnung ist, dass die einzubeziehende Leistung Arbeitseinkommen darstellt, also von einem Arbeitgeber aufgrund eines Arbeitsvertrages als Entgelt für Arbeitsleistungen des Schuldners gezahlt wird. Der hier gegebene Fall, dass der Schuldner mietfrei im eigenen Haus wohnt, ist damit nicht erfasst. Gleiches gilt für die Vorschrift des § 850e Nr. 2a ZPO, welche ein Zusammenrechnen von Arbeitseinkommen mit Ansprüchen auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch erlaubt. Der Wohnvorteil stellt keine Sozialleistung dar. Eine Anwendung der Vorschrift des § 850e Nr. 3 ZPO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Vorschrift nur Leistungen ein und desselben Arbeitgebers erfasst.

[X.]

                 Fischer                         [X.]

Meta

IX ZB 85/12

07.02.2013

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Saarbrücken, 14. Juni 2012, Az: 4 T 13/12

§ 850e Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.02.2013, Az. IX ZB 85/12 (REWIS RS 2013, 8329)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8329

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX ZB 166/11

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