Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.09.2011, Az. 2 StR 383/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3093

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Gegenstand

Verständigung im Strafverfahren: Anforderungen an die Beweiswürdigung und Umfang der richterlichen Sachverhaltsaufklärungspflicht bei einer Verfahrensabsprache; Erstreckung der Urteilsaufhebung auf weitere Mitangeklagte


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. Februar 2011 aufgehoben,

a) soweit es ihn und den Mitangeklagten [X.] betrifft, mit den Feststellungen,

b) soweit es den Mitangeklagten M. betrifft, im [X.]) der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]  sowie die nichtrevidierenden Mitangeklagten [X.]     und M.        wegen versuchten schweren Raubes ([X.]), den Mitangeklagten M.        ferner wegen versuchten Betruges ([X.]), zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten ([X.] ), von zwei Jahren ([X.]     ) und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (M.       ) verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten [X.]hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Aufhebung des Urteils erstreckt sich in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang auf die nichtrevidierenden Mitangeklagten.

2

1. Das Urteil ist, soweit es den Angeklagten [X.]   betrifft, bereits deswegen aufzuheben, weil es eine Beweiswürdigung im Sinne des § 261 StPO vermissen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die Feststellungen zur Sache allein "auf der Anklageschrift", welcher der Angeklagte [X.] sowie die Mitangeklagten [X.]     und M.        "nach Maßgabe" der getroffenen Verständigung "nicht entgegengetreten" sind (UA S. 26).

3

Das Urteil genügt damit nicht den Mindestanforderungen, die an die richterliche Überzeugungsbildung auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verständigung ergangen ist. Auch bei einer Verständigung hat das Gericht von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären (§ 257c Abs. 1 S. 2, § 244 Abs. 2 StPO). Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht (vgl. [X.], [X.], 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336; Beschluss vom 9. März 2011 - 2 StR 428/10). Nur ein Sachverhalt, der auf einer Überzeugungsbildung des Gerichts unter vollständiger Ausschöpfung des [X.] beruht, kann die Grundlage einer Verurteilung bilden. Eine Anklageschrift kann auch dann nicht Grundlage sein, wenn ihr neben dem Angeklagten, wie vorliegend, seine wegen gemeinschaftlichem Handelns angeklagten Mittäter ebenfalls nicht entgegengetreten sind. Diesem Einlassungsverhalten lässt sich ein irgendwie geartetes - auch nur "schlankes" - Geständnis, das einen als glaubhaft bewertbaren inhaltlichen Gehalt hätte, auf den einen Schuldspruch tragende Feststellungen gestützt werden könnten, nicht entnehmen (vgl. [X.], [X.], 509, 510). Es fehlt schon an einem tatsächlichen Einräumen des dem [X.] zu Grunde liegenden Sachverhalts.

4

2. Die Aufhebung ist gemäß § 357 StPO auf die nichtrevidierenden Angeklagten [X.]     und M.       zu erstrecken, soweit sie wegen der nämlichen Tat verurteilt worden sind. Der materiell-rechtliche Fehler der nicht vorgenommenen Beweiswürdigung, der der Verurteilung des Angeklagten [X.]    im [X.] der Urteilsgründe zu Grunde liegt, betrifft die Mitangeklagten [X.]     und M.         in gleicher Weise.

5

Dass sich die Anforderungen an die Urteilsgründe hinsichtlich der nichtrevidierenden Mitangeklagten nur nach dem Maßstab des § 267 Abs. 4 StPO bestimmen, steht einer Erstreckung nicht entgegen, denn es handelt sich hier nicht nur um einen Erörterungsmangel (vgl. [X.], [X.], 223; Beschluss vom 4. Februar 1997 - 5 StR 12/97) oder eine sonst fehlerhafte Beweiswürdigung, sondern um das Fehlen einer Beweiswürdigung, wovon auch § 267 Abs. 4 StPO, der nur Darstellungspflichten betrifft, nicht befreien kann.

6

Das Urteil hinsichtlich des Angeklagten [X.]      war daher insgesamt aufzuheben. Betreffend den Mitangeklagten M.          erstreckt sich die Aufhebung nur auf [X.] der Urteilsgründe, was zum Wegfall der dazugehörigen Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs führt.

Fischer                                   Appl                            Berger

                     [X.]

Meta

2 StR 383/11

22.09.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 4. Februar 2011, Az: 113 KLs 28/10 - 108 Js 5/09, Urteil

§ 244 Abs 2 StPO, § 257c StPO, § 261 StPO, § 267 Abs 1 StPO, § 357 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.09.2011, Az. 2 StR 383/11 (REWIS RS 2011, 3093)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3093

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