Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.04.2013, Az. 3 StR 35/13

3. Strafsenat | REWIS RS 2013, 6662

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 35/13
vom
15. April 2013
in der Strafsache
gegen

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

wegen
Mitgliedschaft in einer kriminellen [X.]
u.a.
hier:
[X.]visionen der Angeklagten [X.]

und B.

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und der Beschwerdeführer am 15. April 2013 gemäß §
349 Abs.
4, §
357 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die [X.]visionen der Angeklagten [X.]

und B.

wird das Urteil des [X.] vom 5.
Januar 2012, auch soweit es die Angeklagten [X.]

, [X.]

, R.

, [X.].

, [X.]

, [X.]

, [X.]

, De.

, Gr.

und Bu.

be-trifft, mit den Feststellungen aufgehoben mit Ausnahme des Schuldspruchs bezüglich des Mitangeklagten Bu.

im Fall C. der Urteilsgründe, der in diesem Fall verhängten [X.] sowie der Einziehung des [X.].
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der [X.]chtsmittel, an ei-ne andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten [X.]

und B.

, die mit den nichtrevidierenden Mitangeklagten [X.]

, [X.]

, R.

, [X.].

, [X.]

, [X.]

, [X.]

, De.

, Gr.

und Bu.

sowie weiteren gesondert Verfolgten unter der Bezeichnung "W.

-Radio" ein [X.] zur Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts betrieben, wegen der [X.] an einer kriminellen [X.] als Mitglied (Angeklagte [X.]

) 1
-
3
-
bzw. wegen Unterstützung einer kriminellen [X.] in Tateinheit mit Volksverhetzung in zwei Fällen, Beleidigung und Verunglimpfung des Anden-kens Verstorbener (Angeklagter B.

)
zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die [X.] Mitangeklagten [X.]

, [X.]

, R.

, [X.].

, [X.]

, De.

und Bu.

hat es ebenfalls wegen der Beteiligung an einer kriminellen [X.] als Mitglied, die nichtrevidierenden Mitangeklag-ten [X.]

, [X.]

und Gr.

wegen Unterstützung einer kriminellen Verei-nigung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Dabei hat es -
außer bei den Mitangeklag-ten [X.]

, [X.]

und Bu.

-
jeweils in unterschiedlichem Maße die tateinheitliche Verwirklichung weiterer Delikte, namentlich der Volksverhetzung, des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, der Gewaltdarstellung, der
Beleidigung, der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und der Billigung von Strafta-ten angenommen sowie den Mitangeklagten Bu.

wegen eines [X.] verurteilt und insoweit eine Einziehungsentscheidung getroffen.
Die [X.]visionen der Angeklagten [X.]

und B.

haben mit der er-hobenen Sachrüge Erfolg; auf die -
nicht ausgeführte und somit unzulässige (§
344 Abs. 2 Satz 2 StPO) -
Rüge der Verletzung formellen [X.]chts kommt es deshalb nicht an. Die Aufhebung des Urteils erstreckt sich in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang auf die nichtrevidierenden Mitangeklag-ten.
[X.] Der Schuldspruch hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang keinen Bestand, denn die Beweiswürdigung des [X.] genügt nicht den Mindestanforderungen, die an die richterliche Überzeugungsbildung zu stellen sind.
2
3
-
4
-
1. Das [X.] hat bei der Verurteilung der Angeklagten wegen "[X.] an einer kriminellen [X.] als Mitglied" bzw. "Unterstützung [X.]" und eines Teils der Mitangeklagten wegen zahlrei-cher mitverwirklichter Äußerungs-
und Propagandadelikte unter anderem Fest-stellungen zu 73
Liedern größtenteils rechtsradikalen
Inhalts getroffen, deren textliche Wiedergabe -
teilweise in [X.] Übersetzung der [X.] Ori-ginalfassung -
über 35 Urteilsseiten umfasst. Es hat weiter bei einem Großteil der Angeklagten über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahr mit mi-nutengenauer Darstellung der Spielzeiten eine Vielzahl von über das "W.

-Radio" gesendeten Liedern und Äußerungen der Angeklagten nach [X.] und Uhrzeit festgestellt. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat es lediglich ausgeführt, die getroffenen Feststellungen beruhten "auf den glaubhaften ge-ständigen Einlassungen der Angeklagten in der [X.]uptverhandlung, den verle-senen [X.]gisterauszügen und den glaubhaften Bekundungen der Zeugen KOK
Sch.

und KOK
St.

, die insbesondere über den Gang
des Ermittlungsverfahrens berichtet haben."
2. Diese Ausführungen belegen, dass die [X.] sich ihre Über-zeugung von der Täterschaft der Angeklagten auf unzureichender Basis ver-schafft hat, was der Senat auch allein auf die Sachrüge zu berücksichtigen hat. Im Einzelnen:
a) Aus dem verfassungsrechtlich verankerten [X.] folgt im [X.] Strafprozessrecht die Verpflichtung der Gerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt -
die materielle Wahrheit -
zu erforschen (§
244 Abs.
2 StPO, vgl.
zuletzt [X.], Urteil vom 19. März 2013 -
2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, [X.], 1058). Diese Pflicht bestimmt den Um-fang der Beweisaufnahme in der [X.]uptverhandlung. Die Würdigung der Bewei-4
5
6
-
5
-
se (§
261
StPO) bildet wiederum die Grundlage für
den Schuldspruch und die Festsetzung der entsprechenden [X.]chtsfolgen. Die Amtsaufklärungspflicht darf -
schon wegen der Gesetzesbindung des Richters (Art.
20 Abs.
3 GG) -
nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des [X.] geopfert und kann nicht zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts gestellt werden ([X.] aaO).
Es ist daher unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu le-gen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter vollständiger Ausschöpfung des [X.] beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte
-
unter Umständen aufgrund einer Verständigung
-
geständig gezeigt
hat. Zwar unterfällt auch die Bewertung eines Geständnisses dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Das Tatgericht muss aber, will es die [X.] des Angeklagten auf dessen Einlassung stützen, von deren Richtigkeit überzeugt sein ([X.], Urteil vom 10.
Juni 1998 -
2
StR
156/98, [X.]R StPO §
261 Überzeugungsbildung
31). Es
ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 7. Februar 2012 -
3 [X.], NStZ-RR
2012, 256). Die Beschränkung der Beweiswürdigung im Wesentlichen auf den bloßen Hinweis, der Angeklagte sei geständig gewesen, genügt insbesondere dann nicht, wenn aufgrund der Komplexität und der zahlreichen Details des festge-stellten Sachverhalts Zweifel bestehen können, dass der Angeklagte an das Tatgeschehen eine auch in den Einzelheiten genügende Erinnerung hat ([X.], Beschlüsse vom 7. Februar 2012 -
3 [X.], [X.], 256 f. und vom 5.
Dezember 1995 -
4
StR
698/95, StV
1996, 214, 215).
7
-
6
-

b)
Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, denn das [X.] hat es ausweislich der Urteilsgründe unterlassen, die Geständnisse der Angeklagten einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Damit beruht seine Überzeugung nicht auf einer tragfähigen Grundlage. [X.] mit Blick auf die jeweils genauen Texte einer großen Zahl teilweise fremdsprachiger Lieder sowie die Frage, welcher Angeklagte genau bei welcher Moderation welche Lieder zu Gehör brachte, liegt es auf der [X.]nd, dass die Angeklagten sich insoweit nicht an die exakten Einzelheiten des zudem einige Zeit zurückliegenden Geschehens erinnern konnten.
Dass die Angeklagte [X.]

nur wegen der Beteiligung an der [X.] als Mitglied und der Angeklagte B.

neben der [X.] lediglich wegen des Abspielens zweier [X.] Lieder verurteilt worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung: Der Inhalt der Lieder und die Häufigkeit sowie der Zeitraum, über den sie von allen Moderatoren des "W.

-Radio" gespielt wurden, bestimmten hier nicht nur die für den Schuldumfang maßgeblichen strafbaren [X.]ndlungen der [X.], sondern waren auch für die Feststellung, dass es sich überhaupt um eine kriminelle [X.] handelte, unverzichtbar.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs wirkt gemäß §
357
StPO auch zu-gunsten der nichtrevidierenden Mitangeklagten [X.]

, [X.]

, R.

, [X.].

, [X.]

, [X.]

, [X.]

, De.

,
Gr.

und Bu.

, soweit sie wegen der nämlichen Tat, die sich hier nach der Mitgliedschaft an bzw. der Unterstützung derselben kriminellen [X.] bestimmt, verurteilt worden sind. Bezüglich des Mitangeklagten Bu.

erstreckt sich die Aufhebung indessen nicht auf die Verurteilung im Fall C.

der Urteilsgründe, die nicht die nämliche Tat im Sinne des §
357
StPO betrifft.
8
9
10
-
7
-
Dass sich die Anforderungen an die Urteilsgründe hinsichtlich der [X.] Mitangeklagten nur nach dem Maßstab des §
267 Abs.
4 StPO bestimmen, steht der Notwendigkeit der
Erstreckung nicht entgegen, denn es handelt sich hier nicht nur um einen bloßen Erörterungsmangel. Vielmehr ist das [X.] aufgrund einer unzureichenden Beweiswürdigung zu einer Verurteilung sämtlicher Angeklagter gelangt. Von der Verpflichtung des Tatge-richts, seine Überzeugung auf eine tragfähige Grundlage zu stützen, vermag aber auch §
267 Abs.
4 StPO, der nur Darstellungspflichten betrifft, nicht zu befreien ([X.], Beschluss vom 7. Februar 2012 -
3 [X.], juris Rn. 8
mwN).
I[X.] Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht für die Angeklagten [X.]

und B.

sowie die Mitangeklagten [X.]

, [X.]

, R.

, [X.].

, [X.]

, [X.]

, [X.]

, De.

, Gr.

und Bu.

die Aufhe-bung auch des [X.]chtsfolgenausspruchs nach sich. Für den Mitangeklagten Bu.

bleibt es allerdings bei der im Fall C. der Urteilsgründe verhäng-ten [X.] und der auf dieser Tat beruhenden Einziehungsentscheidung.
II[X.] Für die neue [X.]uptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Nach den bisherigen Feststellungen war die Mitangeklagte [X.]

neben anderen gesondert Verfolgten
Mitbegründerin des "W.

-Radio" und beteiligte sich unmittelbar im [X.] daran in der Folgezeit als Mitglied an der [X.]. Sollte sich dies erneut bestätigen, stünde die Gründung, die im Verhältnis zur Beteiligung als Mitglied einen selbständigen Unrechtsgeh-alt
aufweist, zu der mitgliedschaftlichen Betätigung in Tateinheit und wäre nicht nur bei der Bewertung des Schuldumfangs im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Vielmehr gebietet es das Erfordernis der [X.]chtsklarheit in [X.], bereits im Schuldspruch zu verdeutlichen, dass über die mitglied-11
12
13
14
-
8
-
schaftliche Beteiligung hinaus eine weitere, eigenständige Tathandlung des §
129 Abs.
1
StGB verwirklicht wurde (vgl. [X.], Urteil vom 3.
Dezember 2009

-
3
StR
277/09, [X.]St
54, 216, 235).
2. Sollte das neue Tatgericht im Rahmen der [X.]uptverhandlung erneut das Senden von Liedern und Äußerungen feststellen, wird es -
eingehender als bisher -
jedes Lied und jede Äußerung, die es zur Grundlage des Schuld-
und Strafausspruchs macht, unter Beachtung der [X.]chtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts zur Meinungsfreiheit nach Art.
5 Abs.
1 Satz
1 GG (vgl. insbe-sondere [X.], Beschlüsse vom 25.
März
2008 -
1
BvR
1753/03, NJW
2008, 2907; vom 15.
September
2008 -
1
BvR
1565/05, NJW
2009, 908)
und des [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 3.
April
2008 -
3
StR
394/07, juris) daraufhin zu untersuchen haben, ob hierdurch Äußerungs-
und Propagandade-likte verwirklicht worden sind (vgl. [X.], Beschluss vom 7.
Februar 2012 -
3 [X.], [X.], 256, 257).
Tolksdorf

Hubert Schäfer

Gericke Spaniol
15

Meta

3 StR 35/13

15.04.2013

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.04.2013, Az. 3 StR 35/13 (REWIS RS 2013, 6662)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6662

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 35/13

2 BvR 2628/10

2 BvR 2883/10

3 StR 335/11

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