Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.02.2011, Az. I ZB 63/09

1. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 9537

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Gegenstand

Nebenintervention: Rechtliches Interesse wegen Präzedenzwirkung für "Parallelverwender" inhaltsgleicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen bei Streitverkündung - Parallelverwendung


Leitsatz

Parallelverwendung

1. Allein die Möglichkeit, dass ein Urteil in einem ersten Prozess für nachfolgende Prozesse eine faktische Präzedenzwirkung entfaltet und zu erwarten ist, dass sich die Gerichte in den nachfolgenden Verfahren an der im ersten Prozess ergangenen Entscheidung orientieren werden, vermag ein rechtliches Interesse im Sinne von § 66 Abs. 1 ZPO nicht zu begründen. Das gilt auch im Fall der Nebenintervention von "Parallelverwendern" inhaltsgleicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen .

2. Ein solches rechtliches Interesse kann auch nicht allein darauf gestützt werden, dass eine Streitverkündung nach § 72 Abs. 1 ZPO erfolgt ist.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 23. Zivilsenats des [X.] vom 22. Juli 2009 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde des [X.] wird die Entscheidung der [X.] des [X.] vom 25. Juni 2008 abgeändert, soweit die Beitritte der [X.] zu 9, 10, 12, 19, 22 und 23 für zulässig erklärt und dem Kläger die Kosten des [X.] über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten auferlegt worden sind.

Die Beitritte der [X.] zu 9, 10, 12, 19, 22 und 23 werden für unzulässig erklärt.

Die [X.] zu 9, 10, 12, 19, 22 und 23 haben die Kosten des [X.] über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen.

[X.]: 25.000 €.

Gründe

1

I. Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist ein Zwischenstreit über die Zulässigkeit von [X.] (§ 71 ZPO).

2

Der Kläger ist ein eingetragener Verein [X.] Schauspieler, die vornehmlich als Synchronsprecher tätig sind. Er nimmt nach seiner Satzung die Interessen dieser sogenannten [X.] wahr. Die Beklagte stellt [X.] Synchronfassungen insbesondere von Spielfilmen her. Dazu engagiert sie [X.] unter Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen.

3

Der Kläger ist der Ansicht, einige Klauseln dieser Vertragsbedingungen seien mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen der §§ 88 ff. [X.] nicht zu vereinbaren und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 [X.] unwirksam. Er hat die Beklagte deshalb nach § 1 [X.] auf Unterlassung der Verwendung dieser Klauseln in Anspruch genommen.

4

Die Beklagte hat 28 anderen Synchronunternehmen den Streit verkündet, von denen sechs dem Rechtsstreit auf ihrer Seite als [X.] beigetreten sind. Die [X.] verwenden Vertragsbedingungen, die mit den vom Kläger beanstandeten Vertragsbedingungen der Beklagten teilweise inhaltsgleich sind. Sie haben ihr rechtliches Interesse an einer Unterstützung der Beklagten (§ 66 Abs. 1 ZPO) damit begründet, dass sie im Falle eines Unterliegens der Beklagten damit rechnen müssten, von der Beklagten wegen der Verwendung inhaltsgleicher Vertragsbedingungen nach §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1, § 9 Satz 1 UWG auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden.

5

Der Kläger ist der Ansicht, die [X.] seien nicht zulässig, weil die [X.] kein rechtliches Interesse an einem Beitritt zum Rechtsstreit hätten. Er hat daher beantragt, die [X.] zurückzuweisen.

6

Das [X.] hat die Beitritte der [X.] durch Zwischenurteil für zulässig erklärt. Die sofortige Beschwerde des [X.] ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der [X.] weiter.

7

II. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.

8

1. Auf das Verfahren nach dem Unterlassungsklagengesetz sind gemäß § 5 [X.] die Vorschriften der Zivilprozessordnung anzuwenden, soweit sich aus dem Unterlassungsklagengesetz nicht etwas anderes ergibt. Danach sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die [X.] (§§ 66 ff. ZPO) bei Klagen nach dem Unterlassungsklagengesetz anwendbar ([X.]/Schlosser, [X.], 2006, § 5 [X.] Rn. 3).

9

2. Entgegen der Ansicht des [X.] sind die [X.] nicht nach § 71 Abs. 1 Satz 2 ZPO zuzulassen. Sie haben nicht glaubhaft gemacht, ein rechtliches Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO daran zu haben, dass die Beklagte in dem zwischen dem Kläger und der Beklagten anhängigen Rechtsstreit obsiegt.

a) Der Begriff des rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO ist allerdings weit auszulegen. Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses folgt jedoch, dass ein rein wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse für die Zulässigkeit einer [X.] nicht ausreicht. Der Begriff des rechtlichen Interesses erfordert vielmehr, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten [X.] oder dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt. Der bloße Wunsch der [X.], der Rechtsstreit möge zugunsten einer [X.] entschieden werden, und die Erwartung, dass die damit befassten Gerichte auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit mit einer [X.] an einem einmal eingenommenen Standpunkt festhalten und zu einer ihnen günstigen Entscheidung gelangen sollten, stellen lediglich Umstände dar, die ein tatsächliches Interesse am Obsiegen einer [X.] zu erklären vermögen. Ein solches Interesse daran, dass eine rechtliche oder tatsächliche Frage auf eine bestimmte Weise beantwortet wird, genügt ebenso wenig wie der denkbare Umstand, dass in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2006 - [X.] 236/01, [X.]Z 166, 18 Rn. 7; Beschluss vom 24. April 2006 - [X.], [X.], 1252 Rn. 12, jeweils mwN).

b) Entgegen der Ansicht des [X.] ist nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall ein rechtliches Interesse der [X.] zu verneinen. Der bloße Wunsch der [X.], der vorliegende Rechtsstreit möge zugunsten der Beklagten entschieden werden, und die damit verbundene Erwartung, dass die mit einer nachfolgenden Klage der Beklagten gegen sie auf Unterlassung der Verwendung inhaltsgleicher Klauseln befassten Gerichte gleichfalls den Standpunkt einnehmen, dass die in Rede stehenden Vertragsbedingungen nicht wegen einer Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen der §§ 88 ff. [X.] gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 [X.] unwirksam sind, begründet nur ein tatsächliches Interesse der [X.] am Obsiegen der Beklagten. Allein die Möglichkeit, dass ein Urteil im [X.] für nachfolgende Prozesse eine faktische Präzedenzwirkung entfaltet und die befassten Gerichte sich an der Entscheidung im [X.] orientieren, vermag ein rechtliches Interesse im Sinne von § 66 Abs. 1 ZPO nicht zu begründen ([X.]/[X.], ZPO, 7. Aufl., § 66 Rn. 7; [X.]/Schütze/[X.], ZPO, 3. Aufl., § 66 Rn. 61 mwN). Das gilt auch im - hier gegebenen - Fall der [X.] von "Parallelverwendern" inhaltsgleicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen ([X.] in [X.]/[X.], AGB-Recht, 5. Aufl., § 5 [X.] Rn. 74; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], AGB-Recht, 11. Aufl., § 5 [X.] Rn. 22; [X.]/Schlosser aaO § 5 [X.] Rn. 3; vgl. auch [X.], [X.] 2010, 138).

c) Die Entscheidung des [X.] stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten vermag allein die Tatsache der [X.] nach § 72 Abs. 1 ZPO das nach § 66 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse nicht zu begründen ([X.]/Schütze/[X.] aaO § 74 Rn. 24 ff.; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 31. Aufl., § 66 Rn. 5; [X.], OLG-Rep 2008, 156; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 74 Rn. 3; MünchKomm.ZPO/[X.], 3. Aufl., § 74 Rn. 3; [X.]/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 66 Rn. 8). Dies ergibt sich bereits aus dem [X.] der maßgeblichen Bestimmungen. Tritt im Falle einer [X.] der Dritte dem Streitverkünder bei, so bestimmt sich sein Verhältnis zu den [X.]en gemäß § 74 Abs. 1 ZPO nach den Grundsätzen über die [X.]. Wird die Zurückweisung des Beitritts beantragt, setzt die Zulassung des [X.] daher nach § 71 Abs. 1 ZPO voraus, dass er sein Interesse glaubhaft macht. Aus dem Umstand, dass im Falle einer [X.] und eines Beitritts des [X.] bei einem Antrag auf Zurückweisung des Beitritts zu prüfen ist, ob der Dritte ein Interesse an einem Beitritt glaubhaft gemacht hat, folgt, dass allein die Tatsache der [X.] ein rechtliches Interesse nicht zu begründen vermag.

III. Danach ist auf die Rechtsbeschwerde des [X.] der Beschluss des [X.] aufzuheben. Auf die sofortige Beschwerde des [X.] ist die Entscheidung des [X.]s abzuändern, soweit die Beitritte der [X.] für zulässig erklärt und dem Kläger die Kosten des [X.] über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die [X.] verursachten Kosten auferlegt worden sind. Die Beitritte der [X.] sind für unzulässig zu erklären. Die [X.] haben die Kosten des [X.] über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die [X.] verursachten Kosten zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Bornkamm                                 Büscher                           Schaffert

                       [X.]                                 Koch

Meta

I ZB 63/09

10.02.2011

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 22. Juli 2009, Az: 23 W 55/08, Beschluss

§ 66 Abs 1 ZPO, § 72 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.02.2011, Az. I ZB 63/09 (REWIS RS 2011, 9537)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9537

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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