Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.05.2011, Az. 2 BvR 2599/10

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2011, 6945

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsbeschwerde zur Geltendmachung von Rechten eines Landtagsabgeordneten unstatthaft, Verweisung auf Organstreitverfahren - Art 28 Abs 1 S 2 GG vermittelt kein mit der Verfassungsbeschwerde rügefähiges subjektives Recht - hier: Vorgezogene Neuwahlen zum Schleswig-Holsteinischen Landtag


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Wahlen zum [X.] am 27. September 2009 und wendet sich gegen die Entscheidung des [X.] vom 30. August 2010 ([X.]/10, abgedruckt in der Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland - [X.] - 2010, [X.]).

I.

2

Mit dem angegriffenen Urteil stellte das [X.] eine Verletzung der Landesverfassung durch § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 des Landeswahlgesetzes Schleswig-Holstein ([X.]) fest. Es verpflichtete den Gesetzgeber, eine mit der Landesverfassung übereinstimmende Rechtslage bis zum 31. Mai 2011 herbeizuführen und ordnete die Durchführung von Neuwahlen bis spätestens zum 30. September 2012 an.

3

Der Beschwerdeführer, ein [X.] der [X.] im [X.], wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtliche Anordnung in der angegriffenen Entscheidung, dass spätestens bis zum 30. September 2012 eine Neuwahl des [X.]es herbeizuführen sei.

II.

4

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 12 Abs. 1 [X.] beziehungsweise Art. 1 Abs. 1 [X.], [ref=[X.]-45e1-83e2-5f4a0e0d5b99]Art. 20 Abs. 1 und 2 [X.]] sowie Art. 38 Abs. 1 Satz 1 [X.].

5

1. Die Tätigkeit als Landtagsabgeordneter diene der Schaffung und Erhaltung seiner Lebensgrundlage und sei daher vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 [X.] erfasst. Durch die Entscheidung zur vorzeitigen Beendigung der 17. Wahlperiode des [X.] werde in ungerechtfertigter Weise in seine Berufsausübung eingegriffen. Er dürfe seinen [X.]beruf nicht - wie vorher geplant - fünf Jahre (reguläre Dauer der Legislaturperiode), sondern - bis zu den angeordneten Neuwahlen im [X.] 2012 - nur drei Jahre lang ausüben. Ihm verbleibe deutlich weniger Zeit, um politisch gestaltend tätig zu werden und politische Projekte in Angriff zu nehmen. Für die Verkürzung einer Legislaturperiode durch das [X.] gebe es keine gesetzliche Grundlage - weder in der [X.] noch im einfachen Gesetzesrecht des Landes.

6

2. Die angegriffene Entscheidung des [X.]s Schleswig-Holstein verletze den Beschwerdeführer - als Bürger - auch in seinem grundrechtsgleichen Recht auf freie, gleiche und wirksame Teilhabe an der [X.] Selbstbestimmung. Jeder Bürger habe ein Recht darauf, dass eine Legislaturperiode ordnungsgemäß beendet werde, sei es durch Zeitablauf oder vorzeitig durch eine demokratisch legitimierte Grundlage. Da es vorliegend an einer solchen - in der [X.]oder im einfachen Landesrecht - fehle, seien Art. 1 Abs. 1 [X.], Art. 38 Abs. 1 und 2 [X.] in Verbindung mit [ref=062adc82-3773-4fa6-91ef-7e622882fe7a]Art. 20 Abs. 1 und 2 [X.]] verletzt.

III.

7

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist.

8

1. a) Der Beschwerdeführer kann seine aus dem Status als [X.] des [X.]es folgenden Rechte nicht im Wege einer Verfassungsbeschwerde vor dem [X.] geltend machen.

9

Der Senat hat den aktiven [X.] in ständiger Rechtsprechung in allen Fragen, die seinen [X.]status betreffen, auf den Weg des Organstreits verwiesen und die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde verneint, selbst wenn er zusätzlich die Verletzung von Grundrechten rügt (vgl. [X.] 43, 142 <148 f.>; 64, 301 <312>; 99, 19 <29>; 118, 277 <320>). Die Verfassungsbeschwerde ist dem einzelnen Bürger zur Verfolgung seiner Rechte gegen den Staat gegeben, sie ist kein Mittel zur Austragung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Staatsorganen ([X.] 15, 298 <302>). Die mit diesem Status verfassungsrechtlich verbundenen Rechte kann ein [X.] in dem dafür vorgesehenen Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vor dem [X.] oder nach dem entsprechenden Landesverfassungsrecht vor dem [X.] geltend machen. Wenn der Abgeordnete um die ihm als Abgeordnetem verfassungsrechtlich zukommenden Rechte mit einem anderen Staatsorgan, regelmäßig dem Parlament selbst, streitet, steht er dem Staat nicht als "jedermann" gegenüber, der sich gegen eine Verletzung jenes rechtlichen Raumes wehrt, der durch die Grundrechte gegenüber dem Staat gesichert ist. Daraus folgt, dass ihm in einem derartigen Streit der Weg der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.], §§ 90 ff. BVerf[X.] auch dann verschlossen ist, wenn er als Verfassungsverstoß auch eine Grundrechtsverletzung behauptet (vgl. [X.] 43, 142 <148 f.>).

b) Soweit sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass seine Amtszeit als [X.] des [X.]es durch die angegriffene Entscheidung verkürzt worden ist, betrifft dies seine Rechte aus dem Status als [X.]. Für die Auflösung des [X.] hat das [X.] entschieden, dass eine dem Grundgesetz nicht entsprechende Verkürzung einer Wahlperiode in den vom Grundgesetz gewährleisteten Status des [X.] eingreift (vgl. [X.] 62, 1 <32>; vgl. auch 114, 121 <146>). Nichts anderes gilt in den Fällen, in denen die Wahlperiode eines [X.] verkürzt wird. Dabei ist es unerheblich, ob die Verkürzung der Wahlperiode auf einer Entscheidung des Bundespräsidenten beruht oder - wie im vorliegenden Fall - durch eine Entscheidung des [X.]s verursacht worden ist.

2. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, durch das angegriffene Urteil des [X.]s Schleswig-Holstein - als Bürger - in seinem grundrechtsgleichen Recht auf freie, gleiche und wirksame Teilhabe an der [X.] Selbstbestimmung verletzt zu sein, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungsanforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerf[X.]. Es wird nicht hinreichend deutlich, welche Verletzung eines Grundrechts der Beschwerdeführer konkret rügen will.

Sollte der Beschwerdeführer sich auf eine Verletzung der Wahlrechtsgrundsätze im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 [X.] berufen wollen, wäre eine Verfassungsbeschwerde unzulässig. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 [X.] vermittelt dem Einzelnen keine mit der Verfassungsbeschwerde zum [X.] rügefähige subjektive Rechtsposition; der Bürger kann bei den Wahlen zu den Volksvertretungen in den Ländern auch keinen der fünf Wahlrechtsgrundsätze über Art. 3 Abs. 1 [X.] mit der Verfassungsbeschwerde zum [X.] einfordern (vgl. [X.] 99, 1 <8>).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerf[X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2599/10

05.05.2011

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein, 30. August 2010, Az: LVerfG 1/10, Urteil

Art 28 Abs 1 S 2 GG, Art 38 Abs 1 S 1 GG, Art 93 Abs 1 Nr 1 GG, Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 16 WahlG SH, § 1 Abs 1 S 2 WahlG SH, § 1 Abs 2 WahlG SH, § 3 Abs 5 WahlG SH

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.05.2011, Az. 2 BvR 2599/10 (REWIS RS 2011, 6945)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6945

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