Bundessozialgericht, Urteil vom 14.09.2010, Az. B 7 AL 3/09 R

7. Senat | REWIS RS 2010, 3437

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Gegenstand

Arbeitslosengeldanspruch - Anwartschaftszeit - Zivildienstleistender - Versicherungspflichtigkeit oder -freiheit der vorhergehenden Beschäftigung - Geringfügigkeit - Prognose - einheitliche Beurteilung


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld ([X.]) für die [X.] ab 4.7.2002.

2

Der 1981 geborene Kläger legte im [X.]ai 2001 das Abitur ab. Im April, Juli und August 2000 arbeitete er bei der Firma [X.] Nach dem Abitur war er bis Ende August als Lageraushilfe bei einer Spedition tätig. In der [X.] vom 3.9.2001 bis [X.] leistete der Kläger Zivildienst und nahm zum Wintersemester 2002/2003 ein Studium auf.

3

Seinen Antrag auf Gewährung von [X.] lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die für den Bezug von [X.] erforderliche Anwartschaftszeit sei nicht erfüllt, weil der Kläger innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist nicht mindestens zwölf [X.]onate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Der Zivildienst begründe keine Versicherungspflicht, weil der Kläger nicht unmittelbar vor dessen Beginn, sondern nur im Juli 2001, versicherungspflichtig tätig gewesen sei (Bescheid vom 18.9.2002; Widerspruchsbescheid vom 21.1.2003).

4

Während das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger ab 4.7.2002 [X.] zu zahlen (Gerichtsbescheid vom 13.4.2004), hat das [X.] ([X.]) die Klage auf die Berufung der Beklagten unter Aufhebung des [X.] vom 13.4.2004 abgewiesen (Urteil vom 10.12.2008). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, der Kläger erfülle nicht die für den Bezug von [X.] erforderliche Anwartschaftszeit, weil er innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren weder mindestens zwölf [X.]onate eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt noch als Zivildienstleistender mindestens sechs [X.]onate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Eine Versicherungspflicht für Zivildienstleistende, die - wie der Kläger - während der Ableistung des Dienstes nicht als Beschäftigte versicherungspflichtig seien, bestehe nur, wenn sie unmittelbar vor Beginn des Zivildienstes versicherungspflichtig gewesen seien, eine Entgeltersatzleistung nach dem [X.] - ([X.]) bezogen oder eine Beschäftigung gesucht hätten. Von einer Beschäftigung unmittelbar vor Dienstantritt könne nur ausgegangen werden, wenn - anders als hier - zwischen der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem Dienstantritt kein [X.]raum von mehr als vier Wochen liege.

5

[X.]it der Revision macht der Kläger geltend, er erfülle die Anwartschaftszeit, weil der Zivildienst als versicherungspflichtige und daher anwartschaftsbegründende [X.] zu berücksichtigen sei. Die in § 26 Abs 1 Nr 2 [X.] enthaltene gesetzliche Formulierung "unmittelbar vor Dienstantritt" sei weit auszulegen. Es müsse ausreichen, dass er mit Beginn des übernächsten [X.]onats nach Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung den Zivildienst angetreten habe. Dabei könne es ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass der Zivildienst statt am 1.9. am 3.9.2001 begonnen habe. Dies sei lediglich darauf zurückzuführen, dass es sich bei dem 1. und 2.9.2001 um ein Wochenende gehandelt habe.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die Entscheidung des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Ob dem [X.]läger ein Anspruch auf die Gewährung von [X.] dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 SGG) zusteht, kann mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des [X.] (§ 163 SGG) zur Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht abschließend beurteilt werden.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 18.9.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (§ 95 SGG). Gegen diesen Bescheid wehrt sich der [X.]läger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG).

Nach § 117 Abs 1 [X.] (in der Normfassung des Art 1 des Gesetzes vom [X.] - [X.]) haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf [X.], wenn sie arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt (jetzt [X.]) arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Nach den Feststellungen des [X.] war der [X.]läger nach Absolvierung des Zivildienstes arbeitslos iS des § 117 Abs 1 [X.] iVm § 118 [X.] und hat sich am 3.7.2002 persönlich arbeitslos gemeldet (§ 117 Abs 1 [X.] iVm § 122 [X.]). Ob er die erforderliche Anwartschaftszeit (§ 117 Abs 1 [X.] iVm § 123 [X.]) erfüllt, kann hingegen nicht beurteilt werden.

Nach § 123 Satz 1 [X.] (in der Normfassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der [X.] <[X.]neuausrichtungsgesetz> vom 20.12.2001 - [X.]) hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate, als Wehrdienst- oder Zivildienstleistender mindestens zehn oder als Saisonarbeiter mindestens sechs Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Ob für den [X.]läger die ab 1.1.2002 erfolgte Verkürzung von zehn auf sechs Monate für Wehr- und Zivildienstleistende gilt (vgl dazu § 434e [X.]), kann dahinstehen; denn der [X.]läger weist zehn Monate (= 300 Tage; vgl § 339 Satz 2 [X.]) Zivildienst innerhalb der Rahmenfrist auf. Diese beträgt gemäß § 124 Abs 1 [X.] (in der Normfassung des [X.] vom [X.] - [X.]) drei Jahre und begann mit dem Tag vor Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf [X.]. Tatsächliche Feststellungen zur Beurteilung der Versicherungspflicht der Tätigkeiten des Jahres 2000 fehlen ebenso wie für die des Jahres 2001; ohnedies reichen die vorhandenen Monate insoweit allein nicht für die Erfüllung der Anwartschaftszeit aus. Vielmehr kommt es entscheidend auf eine Versicherungspflicht während des Zivildienstes an.

Maßgebend hierfür ist § 26 Abs 1 [X.] [X.] aF (Normfassung des [X.] behinderter Menschen - vom 19.6.2001 - [X.] 1046). § 26 [X.] in der ab dem 1.1.2002 geltenden Fassung des [X.]neuausrichtungsgesetzes ist aufgrund der Übergangsvorschrift des § 434e [X.] nicht rückwirkend für die Bewertung des vom [X.]läger geleisteten Zivildienstes als Versicherungszeit maßgebend, weil der Zivildienst vor dem 1.1.2002 begonnen hat. Nach § 26 Abs 1 [X.] [X.] aF sind Personen - soweit einschlägig - versicherungspflichtig, die aufgrund gesetzlicher Pflicht länger als drei Tage Wehr- oder Zivildienst leisten und während dieser [X.] nicht als Beschäftigte versicherungspflichtig sind, wenn sie unmittelbar vor Dienstantritt versicherungspflichtig waren.

Vorliegend bedarf es keiner Entscheidung darüber, wie der Begriff der Unmittelbarkeit im [X.] an ein Versicherungspflichtverhältnis auszulegen ist (vgl: [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 26 Rd[X.], Stand November 2008; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 26 Rd[X.]8, Stand Januar 2009; Wagner in Gemeinschaftskommentar [X.], § 26 Rd[X.]8, Stand Februar 2009; [X.] in Praxiskommentar [X.] , 2. Aufl 2004, § 26 Rd[X.]9; Brand in [X.], [X.], 3. Aufl 2005, § 26 Rd[X.]3; [X.], [X.]/[X.], § 26 [X.] Rd[X.]8, Stand Dezember 2009; Sächsisches [X.], Urteil vom [X.] AL 169/02; [X.] für das Saarland, Urteil vom [X.] - L 6 AL 38/99; [X.] Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.2.1986 - L 9 Ar 124/85; offen gelassen in [X.]-4300 § 26 [X.] Rd[X.]8 und [X.]-6050 Art 71 [X.]1 S 62), insbesondere ob Nahtlosigkeit zu fordern ist oder unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls wertend entschieden werden muss und dabei bzw generell ein [X.]raum von vier Wochen bzw einem Monat zu akzeptieren ist. Denn das [X.] hat in seinem Urteil die Umstände der Beschäftigung des [X.]lägers nach seinem Abitur bis Ende August 2001 weder tatsächlich ermittelt noch einer rechtlichen Würdigung unterzogen, sondern lediglich die Rechtsbehauptung aufgestellt, der [X.]läger sei (nur) im Juli 2001 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Wieso das so sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass der [X.]läger aushilfsweise tätig war und sich damit die Frage nach einer Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs 2 [X.] iVm § [X.] - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - ([X.]) wegen Geringfügigkeit der Beschäftigung stellt. Bei der dabei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erforderlichen prognostischen Beurteilung (vgl [X.] 2100 § 8 [X.] S 4; [X.]-2400 § 8 [X.]) ist jedoch für die Frage der Versicherungspflicht einheitlich auf den gesamten [X.]raum abzustellen. Dann aber stellt sich die Frage der Unmittelbarkeit entweder nicht, weil der [X.]läger nach dem Abitur überhaupt nicht versicherungspflichtig beschäftigt war, oder eine Versicherungspflicht lag bis Ende August 2001 vor, sodass auch Unmittelbarkeit zu bejahen wäre, weil zwischen dem Ende der Beschäftigung und der Aufnahme des Zivildienstes nur das Wochenende lag. Dass für den [X.]läger ggf (nur) für Juli 2001 Beiträge gezahlt worden waren, ist unbeachtlich (vgl nur [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 336 Rd[X.] ff mwN, Stand März 2005); die Arbeitslosenversicherung kennt keine Formalversicherung.

Das [X.] wird ggf auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 7 AL 3/09 R

14.09.2010

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 13. April 2004, Az: S 41 AL 71/03, Gerichtsbescheid

§ 26 Abs 1 Nr 2 Buchst a SGB 3 vom 19.06.2001, § 27 Abs 2 SGB 3, § 123 S 1 Nr 2 SGB 3 vom 20.12.2001, § 8 SGB 4

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 14.09.2010, Az. B 7 AL 3/09 R (REWIS RS 2010, 3437)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3437

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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