Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.11.2022, Az. IV ZR 327/20

4. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 7525

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Tenor

Auf die Revision der Beklagten und unter Zurückweisung der weitergehenden Revision wird das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 1. Dezember 2020 insoweit aufgehoben, als festgestellt worden ist, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vor dem 1. Januar 2017 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger in dem Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 30. Juni 2019 auf die Beitragserhöhungen in dem [X.]                 zum 1. April 2015, zum 1. April 2016 und zum 1. April 2017 gezahlt hat.

Die Berufung des [X.] wird auch insoweit zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1.601,88 € festgesetzt.

In Abänderung der Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts werden der Streitwert des Verfahrens erster Instanz auf 19.669,14 € und der Streitwert des Verfahrens zweiter Instanz auf 19.084,53 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung des [X.].

2

Der Kläger ist bei der [X.] krankenversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen "Allgemeine Versicherungsbedingungen - [X.]" (im Folgenden: [X.]) zugrunde, die auszugsweise lauten:

"§ 19 Kann sich nach Abschluss des [X.], ein Selbstbehalt oder ein vereinbarter Risikozuschlag ändern?

1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Versicherungsleistungen z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleichen wir zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung bei den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit von uns überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. […]

2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch uns und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.

[…]"

3

Der Kläger unterhält bei der [X.] in der Krankheitskostenversicherung den [X.]                . Die Beklagte informierte ihn mit Schreiben vom Februar 2014 nebst Anlagen über eine Beitragserhöhung zum 1. April 2014, wobei der Erhöhungsbetrag erst ab dem 1. April 2015 gezahlt werden musste (im Folgenden: Prämienerhöhung zum 1. April 2015). Mit Schreiben vom Februar 2015, dem ein Nachtrag zum Versicherungsschein beilag, teilte die Beklagte ihm die Höhe dieser Prämienanpassung mit 38,14 € mit. Weitere Beitragserhöhungen erfolgten zum 1. April 2016 und 1. April 2017.

4

Im Schreiben vom Februar 2014, dem unter anderem ein Nachtrag zum Versicherungsschein beigefügt war, hieß es auszugsweise:

"[…]

heute informieren wir Sie darüber, dass wir zum 1. April 2014 Ihre Beiträge deutlich erhöhen müssen. Der wesentliche Grund hierfür sind die gestiegenen Kosten für medizinische Leistungen. Medizinischer Fortschritt und ständig verbesserte Behandlungsverfahren haben ihren Preis.

[…]"

5

Der Kläger hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig. Mit Anwaltsschreiben vom 30. April 2019 forderte er die Beklagte unter anderem zur Rückzahlung der seiner Ansicht nach zu viel gezahlten Prämien einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen auf. Die Beklagte wies diese Forderung mit Schreiben vom 16. Mai 2019 zurück.

6

Soweit für die Revision noch von Interesse hat der Kläger mit seiner Klage zunächst neben der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten die Rückzahlung der auf die Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 9.558,48 € nebst Zinsen seit dem 14. Mai 2019 sowie die Feststellung begehrt, dass die Beitragserhöhungen zum 1. April 2015, 1. April 2016 und 1. April 2017 unwirksam seien und er nicht zur Tragung des jeweiligen [X.] verpflichtet sei. Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2019 hat der Kläger den Feststellungsantrag für erledigt erklärt; die Beklagte hat dem widersprochen. Der Kläger hat daraufhin die Feststellung beantragt, dass der ursprüngliche Feststellungsantrag zulässig und begründet war.

7

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seine Anträge weiterverfolgt, wobei er den [X.] auf 8.943,87 € reduziert hat. Zusätzlich hat er die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die genannten [X.] gezahlt hat, und diese ab dem 14. Mai 2019 zu verzinsen hat.

8

Das [X.] hat das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung dahingehend abgeändert, dass die Beklagte zur Zahlung von 8.630,61 € nebst Zinsen seit dem 16. Mai 2019 und zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 808,13 € verurteilt worden ist. Außerdem hat es festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, soweit der Kläger die Feststellung beantragt hat, dass die [X.] zum 1. April 2016 und zum 1. April 2017 bis zum 31. Oktober 2019 unwirksam waren und der Kläger nicht zur Zahlung der jeweiligen [X.] verpflichtet ist. Weiterhin hat es festgestellt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus den Prämienanteilen gezogen hat, die der Kläger vom 1. Januar 2016 bis zum 30. Juni 2019 auf die Beitragserhöhungen zum 1. April 2015, 1. April 2016 und 1. April 2017 gezahlt hat, dem Kläger herauszugeben und diese ab dem 16. Mai 2019 zu verzinsen hat.

9

Mit der Revision begehrt die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und Klageabweisung, soweit sie zur Zahlung von mehr als 7.028,73 € und von [X.] vom 16. Mai 2019 bis zum 30. Juni 2019 verurteilt und ihre Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzungen aus [X.]n aufgrund der Neufestsetzung des Beitrags im [X.]                zum 1. April 2015 und zum 1. April 2016 für die Zeit vor dem 1. Januar 2017 festgestellt worden und sie zur Freistellung des [X.] von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 808,13 € verurteilt worden ist.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat nur in geringem Umfang Erfolg.

I. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Tariferhöhungen in formeller Hinsicht unwirksam gewesen seien. Die Begründungsschreiben nebst Anlagen genügten nicht den zu stellenden Mindestanforderungen im Sinne des § 203 Abs. 5 [X.]. Aus allen Schreiben ergebe sich nicht, welche der beiden in § 203 Abs. 2 [X.] genannten [X.]n sich konkret verändert habe. Ebenso wenig werde dargestellt, welche konkreten Tarife von diesen Veränderungen betroffen seien und ob es eine Veränderung der [X.]n gegeben habe, die auch die im Gesetz angegebene Quote überstiegen habe bzw. ob wegen einer Überschreitung des Schwellenwertes von 5 % eine Beitragsanpassung nach § 19 [X.] Teil I vorgenommen worden sei. Die Beitragsanpassung zum 1. April 2015 sei zudem wegen Irreführung des Versicherungsnehmers formell unwirksam gewesen. Dass die Beitragserhöhung wegen einer Abweichung der Leistungsausgaben oberhalb des festgelegten Prozentsatzes "nach unten" erfolgt sei, lasse sich dem [X.] nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen.

Die Prämienerhöhungen zum 1. April 2016 und 1. April 2017 seien mit Zustellung der Klageerwiderung geheilt und zum 1. November 2019 wirksam geworden. Die Beitragsanpassung zum 1. April 2015 sei dagegen im Hinblick auf die Unwirksamkeit der [X.] gemäß § 19 [X.] Teil I endgültig unwirksam. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel werde dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Versicherungsleistungen eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Dies widerspreche insoweit §§ 12b Abs. 2 Satz 2 [X.] a.F., § 155 Abs. 3 Satz 2 [X.], § 203 Abs. 2 [X.], nach denen eine Prämienanpassung nur zulässig sei, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei. Bezüglich dieser Tariferhöhung sei keine Erledigung der Hauptsache mittels Heilung der formellen Unwirksamkeit eingetreten. Der ursprüngliche Feststellungsantrag wäre vielmehr nach wie vor zulässig und begründet, sodass der zuletzt gestellte Feststellungsantrag insoweit im Ergebnis unbegründet sei.

Die zu viel gezahlten Beträge errechneten sich unter Berücksichtigung des Klagebegehrens, das eine Rückforderung bis einschließlich Juni 2019 vorsehe, und ergäben insgesamt 8.630,61 €. Die Rückforderungsansprüche wegen der bis zum Ende des Jahres 2015 geleisteten Prämien seien verjährt. Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen aus den von ihm gezahlten erhöhten [X.]n aufgrund der nicht wirksam begründeten bzw. den von Beginn an unwirksamen Prämienerhöhungen bis einschließlich Juni 2019. Der Zinsanspruch folge im Hinblick auf das verzugsbegründende Schreiben des [X.] und der Zurückweisung dieser Forderung durch Schreiben der Beklagten aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis überwiegend stand.

1. Das Berufungsgericht hat den erforderlichen Inhalt der nach § 203 Abs. 5 [X.] mitzuteilenden maßgeblichen Gründe zutreffend bestimmt. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 16. Dezember 2020 ([X.], [X.], 56) entschieden und im Einzelnen begründet hat, erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 [X.] die Angabe der [X.], deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 [X.] veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese [X.] verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 aaO Rn. 26).

2. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die von der Beklagten mitgeteilten Gründe für die Prämienerhöhung zum 1. April 2015 diese Voraussetzungen einer nach § 203 Abs. 5 [X.] erforderlichen Mitteilung nicht erfüllen. Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 [X.] genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - [X.], [X.], 56 Rn. 38). [X.] relevante Fehler sind hier nicht zu erkennen.

Nach der im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Beurteilung des Berufungsgerichts konnte ein Versicherungsnehmer der Mitteilung nicht entnehmen, welche [X.] sich konkret verändert habe. Das Berufungsgericht hat diesem Schreiben nur Gründe der Beitragserhöhung wie den medizinischen Fortschritt und die damit verbesserten Behandlungsverfahren entnommen. Seine Annahme, es fehle an einer Bezugnahme auf die konkret betroffenen Tarife und die Angabe, dass eine Veränderung der Versicherungsleistungen den im Gesetz oder den in den Versicherungsbedingungen festgelegten Schwellenwert überschritten habe, ist nicht zu beanstanden. Für dieses Ergebnis kam es nicht darauf an, ob das Berufungsgericht - insoweit ggf. abweichend von den zuvor zutreffend bestimmten Anforderungen an die Begründung einer Prämienanpassung - darüber hinaus auch das Fehlen der Angabe beanstandet hat, ob der gesetzliche oder ein in den Versicherungsbedingungen festgelegter Schwellenwert überschritten wurde.

Soweit das Berufungsgericht eine Bezugnahme auf die konkreten Tariferhöhungen vermisst hat, bezieht sich dies auf die Überschreitung einer bestimmten [X.] im festgelegten Umfang als Voraussetzung der Prämienanpassung, und nicht auf die Frage, in welchem Tarif die Beklagte eine Prämienanpassung vorgenommen hat. Entgegen der Ansicht der Revision ist es daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht auch den beigefügten Nachtrag zum Versicherungsschein, in dem für jeden Tarif die jeweilige Prämienerhöhung aufgeführt war, nicht als ausreichende Mitteilung angesehen hat.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen angenommen, die Mitteilung der Prämienanpassung zum 1. April 2015 führe zudem wegen einer Irreführung des Versicherungsnehmers zur formellen Unwirksamkeit der Prämienerhöhung. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 17. November 2021 ([X.], [X.], 31) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist ein Hinweis des Versicherers darauf, in welche Richtung sich die maßgebliche [X.] verändert hat, nicht zur Information des Versicherungsnehmers erforderlich (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2021 aaO Rn. 27). Da das Berufungsgericht dies aber nur als weiteren Grund für die Annahme einer unzureichenden Mitteilung der maßgeblichen Gründe angeführt hat, verbleibt es bei der Feststellung der formellen Unwirksamkeit der Prämienerhöhung.

3. Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die in der am 24. September 2019 zugestellten Klageerwiderung nachgeholten Angaben zu den Gründen der [X.] nur zu einer Heilung ex nunc führen (vgl. Senatsurteile vom 16. Dezember 2020 - [X.], [X.], 56 Rn. 42; vom 19. Dezember 2018 - [X.], [X.], 297 Rn. 66). Es hat dem Kläger daher zutreffend die auf die Beitragserhöhungen gezahlten [X.] für den [X.]raum vom 1. Januar 2016 bis zum - wie beantragt - 30. Juni 2019 in Höhe von 8.630,61 € zugesprochen (38,14 € x 42 Monate + 129,90 € x 39 Monate + 72,69 € x 27 Monate). Soweit es dabei die formelle Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen zum 1. April 2016 und 1. April 2017 zugrunde gelegt hat, wird dies von der Revision zu Recht nicht angegriffen.

Das Berufungsgericht ist auch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der [X.] des [X.] aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB die [X.], die er ohne wirksame Prämienanpassungserklärung gezahlt hat, der Höhe nach uneingeschränkt umfasst. Die Höhe des [X.] wird von der Revision zu Recht nicht angegriffen.

4. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen die Prämienanpassung im [X.]                zum 1. April 2015 über die formelle Unwirksamkeit hinaus mit der Begründung für endgültig unwirksam gehalten, dass es für diese Erhöhung an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.

a) Bei der genannten Prämienanpassung lag die Veränderung der Versicherungsleistungen unterhalb des gesetzlich vorgesehenen Schwellenwerts von 10 % gemäß § 203 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 [X.]. Diese gesetzlichen Vorschriften erlauben jedoch eine Herabsetzung des Schwellenwerts in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte nach § 19 Abs. 1 [X.] Teil I den Schwellenwert auf 5 % gesenkt; dieser Wert wird nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durch die Veränderung der Versicherungsleistungen bei der hier in Rede stehenden Prämienanpassung überschritten.

b) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 ([X.], [X.]) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die Regelungen in § 8b der Musterbedingungen 2009 - MB/KK 2009 - des [X.] (im Folgenden: MB/KK), mit dem der hier verwendete § 19 [X.] Teil I im [X.] übereinstimmt, einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Versicherungs- oder Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK, der § 19 Abs. 2 [X.] Teil I entspricht, unwirksam (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 f.), dies lässt aber die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK und der ihn ergänzenden Tarifbedingungen des Versicherers, mit denen der hier verwendete § 19 Abs. 1 [X.] Teil I im [X.] übereinstimmt, unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 33 ff.).

c) Die materiellen Voraussetzungen der Prämienanpassung im Übrigen liegen hier unstreitig vor.

5. Da die Prämienanpassung zum 1. April 2015 in dem hier maßgeblichen [X.]raum formell unwirksam war, hat deren materielle Wirksamkeit keine Auswirkungen auf die Höhe der begründeten Klageforderung. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht daher auch im Ergebnis zutreffend der Zurückweisung des Klageantrags auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache bezüglich dieser Prämienanpassung zugrunde gelegt, dass die ursprünglich erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung und der Nichtzahlungspflicht zulässig und begründet war. Es kann damit vorliegend offenbleiben, ob die für den [X.] erforderliche Feststellung, dass der mit der Klage geltend gemachte Anspruch bis zu dem erledigenden Ereignis zulässig und begründet war, überhaupt an der materiellen Rechtskraft des Erledigungsurteils teilnimmt (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Juni 2017 - [X.], juris Rn. 13). Durch die - unzutreffende - Annahme des Berufungsgerichts, aufgrund einer materiellen Unwirksamkeit der Prämienerhöhung ohne [X.] sei kein erledigendes Ereignis eingetreten und der Feststellungsantrag deswegen abzuweisen, wird die Beklagte dagegen nicht beschwert.

6. Zu Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Verjährung des Anspruchs auf Rückzahlung der ab dem 1. Januar 2016 geleisteten [X.] durch die Zustellung der Klageschrift am 9. August 2019 rechtzeitig gehemmt wurde und diese Ansprüche nicht verjährt sind.

Die dreijährige Regelverjährung beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Entgegen der Ansicht der Revision entsteht jedoch nicht mit der unwirksamen Prämienerhöhung und der ersten darauf erfolgten monatlichen Teilzahlung bereits ein einheitlicher Bereicherungsanspruch in Höhe aller in Zukunft darauf geleisteter Prämien. Die [X.] aufgrund unwirksamer Beitragserhöhungen entstehen vielmehr jeweils mit der Zahlung der [X.] (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2021 - [X.], [X.], 31 Rn. 41). Bei [X.] erbrachten Leistungen, die periodisch fällig und dementsprechend bezahlt werden, entsteht mit jeder Zahlung ein sofort fälliger und damit ein regelmäßig zeitlich wiederkehrender Bereicherungsanspruch (vgl. [X.], Urteil vom 27. Mai 2008 - [X.], [X.], 1258 Rn. 12). Wie der Senat mit Urteil vom 22. Juni 2022 ([X.], [X.], 1078 Rn. 43) entschieden und im Einzelnen begründet hat, können die Grundsätze der Verjährung bei der Schadenseinheit nicht auf Bereicherungsansprüche übertragen werden.

7. Noch zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Pflicht zur Herausgabe von Nutzungen die vom 1. Januar 2016 bis zum 30. Juni 2019 gezahlten [X.] als Grundlage der Nutzungen umfasst, da dies die begründete, nicht verjährte Hauptforderung ist. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen eine Pflicht zur Herausgabe von Nutzungen auch insoweit festgestellt, als diese im Jahr 2016 aus den nicht geschuldeten [X.]n gezogen wurden. Der mit der Ziehung der Nutzungen 2016 entstandene Anspruch verjährte mit dem Ablauf des 31. Dezember 2019, bevor die Verjährung des Nutzungsherausgabeanspruchs durch die am 24. Februar 2020 anhängig gewordene Klageerweiterung gehemmt wurde. Entgegen der Ansicht der Revision erfasst die Verjährung dagegen nicht den Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen, die ab dem 1. Januar 2017 aus den im Jahr 2016 gezahlten [X.]n gezogen wurden, da die Verjährungsfrist erst mit der [X.] durch die [X.] zu laufen begann. Darüber hinaus greift die Revision die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Feststellung der Pflicht zur Herausgabe der Nutzungen - abgesehen von ihren Einwänden gegen einen Teil der Hauptforderung als Grundlage der Nutzungen - nicht an.

8. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht dem Kläger Zinsen auf die Hauptforderung ab dem 16. Mai 2019 aufgrund des verzugsbegründenden Schreibens des [X.] vom 30. April 2019 zugesprochen.

Entgegen der Ansicht der Revision ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den [X.] auch auf die [X.] vom 16. Mai 2019 bis zum 30. Juni 2019 und damit auf denselben [X.]raum erstreckt hat, für den es auch einen - insoweit von der Revision nicht angegriffenen - Anspruch des [X.] auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen festgestellt hat. Zwar besteht neben dem Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen kein Anspruch auf Prozess- oder Verzugszinsen, da der Nachteil, den der Gläubiger dadurch erleidet, dass er infolge nicht rechtzeitiger Zahlung des Schuldners daran gehindert ist, einen ihm zustehenden Geldbetrag zu nutzen, durch einen Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen vollkommen ausgeglichen wird ([X.], Urteil vom 16. Dezember 2020 - [X.], [X.], 56 Rn. 58). Aber das bedeutet, dass für ein und denselben [X.]raum entweder nur der Anspruch auf Nutzungsersatz oder nur der Anspruch auf Prozesszinsen - je nachdem, welcher für den Gläubiger günstiger ist - zum Tragen kommt (vgl. [X.], Urteil vom 12. April 2019 - [X.], [X.], 1239 Rn. 6). Für den Kläger als Gläubiger ist der Anspruch auf Verzugszinsen günstiger als derjenige auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen, so dass dieser Anspruch rechtsfehlerfrei zugesprochen wurde (vgl. dazu Senatsurteil vom 22. Juni 2022 - [X.], [X.], 1078 Rn. 46: "Der Gläubiger kann aus einer Mahnung keine Rechte herleiten, wenn er eine weit übersetzte Forderung geltend macht. … Dies ist hier der Fall, da der Kläger in seinem Schreiben Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem gesamten Erhöhungsbetrag als Nutzungsersatz begehrte; das ist als tatsächlich gezogene Nutzung aus Krankenversicherungsbeiträgen fernliegend.")

9. Die Verurteilung der Beklagten zur Verzinsung der herauszugebenden Nutzungen ist mit den Revisionsanträgen nicht angegriffen worden. Sie ist aber auch dem Grunde nach nicht zu beanstanden, da das Berufungsgericht dem Kläger einen Anspruch auf Verzugszinsen unter Verweis auf die Zurückweisung seiner Forderung durch das Schreiben der Beklagten vom 16. Mai 2019 zugesprochen hat. Damit hat es diesem Schreiben rechtsfehlerfrei entnommen, dass die Beklagte dort die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat, wodurch sie in Verzug geraten ist, § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

10. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch wegen vertraglicher Pflichtverletzung aus §§ 280, 257 BGB hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der ausgeurteilten Höhe angenommen.

a) Das Berufungsgericht hat die nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Begründungen der [X.] als Vertragsverletzung der Beklagten angesehen. Ungeachtet dessen, ob dies bereits eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung darstellt, liegt eine solche jedenfalls in der unberechtigten Geltendmachung der nicht geschuldeten [X.] aus der unwirksamen Prämienanpassung bei der [X.] der Beklagten. Entgegen der Ansicht der Revision kann diesem Anspruch nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber als Folge einer unzureichenden Begründung in § 203 Abs. 5 [X.] allein das Nichtwirksamwerden der Prämienanpassung vorgesehen habe. Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2022 - [X.], [X.], 503 Rn. 26 m.w.N.). Wenn ein Partner eines gegenseitigen Vertrags aus diesem Vertrag Ansprüche gegen den anderen Partner ableitet, die ihm nicht zustehen, kommt daher ein Anspruch aus der Verletzung vertraglicher Pflichten aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2022 aaO).

b) Von dem Vorwurf des nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermuteten Verschuldens hat sich die Beklagte nicht entlastet. Soweit sich die Revision darauf beruft, die Beklagte habe ihren Rechtsstandpunkt bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der Begründungsanforderungen aus § 203 Abs. 5 [X.] für plausibel halten dürfen, beruft sie sich auf einen Rechtsirrtum, der im Allgemeinen nicht entschuldigt (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2022 - [X.], [X.], 503 Rn. 27 m.w.N.). Insoweit werden an die Sorgfaltspflicht strenge Anforderungen gestellt; es reicht nicht aus, dass sie sich ihre Meinung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat; entschuldigt wäre sie erst, wenn mit der Möglichkeit des Unterliegens im Rechtsstreit nicht zu rechnen war (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2022 aaO). Davon ist hier nicht auszugehen. Der Versicherer hat die Gestaltung seiner Mitteilungen zu [X.] selbst in der Hand und kann auch angesichts der Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift, zu der noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist, im Zweifel eine rechtssichere Formulierung wählen (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - [X.], [X.], 56 Rn. 37).

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung für das Verfahren der Vorinstanzen beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG und berücksichtigt, dass bei einer negativen Feststellungsklage kein Feststellungsabschlag vorzunehmen ist.

Prof. Dr. Karczewski

  

Harsdorf-Gebhardt

  

Dr. Brockmöller

  

Dr. Bußmann

  

Dr. Bommel

  

Meta

IV ZR 327/20

30.11.2022

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 1. Dezember 2020, Az: 9 U 19/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.11.2022, Az. IV ZR 327/20 (REWIS RS 2022, 7525)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7525

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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