Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.05.2018, Az. IX ZR 243/17

9. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 8932

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Gegenstand

Rechtsanwaltsvertrag: Verpflichtung zur Herausgabe der gesamten Handakte an den Mandanten


Leitsatz

Ein Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, seinem Mandanten auf Verlangen die gesamte Handakte herauszugeben. Soweit der Anwalt die Herausgabe mit Rücksicht auf Geheimhaltungsinteressen sonstiger Mandanten verweigert, hat er dies unter Angabe näherer Tatsachen nachvollziehbar darzulegen.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 4. Zivilkammer des [X.] vom 13. September 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 25. November 2014 über das Vermögen der U.        G.                                                                     mbH (nachfolgend: Schuldnerin) am 26. März 2015 eröffneten Insolvenzverfahren.

2

Die Beklagte, eine Rechtsanwaltsgesellschaft, vertrat die Schuldnerin in einem vor dem [X.] und dem [X.] gegen     S.      und die [X.] geführten Rechtsstreit. Ferner übernahm die Beklagte die außergerichtliche Vertretung der Schuldnerin bei der Geltendmachung von Zahlungsansprüchen gegen [X.]. Die Mandate waren der Beklagten von dem Geschäftsführer der Schuldnerin unmittelbar vor Stellung des [X.] erteilt worden.

3

Der Kläger forderte die Beklagte wiederholt ohne Erfolg auf, die Handakten beider Verfahren herauszugeben. Das Amtsgericht hat die Beklagte unter Abweisung des weitergehenden Begehrens verurteilt, die Handakten mit Ausnahme solcher Schriftstücke herauszugeben, die von [X.], zu denen ein gesondertes Mandatsverhältnis bestand oder besteht, im Rahmen dieses Mandatsverhältnisses verfasst oder übergeben wurden. Die dagegen eingelegte Berufung hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, die Beklagte zur uneingeschränkten Herausgabe der Handakten zu verurteilen.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

6

Der [X.] gehe davon aus, dass den Rechtsanwalt im Grundsatz aus dem Anwaltsvertrag gegenüber dem Mandanten eine Herausgabepflicht hinsichtlich der Handakten treffe ([X.], 260, 264). Der Rechtsanwalt könne die Herausgabe und die Erteilung von Auskünften verweigern, soweit er andernfalls gegen seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit verstoße. Das Berufsgeheimnis bestehe nicht im eigenen Interesse des Rechtsanwalts, wohl aber in dem des "Geheimnisherrn", der den Rechtsanwalt von seiner Verpflichtung entbinden könne ([X.], 260, 269).

7

Erfolge eine solche Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht nicht, könnten Geheimhaltungsinteressen Dritter, zu denen ein gesondertes Mandatsverhältnis bestanden habe, ein Auskunftsverweigerungsrecht begründen. In dieser Fallkonstellation sei es als ausreichend zu erachten, dass sich das Gericht auf die anwaltliche Versicherung stütze, dass sich in den Handakten Schriftstücke von Personen befänden, zu denen ein separates Mandatsverhältnis bestanden habe. Der [X.] habe es bei der prozessualen Würdigung von Wahrnehmungen eines Rechtsanwalts, die im Wesentlichen seine eigene Tätigkeit beträfen, gebilligt, dass von dem als richtig versicherten Vortrag ausgegangen werden könne, solange nicht konkrete Anhaltspunkte ausschlössen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für zutreffend zu erachten. Deshalb könne von der [X.] nicht mehr als die anwaltliche Versicherung verlangt werden, dass sich in den Handakten Schriftstücke von Personen befänden, zu denen Mandatsverhältnisse bestünden.

8

An die Darlegungslast der [X.] könnten nicht die Anforderungen angelegt werden, die der [X.] im Falle der Auskunftsverweigerung des Rechtsanwalts gegenüber einem Insolvenzverwalter im Hinblick auf persönliche Geheimhaltungsinteressen von [X.] einer Insolvenzschuldnerin aufstelle, die den Rechtsanwalt in eigener Sache mandatiert habe ([X.], 260, 271). Dabei gehe der [X.] davon aus, dass die Interessen der Insolvenzschuldnerin, über die der Insolvenzverwalter disponiere, Vorrang vor den Interessen der außerhalb des Mandatsverhältnisses stehenden [X.]er habe. Hier lägen die Dinge anders. Es könne differenziert werden zwischen dem Mandatsverhältnis der Schuldnerin und der [X.] einerseits und dem Mandatsverhältnis der [X.] zu sonstigen Personen andererseits.

9

Selbst wenn in der von dem [X.] entschiedenen Sache zu den [X.] ein Mandatsverhältnis bestanden haben sollte, ändere dies an der Bewertung nichts. Die gesteigerten [X.] seien vielmehr darin begründet, dass das Verhältnis der [X.]er zu dem Rechtsanwalt gegenüber dem Mandatsverhältnis zu der Insolvenzschuldnerin nachrangig sei. Den [X.] sei es verwehrt, ihren eigenen Geheimhaltungsbelangen gegenüber denen der Schuldnerin den Vorrang einzuräumen. Diese Erwägungen griffen in dem hier zu entscheidenden Fall nicht durch, weil von der [X.]seite nicht Geheimhaltungsinteressen von [X.], sondern die sonstiger Dritter als Argument für die Auskunftsverweigerung ins Feld geführt würden. Soweit der Kläger annehme, dass es sich bei den [X.] ebenfalls um [X.]er der Schuldnerin handle, sei dies gerade nicht erwiesen.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung in wesentlichen Punkten nicht stand. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann nicht von einer nur eingeschränkten Pflicht der [X.] zur Herausgabe der von ihr für die Schuldnerin geführten Handakten ausgegangen werden.

1. Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach § 675 [X.] auch die Vorschriften der §§ 666, 667 [X.] Anwendung. Der Anspruch des [X.] auf Herausgabe der die anwaltliche Tätigkeit des [X.] betreffenden Akten folgt aus § 667 [X.] in Verbindung mit § 50 [X.].

a) Zu den nach § 667 [X.] herauszugebenden Unterlagen gehören die Handakten des Rechtsanwalts ([X.], Urteil vom 30. November 1989 - [X.], [X.], 260, 264; vom 3. November 2014 - [X.] 72/13, NJW-RR 2015, 186 Rn. 11; RGRK/[X.], [X.], 12. Aufl., § 667 Rn. 12; Soergel/[X.], [X.], 13. Aufl., § 667 Rn. 11; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 667 Rn. 7; Erman/[X.], [X.], 16. Aufl., § 667 Rn. 8). Diese Herausgabepflicht wird auch in § 50 [X.] vorausgesetzt (vgl. [X.]/Offermann-Burckart, [X.], 4. Aufl., § 50 Rn. 27, 35 ff; [X.]/[X.]/Träger, [X.], 9. Aufl., § 50 Rn. 17; [X.]/[X.] in [X.]/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 50 [X.] Rn. 11; Kleine-Cosack, [X.], 7. Aufl., § 50 Rn. 4). Dokumente, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, hat er gemäß § 50 Abs. 1 [X.] seinem Auftraggeber auf Verlangen herauszugeben. Dabei fallen die Unterlagen, die dem Anwalt von seinem Auftraggeber ausgehändigt worden sind, unter die erste Alternative und der Schriftverkehr, den der Anwalt für seinen Auftraggeber geführt hat, unter die zweite Alternative des § 667 [X.]. Aus der Geschäftsbesorgung erlangt ist daher insbesondere der gesamte drittgerichtete Schriftverkehr, den der Rechtsanwalt für den Auftraggeber erhalten und geführt hat, also sowohl die dem Rechtsanwalt zugegangenen Schriftstücke als auch Kopien eigener Schreiben des Rechtsanwalts. Die herauszugebenden Unterlagen umfassen auch Notizen über Besprechungen, die der Anwalt im Rahmen der Besorgung des Geschäfts geführt hat ([X.], Urteil vom 30. November 1989, aaO S. 265).

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin steht der Herausgabeanspruch aus § 667 [X.] dem Kläger zu. Der Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen der Schuldnerin und der [X.] ist mit Insolvenzeröffnung erloschen (§§ 115, 116 [X.]). Für ein Fortbestehen des Mandats nach der Ausnahmeregelung des § 115 Abs. 2 [X.] fehlt es an tatsächlichen Anhaltspunkten. Daraus folgt, dass die aus dem beendeten Mandatsverhältnis entstandenen Ansprüche der Schuldnerin in die Insolvenzmasse fallen und der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des [X.] unterliegen (§ 80 [X.]). Dies bedeutet, dass der Kläger unter den gleichen Voraussetzungen und in demselben Umfang Herausgabe oder Einsichtsgewährung der Handakte verlangen kann, wie es ohne die Insolvenz die Schuldnerin bei einer anderweitigen Mandatsbeendigung selbst gekonnt hätte ([X.], aaO S. 264).

b) Der Anwalt ist jedoch nicht stets zur umfassenden Herausgabe der Handakte verpflichtet. Ausnahmsweise können Eigeninteressen des Anwalts oder Geheimhaltungsinteressen Dritter Vorrang genießen.

aa) Eine Ausnahme hinsichtlich der Herausgabepflicht gilt für solche Unterlagen, die nicht lediglich über [X.] im Rahmen der Vertragserfüllung Aufschluss geben, sondern persönliche Eindrücke, die der Anwalt in den Gesprächen gewonnen hat, wiedergeben. Aufzeichnungen des Anwalts über derartige persönliche Eindrücke sind oft nützlich; sie sind im Zweifel jedoch nicht für die Einsicht durch den Mandanten bestimmt und eine solche wäre dem Anwalt auch nicht zumutbar. Ein Anwalt, der zur Herausgabe von Handakten verpflichtet ist, braucht daher nicht auch derartige Aufzeichnungen offenzulegen. Darüber hinaus wird dem Anwalt bei der Ausführung des Mandats ein gewisser Freiraum zuzuerkennen sein, vertrauliche "Hintergrundinformationen" zu sammeln, die er auch und gerade im wohl verstandenen Interesse seines Mandanten sowie im Interesse der Rechtspflege diesem gegenüber verschweigen darf. Aufzeichnungen über derartige Vorgänge unterliegen nicht der Herausgabepflicht ([X.], aaO S. 265).

bb) Zudem bestehen Verschwiegenheitspflichten des auf Herausgabe der Handakte in Anspruch genommenen Rechtsanwalts mit Rücksicht auf Interessen seiner sonstigen Mandanten. Die Verschwiegenheitspflicht findet ihre Grundlage in dem auf einem besonderen Vertrauensverhältnis beruhenden Anwaltsvertrag ([X.] in G. Fischer/[X.]/[X.]/Rinkler/[X.], Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rn. 339; Weinland in [X.]/Gehrlein/[X.], Handbuch der Beraterhaftung, 2018, [X.]. 3 Rn. 15). Der Rechtsanwalt ist zudem berufsrechtlich gemäß § 43a Abs. 2 Satz 1 [X.] zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Verschwiegenheitspflicht, die sich auf alles bezieht, was dem Anwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist, betrifft insbesondere Kenntnisse aus einzelnen Mandatsverhältnissen, die sonstigen Mandanten nicht offenbart werden dürfen. Eine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht kann eine Vertragshaftung des Rechtsanwalts aus § 280 Abs. 1 [X.], aber auch eine deliktische Haftung gemäß § 823 Abs. 2 [X.], § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB begründen ([X.] in [X.]/Vollkommer/[X.], [X.], 4. Aufl., § 15 Rn. 3; [X.], aaO § 2 Rn. 340; Weinland, aaO [X.]. 3 Rn. 18).

cc) Persönliche Geheimhaltungsinteressen von an Besprechungen mit dem Anwalt beteiligten dritten Personen vermögen für diesen zumindest nicht ein uneingeschränktes Auskunftsverweigerungsrecht zu begründen. Dies hat der [X.] für Gespräche entschieden, die der Anwalt der späteren Schuldnerin mit deren [X.] geführt hat ([X.], Urteil vom 30. November 1989 - [X.], [X.], 260, 271). Ein Auskunftsverweigerungsrecht kommt in einer solchen Konstellation nur dann in Betracht, wenn zwischen dem Anwalt und dem einzelnen [X.] eine besondere Vertrauensbeziehung bestanden hat, die individuell begründet worden ist, etwa dadurch, dass das betreffende Mitglied den Anwalt ausdrücklich um eine persönliche Beratung gebeten hat. Nur für einen solchen Ausnahmefall könnte es gebilligt werden, dass es sich bei den Beziehungen des Anwalts zu der Schuldnerin einerseits und den [X.] andererseits um zwei getrennte, rechtlich selbständige Rechtsverhältnisse gehandelt habe. An die dem Anwalt insoweit obliegende Darlegungslast sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen, zumal eine solche Konstellation deswegen ungewöhnlich wäre, weil die Gefahr eines Interessenkonflikts mit dem ursprünglichen Auftraggeber nicht von der Hand zu weisen ist ([X.], aaO S. 272). Insoweit obliegt die Darlegungslast dem beklagten Rechtsanwalt ([X.], aaO S. 273 f).

2. Nach diesen im Schrifttum geteilten ([X.], aaO § 15 Rn. 17; [X.], aaO § 2 Rn. 370; [X.] in [X.]/[X.], Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., [X.]. 2 Rn. 684; Weinland, aaO [X.]. 3 Rn. 41), weiter gültigen Grundsätzen hat die Beklagte ihrer Darlegungslast, mit Rücksicht auf Belange Dritter einer nur eingeschränkten Herausgabepflicht zu unterliegen, nicht genügt.

a) Soweit der Anwalt unter Berufung auf Verschwiegenheitspflichten die Herausgabe der Handakte verweigert, hat er den Darlegungspflichten eines Zeugen zu genügen, der ein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt (vgl. § 386 Abs. 1, § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Ist der Grund der Herausgabeverweigerung nicht ohne weiteres erkennbar, ist die Angabe näherer Tatsachen unerlässlich ([X.] 1903, 241 Nr. 15). Das Gericht muss sich auf der Grundlage der Sachverhaltsangaben, ohne dass das Geheimnis aufzudecken ist, ein Bild davon machen können, um was es geht (MünchKomm-ZPO/[X.], 5. Aufl., § 386 Rn. 2). Deshalb müssen die Angaben so weit ins Einzelne gehen, dass dem [X.] ein Urteil über den [X.] möglich ist ([X.], ZPO, 23. Aufl., § 386 Rn. 1). Handelt es sich um eine Auskunftsverweigerung aus beruflichen Gründen, bedarf es der beweisgeeigneten Darlegung, dass es sich um Tatsachen handelt, die im Rahmen der Berufsausübung anvertraut oder bekannt geworden sind. Insoweit ist in geeigneten Sachverhalten von der anerkannten Befugnis Gebrauch zu machen, eine vollständig anonymisierte Darstellung abzugeben, die keine Bezugsherstellung zu den beteiligten Personen gestattet ([X.], [X.]. 2009, 792, 793 [X.]). Im Blick auf die Tatsachen, aus denen die Auskunftsverweigerung hergeleitet wird, ist nach Möglichkeit Beweis anzubieten. Im Streitfall käme die zeugenschaftliche Vernehmung von Rechtsanwalt [X.]als zuständigem Sachbearbeiter in Betracht, der nicht zu den vertretungsberechtigten Organen der [X.] gehört. Diesen [X.] ist entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts unabhängig davon zu genügen, ob der Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakte im Blick auf von ihm gefertigte persönliche Aufzeichnungen, Interessen anderer Mandanten oder dritter Personen verweigert, weil die Verschwiegenheitspflicht unterschiedslos gilt.

b) Den Anforderungen an die Spezifizierung ([X.]/Schütze/[X.], ZPO, 4. Aufl., § 386 Rn. 6) hat die Beklagte durch die bloße, nicht näher unterlegte Angabe, dass Interessen anderer Mandanten durch die Herausgabe der Akten beeinträchtigt werden können, nicht genügt. Es fehlt an jeglichen Angaben, inwiefern die Mandate der Schuldnerin Berührungspunkte zu sonstigen Mandaten der [X.] haben können. Darum kann nach bisherigem Sach- und Streitstand nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die Herausgabe der Handakten mit Rücksicht auf die Geheimhaltungsinteressen anderer Mandanten verweigern darf.

aa) Die [X.] durften im Streitfall nicht allein auf der Grundlage des [X.]vorbringens zu der Überzeugung gelangen, dass einer uneingeschränkten Herausgabepflicht der Akten Geheimhaltungsinteressen anderer Mandanten der [X.] entgegenstehen. Dem [X.] ist es zwar grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (§ 286 ZPO). Ein solches Verfahren darf aber nur in Ausnahmefällen angewandt werden, wenn der vorgetragene Sachverhalt beider Parteien klar, widerspruchsfrei und überzeugend ist ([X.], Urteil vom 6. Oktober 1981 - [X.], [X.]Z 82, 13, 20 f; [X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 286 Rn. 14; MünchKomm-ZPO/Prütting, 5. Aufl., § 286 Rn. 13; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, 9. Aufl., § 286 Rn. 2). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben, weil die Beklagte widersprüchlich vorgetragen hat.

(1) Die Beklagte hat sich vorgerichtlich lediglich darauf berufen, dass "in diesen Schriftstücken natürliche Personen involviert" seien, hinsichtlich derer eine Verschwiegenheitspflicht bestehe. Diese Darstellung hat die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit dahin ergänzt, dass der Schriftwechsel mit diesen Personen für die Schuldnerin geführt worden sei. Ferner hat sie ausgeführt, der Inhalt der Handakte betreffend das Mandat gegen     S.    und die [X.] bestehe, lasse man den Schriftwechsel mit der Schuldnerin außer Betracht, aus den erstinstanzlich und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätzen. Die Handakte aus dem Mandat gegen [X.]beschränke sich auf ein Anspruchsschreiben der [X.], durch das namens der Schuldnerin der Rücktritt von Kaufverträgen über Eigentumswohnungen erklärt worden sei, sowie ein Antwortschreiben des von M.     S.       beauftragten Rechtsanwalts. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht hat die Beklagte geltend gemacht, in den Handakten seien Schriftstücke dritter Personen enthalten, zu denen ein Mandatsverhältnis bestehe.

(2) Angesichts des wechselnden, von dem Kläger bestrittenen Sachvortrags kann nicht davon ausgegangen werden, dass die herauszugebenden Handakten dritte Personen betreffende Schriftstücke enthalten, die durch ein Mandatsverhältnis mit der [X.] verbunden sind. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte zunächst lediglich ohne Bezug auf ein Mandatsverhältnis geltend gemacht hat, dass "in diesen Schriftstücken natürliche Personen involviert" seien, hinsichtlich derer eine Verschwiegenheitspflicht bestehe. Daraus kann schon nicht entnommen werden, ob die Schriftstücke von diesen Personen stammen oder diese Personen lediglich im Rahmen der Mandate schriftsätzlich erwähnt wurden. Überdies legen die erstinstanzlichen schriftsätzlichen Darlegungen der [X.] nahe, dass die Handakten tatsächlich nur das Mandatsverhältnis zu der Schuldnerin betreffende Unterlagen aufweisen. Die Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, zu dritten Personen sei ein Mandatsverhältnis begründet worden, entbehrt jeder auch nur abstrakten Konkretisierung. Da eine besondere Geheimhaltungspflicht erst nachträglich behauptet wurde, hätte sie zumindest plausibel gemacht werden müssen. Ferner kommt hinzu, dass die Beklagte von der Schuldnerin in zwei Verfahren mandatiert wurde. Es erscheint erklärungsbedürftig, dass ausgerechnet mit diesen beiden Mandaten gesonderte Mandate der [X.] zu dritten Personen verknüpft sind.

bb) Zudem ist eine erhöhte Darlegungspflicht der [X.] geboten, weil es die anwaltlichen Berufspflichten verletzen kann, unterschiedliche Mandate betreffende Schriftsätze in einer Handakte zu vereinigen.

cc) Gemäß § 50 Abs. 1 [X.] muss der Rechtsanwalt durch Anlegen von Handakten ein geordnetes Bild über die von ihm entfaltete Tätigkeit geben können. Um dieser Verpflichtung zu genügen, hat der Anwalt zu jedem Mandat eine eigenständige Akte anzulegen. Die Pflicht zur Anlegung der Handakte ist lückenlos ([X.]/Offermann-Burckart, [X.], 4. Aufl., § 50 Rn. 6, 11 f; [X.]/[X.]/Träger, [X.], 9. Aufl., § 50 Rn. 1; [X.]/[X.] in [X.]/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 50 [X.] Rn. 3). Die Norm bezweckt die Sicherstellung der Mindestvoraussetzung einer Verwaltungsstruktur für die anwaltliche Tätigkeit einerseits und die Schaffung eines Beweismittels für den Rechtsanwalt und seinen Mandanten andererseits. Die Regelung dient dem Schutz des Mandanten, der mit der Handakte ein Beweismittel für ein etwaiges Fehlverhalten des Anwalts erhält ([X.]/[X.], aaO). Die Führung einer Handakte für unterschiedliche Verfahren stellt darum regelmäßig einen Organisationsmangel des Rechtsanwalts dar (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Januar 1999 - [X.], NJW-RR 1999, 716).

dd) Bei dieser Sachlage war es der [X.] ohne besonderen Anlass verwehrt, andere Mandate betreffende Schriftstücke in die Handakten einzufügen, welche die Verfahren der Schuldnerin zum Gegenstand haben. Vor diesem Hintergrund bedürfte es einer eingehenden Darlegung, warum die Beklagte für die unterschiedlichen Mandate nicht gesonderte Handakten geführt hat.

III.

Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es wird aufgehoben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, wird sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses wird nunmehr aufgrund ergänzenden Sachvortrags der [X.] darüber zu befinden haben, ob sie den Anforderungen an die Darlegung einer Geheimhaltungspflicht genügt hat.

Kayser     

      

Gehrlein     

      

Grupp 

      

Möhring     

      

Schoppmeyer     

      

Meta

IX ZR 243/17

17.05.2018

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Heidelberg, 13. September 2017, Az: 4 S 3/17

§ 611 BGB, § 667 BGB, § 675 BGB, § 43a Abs 2 S 1 BRAO, § 50 BRAO, § 383 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 386 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.05.2018, Az. IX ZR 243/17 (REWIS RS 2018, 8932)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1087-1088 WM2018,1318 REWIS RS 2018, 8932

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

IX ZB 7/22

VI ZR 307/18

IX ZR 243/17

IX ZR 243/19

15 U 137/21

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