Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2011, Az. 10 AZR 283/10

10. Senat | REWIS RS 2011, 456

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Gegenstand

Geschäftsunterlagen - Herausgabeanspruch des Arbeitgebers


Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 21. Oktober 2009 - 2 [X.] 1438/08 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Herausgabe geschäftlicher Unterlagen und im Wege der Stufenklage Auskunft, welche weiteren Geschäftsunterlagen er noch in seinem Besitz hat.

2

Der Beklagte war bei der Klägerin, einem Unternehmen der Automobilindustrie, als [X.]eiter des [X.] und der Konzernproduktplanung im Geschäftsbereich des Vorsitzenden des Vorstands zu einem Bruttojahresgehalt von 363.900,00 Euro bis zum 30. Juni 2007 beschäftigt.

3

Die Parteien schlossen am 9. Mai 2007 eine „Aufhebungsvereinbarung“ zum 30. Juni 2008, in der [X.]. geregelt ist:

        

„…    

        

§ 7 Geheimhaltung

        

Auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses bleibt die Verpflichtung zur Wahrung von [X.] gemäß der Vertragsbedingungen zum Arbeitsvertrag von [X.] vom [X.] erhalten.

        

Darüber hinaus verpflichten sich die Parteien über den Inhalt dieser Vereinbarung Stillschweigen zu wahren.

        

Die Gesellschaft verpflichtet sich, etwaige Referenzanfragen zukünftiger Arbeitgeber oder zukünftiger Geschäftspartner von [X.] positiv zu beantworten.

        

…       

        

§ 15 Auszahlungskonditionen

        

Die in diesem Austrittsvertrag vereinbarten Konditionen und Zahlungen bleiben nach Art und Höhe unverändert, unabhängig davon, ob das Dienstverhältnis zum 30.06.2008 oder zu einem früheren Termin enden wird. Für den Fall einer vorzeitigen Beendigung werden die bis zum 30.06.2008 ersparten monatlichen Gehaltszahlungen als sofortige Abfindung gezahlt. Die Abfindung erfolgt ohne Abzinsung.

        

§ 16   

        

Mit der Erfüllung dieses Vertrages sind alle wechselseitigen Ansprüche der vertragschließenden Parteien aus dem Dienstverhältnis gegenseitig abgegolten.“

4

Am 11. Mai 2007 vereinbarten die Parteien eine Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses bereits zum 30. Juni 2007 unter Beibehaltung der übrigen Regelungen der Aufhebungsvereinbarung.

5

Der Beklagte gab am 2. Juli 2007 seinen Werksausweis, seine Schlüssel, die ihm zur Verfügung gestellte [X.]editkarte, seinen Dienstwagen sowie einen [X.]aptop an die Klägerin zurück, er behielt aber zahlreiche Unterlagen. Diese sowie Auszüge und von ihm gefertigte Ablichtungen dieser Unterlagen stellte er in einem Ordner zusammen, den er im November 2007 an den bei der Klägerin bestehenden [X.] für Geschäftsbeziehungen mit Aktionären übersandte. Ordner gleichen Inhalts übermittelte er auch der [X.] ([X.]) und der Staatsanwaltschaft [X.] Damit bezweckte er die Aufklärung und Verfolgung seiner Meinung nach rechtlich [X.] Vorgänge aus den geschäftlichen Beziehungen zwischen der Klägerin und der [X.] sowie aus der geplanten Übernahme der Klägerin durch die [X.].

6

Die Klägerin hat die Herausgabe dieser Unterlagen begehrt und ausgeführt: Dem Beklagten stehe kein Recht zu, die im Original oder in Kopie in seinem Besitz befindlichen Firmenunterlagen weiter zu behalten, zumal er diese bereits an die Staatsanwaltschaft und die [X.] übersandt habe.

7

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

I.    

den Beklagten zu verurteilen, folgende Unterlagen, die bei ihm im Original und/oder Kopie vorhanden sind, an die Klägerin herauszugeben:

                 

1.    

Gutachten von [X.]rof. H, [X.], vom 5. Dezember 2005 zur Frage der Interessenkollision,

                 

2.    

Entwicklungsvertrag zwischen der Klägerin und der P AG betreffend der Fahrzeugtypen [X.],

                 

3.    

die Prüfberichte der Klägerin von [X.] für die Jahre 1999 und 2000,

                 

4.    

[X.]iefervertrag über [X.] zwischen der Klägerin und der P AG,

                 

5.    

Bericht des Vorstands zur 181. Sitzung des Aufsichtsrats vom 17. September 1999,

                 

6.    

Stimmzettel für die Aufsichtsratsmitglieder vom 17. September 1999,

                 

7.    

Vorlage zur Vorstandssitzung vom 17. Dezember 2002,

                 

8.    

[X.]hronologie der Verhandlungen zwischen der A AG und der P AG vom 24. April 2006,

                 

9.    

Gesprächsprotokoll „Weiteres Vorgehen EE-B[X.]D-Plattform“ von der A AG und der P AG vom 25. Jan[X.]r 2006,

                 

10.     

Stellungnahme von der A AG vom 14. Dezember 2005 betreffend „Finanzielle Regelungen in der Zusammenarbeit V AG - Prof. [X.]. h. c. F. P AG“,

                 

11.     

Gesprächsnotiz zwischen den Herren Hä, M, [X.]. Mi, S, [X.]. Sch und [X.] vom 20. Dezember 2005 betreffend Überlassung [X.] - Elektronik - ([X.]/E) an die P AG,

                 

12.     

Schreiben von Herrn Hä vom 7. Febr[X.]r 2006 an [X.],

                 

13.     

Antwortschreiben von [X.] an Herrn Hä vom 9. Febr[X.]r 2006,

                 

14.     

Abgestimmte Unterlage zur Ermittlung der Wertigkeit der B[X.]D-Elektrik/Elektronikplattform,

                 

15.     

Protokoll der Vorstandssitzung vom 19. Dezember 2005,

                 

16.     

Gesprächsnotiz von [X.]r über eine Videokonferenz vom 28. April 2006 mit den [X.], [X.]. Ta, [X.], [X.]. Sch, Kö, [X.] und [X.],

                 

17.     

Schreiben von [X.]r. P und [X.] an die Mitarbeiter von der A AG, der V AG und der P AG vom 20. April 2006,

                 

18.     

Schreiben von [X.] an Herrn [X.] vom 5. Dezember 2005 betreffend Projekt Pa - [X.]ieferung einer [X.] 5a Karosserie, lackiert,

                 

19.     

Bericht des Vorstandes zur 214. Sitzung des Aufsichtsrates vom 19. Juli 2006,

                 

20.     

handschriftliches Schreiben von [X.]r. F an [X.]rof. Pi vom 13. November 1995,

                 

21.     

Aktennotiz von [X.]r. F vom 13. November 1995 betreffend [X.],

                 

22.     

Projekt [X.] betreffend Kooperation von Da AG und V AG vom März 2005,

                 

23.     

Vorstandsvorlage der Klägerin zur Sitzung des Präsidiums des Aufsichtsrates vom 4. September 1997,

                 

24.     

Paraphierung des [X.] vom 16. Juni 2003, unterzeichnet von [X.]r. We, [X.] und [X.]r. J. N,

        

II.     

den Beklagten im Wege der Stufenklage zu verurteilen:

                 

1.    

der Klägerin Auskunft zu geben, welche Geschäftsunterlagen der Klägerin er über die unter Ziff. I genannten Unterlagen hinaus in seinem Besitz hat, gleich ob Original, Kopie, [X.] oder in sonstiger Speicherung,

                 

2.    

diese Auskunft eidesstattlich zu versichern,

                 

3.    

die Unterlagen entsprechend dieser Auskunft an die Klägerin herauszugeben.

8

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags ausgeführt: Der Herausgabeanspruch sei aufgrund der Ausgleichsklausel in § 16 der Aufhebungsvereinbarung erloschen. Ein möglicher Herausgabeanspruch sei auch durch die Übergabe des Ordners an den [X.] erfüllt worden. Im Übrigen sei er berechtigt, zumindest bis zum Abschluss der behördlichen Ermittlungsverfahren die Unterlagen zurückzubehalten. Er benötige sie, um die Ermittlungen begleiten und verfolgen und gegen ihn zukünftig gerichtete Vorwürfe entkräften zu können.

9

Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Herausgabe der im Einzelnen bezeichneten Unterlagen und auf Auskunftserteilung durch Teilurteil vom 19. August 2008 stattgegeben. Mit Schreiben vom 10. November 2008 hat der Beklagte erklärt, er gebe die noch in seinem Besitz befindlichen Unterlagen zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung heraus; er habe auch keine weiteren Geschäftsunterlagen der Klägerin mehr in seinem Besitz. Das [X.]andesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.]n hat keinen Erfolg. Die Klägerin kann vom [X.]n die Herausgabe der im Klageantrag genannten Geschäftsunterlagen beanspruchen. Auch der Auskunftsanspruch ist begründet.

I. Die zulässige Klage auf Herausgabe von Geschäftsunterlagen ist begründet.

1. Der auf Herausgabe gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere in der gebotenen Auslegung hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin eine Herausgabe der beim [X.]n vorhandenen Unterlagen „im Original und/oder Kopie“ verlangt.

a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift neben der Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs auch einen bestimmten Antrag enthalten. Ein Klageantrag ist hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet. Dadurch werden der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) abgesteckt und Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) festgelegt. Zugleich wird vermieden, dass das Risiko eines Unterliegens des [X.] durch eine vermeidbare Ungenauigkeit auf den [X.]n abgewälzt oder der Streit in ein sich anschließendes Zwangsvollstreckungsverfahren verlagert wird. Maßgeblich für die Bestimmtheit eines Klageantrags sind die Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und die Umstände des Einzelfalls. Hierbei ist das zu schützende Interesse des [X.]n, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie sein Interesse an der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse des [X.] an einem wirksamen Rechtsschutz abzuwägen. Generalisierende Formulierungen können daher im Einzelfall unvermeidlich sein. Andernfalls würde die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, durch prozessuale Anforderungen unzumutbar erschwert, wenn nicht gar beseitigt ([X.] 17. Mai 2011 - 1 [X.] - Rn. 21, [X.] 2011, 1169; 22. Juni 2010 - 1 [X.] - Rn. 18, [X.] Art. 9 Nr. 142 = EzA GG Art. 9 Nr. 101).

b) Nach diesen Grundsätzen sind die im Klageantrag genannten Geschäftsunterlagen zum einen so konkretisiert, dass der [X.] erkennen kann, welche Unterlagen von ihm verlangt werden. Im Fall einer Zwangsvollstreckung sind sie - zumal ein eindeutiger Bezug zu dem vom [X.]n an die Staatsanwaltschaft und die [X.] übermittelten Ordner besteht - identifizierbar. Zum anderen ist die auszulegende Formulierung „und/oder“ eindeutig. Der Antrag auf Herausgabe bezieht sich auf die jeweilige Form der Geschäftsunterlage, die der [X.] in seinem Besitz hat. Die insoweit vom [X.] angeregte Formulierung soll den [X.]n eindeutig zur - vollständigen - Herausgabe der benannten Geschäftsunterlagen unabhängig von ihrer jeweiligen Form verpflichten.

2. Die Klägerin hat einen Herausgabeanspruch entsprechend § 667 BGB.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob der [X.] nach der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Arbeitsordnung oder nach §§ 985, 861 BGB verpflichtet ist, Geschäftsunterlagen herauszugeben. Der geltend gemachte Herausgabeanspruch besteht jedenfalls entsprechend § 667 BGB. Die auftragsrechtlichen Regelungen enthalten allgemeine Grundsätze, die auch für Arbeitsverhältnisse gelten (vgl. [X.] 11. April 2006 - 9 [X.] - Rn. 21, [X.]E 118, 16). Danach ist der [X.] wie ein Beauftragter verpflichtet, der Klägerin alles, was er zur Ausführung der ihm übertragenen Arbeit erhalten und was er aus dem Arbeitsverhältnis erlangt hat, herauszugeben. Hierzu zählen auch die streitgegenständlichen Geschäftsunterlagen.

b) Der [X.] hat die Geschäftsunterlagen iSv. § 667 BGB von der Klägerin erhalten oder erlangt.

aa) Zur Ausführung der übertragenen Arbeit erhalten hat der Arbeitnehmer alles, was ihm zum Zwecke der Durchführung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt worden ist (vgl. zur Geschäftsbesorgung: [X.] 11. März 2004 - [X.]/03 - zu II 1 der Gründe, NJW-RR 2004, 1290). Aus dem Arbeitsverhältnis erlangt ist jeder Vorteil, den der Arbeitnehmer aufgrund eines inneren Zusammenhangs mit dem Arbeitsverhältnis erhalten hat (vgl. [X.] 11. März 2004 - [X.]/03 - zu II 1 der Gründe, aaO).

bb) Hierzu gehören Unterlagen, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber bzw. dessen Repräsentanten zur Verfügung gestellt worden sind (§ 667 Alt. 1 BGB), und die, die er während des Arbeitsverhältnisses, beispielsweise durch einen Schriftverkehr mit Dritten, erlangt hat (§ 667 Alt. 2 BGB). Aus der Geschäftstätigkeit iSd. § 667 BGB erlangt sind auch die vom [X.]n im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Klägerin selbst angelegten Akten, sonstige Unterlagen und Dateien - mit Ausnahme von privaten Aufzeichnungen (vgl. [X.] 11. März 2004 - [X.]/03 - zu II 1 der Gründe, NJW-RR 2004, 1290; 30. November 1989 - [X.] ZR 112/88 - zu II 2 a aa der Gründe, [X.]Z 109, 260).

cc) Bei den streitbefangenen Urkunden (Gutachten, Prüfberichte, Verträge, Protokolle etc.) handelt es sich um entsprechende Geschäftsunterlagen iSv. § 667 BGB, die die Klägerin dem [X.]n während des Arbeitsverhältnisses zur Wahrnehmung seiner Tätigkeit überlassen oder die er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit erlangt hat.

c) Dem [X.]n steht kein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) an den Geschäftsunterlagen zu.

Zutreffend verweist der [X.] darauf, dass ihm aus rechtsstaatlichen Gründen keine zivil- oder arbeitsrechtlichen Nachteile entstehen dürfen, wenn er - jedenfalls soweit er keine wissentlich unwahren oder leichtfertig falschen Angaben macht - staatsbürgerliche Rechte im Rahmen eines Straf- oder behördlichen Ermittlungsverfahrens wahrnimmt ([X.] 2. Juli 2001 - 1 BvR 2049/00 - zu II 1 b cc bbb der Gründe, [X.] BGB § 626 Nr. 170 = EzA BGB § 626 Nr. 188; zu den sog. Whistleblowern jetzt auch: [X.] 21. Juli 2011 - 28274/08 - [[X.]] [X.] 2011, 1269). Geht man davon aus, dass die verfassungsrechtlichen Rechte des [X.]n (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Rechtsstaatsprinzip) in die Schutz- und Rücksichtnahmepflicht der Klägerin gemäß § 241 Abs. 2 BGB ausstrahlen, folgt daraus noch kein Recht des [X.]n, die streitgegenständlichen Geschäftsunterlagen weiterhin behalten zu können. Mit seiner Anzeigenerstattung bei der Staatsanwalt B und der Mitteilung an die [X.] hat der [X.] die von der Rechtsordnung erlaubten und gebilligten Möglichkeiten wahrgenommen, die seiner Meinung nach beanstandungswürdigen Vorgänge bei der Klägerin im Zusammenhang mit der „[X.]“ aufzuzeigen und sie von den dafür zuständigen staatlichen Stellen prüfen zu lassen. Durch die Übersendung der Unterlagen an diese Behörden hat er seine staatsbürgerlichen Rechte ausgeübt. Seinem Anliegen ist damit hinreichend Rechnung getragen. Für einen weiteren Verbleib der Geschäftsunterlagen in seinem Besitz gibt es keine Grundlage. Sein Hinweis, er benötige sie, um sich mit ihrer Hilfe in einem möglichen späteren zivil- oder strafrechtlichen Verfahren verteidigen zu können, rechtfertigt einen weiteren Verbleib nicht. Dies gilt umso mehr, als der [X.] in einem solchen Fall einen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht hätte, wenn sich in den entsprechenden Akten für ihn entlastendes Material befindet ([X.] 6. Aufl. § 475 Rn. 1). Damit bestünde eine hinreichende Möglichkeit, die dann noch notwendigen Informationen aus den Unterlagen für seine eigene „Verteidigung“ zu erlangen. Eines Zurückbehaltungsrechts an den Geschäftsunterlagen zum Zwecke einer künftigen Verteidigung in einem Zivil- oder Strafverfahren bedarf es demgemäß nicht.

3. Der Herausgabeanspruch ist nicht wegen Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).

a) Durch die Übergabe des Ordners mit Ablichtungen der streitgegenständlichen Geschäftsunterlagen an den Aufsichtsratsausschuss der Klägerin für Geschäftsbeziehungen mit Aktionären hat der [X.] die geschuldete Leistung nicht bewirkt. Da er weiterhin die Geschäftsunterlagen im Original oder in Fotokopie in seinem Besitz behalten hat, ist der Herausgabeanspruch nicht erfüllt worden.

b) Der Herausgabeanspruch ist auch nicht dadurch erfüllt worden, dass der [X.] die Unterlagen mit Schreiben vom 10. November 2008 zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil der Klägerin zugeleitet hat.

Ein Schuldverhältnis erlischt erst, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger endgültig bewirkt worden ist (§ 362 Abs. 1 BGB). Hieran fehlt es, wenn der Schuldner ohne Anerkennung seiner Schuld unter dem Vorbehalt einer Rückforderung ohne Veränderung der den Gläubiger treffenden Beweislast seine Leistung erbringt ([X.] 19. November 2008 - [X.]/08 - Rn. 5, [X.], 57; 6. Oktober 1998 - [X.] - zu II 2 c dd der Gründe, [X.]Z 139, 357; 19. Januar 1983 - [X.]/81 - zu II 1 der Gründe, [X.]Z 86, 267). Ein solcher Vorbehalt ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Leistung des Schuldners an den Gläubiger aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung erfolgt ([X.] 19. November 2008 - [X.]/08 - Rn. 5, aaO; 24. November 2006 - [X.] 6/05 - Rn. 19, NJW 2007, 1269; 19. Januar 1983 - [X.]/81 - zu II 1 der Gründe, aaO). Angesichts des anhängigen Berufungsverfahrens und Hinweises im Schreiben des [X.]n vom 10. November 2008, es werde zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung geleistet, liegt keine endgültige Bewirkung der Leistung vor.

4. Der Herausgabeanspruch ist auch nicht aufgrund der [X.] in § 16 der Aufhebungsvereinbarung vom 9. Mai 2007 erloschen. Der aus § 667 BGB folgende Herausgabeanspruch wird von der [X.], dass „mit der Erfüllung dieses Vertrages … alle wechselseitigen Ansprüche der vertragschließenden Parteien aus dem Dienstverhältnis gegenseitig abgegolten“ sind, nicht erfasst. Dies hat das [X.] zu Recht angenommen. Seine Auslegung der Klausel begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken (vgl. zur revisionsrechtlichen Überprüfung der Auslegung von [X.]n: [X.] 24. Juni 2009 - 10 [X.] (F) - Rn. 23 mwN, [X.] HGB § 74 Nr. 81).

a) Zu den „Ansprüchen der vertragschließenden Parteien aus dem Dienstverhältnis“ gehören grundsätzlich alle Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien gegeneinander haben. Maßgeblich ist der Bereich, in dem der Anspruch entsteht, nicht seine materiell-rechtliche Grundlage. Hat ein Anspruch seinen Grund in der arbeitsvertraglichen Beziehung der Parteien, ist er ein Anspruch aus dem Arbeits- bzw. Dienstverhältnis ([X.] 19. Januar 2011 - 10 [X.] - Rn. 13, [X.] BGB § 611 Arbeitgeberdarlehen Nr. 4 = EzA BGB 2002 § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 9). Dementsprechend werden nicht nur die sich unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag selbst ergebenden Ansprüche von der [X.] erfasst, sondern beispielsweise auch wechselseitige Ansprüche aus einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot ([X.] 24. Juni 2009 - 10 [X.] (F) - Rn. 26, [X.] HGB § 74 Nr. 81; 18. Dezember 1984 - 3 [X.] - zu II 1 der Gründe, [X.] TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 87 = [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 61) oder Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung ([X.] 30. Oktober 2008 - 8 [X.] - Rn. 21, [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 192).

Mit einer [X.] im Rahmen einer detaillierten Aufhebungsvereinbarung wollen die Parteien regelmäßig ihr Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie bei [X.] an sie gedacht haben oder nicht ([X.] 11. Oktober 2006 - 5 [X.] - Rn. 24, [X.] EntgeltFG § 5 Nr. 9; 19. November 2003 - 10 [X.] - zu II 2 a bb der Gründe, [X.] BGB § 611 [X.] Nr. 50 = EzA BGB 2002 § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 2). Allerdings werden von [X.]n in [X.], die vor dem in der Aufhebungsvereinbarung geregelten Beendigungszeitpunkt vereinbart werden, solche Forderungen regelmäßig nicht erfasst, die im fortbestehenden Arbeitsverhältnis zeitlich nach Vereinbarung der [X.] entstehen oder zwar bereits entstanden sind, jedoch von den Parteien eines Aufhebungsvertrages typischerweise nicht bedacht werden (können) (vgl. [X.] 11. Oktober 2006 - 5 [X.] - Rn. 24, aaO). Gerade bei in die Zukunft gerichteten [X.] bestehen die arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten fort. Deshalb bezwecken die Parteien bei einem in der Zukunft liegenden Beendigungstermin regelmäßig nicht, ein noch nicht beendetes Arbeitsverhältnis mit dem Aufhebungsvertrag vollständig zu suspendieren und abzuwickeln; anderes gilt nur, wenn sich hierfür aus der vertraglichen Vereinbarung der Parteien deutliche Anhaltspunkte ergeben.

b) Die [X.] in § 16 der Aufhebungsvereinbarung erfasst den Herausgabeanspruch nicht.

aa) Die Aufhebungsvereinbarung vom 9. Mai 2007 regelt eine erst in der Zukunft liegende Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Die Parteien beabsichtigten, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30. Juni 2008 oder zu einem früheren Termin zu beenden. Der [X.] kommt in diesem Zusammenhang keine umfassende Bedeutung zu. Sie sollte nicht unabhängig vom weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses alle künftigen Ansprüche erfassen. Dafür spricht auch die Formulierung „mit der Erfüllung dieses Vertrages“, die die ordnungsgemäße Erfüllung des Vertragsverhältnisses bis zum 30. Juni 2008 beinhaltet. Die weitere Formulierung „sind ... abgegolten“ legt nahe, dass eine endgültige Bereinigung speziell der umfangreich geregelten finanziellen Ansprüche beabsichtigt war. Hinzu kommt, dass ein Arbeitgeber bei der Vereinbarung eines auf die künftige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Aufhebungsvertrags mit [X.] typischerweise nicht bedenken muss, dass ein Arbeitnehmer die ihm zur Verfügung gestellten oder an sich genommenen Geschäftsunterlagen nach seinem Ausscheiden nicht im räumlichen Machtbereich des Arbeitgebers belässt oder dorthin zurückführt, sondern sie abredewidrig mit nach Hause nimmt und behält. Vielmehr deutet die in § 7 der Aufhebungsvereinbarung geregelte Verpflichtung zur Wahrung von [X.] darauf hin, dass die Klägerin auf ihren Anspruch auf Herausgabe von (vertraulichen) Geschäftsunterlagen aufgrund der [X.] nicht verzichten wollte.

bb) Entgegengesetzte Anhaltspunkte für ein umfassendes Verständnis der [X.] ergeben sich auch nicht aus dem weiteren Inhalt der Aufhebungsvereinbarung. Sie enthält erkennbar keine abschließende Regelung über die wechselseitigen Rechte und Pflichten des abzuwickelnden Arbeitsverhältnisses.

cc) Aus den konkreten Begleitumständen beim Abschluss der Aufhebungsvereinbarung vom 9. Mai 2007 ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen Verzicht der Klägerin auf den streitgegenständlichen Herausgabeanspruch. Gegen einen solchen Verzicht spricht zudem das Verhalten der Parteien nach Vertragsschluss. Der [X.] hat die ihm zur Verfügung gestellten Gegenstände (Schlüssel, Kreditkarte, Dienstwagen und Laptop) zurückgegeben, die Klägerin hat die Arbeitspapiere ausgehändigt und die letzten [X.] übernommen. Dies zeigt, dass beide Parteien, mithin auch der [X.], nach wie vor vom Be- und Entstehen weiterer gegenseitiger Ansprüche aus dem Dienstverhältnis ausgingen.

II. Die Klägerin kann Auskunft vom [X.]n entsprechend § 666 BGB verlangen, welche Geschäftsunterlagen er über die im Klageantrag zu Ziff. I genannten Unterlagen hinaus noch in seinem Besitz hat, gleich ob im Original, in Kopie, als [X.] oder in sonstiger Speicherung.

1. Kommt der Arbeitnehmer seiner Rückgabepflicht nicht nach und bestehen Zweifel über den Umfang der in seinem Besitz befindlichen Geschäftsunterlagen, hat der Arbeitgeber neben den [X.] in entsprechender Anwendung von § 666 BGB einen Anspruch auf Auskunftserteilung ([X.]/[X.] 14. Aufl. § 150 Rn. 2; [X.]/Preis 12. Aufl. § 611 BGB Rn. 23).

2. Solche Zweifel bestehen. Nach den bindenden Feststellungen des [X.]s ist davon auszugehen, dass der [X.] über die konkret [X.] Geschäftsunterlagen hinaus weitere Unterlagen besitzt, die die Klägerin im Einzelnen nicht identifizieren kann, deren Existenz aber anhand des Inhalts des von dem [X.]n erstellten Ordners erkennbar ist.

3. Auch der Auskunftsanspruch wird aus den bereits dargelegten Gründen (oben unter I 4) nicht von der [X.] der Aufhebungsvereinbarung erfasst.

4. Durch seine Erklärung im Schreiben vom 10. November 2008 hat der [X.] den Auskunftsanspruch nicht iSv. § 362 BGB erfüllt.

Er hat zwar unter Bezug auf Ziff. 2 des Tenors des arbeitsgerichtlichen Urteils erklärt, er habe über die in der Anlage des Schreibens übergebenen Unterlagen hinaus Geschäftsunterlagen der Klägerin weder im Original noch in Kopie noch als [X.] oder in sonstiger Speicherung in seinem Besitz. Aus dem Schreiben („Hier: Urteilserfüllung zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung …“) ergibt sich jedoch, dass er diese Erklärung nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung abgegeben hat. Ein endgültiges Bewirken der geschuldeten Leistung liegt damit nicht vor. Der Streit der Parteien über das Bestehen des Anspruchs ist deshalb durch die Erklärung des [X.]n nicht gegenstandslos geworden (vgl. [X.] 8. Mai 1985 - [X.] - zu IV 2 der Gründe, [X.]Z 94, 268; [X.] 22. Januar 1975 - 4 [X.] - [X.] TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 23 = [X.] § 4 Bauindustrie Nr. 17; [X.] 10. Februar 2010 - 2 [X.]/09 - zu [X.] 2 d der Gründe).

[X.]. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Mikosch    

        

    Mestwerdt    

        

    Eylert    

        

        

        

    Baschnagel    

        

    R. Bicknase    

                 

Meta

10 AZR 283/10

14.12.2011

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Braunschweig, 19. August 2008, Az: 8 Ca 187/08, Urteil

§ 273 BGB, § 666 BGB, § 667 BGB, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 241 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2011, Az. 10 AZR 283/10 (REWIS RS 2011, 456)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 456

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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8 AZR 114/09 (Bundesarbeitsgericht)


Referenzen
Wird zitiert von

3 Sa 140/22

14 Ca 4491/17

12 SaGa 4/20

9 Sa 1157/15

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