Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.11.2021, Az. B 9 SB 76/20 B

9. Senat | REWIS RS 2021, 1336

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Videoübertragung - Rüge der mangelnden Qualität und Akustik der Übertragung unmittelbar in der Verhandlung - Gestattung der Videoteilnahme - Gestattungsbeschluss - rechtzeitiger Zugang vor der mündlichen Verhandlung - Verlust des Rügerechts nach Teilnahme an der Verhandlung - Verschaffung eines persönlichen Eindrucks für das Gericht - Möglichkeit des persönlichen Erscheinens vor Ort - Möglichkeit der Nichtteilnahme oder des Verzichts auf die Verhandlung - Überraschungsentscheidung - Darstellung des konkreten Beklagtenvorbringens und gerichtlicher Erörterungen - Schwerbehindertenrecht - Versorgungsmedizinische Grundsätze - Gesamt-GdB-Bildung - Vergleich mit Beinverlust im Unterschenkel - Folge- und Begleitschäden einer Adipositas per magna - Divergenz - Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 13. November 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Feststellung eines höheren Grads der Behinderung (GdB), insbesondere ob der wegen einer psychischen Erkrankung zuerkannte Einzel-GdB mit Rücksicht auf daneben bestehende Funktionsstörungen der Wirbelsäule und Hüftgelenke auf einen [X.] von 50 zu erhöhen ist. Das [X.] hat der [X.] hierauf gerichteten Klage insoweit stattgegeben (Gerichtsbescheid vom 10.10.2019). Auf die Berufung des Beklagten hat das L[X.] die Entscheidung des [X.] geändert und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 13.11.2020).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim B[X.] eingelegt und diese mit Verfahrensmängeln und einer Divergenz zur Rechtsprechung des B[X.] begründet.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen Form. Die Klägerin hat darin weder den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) noch einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen Weise bezeichnet.

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des [X.] die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des L[X.] ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

5

a) Die Klägerin begründet ihre Beschwerde zunächst mit einem Verfahrensmangel, weil die mündliche Verhandlung am 13.11.2020 unter Verletzung des § 110a iVm §§ 153, 124 [X.]G in Form einer Videokonferenz durchgeführt worden sei. Der Beschluss des L[X.] über die Gestattung, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen, sei ihr erst am 14.11.2020 zugestellt worden. Da dieser Beschluss konstitutiv sei (Hinweis auf B. [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 110a Rd[X.] 5), sei das angegriffene Urteil nicht aufgrund der gemäß §§ 153, 124 [X.]G vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung ergangen.

6

Es kann dahinstehen, ob die Zustellung des Beschlusses über die Gestattung nach § 110a Abs 1 Satz 1 [X.]G vor Durchführung bzw dessen Verkündung spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung konstitutiv ist für die Wirksamkeit der von einem per Bild- und Tonübertragung teilnehmenden Beteiligten vorgenommenen Verfahrenshandlungen. Zweifel hieran bestehen vorliegend zumindest mit Blick auf den Umstand, dass die Teilnahme der Klägerin bzw ihrer Bevollmächtigten per Videoübertragung ausweislich der Beschwerdebegründung von dieser beantragt worden ist und sie an der Verhandlung in der beantragten Form auch tatsächlich teilgenommen hat. Jedenfalls hat die Klägerin - anders als erforderlich - mit der Beschwerdebegründung nicht schlüssig dargetan, dass kein Verlust des Rügerechts eingetreten ist und die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Mangel beruhen kann.

7

Ausweislich der Beschwerdebegründung hat die Bevollmächtigte der Klägerin an der Verhandlung mittels Bild- und Tonübertragung teilgenommen, sich geäußert und einen Sachantrag gestellt. Nicht vorgetragen wird, dass die Klägerin bzw ihre Bevollmächtigte während der Verhandlung die bis dahin unterbliebene Zustellung des Gestattungsbeschlusses gerügt hätte, obwohl ihnen dies bekannt gewesen sein musste. [X.] wird der verspätete Zugang des Gestattungsbeschlusses von der Klägerin erstmals mit der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das sie beschwerende Urteil. Jedenfalls vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin näher ausführen müssen, dass sie durch die verspätete Zustellung des Gestattungsbeschlusses in einem nicht verzichtbaren Verfahrensrecht verletzt worden ist, sodass eine Heilung des [X.] und ein Verlust des Rügerechts ausgeschlossen sind (§ 202 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]G iVm §§ 556, 295 ZPO; vgl zur Notwendigkeit, dieses in der Beschwerdebegründung auszuführen B[X.] Beschluss vom [X.] R 397/16 B - juris Rd[X.] 11). Allein die in der Beschwerdebegründung aufgestellte Behauptung, ein [X.] sei nicht eingetreten, genügt hierfür nicht.

8

Tiefergehende Ausführungen zur Frage der Verletzung eines unverzichtbaren Verfahrensrechts sind hier auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil eine solche Verletzung offensichtlich wäre. Denn anders als mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht, ersetzt die Möglichkeit der Übertragung der Verhandlung in Bild und Ton nach § 110a [X.]G nicht etwa die mündliche Verhandlung als solche. Vielmehr wird allein von der zur Vornahme von Verfahrenshandlungen grundsätzlich notwendigen Anwesenheit der Beteiligten bzw ihrer Prozessbevollmächtigten im Sitzungszimmer abgesehen und diese durch die Übertragung der Verhandlung an deren Aufenthaltsort ersetzt. Es steht den Beteiligten jedoch weiterhin frei, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen oder von vornherein nach § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 [X.]G auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten. Diese Möglichkeiten bestehen auch dann, wenn das [X.] - wie vorliegend - durch Gerichtsbescheid (§ 105 [X.]G) entschieden hat.

9

Darüber hinaus ist ein Verfahrensmangel auch deshalb nicht formgerecht bezeichnet, weil die Klägerin nicht schlüssig ausgeführt hat, dass die angefochtene Entscheidung auf der gerügten Verletzung des § 110a [X.]G beruhen kann. Zwar macht sie geltend, eine mündliche Verhandlung hätte dem Gericht die Möglichkeit gegeben, sich ein Bild von ihr persönlich und ihrer Fähigkeit zu machen, sich trotz Schäden an der Wirbelsäule und dem Hüftgelenk fortzubewegen. Die Videokonferenz habe den Richtern diesen für die Entscheidung unumgänglichen persönlichen Eindruck nicht ermöglicht. In Bezug hierauf hätte sie jedoch erklären müssen, warum sie sich nicht zur mündlichen Verhandlung im Sitzungszimmer eingefunden und statt dessen die Verhandlungsteilnahme per Bild- und Tonübertragung beantragt hat. Durch diesen Antrag war sie auch nicht etwa daran gehindert, persönlich im Sitzungszimmer an der Verhandlung teilzunehmen. Zudem hätte ihr dies selbst bei rechtzeitiger Zustellung des Gestattungsbeschlusses weiterhin freigestanden (vgl nur B. [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 110a Rd[X.] 9 mwN).

b) Sollte die Klägerin mit dem vorstehend dargestellten Beschwerdevorbringen auch eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des L[X.] (§ 103 Abs 1 Halbsatz 1 [X.]G) rügen wollen, weil dieses sich kein eigenes Bild von ihren Funktionseinschränkungen gemacht hat, kann dies der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Insoweit fehlt es in der Beschwerdebegründung bereits an der gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G notwendigen Bezeichnung eines Beweisantrags, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

c) Ebenfalls unzulässig ist die Beschwerde, soweit die Klägerin rügt, dass sie bzw ihre Bevollmächtigte sich durch die Q[X.]lität der Akustik und des Videobildes daran gehindert sahen, so vorzutragen, dass das Gericht hinsichtlich der entscheidungserheblichen Punkte wirklich den eigenen Standpunkt prüft. Wird - wie hier jedenfalls sinngemäß - eine Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G) geltend gemacht, so muss auch dargetan werden, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich selbst rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 15.8.2018 - B 13 R 387/16 B - juris Rd[X.] 12; B[X.] Beschluss vom 7.10.2016 - [X.] V 28/16 B - juris Rd[X.] 6). An Ausführungen hierzu mangelt es jedoch. Insbesondere wird aufgrund der Beschwerdebegründung nicht deutlich, dass die Klägerin die vermeintlichen Mängel der Übertragung nicht bereits während der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht rügen und sich so das gewünschte Gehör verschaffen konnte. Vielmehr gibt sie selbst an, auf Nachfragen bestätigt zu haben, dass das bisher Übermittelte von ihr deutlich verstanden worden sei.

d) Schließlich wird auch ein Verfahrensmangel wegen Verletzung des § 128 Abs 2 [X.]G nicht formgerecht bezeichnet.

Nach § 128 Abs 2 [X.]G darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Klägerin macht insoweit geltend, dass L[X.] habe die gutachterlich festgestellten Einzel-GdB für Schäden an Lendenwirbelsäule und Hüfte zu Unrecht bei der Bildung des [X.] unberücksichtigt gelassen. Dabei habe es sich auf neue Tatsachen gestützt, indem es sie (die Klägerin) mit einem Menschen mit Behinderung bei Verlust eines Beins im Unterschenkel verglichen habe. Die Notwendigkeit eines solchen Vergleichs ergebe sich weder aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen noch aus den Gutachten oder aus irgendwelchen Leitlinien oder Regelwerken der Sozialmedizin. Hierzu und zu der vom [X.] abweichenden Beweiswürdigung hätten sich die Beteiligten nicht äußern können, zumal dies auch nach dem jeweiligen Sachvortrag der Beteiligten nicht zu erwarten gewesen sei.

Im [X.] rügt die Klägerin mit diesem Vorbringen eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G) in Form einer sog Überraschungsentscheidung. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB B[X.] Beschluss vom 15.12.2020 - [X.] V 46/20 B - juris Rd[X.] 6; [X.] Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - [X.]K 19, 377 - juris Rd[X.] 18 jeweils mwN). Andererseits liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor, wenn die Problematik bereits Gegenstand von Äußerungen der Beteiligten des streitigen Verfahrens war (vgl zB B[X.] Beschluss vom 14.8.2014 - B 13 R 213/14 B - juris Rd[X.] 5; [X.] Beschluss vom 12.7.2006 - 2 BvR 513/06 - [X.]K 8, 376 - juris Rd[X.]7). Zur Darlegung des [X.] eines Gehörsverstoßes in Form einer Überraschungsentscheidung muss der Beschwerdeführer einer Nichtzulassungsbeschwerde unter Bezugnahme auf den Gang des Gerichtsverfahrens und das Vorbringen der Beteiligten sowie unter Hervorhebung von Äußerungen des Berufungsgerichts darlegen, dass die Entscheidung des L[X.] nach dem bisherigen Sach- und Streitstand von keiner Seite als möglich vorausgesehen werden konnte (B[X.] Beschluss vom 5.11.2020 - [X.] [X.] 34/20 B - juris Rd[X.] 7 mwN). Dies ist vorliegend nicht geschehen.

Es genügt nicht den vorstehend beschriebenen Anforderungen, wenn in der Beschwerdebegründung lediglich behauptet wird, die "Problematik" sei nicht Gegenstand von Äußerungen der Beteiligten gewesen. Vielmehr hätten wenigstens in groben Zügen die von dem Beklagten gegen das Begehren der Klägerin angeführten Argumente, insbesondere aus deren Berufungsbegründung und ggf weiteren im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätzen dargestellt werden müssen. Gleiches gilt für den Inhalt der Erörterung der Sach- und Rechtslage während der mündlichen Verhandlung. Zudem hätte die Klägerin ausführen müssen, warum ihr bzw ihrer Bevollmächtigten - in Anwendung der eingangs beschriebenen objektiven Betrachtungsweise - die Rechtsprechung des B[X.] zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht bekannt sein musste. Danach bietet sich für die Maßstabsbildung ein Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen an, für die im Tabellenteil der Anlage zu § 2 [X.] ein Wert von 50 fest vorgegeben ist. Hierbei begegnet die Prüfung, ob eine Person in ähnlich gravierender Weise in der Lebensführung eingeschränkt ist, wie im Tabellenteil benannte Vergleichsgruppen ([X.] behinderte Menschen mit einem Verlust eines Beins im Unterschenkel), keinen rechtlichen Bedenken (vgl B[X.] Urteil vom 16.12.2014 - [X.] [X.] 2/13 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] 18 Rd[X.]4).

2. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz wird nicht formgerecht bezeichnet.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das [X.] tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des B[X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.] einander gegenüberzustellen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 25.10.2018 - [X.] V 27/18 B - juris Rd[X.] 8 mwN). Hieran fehlt es.

Soweit die Klägerin eine Divergenz darin zu sehen meint, dass die Entscheidung des L[X.] im Widerspruch zum Urteil des B[X.] vom 24.4.2008 ([X.]/9a [X.] 7/06 R - [X.] 4-3250 § 146 [X.] 1) stehe, weil es die in dieser Rechtsprechung aufgestellten Rechtsgrundsätze missachtet habe, fehlt es bereits an der Benennung eines divergierenden abstrakten Rechtssatzes aus dem angefochtenen Berufungsurteil.

Dem Urteil des B[X.] vom 24.4.2008 (aaO Rd[X.] 14) entnimmt sie - mit geringen Abweichungen im Wortlaut - als Rechtssatz:

"Entgegen der Ansicht des Beklagten gehört ein erhebliches Übergewicht nicht zu den Faktoren, die keinen Bezug zu einer Behinderung haben und daher bei der Beurteilung des Gehvermögens unberücksichtigt bleiben. Die funktionellen Auswirkungen einer Adipositas per magna sind nicht nur bei Einschätzung eines aus anderen Gesundheitsstörungen folgenden GdB erhöhend zu berücksichtigen, sondern auch insoweit, als sie zu einer Einbuße der in § 145 [X.]B IX genannten Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen…".

Dem stellt die Klägerin die Aussage aus dem Berufungsurteil gegenüber, "dass die bei der Klägerin unstreitig vorliegende Adipositas keinen GdS bedinge und allenfalls Folge- und Begleitschäden die Annahme eines GdS begründen könnte". Im [X.] hieran zitiert sie aus dem angefochtenen Urteil:

"Gleiches gilt für die besonderen funktionelle Auswirkungen einer Adipositas per magna. Die Folge- und Begleitschäden der Adipositas der Klägerin - insbesondere solche in Zusammenhang mit den Beeinträchtigungen des Stütz- und Bewegungsapparates - sind nach obigen Ausführungen vollumfänglich berücksichtigt worden…".

Ergänzend hierzu schildert sie ihre Beschwerden und zitiert aus dem vom [X.] eingeholten Gutachten der Sachverständigen [X.] kommt sie zu der Schlussfolgerung, das L[X.] hätte unter Beachtung des vom B[X.] formulierten Rechtsgrundsatzes, wonach eine Adipositas Funktionseinschränkungen verstärken könne, die [X.] für die Hüftgelenksarthrose und den Wirbelsäulenschaden nicht in die Behinderung wegen psychischer Erkrankung integrieren dürfen.

Mit diesem Vortrag bezeichnet die Beschwerde indes keinen Rechtssatz des L[X.], der die höchstrichterliche Rechtsprechung infrage stellen würde. Vielmehr lässt die aus dem Berufungsurteil zitierte [X.] deutlich erkennen, dass das L[X.] die Folge- und Begleitschäden der Adipositas der Klägerin bei der Ermittlung des GdB nicht "unberücksichtigt" gelassen hat. Vielmehr sind diese "vollumfänglich berücksichtigt worden". Tatsächlich wendet sich die Klägerin mit ihrer Begründung zu einer vermeintlichen Divergenz im [X.] gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Letztere entzieht § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (vgl zB B[X.] Beschluss vom 8.5.2017 - [X.] V 78/16 B - juris Rd[X.] 15 mwN). Allein die - behauptete - Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall - zB aufgrund der Nichtbeachtung oder fehlerhaften Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung - rechtfertigt die Zulassung wegen Divergenz nicht (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 5.6.2020 - [X.] [X.] 87/19 B - juris Rd[X.] 6; B[X.] Beschluss vom 16.3.2017 - B 13 R 390/16 B - juris Rd[X.] 16).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (vgl § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 [X.]G).

5. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

Kaltenstein [X.]. [X.]

Meta

B 9 SB 76/20 B

04.11.2021

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Itzehoe, 10. Oktober 2019, Az: S 7 SB 290/16, Gerichtsbescheid

§ 110a Abs 1 S 1 SGG, § 62 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 S 1 SGG, § 295 ZPO, § 556 ZPO, § 2 Abs 2 SGB 9 2018, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 2 VersMedV, Anlage Teil A Nr 3 Buchst b VersMedV, Anlage Teil B Nr 15.3 VersMedV, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.11.2021, Az. B 9 SB 76/20 B (REWIS RS 2021, 1336)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1336

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 34/21 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen B - Begleitperson - inzidente …


B 9 SB 1/18 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Beschwerdebegründung - Darlegungsanforderungen - Bezeichnung eines Verfahrensmangels - Darstellung des Verfahrensgangs und rechtliche …


B 9 SB 86/19 B (Bundessozialgericht)

(Nichtzulassungsbeschwerde - Auslegung eines Verwaltungsakts - GdB-Herabsetzungsbescheid ohne Datum - Heranziehung von beigefügten Unterlagen als …


B 13 R 211/10 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - erstinstanzliches Verfahren - Fortwirken in die Berufungsinstanz - Zurückverweisung an das …


B 9 SB 93/17 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Rolle des Sachverständigen als Gehilfe des Richters - …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvR 2126/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.