Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2012, Az. 8 AZR 285/11

8. Senat | REWIS RS 2012, 3677

ARBEITSRECHT DISKRIMINIERUNG BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) BEWERBUNG

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Gegenstand

Bewerber - Benachteiligung - Alter


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 10. November 2010 - 17 [X.] 1410/10 - aufgehoben.

Die [X.]che wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger geltend macht, weil er sich wegen seines Alters bei einer Bewerbung benachteiligt sieht.

2

Unter dem 22. Juni 2009 schrieb die Beklagte Stellen über ein Internetportal aus. In der Stellenanzeige heißt es [X.] (wörtliche Wiedergabe):

        

„Die Firma [X.] entwickelt seit 1995 kundenspezifische Datenbanklösungen basierend auf dem [X.] (2000/2005) vorwiegend für industrielle Prozessanwendungen (z. B. Betriebsdatenerfassung, [X.], Leitsysteme etc.).

        

Unsere Kundenschaft gehört zu den im bundesweit und international agierenden Top500-Unternehmen.

        

Für unsere aktuelle Projekte suchen wir zur Unterstützung zwei freiberufliche Mitarbeiter (bei Eignung auch Festanstellung möglich) zwischen 25 und 35 Jahren

        

-       

[X.] Entwickler (m/w)

        

-       

[X.] Datenbankentwickler

        

Ihre Aufgaben:

        

Sie sind zuständig für die Entwicklung von Bedienoberflächenentwicklungen unter VB[X.] sowie die Entwicklung von Datenbankmodellen unter dem [X.] 2000/2005.

        

Wir erwarten von den Bewerbern einen kommunikativen, dynamischen Charakter sowie eine gute Teamfähigkeit.“

3

Der am 27. März 1956 geborene Kläger bewarb sich erfolglos auf eine der Stellen. Nachdem die Beklagte zumindest einen Bewerber aus [X.] zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, sah sie letztlich von einer Einstellung von Mitarbeitern ab.

4

Mit der am 27. Oktober 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 26.400,00 Euro in Anspruch genommen.

5

Er behauptet, die Beklagte habe ihn wegen seines Alters benachteiligt. Dafür spreche der Inhalt der Stellenausschreibung. Für die ausgeschriebenen Stellen sei er objektiv geeignet gewesen.

6

Der Kläger beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.400,00 Euro zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Sie bestreitet, den Kläger wegen dessen Alters benachteiligt zu haben. Dieser habe in der ihr vorgelegten Projekthistorie lediglich sieben Monate Projekterfahrung mit der erforderlichen Software VB[X.] und der Datenbank [X.] 2005 vorweisen können. Andere Bewerber hätten mehr Erfahrung als der Kläger gehabt. Die weiteren vom Kläger nachgewiesenen Kenntnisse und Fähigkeiten seien weder notwendig noch durch die Ausschreibung gefordert gewesen. Dem Kläger fehle daher die objektive Eignung für die ausgeschriebenen Stellen. Auch habe sich der Kläger nicht subjektiv ernsthaft beworben, was sich daraus ergebe, dass bei einer ernsthaften Bewerbung die Bewerbungsunterlagen ausführlicher gewesen und stärker die Vorzüge des [X.] dargelegt worden wären. Auch sei deshalb von einem „[X.]“ auszugehen, weil der Kläger überzogene Vergütungsvorstellungen habe, wie sich aus der Klageforderung mit einem vermeintlich entgangenen Gehalt von 8.800,00 Euro brutto monatlich ergebe. Letztlich sei der Kläger auch aufgrund seines Wohnsitzes für die ausgeschriebene „Stelle“ nicht infrage gekommen.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des [X.] ist begründet. Das [X.] hat die [X.] mit einer nicht tragfähigen Begründung abgewiesen.

A. Das [X.] hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Dem Kläger stehe ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 [X.] nicht zu. Eine unmittelbare Benachteiligung eines nicht zum Zuge gekommenen Stellenbewerbers iSd. § 3 Abs. 1 [X.] setze ua. voraus, dass die ausgeschriebene Stelle tatsächlich besetzt wurde. Eine gegen § 1 [X.] verstoßende Stellenausschreibung bedeute für sich genommen noch keine Benachteiligung. Deshalb könne dahinstehen, ob der Kläger für die Stelle objektiv geeignet gewesen wäre, da er keine schlechtere Behandlung als die übrigen Bewerber erfahren habe, die ebenfalls nicht eingestellt worden seien.

B. Die Revision des [X.] ist zulässig. Insbesondere ist sie ausreichend iSd. § 551 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG begründet.

Die Revisionsbegründung enthält zwar keine Auseinandersetzung mit dem Urteil des [X.]s. Der Kläger durfte allerdings auf die Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde Bezug nehmen (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 [X.]tz 2 ZPO).

Soll eine solche Bezugnahme zur Zulässigkeit der Revision führen, muss zum einen die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den inhaltlichen Anforderungen an eine Revisionsbegründung entsprechen, zum anderen muss diese Bezugnahme innerhalb der Zweimonatsfrist des § 72a Abs. 6 [X.]tz 3 iVm. § 74 Abs. 1 [X.]tz 1 ArbGG bei Gericht eingehen ([X.] 13. Oktober 2009 - 9 [X.] 875/08 - [X.] ArbGG 1979 § 72 Nr. 54).

Die Revisionsbegründung, welche die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde enthält, ist innerhalb der Zweimonatsfrist nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses des Senats an den Kläger eingegangen. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde führt der Kläger unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Senats aus, dass eine ungünstigere Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegen könne, sodass es auf die anschließende Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers nicht mehr ankomme. Dies stellt eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des [X.]s dar.

C. Die Revision des [X.] führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der [X.]che an das [X.] (§ 563 Abs. 1 [X.]tz 1 ZPO). Mit der vom [X.] gegebenen Begründung durfte die Berufung des [X.] nicht zurückgewiesen werden.

I. Zunächst ist das [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruch um einen solchen nach § 15 Abs. 2 [X.] handelt. Ob ein solcher jedoch besteht, konnte der Senat aufgrund der Feststellungen des [X.]s nicht entscheiden.

1. Als Bewerber ist der Kläger nach § 6 Abs. 1 [X.]tz 2 und Abs. 3 [X.] „Beschäftigter“ und fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des [X.]. Unerheblich ist, dass sich die Ausschreibung vorrangig auf eine „freiberufliche Mitarbeit“ bezog und ein Arbeitsverhältnis nur für den Fall der Eignung in Aussicht gestellt wurde (vgl. [X.] 17. Dezember 2009 - 8 [X.] 670/08 - [X.] [X.] § 7 Nr. 2 = EzA [X.] § 15 Nr. 6). § 6 Abs. 1 [X.]tz 1 Nr. 3 [X.] bezieht in die durch das [X.] geschützten Beschäftigungsverhältnisse nämlich auch arbeitnehmerähnliche Personen ein. Außerdem erstreckt § 6 Abs. 3 [X.] die Anwendbarkeit der §§ 7 bis 18 [X.] auch auf Selbständige, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft.

Für den persönlichen Anwendungsbereich nach § 6 Abs. 1 [X.]tz 2 [X.] ist es unerheblich, ob der Bewerber für die in Aussicht genommene Stelle objektiv geeignet ist (vgl. [X.] 13. Oktober 2011 - 8 [X.] 608/10 - EzA [X.] § 15 Nr. 16; 19. August 2010 - 8 [X.] 466/09 - [X.] [X.] § 3 Nr. 5 = EzA [X.] § 15 Nr. 12). Für den Bewerberstatus ist zudem die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung keine Voraussetzung. Vielmehr kann die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit allenfalls den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB begründen (vgl. [X.] 13. Oktober 2011 - 8 [X.] 608/10 - aaO).

2. Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passivlegitimiert. Nach § 6 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.] ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 [X.] „beschäftigt“. Arbeitgeber ist also derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. [X.] 19. August 2010 - 8 [X.] 370/09 - [X.] SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA [X.] § 15 Nr. 11).

3. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 [X.] ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 [X.]. Für die Voraussetzungen des Anspruchs ist auf § 15 Abs. 1 [X.] zurückzugreifen (vgl. [X.] 17. August 2010 - 9 [X.] 839/08 - [X.] [X.] § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21). Entgegen der Meinung des [X.]s scheitert eine unmittelbare Benachteiligung des [X.] nicht allein daran, dass die Beklagte auf die ausgeschriebenen Stellen letztlich niemanden eingestellt hat.

a) Nach § 3 Abs. 1 [X.] liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 [X.] genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine weniger günstige Behandlung erfordert das Zufügen eines Nachteils. Eine bloße Ungleichbehandlung genügt hierfür nicht (vgl. [X.] 25. Februar 2010 - 6 [X.] 911/08 - [X.]E 133, 265 = [X.] [X.] § 3 Nr. 3 = EzA [X.] § 10 Nr. 3). Ob die Zufügung eines Nachteils vorliegt, bestimmt sich objektiv aus der Sicht eines verständigen [X.] (vgl. [X.] 16. Februar 2012 - 6 [X.] 553/10 - EzA [X.] § 3 Nr. 7) und in Relation zur Vergleichsperson.

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] liegt ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung oder Beförderung, bereits dann vor, wenn der Beschäftigte nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung liegt in der Versagung einer Chance (vgl. [X.] 16. Februar 2012 - 8 [X.] 697/10 - mwN, [X.], 667). Wie sich aus § 15 Abs. 2 [X.] ergibt, ist auch dann, wenn der Bewerber selbst bei [X.] nicht eingestellt worden wäre, ein Entschädigungsanspruch nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach begrenzt. Selbst eine später vorgenommene Einstellung oder tatsächliche Beschäftigung eines zuvor benachteiligten Bewerbers beseitigt dessen ungünstigere Behandlung nicht (vgl. [X.] 18. März 2010 - 8 [X.] 1044/08 - [X.] [X.] § 15 Nr. 3 = EzA [X.] § 15 Nr. 7).

Da die ungünstigere Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegt, ist es irrelevant, ob es im Zuge des Auswahlverfahrens später tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers kommt (vgl. [X.]/[X.] 6. Aufl. § 15 [X.] Rn. 20; [X.]/[X.] 2. Aufl. § 15 Rn. 51; [X.]/Müller-Glöge 4. Aufl. 2005 § 611a BGB Rn. 64; [X.] 30. November 2006 - 4 [X.] 727/06 -; [X.] 1. Februar 2002 - 9 [X.] 1451/01 - NZA-RR 2002, 345). Die Auslegung der Norm darf nicht dazu führen, dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, durch geeignete Verfahrensgestaltung, etwa das vorläufige Absehen von einer Stellenbesetzung, die Chancen von Bewerbern wegen ihrer Merkmale nach § 1 [X.] so zu mindern, dass seine Entscheidung praktisch unangreifbar wird (vgl. [X.] 21. September 2006 - 1 BvR 308/03 - [X.]K 9, 218 = [X.] BGB § 611a Nr. 24 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 4 für geschlechtsbezogene Benachteiligungen). Der Bewerber hat Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren (vgl. [X.] 3. April 2007 - 9 [X.] 823/06 - [X.]E 122, 54 = [X.] SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15), der unabhängig von dessen Ausgang besteht (vgl. [X.]/[X.] aaO; [X.]/Müller-Glöge aaO).

b) Nach diesen Grundsätzen liegt eine ungünstigere Behandlung des [X.] vor. Diese besteht darin, dass der Kläger aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden und er anders als mindestens ein anderer Bewerber von der Beklagten nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist. Dem Kläger wurde damit bereits im Vorfeld der eigentlichen Besetzungsentscheidung die Chance auf Einstellung genommen. Dies stellt eine ungünstigere Behandlung dar, unabhängig davon, ob der Kläger bei „passendem“ Alter eingestellt worden wäre (vgl. [X.] 18. März 2010 - 8 [X.] 1044/08 - mwN, [X.] [X.] § 15 Nr. 3 = EzA [X.] § 15 Nr. 7). Unerheblich ist es deshalb, dass sich die Beklagte später entschlossen hat, keinen Bewerber einzustellen. Hierdurch wurde die bereits zuvor erfolgte Benachteiligung des [X.] nicht beseitigt.

II. Der Senat kann in der [X.]che nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Das [X.] hat die Frage der objektiven Eignung des [X.] für die ausgeschriebenen Stellen dahinstehen lassen und hierzu auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Die fehlenden Feststellungen wird das [X.] nachzuholen und bei der Frage der vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 [X.] ua. Folgendes zu beachten haben:

1. Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (vgl. [X.] 13. Oktober 2011 - 8 [X.] 608/10 - EzA [X.] § 15 Nr. 16). Für das Vorliegen einer Benachteiligung ist es erforderlich, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder schon nicht in Betracht gezogen wurde. Könnte auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 [X.] verlangen, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des [X.]. Das [X.] will vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren. Die objektive Eignung ist also keine ungeschriebene Voraussetzung der Bewerbereigenschaft, sondern Kriterium der „vergleichbaren Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 [X.] (vgl. [X.] 19. August 2010 - 8 [X.] 466/09 - [X.] [X.] § 3 Nr. 5 = EzA [X.] § 15 Nr. 12).

2. Grundsätzlich darf der Arbeitgeber über den der Stelle zuzuordnenden Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stellenbewerbers frei entscheiden. Durch das Stellen von Anforderungen an Bewerber, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt gedeckt sind, darf der Arbeitgeber aber die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des [X.] de facto beseitigen ([X.] 22. Juli 2010 - 8 [X.] 1012/08 - [X.] [X.] § 22 Nr. 2 = EzA [X.] § 22 Nr. 2). Deshalb ist für die objektive Eignung nicht (allein) das Anforderungsprofil maßgeblich, welches der Arbeitgeber erstellt hat, sondern die Anforderungen, welche an die jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung gestellt werden (vgl. [X.] 7. April 2011 - 8 [X.] 679/09 - [X.] [X.] § 15 Nr. 6 = EzA [X.] § 15 Nr. 13). Im Übrigen ist die objektive Eignung von der individuellen und persönlichen Qualifikation des Bewerbers zu trennen, die nur als Kriterium der Auswahlentscheidung auf [X.] der Kausalität zwischen Benachteiligung und verbotenem Merkmal eine Rolle spielt (vgl. [X.] 7. April 2011 - 8 [X.] 679/09 - aaO). Bewerber, welche die auf der zu besetzenden Stelle auszuübenden Tätigkeiten grundsätzlich verrichten können, ohne aber jede Voraussetzung des Anforderungsprofils zu erfüllen, bedürfen des Schutzes vor Diskriminierung, weil gerade Anforderungsprofile in Stellenanzeigen häufig Qualifikationen benennen, deren Vorhandensein der Arbeitgeber sich für den Idealfall zwar wünscht, die aber keinesfalls zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung sind (vgl. [X.] 19. August 2010 - 8 [X.] 466/09 - [X.] [X.] § 3 Nr. 5 = EzA [X.] § 15 Nr. 12). Ebenfalls keinen Einfluss auf die Beurteilung der Vergleichbarkeit der Situation kann aus gesetzessystematischen Erwägungen das Vorliegen des verbotenen Merkmals selbst haben ([X.] 18. März 2010 - 8 [X.] 77/09 - [X.] [X.] § 8 Nr. 2 = EzA [X.] § 8 Nr. 2).

3. Unter Berücksichtigung der für den Nachweis der objektiven Eignung geltenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast (vgl. [X.] 22. Juli 2010 - 8 [X.] 1012/08 - [X.] [X.] § 22 Nr. 2 = EzA [X.] § 22 Nr. 2; [X.]/[X.] [X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 49) wird das [X.] unter Beachtung der genannten Maßstäbe zu prüfen haben, ob der Kläger für die ausgeschriebenen Stellen objektiv geeignet war.

4. Sollte das [X.] zu dem Ergebnis gelangen, dass der Kläger für die ausgeschriebenen Stellen objektiv geeignet war und damit nach § 3 Abs. 1 [X.] unmittelbar benachteiligt wurde, wird es weiter zu prüfen haben, ob dies - wie vom Kläger behauptet - wegen seines Alters, dh. wegen eines in § 1 [X.] genannten Grundes erfolgt ist.

a) Eine weniger günstige Behandlung wegen des Alters ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an das Alter anknüpft oder durch sie motiviert ist. Ausreichend ist, dass das Alter Bestandteil eines Motivbündels war, das die Entscheidung beeinflusst hat. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (vgl. [X.] 19. August 2010 - 8 [X.] 530/09 - [X.] [X.] § 15 Nr. 5 = EzA [X.] § 15 Nr. 10).

b) Das [X.] wird zu beachten haben, dass hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal in § 22 [X.] eine Beweislastregelung getroffen ist, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt.

aa) Der Beschäftigte genügt seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 [X.] genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, die aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist ([X.] 27. Januar 2011 - 8 [X.] 580/09 - EzA [X.] § 22 Nr. 3).

bb) Die Verletzung der Verpflichtung, einen Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 [X.] auszuschreiben (§ 11 [X.]), kann die Vermutung begründen, die Benachteiligung sei wegen des in der Ausschreibung bezeichneten Merkmals erfolgt (vgl. [X.] 19. August 2010 - 8 [X.] 530/09 - [X.] [X.] § 15 Nr. 5 = EzA [X.] § 15 Nr. 10).

cc) Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals iSd. § 1 [X.] (hier: des Alters) vermuten lassen, trägt die Beklagte nach § 22 [X.] die Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorgelegen hat. Sie muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung des [X.] nicht (auch) auf dessen Alter beruht hat. Damit muss sie Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der weniger günstigen Behandlung des [X.] geführt haben (vgl. [X.] 19. August 2010 - 8 [X.] 530/09 - [X.] [X.] § 15 Nr. 5 = EzA [X.] § 15 Nr. 10) und in ihrem Motivbündel dessen Alter keine Rolle gespielt hat.

5. Das [X.] wird ggf. weiter zu prüfen haben, ob der Kläger den von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruch rechtzeitig nach § 15 Abs. 4 [X.] schriftlich geltend gemacht und seine Klage innerhalb der Dreimonatsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG erhoben hat.

6. Sollte das Berufungsgericht einen Entschädigungsanspruch des [X.] dem Grunde nach bejahen, so wird es auch zu prüfen haben, ob der Entschädigungsanspruch des [X.] ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) ausgeschlossen ist.

Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 [X.] können unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles dann wegen Verstoßes gegen das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB ausgeschlossen sein, wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgt ist, um Entschädigungsansprüche zu erlangen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sich der Bewerber nicht ernsthaft beworben hat und der Anspruch nach § 15 [X.] sonach ausnahmsweise ausgeschlossen ist, trägt der Arbeitgeber. Er muss dafür Indizien vortragen, die geeignet sind, den Schluss auf die fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen (vgl. [X.] 13. Oktober 2011 - 8 [X.] 608/10 - EzA [X.] § 15 Nr. 16).

7. Sollte sich danach ergeben, dass dem Kläger ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 [X.] zusteht, wird das Berufungsgericht auch über die Höhe der Entschädigung zu befinden haben. Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles. Ferner ist auch der [X.]nktionszweck der Norm zu berücksichtigen, sodass die Höhe auch danach zu bemessen wäre, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben und dass sie in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss (vgl. [X.] 17. Dezember 2009 - 8 [X.] 670/08 - [X.] [X.] § 7 Nr. 2 = EzA [X.] § 15 Nr. 6; 22. Januar 2009 - 8 [X.] 906/07 - mwN, [X.]E 129, 181 = [X.] [X.] § 15 Nr. 1 = EzA [X.] § 15 Nr. 1).

8. Das [X.] wird auch über die Kosten der Revision mitzuentscheiden haben.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Der ehrenamtliche Richter Brückmann ist wegen Ende der Amtszeit an der Unterschriftsleistung verhindert.
Hauck    

        

    Bloesinger    

        

        

Meta

8 AZR 285/11

23.08.2012

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 6. Mai 2010, Az: 54 Ca 19216/09, Urteil

§ 1 AGG, § 3 Abs 1 AGG, § 6 Abs 1 AGG, § 6 Abs 2 AGG, § 7 Abs 1 AGG, § 11 AGG, § 15 Abs 1 AGG, § 15 Abs 2 AGG, § 15 Abs 4 AGG, § 22 AGG, § 242 BGB, § 61b Abs 1 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2012, Az. 8 AZR 285/11 (REWIS RS 2012, 3677)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3677

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