Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.05.2010, Az. V ZB 223/09

5. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 6851

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Gegenstand

Abschiebungshaftverfahren: Rechtswidrigkeit einer Freiheitsentziehung bei unterbliebener Belehrung des Betroffenen nach dem Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien


Leitsatz

Unterbleibt die Belehrung eines Betroffenen nach dem Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien vom 30. Juli 1956 bzw. nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK bei der Inhaftierung, leidet die Anordnung der Freiheitsentziehung an einem Verfahrensmangel, der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt .

Tenor

Dem Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 27. November 2009 Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt [X.] beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Anordnung der Haft des Betroffenen durch den Beschluss des [X.] vom 5. November 2009, soweit sie für einen längeren Zeitraum als bis zum 13. November 2009 erfolgt ist, und die Anordnung der Haft durch den Beschluss des [X.] vom 17. November 2009 insgesamt rechtswidrig waren.

Von den gerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem [X.] trägt der Betroffene 9/14 mit der Maßgabe, dass von der Erhebung von [X.] abzusehen ist. Weitere gerichtliche Kosten werden nicht erhoben. Der [X.] trägt die 5/14 der durch das Verfahren vor dem [X.] und die weiteren dem Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist Staatsangehöriger von [X.]. Er reiste 2002 illegal nach [X.] ein. Ein von ihm bei dem [X.] ([X.]) gestellter Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Der Betroffene wurde unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die [X.] innerhalb eines Monats zu verlassen.

2

Am 30. Oktober 2009 beantragte der Beteiligte zu 2 bei dem [X.], den Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung für den Zeitraum vom 5. bis zum 13. November 2009 in Haft zu nehmen. Das Amtsgericht hat den Betroffenen angehört und dem Antrag dahin stattgegeben, dass es mit [X.]uss vom 5. November 2009 [X.] des Betroffen für die Dauer von längstens zwei Wochen und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet hat. Der Betroffene wurde inhaftiert und in die [X.] verbracht. Seine für den 13. November geplante Abschiebung wurde wegen eines am 12. November 2009 von dem Betroffenen gestellten weiteren Asylantrag nicht vollzogen.

3

Am 17. November 2009 ersuchte der Beteiligte zu 2 das [X.] um Abgabe des Verfahrens an das [X.], weil eine Verlängerung der Haft beantragt werden solle und aufgrund der Inhaftierung des Betroffenen in [X.] das [X.] zuständig geworden sei. Daraufhin beschloss das [X.] am 17. November 2009, die Sache an das [X.] abgegeben.

4

Mit am 17. November 2009 bei dem [X.] eingegangenem Antrag hat der Beteilige zu 2 die Anordnung von [X.] des Betroffenen für die Dauer vom 19. November 2009 bis zum 19. Februar 2010 beantragt. Der Betroffene ist wiederum angehört worden. Mit [X.]uss vom 17. November 2009 hat das [X.] die Haft des Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von längstens drei Monaten beginnend mit dem Ende anderer richterlich angeordneter Haftarten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.

5

Das [X.], zu dessen Bezirk das [X.] gehört, hat die Beschwerde des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft spätestens mit Ablauf des 20. Dezember 2009 ende. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 wurde die Haftanordnung vom 17. November 2009 am 14. Dezember 2009 aufgehoben und der Betroffene aus der Abschiebehaft entlassen.

6

Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der Anordnung seiner Haft für den Zeitraum seit dem 14. November 2009 festzustellen.

II.

7

Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Ein Selbstmordversuch des Betroffenen und die Begründung seines Asylfolgeantrags, sich im Falle der Abschiebung in [X.] umbringen zu wollen, zeigten, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle. Die Haftanordnung sei indessen zu beschränken, weil die Abschiebung für den 15. Dezember 2009 beabsichtigt sei und es an einer schlüssigen Begründung für eine längere Inhaftierung fehle.

III.

8

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, zulässig und begründet.

9

1. Das Rechtsmittel ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen auch dann ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft, wenn sich die Hauptsache durch den Ablauf der für die Haft angeordneten Dauer oder die Entlassung des Betroffenen aus der Haft erledigt hat und mit dem Rechtsmittel allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG festzustellen ([X.]. v. 25. Februar 2010, [X.]/09, juris Rdn. 9 ff.).

2. Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Einer Entscheidung in der Sache steht nicht entgegen, dass die Beschwerde des Betroffenen am Montag, dem 7. Dezember 2009, bei dem [X.] eingegangen und erst am 9. Dezember 2009 von dort an das [X.] weitergegeben worden ist.

a) Die uneingeschränkte Abgabe des Verfahrens hat zur Folge, dass die Sache so anzusehen ist, als wäre das abgegebene Verfahren von Anfang an bei dem annehmenden Gericht anhängig gewesen, an das das Verfahren abgegeben worden ist ([X.] 2009, 239; [X.], [X.]. v. 19. August 2009, 13 W 31/09, juris, Rdn. 20). Folge hiervon ist, dass das für das annehmende Amtsgericht zuständige [X.] auch für das gegen eine Entscheidung des abgebenden Amtsgerichts gerichtete Rechtsmittel zuständig ist ([X.] 1982, 261; 1985, 296; BayObLG FamRZ 2004, 1899; [X.], aaO; [X.], aaO). Damit aber ist die bei dem [X.] am 9. Dezember 2009 eingegangene Beschwerde verspätet, soweit sie gegen den [X.]uss des [X.] vom 5. November 2009 gerichtet ist.

b) Die Beschwerdefrist ist jedoch dadurch gewahrt, dass der Betroffene nicht nur schriftlich durch seinen Verfahrensbevollmächtigten, sondern ausweislich des Protokolls seiner Anhörung durch das [X.] am 17. November 2009 auch selbst Beschwerde gegen seine Inhaftierung eingelegt hat. Die Beschwerde ist nicht nur gegen den unmittelbar zuvor bekannt gegebenen [X.]uss von diesem Tag gerichtet, sondern nach den Einlassungen des Betroffenen im Rahmen seiner Anhörung dahin auszulegen, dass sie gegen die Inhaftierung des Betroffenen im Allgemeinen und damit auch gegen den [X.]uss des [X.] vom 5. November 2009 gerichtet ist.

3. Gegenstand des [X.] sind die Anordnung der Haft des Betroffenen durch den [X.]uss des [X.], soweit sie für einen längeren Zeitraum als bis zum 13. November 2009 erfolgt ist, und die Anordnung der Haft durch das [X.]. Eine solche Antragstellung ist im Fortsetzungsfeststellungsverfahren zulässig, weil in diesem die Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung der Haftanordnung zu prüfen ist (vgl. Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.]/09, juris Rdn. 14).

4. Die Anordnung der Haft des Betroffenen durch das [X.] für den Zeitraum vom 14. bis zum 19. November 2009 ist schon deshalb rechtswidrig, weil es an einem hierher gehenden Antrag des Beteiligten zu 2 fehlt.

Nach § 417 Abs. 1 FamFG darf das Gericht die Freiheitsentziehung nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. Der Antrag muss die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung angeben, § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG. Die Anordnung einer über den Antrag der Behörde hinausgehenden Dauer der Freiheitsentziehung ist unzulässig.

5. Das Verfahren gegenüber dem Betroffenen leidet zudem daran, dass er zu keinem Zeitpunkt über sein Recht belehrt worden ist, die konsularische Vertretung seines Heimatlands von seiner Inhaftierung zu unterrichten.

Dieses Recht ergibt sich entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde zwar nicht aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 2 [X.], weil [X.] dem [X.] über konsularische Beziehungen nicht beigetreten ist. Im Verhältnis zu [X.] gilt jedoch der [X.] zwischen der [X.] [X.] und dem [X.] vom 30. Juli 1956 ([X.] 1957 [X.]) weiter ([X.] zum [X.] B, [X.]). Art. 17 dieses Abkommens entspricht Art. 36 [X.]. Nach Art. 17 Abs. 3 des Abkommens hat jeder Angehörige eines Staates, für den das Abkommen gilt, "das Recht, jederzeit mit dem zuständigen Konsul in Verbindung zu treten", ohne dass eine Pflicht zur Belehrung hierüber ausdrücklich vereinbart ist. Sie ergibt sich jedoch ohne weiteres daraus, dass das Recht auf konsularische Hilfe ohne eine solche Pflicht im Fall der Inhaftierung und damit im wichtigsten Fall des Rechts im Ergebnis leer läuft. [X.] kann nur gewährt werden, wenn der Konsul von der Situation Kenntnis hat, in der sein Tätigwerden von einem Betroffenen möglicherweise gesucht wird.

Die Belehrung ist unerlässlicher Bestandteil eines rechtsstaatlichen fairen Verfahrens (vgl. [X.] NJW 2007, 499, 500). Unterbleibt die Belehrung bei der Inhaftierung, leidet die Anordnung der Freiheitsentziehung an einem grundlegenden Verfahrensmangel, der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt. So verhält sich hier.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2 zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffen zu verpflichten. Von der Erhebung von [X.] ist in [X.] abzusehen (Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.], Rdn. 20, juris).

Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.

Krüger                                          Klein                              [X.]

                 Schmidt-Räntsch                              [X.]

Meta

V ZB 223/09

06.05.2010

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Meiningen, 27. November 2009, Az: 2 T 298/09 (3), Beschluss

§ 415 FamFG, Art 36 Abs 1 Buchst b KonsÜbk Wien, KonsVtr GBR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.05.2010, Az. V ZB 223/09 (REWIS RS 2010, 6851)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6851

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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