Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.07.2023, Az. 4 StR 183/23

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4353

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Gegenstand

Strafverfahren: Einheitliche Einziehungsentscheidung bei mehreren Vorverurteilungen


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. Februar 2023

a) im [X.] gegen den Angeklagten [X.]mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zu treffen ist;

b) im [X.] dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen den Angeklagten [X.] in Höhe von 31.535 €, gegen den Angeklagten [X.]in Höhe von 870 € sowie gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner in Höhe von 160.000 € angeordnet wird; die Aufrechterhaltung der [X.] aus dem Urteil des [X.] vom 1. Juni 2021, dem Strafbefehl des [X.] vom 4. Januar 2021 und dem Urteil des [X.] vom 3. November 2020 entfällt.

2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

3. Der Beschwerdeführer [X.]hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mehreren Fällen – jeweils unter Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB – zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und elf Monaten (Angeklagter P.    S.   ) sowie von vier Jahren und drei Monaten (Angeklagter [X.]) verurteilt. Zudem hat es den Wert der durch die abgeurteilten Taten erlangten Erträge eingezogen und die [X.] aus den gesamtstrafenfähigen Vorverurteilungen aufrechterhalten. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen die aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolge; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die [X.] hat bei beiden Angeklagten die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft vorgenommen.

3

a) Bei dem Angeklagten [X.]hat das [X.] übersehen, dass der einbezogenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten aus dem Urteil des [X.] vom 1. Juni 2021 eine Straftat zugrunde liegt, die der Angeklagte vor dem Erlass der „noch nicht vollständig gezahlten“ Geldstrafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 2. April 2020 beging. Die [X.] der verfahrensgegenständlichen Delikte liegen zwischen beiden früheren Verurteilungen des Angeklagten. Damit scheidet eine Gesamtstrafenbildung der im vorliegenden Verfahren festgesetzten Einzelstrafen mit der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 1. Juni 2021 aus. Denn dieser Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem noch nicht erledigten früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Vielmehr ist der früheren Vorverurteilung eine Zäsurwirkung beizumessen (vgl. [X.], Beschluss vom 27. September 2022 – 4 StR 321/22 Rn. 3 mwN; Beschluss vom 1. April 2020 – 1 [X.] Rn. 4; Beschluss vom 18. Dezember 2013 – 4 [X.] Rn. 5).

4

Der [X.] gegen den Angeklagten [X.]hat aber dennoch Bestand. Denn der Angeklagte hat durch die rechtsfehlerhafte Gesamtstrafenbildung einen Rechtsvorteil erlangt, der ihm auf seine Revision hin nicht genommen werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 15. März 2016 – 2 StR 487/15 Rn. 4; Beschluss vom 7. April 2006 – 2 [X.] Rn. 4). Ohne den Rechtsfehler bestünden gegen ihn zwei ([X.], wodurch der Angeklagte schlechter gestellt wäre. Auch dass nach den Urteilsgründen womöglich die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der zu Unrecht einbezogenen Freiheitsstrafe gemäß § 36 BtMG in Betracht gekommen wäre, kann hier keine Beschwer begründen. Denn jedenfalls der verbüßte Teil dieser Strafe von mindestens drei Monaten (vgl. dazu § 35 Abs. 1, 3 BtMG) ist auf die vom [X.] gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten anzurechnen (§ 51 Abs. 2 StGB). Dass es deren Höhe bei Vermeidung des Rechtsfehlers niedriger als vier Jahre bemessen hätte, schließt der [X.] schon mit Blick auf die [X.] von drei Jahren und sechs Monaten aus.

5

b) Bei dem Angeklagten [X.]hat das [X.] zwar die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 3. November 2020, das eine im Jahr 2018 begangene Straftat betrifft, zutreffend gemäß § 55 Abs. 1 StGB in die Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen. Die (weitere) Gesamtstrafenfähigkeit der mit Urteil des [X.] vom 8. Juli 2020 verhängten Geldstrafe von 50 Tagessätzen, das ebenfalls nach den verfahrensgegenständlichen Taten ergangen ist, hat die [X.] aber mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint.

6

Insoweit genügt die von ihr allein herangezogene vollständige Zahlung der Geldstrafe nicht, um deren Gesamtstrafenfähigkeit zu verneinen. Für die [X.] ist vielmehr maßgeblich, welchen Vollstreckungsstand die Geldstrafe zu dem [X.]punkt hatte, als das Urteil des [X.] vom 3. November 2020 erging. Dies ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Sollte die Geldstrafe zur damaligen [X.] noch nicht erledigt gewesen sein, sind die Strafen aus beiden Verurteilungen untereinander und in der Folge auch mit den hiesigen Einzelstrafen gesamtstrafenfähig. Eine spätere Erledigung der Geldstrafe ist hingegen – wie im Rahmen von § 460 StPO – unerheblich (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 1. April 2020 – 1 [X.] Rn. 6 mwN; Beschluss vom 27. Februar 2020 – 4 StR 1/20 Rn. 2).

7

Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung der gegen den Angeklagten [X.]verhängten Gesamtstrafe, wobei die zugehörigen Feststellungen bestehen bleiben können. Der [X.] kann eine Beschwer des Angeklagten nicht ausschließen. Denn bei einer Einbeziehung (auch) der Geldstrafe wären diesem die vollstreckten Tagessätze gemäß § 51 Abs. 2, 4 Satz 1 StGB auf die verhängte Strafe anzurechnen, was ihn im Ergebnis besserstellen könnte. Der [X.] macht von § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch und verweist die Sache zur Bildung der Gesamtstrafe, in die jedenfalls erneut die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 3. November 2020 eingehen wird, in das Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO zurück.

8

2. Darüber hinaus können die [X.] nicht bestehen bleiben, soweit die [X.] nach § 55 Abs. 2 StGB die in den rechtskräftigen Vorverurteilungen enthaltenen [X.] aufrechterhalten hat.

9

a) Sofern in einem gesamtstrafenfähigen Urteil – wie hier – der Wert von Taterträgen eingezogen wurde und auch im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen des § 73c Satz 1 StGB gegeben sind, ist nach der Rechtsprechung des [X.] eine einheitliche Einziehungsentscheidung zu treffen (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Februar 2022 – 6 StR 597/21 Rn. 8; Beschluss vom 9. Februar 2021 – 6 [X.] Rn. 2; Beschluss vom 1. August 2019 – 4 [X.] Rn. 18). Der [X.] holt dies – wie vom [X.] beantragt – jeweils entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nach. Dazu ist der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen bei dem Angeklagten [X.]um 3.535 €, bei dem Angeklagten [X.]um 870 € zu erhöhen; zugleich entfällt die Aufrechterhaltung der früheren [X.]. Dem steht bei dem Angeklagten [X.]nicht entgegen, dass der gegen ihn ergangene [X.] der Aufhebung unterliegt (vgl. auch schon [X.], Beschluss vom 31. August 2022 – 4 [X.]). Denn die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 3. November 2020, in dem die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.535 € angeordnet war, hat notwendig in die neu zu bildende Gesamtstrafe einzugehen.

b) Die vom [X.] zudem aufrechterhaltene Anordnung in dem Strafbefehl des [X.] vom 4. Januar 2021, den Pkw [X.] des Angeklagten [X.]einzuziehen, ist bereits erledigt. Denn mit ihrer Rechtskraft ist das Eigentum an dem als Tatmittel eingezogenen Gegenstand gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 StGB auf den Staat übergegangen (vgl. nur [X.], Beschluss vom 9. Februar 2023 – 2 [X.] Rn. 2; Beschluss vom 22. November 2022 – 5 [X.]). Ihre Aufrechterhaltung hat daher ebenfalls zu entfallen.

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrügen der Angeklagten keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

[X.]     

  

      Maatsch     

  

Scheuß

  

Ri‘in[X.] Dr. Dietsch ist im
Urlaub und deshalb gehindert zu
unterschreiben.

  

Marks     

  

  

[X.]

  

  

  

Meta

4 StR 183/23

05.07.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 3. Februar 2023, Az: 2 KLs 10/22

§ 55 StGB, § 73c Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.07.2023, Az. 4 StR 183/23 (REWIS RS 2023, 4353)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4353

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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