Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.04.2020, Az. 1 StR 615/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1738

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Gegenstand

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung: Abzuurteilende Taten wurden zwischen zwei Vorverurteilungen begangen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. August 2019 im [X.] sowie im Ausspruch über die Anrechnung erbrachter Arbeitsleistungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen versuchter Sachbeschädigung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des [X.]vom 23. August 2017 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Darüber hinaus hat das [X.] Arbeitsleistungen, durch die der Angeklagte eine Auflage für die Aussetzung der Vollstreckung der einbezogenen achtmonatigen Freiheitsstrafe erfüllt hatte, mit zwei Wochen auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet. Zudem hat es sichergestelltes Bargeld eingezogen.

2

Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

3

Der [X.] des angefochtenen Urteils kann keinen Bestand haben, weil die [X.] dem Urteil des [X.]vom 23. August 2017 zu Unrecht Zäsurwirkung beigemessen hat.

4

1. Wurden die neu abzuurteilenden Taten zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Dies gilt nach der Rechtsprechung des [X.] unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 17. November 2015 ‒ 4 StR 276/15 Rn. 5; Urteil vom 12. August 1998 ‒ 3 StR 537/97, [X.]St 44, 179, 180 f.) oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Februar 2020 - 4 [X.]/19 Rn. 3 mwN). Eine gegebene Gesamtstrafenlage wird auch nicht dadurch beseitigt, dass nach § 55 Abs. 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen worden ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. Dezember 2013 - 4 [X.] Rn. 5 mwN und vom 15. September 2010 - 5 [X.] Rn. 1).

5

2. Nach diesen Grundsätzen hätte die [X.] bereits dem früheren Urteil des [X.]vom 27. Juni 2016, mit dem der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt wurde, Zäsurwirkung beimessen und aus allen von ihr selbst verhängten Strafen eine Gesamtstrafe bilden müssen. Denn die mit dem späteren Urteil des [X.]vom 23. August 2017 geahndete Tat hatte der Angeklagte noch vor der früheren Entscheidung begangen. Die beiden Vorverurteilungen sind daher untereinander gesamtstrafenfähig. Davon ging zutreffend auch der nachträgliche Gesamtstrafenbeschluss vom 15. März 2018 aus, mit welchem das Amtsgericht die Geldstrafe aus dem Urteil des [X.]vom 27. Juni 2016 gemäß § 55 Abs. 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert bestehen ließ.

6

Die Gesamtstrafenbildung in dem angefochtenen Urteil erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil die Geldstrafe „mittlerweile ohnehin vollständig vollstreckt“ ([X.]) ist. Für die Gesamtstrafenfähigkeit zwischen den Vorverurteilungen ist jedenfalls in der hier gegebenen Fallkonstellation der Vollstreckungsstand der Geldstrafe zum Zeitpunkt des (zweiten) Urteils vom 23. August 2017 maßgebend. Damals war sie noch nicht vollständig vollstreckt (vgl. [X.]). Ihre spätere Erledigung ist für die gesamtstrafenrechtliche Beurteilung ohne Belang (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. Dezember 2013 - 4 [X.] Rn. 6 mwN und vom 15. September 2010 - 5 [X.] Rn. 1; vgl. auch [X.], Urteil vom 17. Mai 2017 - 2 StR 342/16 Rn. 21 f.; Beschluss vom 26. Juni 2013 - 3 StR 161/13 Rn. 2 f., [X.]R StPO § 460 Anwendung 1).

7

3. Durch die fehlerhafte Verhängung von zwei ([X.] unter Einbeziehung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von acht Monaten aus dem Urteil des [X.]vom 23. August 2017 ist der Angeklagte beschwert (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 29. Mai 2019 - 2 [X.] Rn. 5 und vom 18. Dezember 2013 - 4 [X.] Rn. 7). Der [X.] hebt daher - wobei die Feststellungen unberührt bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) - den [X.] auf. Zugleich ist wegen des selbständigen [X.] der fehlerhaft einbezogenen Bewährungsstrafe die auf § 58 Abs. 2 Satz 2, § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB gestützte Anrechnungsentscheidung aufzuheben (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Mai 2019 - 2 [X.] Rn. 6 [zu § 55 Abs. 2 StGB]). Eine solche Anrechnung wird ggf. das mit einem Widerruf der Strafaussetzung befasste Gericht gemäß § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen haben.

8

4. Der [X.], der von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO keinen Gebrauch macht, weist für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin: Die aus den rechtskräftigen Einzelstrafen zu bildende neue Gesamtstrafe darf wegen des Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nur so hoch bemessen werden, dass sie zusammen mit der bestehenbleibenden Strafe von acht Monaten aus dem Urteil des [X.]vom 23. August 2017 die Summe aus der im angefochtenen Urteil verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung nicht übersteigt (vgl. hierzu [X.], Beschlüsse vom 8. Oktober 2019 - 1 StR 563/18 Rn. 4 und vom 18. Dezember 2013 - 4 [X.] Rn. 8, jeweils mwN). Das neue Tatgericht kann weitere Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

Raum     

        

Bellay     

        

Bär     

        

Leplow     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 615/19

01.04.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Waldshut-Tiengen, 8. August 2019, Az: 14 Js 5778/19 - 1 KLs

§ 55 Abs 1 StGB, § 460 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.04.2020, Az. 1 StR 615/19 (REWIS RS 2020, 1738)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1738

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