Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2012, Az. XII ZB 587/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3062

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung: Beschwerdebefugnis der Staatskasse


Leitsatz

1. Die Staatskasse ist gemäß § 127 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO auch dann zur Beschwerde befugt, wenn ihrem Vortrag nach der Antragsteller, dem Verfahrenskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt worden ist, aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Übernahme der Kosten der Verfahrensführung in der Lage ist.

2. Ziel einer solchen Beschwerde kann allerdings nur sein, eine Zahlungsanordnung nach § 120 ZPO zu erreichen, nicht aber die Versagung der Verfahrenskostenhilfe an sich (im Anschluss an BGH Beschlüsse vom 17. November 2009, VIII ZB 44/09, NJW RR 2010, 494 und BGH, 8. Oktober 1992, VII ZB 3/92, BGHZ 119, 372).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten wird der Beschluss des 1. Familiensenats des [X.] in [X.] vom 13. Oktober 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Die Staatskasse wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde im Rahmen einer Verfahrenskostenhilfebewilligung.

2

Das Familiengericht hat dem Antragsteller für das Scheidungsverbundverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seiner Rechtsanwältin gewährt. Hiergegen hat die Bezirksrevisorin sofortige Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, dem Antragsteller Verfahrenskostenhilfe (nur) unter der Auflage einer Einmalzahlung aus seinem Vermögen in Höhe von 932,98 € zu bewilligen, weil er über ein einzusetzendes Vermögen in Form eines Rückkaufswertes aus seiner Lebensversicherung verfüge, mit dem er die angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten bestreiten könne. Das [X.] hat die Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Bezirksrevisorin mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

4

1. Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist die Rechtsbeschwerde statthaft; sie ist auch im Übrigen zulässig.

5

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

6

a) Nach Auffassung des [X.]s kann eine Beschwerde der Staatskasse, die nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 127 Abs. 3 Satz 1 ZPO stattfindet, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind, nach § 127 Abs. 3 Satz 2 ZPO nur darauf gestützt werden, dass der Beteiligte nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten habe. Eine von der Staatskasse mit dem Ziel eingelegte Beschwerde, die Verweigerung von Verfahrenskostenhilfe zu erreichen, sei deshalb nicht statthaft. Es seien nur [X.] zugelassen, die darauf gerichtet seien, dem Antragsteller die Leistung von Zahlungen auf die Kosten der Verfahrensführung aufzuerlegen.

7

Der Antragsteller wäre allerdings mit dem Rückkaufswert aus seiner Lebensversicherung unter Beachtung des Schonvermögens in der Lage, die gesamten Kosten des Verfahrens (hier 932,98 €) zu bestreiten, worauf auch letztlich der Antrag der Staatskasse abziele. Bei dieser Konstellation wäre aber dem Antragsteller von Anfang an keine Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen gewesen. Soweit nämlich die Einmalzahlung die Höhe der Verfahrenskosten erreiche, seien die Voraussetzungen für eine Bewilligung nicht gegeben. Es fehle insoweit an der Voraussetzung des § 114 ZPO, dass der Beteiligte die Kosten nur zum Teil (oder in Raten) aufbringen könne. Bereits aus diesem Grund könne die Staatskasse ihre Beschwerde nicht wirksam darauf stützen, dass das Amtsgericht eine Einmalzahlung hätte anordnen müssen. Auch wenn die Beschwerde nicht ausdrücklich die Zurückweisung des Verfahrenskostenhilfegesuchs verfolge, liege jedoch in der Anordnung der Einmalzahlung in Höhe der entstandenen Verfahrenskosten wirtschaftlich gesehen eine Verweigerung, da lediglich pro forma der Bewilligungsbeschluss insoweit aufrecht erhalten bleibe. Darüber hinaus würde mit dieser Argumentation das eingeschränkte Beschwerderecht der Staatskasse unzulässigerweise ausgedehnt. Eine andere Konstellation wäre allenfalls für Fälle denkbar, in denen die Verwertung des vorhandenen Vermögens nicht zeitnah erfolgen könne und deshalb der zu zahlende Betrag unter Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zunächst gestundet werde. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, da eine zeitnahe Verwertung der Lebensversicherung im Regelfall möglich sei.

8

b) Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

9

aa) Nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse gegen die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die [X.] nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten hat.

Dementsprechend ist das Beschwerderecht der Staatskasse auf den Fall beschränkt, dass Verfahrenskostenhilfe zwar bewilligt, rechtsfehlerhaft jedoch weder eine Ratenzahlung aus dem Einkommen noch eine Zahlung aus dem Vermögen angeordnet worden sind. Dieses Beschwerderecht soll nach der Intention des Gesetzgebers dem Interesse der [X.] dienen (vgl. BT-Drucks. 10/6400 S. 48); es soll die zunächst zu Unrecht unterbliebene Anordnung von Zahlungen nach § 120 ZPO erreicht werden können. Dementsprechend ist der Staatskasse auch nur in diesem beschränkten Umfang ein Beschwerderecht zugebilligt worden, nämlich nur zu einer dahingehenden Kontrolle von Bewilligungsentscheidungen, in denen Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt worden ist ([X.] Beschluss vom 17. November 2009 - [X.] 44/09 - NJW-RR 2010, 494 Rn. 3 mwN). Eine von der Staatskasse mit dem Ziel eingelegte Beschwerde, die Verweigerung von Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe zu erreichen, ist deshalb nicht statthaft ([X.] Beschlüsse vom 17. November 2009 - [X.] 44/09 - NJW-RR 2010, 494 Rn. 4 und [X.]Z 119, 372, 374 f.).

bb) Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht die Beschwerde der Staatskasse nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO sind vielmehr erfüllt.

Das Amtsgericht hatte dem Antragsteller ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Hiergegen hat die Staatskasse Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, eine Zahlung aus dem Vermögen des Antragstellers anzuordnen.

(1) Dass die Bezirksrevisorin dabei zunächst beantragt hat, die zu zahlende Summe auf den Betrag festzusetzen, der den angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten entspricht, steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Unzulässig wäre dagegen ein Antrag, die bewilligte Verfahrenskostenhilfe aufzuheben.

Entgegen der Auffassung des [X.] steht das Begehren der Staatskasse nicht einer Aufhebung der Verfahrenskostenhilfe gleich. Auch wenn der zunächst von der Staatskasse bezifferte Betrag nach den Feststellungen des [X.] den Kosten der Verfahrensführung entspricht, bliebe selbst bei einer Zahlungsanordnung in der beantragten Höhe die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe bestehen. Es handelt sich entgegen der Auffassung des [X.] auch nicht nur um eine "pro forma"-Aufrechterhaltung des Bewilligungsbeschlusses. Denn die Zahlungsanordnung lässt die in § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 122 ZPO geregelten Wirkungen der Verfahrenskostenhilfe unberührt.

(2) Folgte man der Auffassung des [X.], gelangte man zu Ergebnissen, die mit Sinn und Zweck des § 127 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO nicht in Einklang zu bringen wären. So könnte die Staatskasse zwar in den Fällen, in denen der Antragsteller tatsächlich (nur) einen Teil der Verfahrenskosten tragen kann, im Beschwerdewege eine Zahlungsanordnung erreichen, in Fällen, in denen seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sogar die gesamte Übernahme der Kosten zuließen, aber nicht.

c) [X.] ist nicht entscheidungsreif, weil das Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig verworfen und deshalb keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob gemäß § 120 ZPO Zahlungen festzusetzen sind. Damit ist der Senat an einer abschließenden Entscheidung gehindert. [X.] ist gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen, wobei das Beschwerdegericht die in den Senatsbeschlüssen vom 9. Juni 2010 ([X.]/08 - FamRZ 2010, 1643 und  [X.]/08 - [X.], 1028) aufgestellten Grundsätze zu beachten haben wird.

[X.]                                              Weber-Monecke                                      Schilling

                               Nedden-Boeger                                                  Botur

Meta

XII ZB 587/11

19.09.2012

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 13. Oktober 2011, Az: 1 WF 493/11

§ 120 ZPO, § 127 Abs 3 S 1 ZPO, § 127 Abs 3 S 2 ZPO, § 113 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2012, Az. XII ZB 587/11 (REWIS RS 2012, 3062)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3062

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 587/11 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 664/10 (Bundesgerichtshof)

Prozesskostenhilfebewilligung: Beschwerdebefugnis der Staatskasse


XII ZB 664/10 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 119/19 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Staatskasse als Insolvenzgläubigerin für bereits bei Insolvenzeröffnung angefallene Gerichtskosten; Geltendmachung solcher Insolvenzforderungen im Wege …


XII ZB 282/12 (Bundesgerichtshof)

Prozesskostenhilfeverfahren: Beschwerderecht der Staatskasse gegen die Ablehnung einer Änderung der zuvor ratenfrei bewilligten Prozesskostenhilfe durch …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.