Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.07.2011, Az. 1 BvR 1468/11

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 4762

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung <§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG> bei unterlassener Anhörungsrüge - Erhebung der Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren auch dann erforderlich, wenn eine Gehörsverletzung nicht ausdrücklich, sondern lediglich der Sache nach gerügt wird


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Sie ist unzulässig, weil die Beschwerdeführerin den Rechtsweg nicht erschöpft hat.

2

1. Wird mit der Verfassungsbeschwerde ein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so zählt die Anhörungsrüge an das Fachgericht zum Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] im Regelfall abhängig ist (vgl. [X.] 122, 190 <198>). Die Beschwerdeführerin rügt der Sache nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, hat aber keine Anhörungsrüge erhoben.

3

In ihrer Verfassungsbeschwerde benennt die Beschwerdeführerin unter Angabe des jeweiligen Artikels des Grundgesetzes eine Reihe von Grundrechten, in denen sie sich verletzt sieht. Den grundrechtsgleichen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG nennt sie in diesem Zusammenhang zwar nicht, sondern macht sogar ausdrücklich geltend, einer Anhörungsrüge nach § 321a ZPO habe es vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht bedurft, weil sie sich nur gegen eine Verletzung anderer Rechte wende. Entscheidend ist aber nicht, welches Grundrecht ein Beschwerdeführer benennt, sondern welches er objektiv der Sache nach rügt (vgl. Desens, NJW 2006, S. 1243 <1246>; Heinrichsmeier, [X.], [X.] <229>). [X.] er der Sache nach eine Verletzung rechtlichen Gehörs, so bedarf es zur Erschöpfung des Rechtswegs der Erhebung der Anhörungsrüge vor dem zuständigen Fachgericht (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 30. Mai 2008 - 1 BvR 27/08 -, juris, Rn. 12). So liegt es hier.

4

Der Gegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens bestimmt sich, ausgehend von der subjektiven Beschwer des Beschwerdeführers, nach der behaupteten Verletzung eines der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG genannten Rechte (vgl. [X.] 96, 251 <257>; 126, 1 <17>). Nach § 92 [X.] hat ein Beschwerdeführer in der Begründung seiner Verfassungsbeschwerde das Recht, das verletzt sein soll, zu bezeichnen. Aber auch wenn ein Beschwerdeführer bestimmte konkret benannte und anhand des einschlägigen Grundgesetzartikels bezeichnete Grundrechte als verletzt rügt, kann seinem Vorbringen die Rüge der Verletzung eines weiteren oder anderen, nicht ausdrücklich benannten Grundrechts zu entnehmen sein (vgl. [X.] 79, 174 <201>; 84, 366 <369>; 85, 214 <217>). Allerdings ist zu beachten, dass dem Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren eine Dispositionsfreiheit zukommt, aufgrund derer es ihm freisteht, die von ihm erhobene Verfassungsbeschwerde auf die Rüge bestimmter Grundrechtsverletzungen zu beschränken (vgl. [X.] 126, 1 <17 f.>).

5

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin aber nicht auf die Rüge einer Gehörsverletzung verzichtet; vielmehr rügt sie mit ihrem tatsächlichen Vorbringen und ihren rechtlichen Erwägungen der Sache nach zweifelsfrei eine Verletzung von [ref=[X.]]Art. 103 Abs. 1 [X.]]. Dabei orientiert sie sich erkennbar an den vom [X.] spezifisch zu diesem grundrechtsgleichen Recht entwickelten Maßstäben. Sie macht geltend, das [X.] habe erhebliche Beweisangebote aus Gründen nicht berücksichtigt, die im Prozessrecht keine Stütze fänden (vgl. dazu [X.] 69, 141 <144>). Ein Beweisangebot habe es "ignoriert", ohne es "überhaupt nur zu erwägen" (vgl. dazu [X.] 11, 218 <220>). Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihre Ausführungen auf das bei Art. 3 Abs. 1 GG verortete Willkürverbot bezieht, ändert nichts daran, dass es sich bei ihren Darlegungen der Sache nach um eine Rüge einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG handelt.

6

2. Aber auch wenn man davon ausginge, dass die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG rügte, hätte sie zunächst eine Anhörungsrüge erheben müssen. Denn selbst wenn die von ihr angenommene Grundrechtsverletzung sich auch als Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG oder anderer Grundrechte beschreiben ließe, läge zugleich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG vor, so dass die Erhebung einer Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren Abhilfe hätte schaffen können und die Beschwerdeführerin diese Möglichkeit wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch hätte nutzen müssen (vgl. auch [X.]K 14, 95 <98>).

7

3. Dass die Beschwerdeführerin den statthaften Rechtsbehelf der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO nicht erhoben hat, hat zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die behauptete Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus [ref=6bf7f7f9-4756-4864-bafc-931a3274f96d]Art. 103 Abs. 1 [X.]], sondern insgesamt unzulässig ist (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, NJW 2005, S. 3059 f.).

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1468/11

14.07.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend KG Berlin, 12. Mai 2011, Az: 24 W 35/11, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 321a ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.07.2011, Az. 1 BvR 1468/11 (REWIS RS 2011, 4762)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4762

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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