Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2016, Az. XII ZB 203/15

12. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 7521

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung einer Beschwerdebegründungsfrist in einer Familiensache: Anforderungen an die Weiterleitung der beim unzuständigen Gericht eingereichten Rechtsmittelbegründungsschrift


Leitsatz

Zu den Anforderungen an die Weiterleitung einer beim unzuständigen Gericht eingereichten Rechtsmittelbegründungsschrift.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Familiensenats des [X.] vom 4. Mai 2015 wird auf Kosten der Antragsgegnerin verworfen.

Wert: 27.570 €

Gründe

I.

1

Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute. Sie streiten um einen Vermögensausgleich nach Veräußerung des ehemaligen Familienhausgrundstücks.

2

Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin mit seinem später berichtigten Beschluss verpflichtet, an den Antragsteller 27.569,58 € nebst Zinsen zu zahlen. Der Beschluss ist den [X.]n der Antragsgegnerin am 24. November 2014 zugestellt worden. Die neue [X.] der Antragsgegnerin hat gegen den Beschluss mit am 23. Dezember 2014 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und zugleich "Prozesskostenhilfe" beantragt. Einen weiteren, die Beschwerdebegründung enthaltenden Schriftsatz hat die [X.] am 20. Januar 2015 per Fax an das Amtsgericht gesandt. Der Schriftsatz ist vom Amtsgericht an das [X.] weitergeleitet worden, bei diesem aber erst nach Ablauf der [X.] (26. Januar 2015) eingegangen.

3

Das [X.] hat die Beschwerde als unzulässig verworfen und das von der Antragsgegnerin gestellte Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG in Verbindung mit §§ 113 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 5 FamFG und §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] nicht.

5

1. Das [X.] hat die Verwerfung der Beschwerde damit begründet, dass die Beschwerdebegründungsschrift erst nach dem 26. Januar 2015, einem Montag, bei ihm eingegangen sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei der Antragsgegnerin nicht zu gewähren, weil die Fristversäumung auf dem ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer [X.]n beruhe, die die [X.] beim unzuständigen Gericht eingereicht habe. Für das Amtsgericht habe auch nicht ausreichend Zeit bestanden, die Beschwerdebegründung im ordentlichen Geschäftsgang innerhalb der Begründungsfrist an das [X.] weiterzuleiten.

6

2. Diese Ausführungen bewegen sich im Rahmen der Rechtsprechung des [X.] und lassen keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO erkennen.

7

a) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die [X.] auch im Hinblick auf den Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts vom 22. Dezember 2014 versäumt worden ist. Denn die Berichtigung eines Beschlusses wegen offenbarer Unrichtigkeit hat grundsätzlich keinen Einfluss auf Beginn und Lauf von [X.] (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juni 2000 - [X.] 157/99 - [X.], 1499 mwN). Etwas anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn etwa die berichtigte Fassung die Beschwer des Rechtsmittelführers erst hinreichend erkennen lässt (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 1994 - [X.] - FamRZ 1995, 155, 156 mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor. Für die Antragsgegnerin war vielmehr schon anhand der Begründung des Ausgangsbeschlusses unschwer zu erkennen, dass der vom Amtsgericht dem Antragsteller zugesprochene Betrag bei bekannten Ausgangsgrößen der Hauptforderung und der begründeten Gegenforderung, die die Antragsgegnerin zur Aufrechnung gestellt hat, offensichtlich fehlerhaft ermittelt worden ist und der letztlich eingesetzte Betrag der richtige ist. Die Rechtsbeschwerde hat diesbezüglich auch keine Rüge erhoben.

8

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wird die Kausalität des [X.] nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Antragsgegnerin aufgrund verzögerter Vorlage der Beschwerdeschrift bis zum Ablauf der [X.] noch keine Eingangsbestätigung des [X.]s und kein Aktenzeichen mitgeteilt worden waren. Denn die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage der Beschwerde (§ 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FamFG) dient zwar der Beschleunigung des Verfahrens, kann und soll den Rechtsanwalt aber nicht von der eigenständigen Prüfung des richtigen Adressaten der Beschwerdebegründung und des Ablaufs der [X.] entlasten.

9

c) Etwas anderes gilt auch nicht wegen nicht rechtzeitiger Weiterleitung der Beschwerdebegründung an das [X.] oder weil das [X.] vor seiner Entscheidung das mit der Rechtsbeschwerdeschrift verbundene Verfahrenskostenhilfegesuch der Antragsgegnerin nicht beschieden hat.

aa) Der Antragsgegnerin konnte wegen des von ihr gestellten Verfahrenskostenhilfegesuchs unabhängig von der Frage, ob sie sich für bedürftig halten durfte, keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden. Denn selbst bei bestehender Bedürftigkeit wäre eine solche für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden. Die Rechtsanwältin der Antragsgegnerin hat die Beschwerde nämlich auch ohne Verfahrenskostenhilfebewilligung vorbehaltlos eingelegt und begründet (vgl. [X.] Beschluss vom 19. September 2013 - [X.]/12 - NJW 2014, 1307 Rn. 7 f. mwN).

bb) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch nicht deshalb zu gewähren, weil die Beschwerdebegründung nicht rechtzeitig weitergeleitet worden wäre.

Geht eine fristgebundene Rechtsmittelbegründung statt beim Rechtsmittelgericht bei dem erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses grundsätzlich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten (Senatsbeschlüsse vom 16. Januar 2014 - [X.] 571/12 - FamRZ 2014, 550 Rn. 14; vom 23. Mai 2012 - [X.] 375/11 - FamRZ 2012, 1205 Rn. 26 und vom 15. Juni 2011 - [X.] 468/10 - FamRZ 2011, 1389 Rn. 12). Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die [X.] darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden der [X.] oder ihrer [X.]n nicht mehr aus, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 - [X.] 375/11 - FamRZ 2012, 1205 Rn. 23 und [X.] Beschluss vom 6. November 2008 - [X.]/06 - [X.], 320 Rn. 7 mwN).

cc) Gemessen daran konnte die Antragsgegnerin nicht erwarten, dass die Beschwerdebegründung noch bis zum 26. Januar 2015 beim [X.] eingehen würde. [X.] verfügte am 21. Januar 2015 die Weiterleitung der am 20. Januar 2015 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerdebegründung an das [X.]. Insoweit unterscheidet sich der Fall von der mit der Rechtsbeschwerde angeführten Entscheidung des [X.] vom 3. Juli 2006 ([X.] - NJW 2006, 3499). In jenem Fall war die Weiterleitung vom Vorsitzenden erst 15 Tage nach Eingang verfügt worden und betrug die in der Entscheidung angenommene übliche Postlaufzeit zwischen Land- und [X.] nur zwei Tage. Das lässt sich auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres übertragen, weil hier die Versendung durch Kurier erfolgt ist. Dass der Schriftsatz nicht binnen der folgenden drei Arbeitstage (22., 23. und 26. Januar 2015) beim [X.] einging und die Kuriersendung erst am 26. Januar 2015 abging, widerspricht nicht dem ordentlichen Geschäftsablauf und begründet daher nicht den Vorwurf eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Denn das Amtsgericht war als unzuständiges Gericht nur gehalten, die ersichtlich in die Empfangszuständigkeit des [X.]s fallende Beschwerdebegründung an dieses weiterzuleiten. Es war hingegen nicht verpflichtet, den Fristablauf zu prüfen und den Schriftsatz sodann als besonders eilig oder etwa per Fax weiterzuleiten. Die Rechtsbeschwerde verkennt schließlich nicht, dass auch keine Verpflichtung des Amtsgerichts bestand, die [X.] der Antragsgegnerin telefonisch über ihren Fehler zu informieren (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Januar 2014 - [X.] 571/12 - FamRZ 2014, 550 Rn. 15 mwN).

Wenn somit der Kurierdienst den Schriftsatz nicht so zeitig zum Rechtsmittelgericht befördert hat, dass dadurch die Frist gewahrt werden konnte, ist dieses Risiko von dem Verfahrensbeteiligten zu tragen, dessen Rechtsanwalt den Schriftsatz an das falsche Gericht adressiert hat (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 - [X.] 61/12 - FamRZ 2013, 436 Rn. 12). Es bleibt daher bei der alleinigen Ursächlichkeit des [X.], so dass das [X.] zu Recht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat.

[X.]                         Nedden-Boeger

              Guhling                                [X.]

Meta

XII ZB 203/15

27.07.2016

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Rostock, 4. Mai 2015, Az: 11 UF 20/15

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 58 FamFG, §§ 58ff FamFG, § 65 FamFG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2016, Az. XII ZB 203/15 (REWIS RS 2016, 7521)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 3668 REWIS RS 2016, 7521

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 203/15 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 375/11 (Bundesgerichtshof)

Familienstreitsache: Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist bei verspäteter Vorlage der mit der Beschwerdeeinlegung verbundenen …


XII ZB 83/13 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Familienstreitsache: Pflicht des Beschwerdegerichts zur Weiterleitung der mit einem …


XII ZB 468/10 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung bei Versäumung der Beschwerdefrist in einer Familienstreitsache: Anforderungen an die Rechtsbehelfsbelehrung; Überprüfung einer unrichtigen …


XII ZB 468/10 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.