Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.12.2013, Az. B 8 SO 36/13 B

8. Senat | REWIS RS 2013, 343

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des rechtlichen Gehörs - unterbliebene Terminsverlegung - ordnungsgemäße Beantragung - Vorliegen eines erheblichen Grundes - Mandatsniederlegung durch den Prozessbevollmächtigten


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 22. November 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die [X.]ewilligung von Sozialhilfe nach dem [X.] im Wege von Überprüfungsverfahren gegen die [X.]escheide vom 7.3.2002 (Sozialhilfe für den Zeitraum vom [X.] bis 5.3.2002), 23.7.2002 (Sozialhilfe für August 2002 in Höhe von 25 % des Regelsatzes der Hilfe zum Lebensunterhalt) und 31.1.2002 (Kosten für eine Zahnbehandlung in Höhe von 51,77 Euro). Diese Überprüfungsanträge vom 3.12.2004 lehnte der [X.]eklagte ab ([X.]escheide vom [X.]; Widerspruchsbescheide vom 24., 25. und 26.11.2009); die beim [X.] erhobenen Klagen blieben ohne Erfolg (Urteile vom [X.]). Das [X.] ([X.]) [X.] hat die drei hiergegen gerichteten [X.]erufungsverfahren miteinander verbunden. Nach Terminsbestimmung auf den 25.10.2012 hat es am 17.10.2012 Prozesskostenhilfe ([X.]) bewilligt und Rechtsanwältin O beigeordnet. Diese beantragte eine Verlegung des Termins auf den 22.11.2012, dem das [X.] nachgekommen ist. Am 16.11.2012 legte die Rechtsanwältin das Mandat mit der [X.]egründung nieder, eine ordnungsgemäße Vorbereitung auf den Termin sei angesichts des Umfangs der übersandten Akten nicht möglich. Am 18.11.2012 teilte der Kläger mit, ohne anwaltliche Vertretung und anwaltliche Kenntnis des entscheidungserheblichen Teils des [X.]s, den er diesem (nach Auffinden eines neuen vertretungsbereiten Rechtsanwalts) noch beibringen müsse, werde er an einem Verhandlungstermin nicht teilnehmen. Am 19.11.2012 beantragte die Rechtsanwältin die Aufhebung ihrer [X.]eiordnung. Mit [X.]eschluss vom 20.11.2012 hob das [X.] die [X.]eiordnung der Rechtsanwältin auf, weil der Kläger durch sein Verhalten das Vertrauensverhältnis zerstört habe. Im Termin erschien für den Kläger niemand. Das [X.] hat die [X.]erufung in der Sache zurückgewiesen (Urteil vom 22.11.2012).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner [X.]eschwerde. Er rügt Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz <[X.]>). Das [X.] habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Grundgesetz, § 62 [X.]) verletzt, weil es dem [X.] nicht nachgekommen sei. Zudem habe das [X.] seine Entscheidung auf einen bislang nicht erörterten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und auch insoweit den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

3

II. [X.] ist zulässig. Sie ist nach Gewährung von [X.] fristgerecht erhoben und genügt hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen der unterbliebenen Terminsverlegung den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]. Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor. Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 [X.] macht der Senat daher von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

4

Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, den an einem gerichtlichen Verfahren [X.]eteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den [X.]eteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen ([X.]-1500 § 160a [X.]). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 Satz 1 [X.]), der [X.]eteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird ([X.]-1500 § 160 [X.]3 S 57). Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines [X.]eteiligten ist dann ohne Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 110 Rd[X.] 11; [X.]VerwG [X.] 310 § 102 VwGO [X.] 19).

5

Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung oder -vertagung vorliegen ([X.], aaO, § 110 Rd[X.] 4b) und diese beantragt wird bzw ein unvertretener [X.]eteiligter wenigstens seinen Willen zum Ausdruck bringt, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen (vgl [X.]SG, Urteil vom 12.2.2003 - [X.] 9 S[X.] 5/02 R -, juris Rd[X.] 11). Ein iS des § 227 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ordnungsgemäß gestellter [X.] mit einem hinreichend substantiiert geltend gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung ([X.]-1750 § 227 [X.] 1 S 2; [X.]SG, Urteil vom [X.] - [X.] 6 [X.]/98 R -, juris Rd[X.] 16, und [X.]SG, Urteil vom 12.2.2003 - [X.] 9 S[X.] 5/02 R -, juris Rd[X.] 11). Die [X.]ehandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der [X.]eteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl hierzu [X.]-1500 § 160 [X.]3 S 58). Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist jedoch, dass der [X.]eteiligte seinerseits alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen ([X.]-1500 § 160 [X.] 22; vgl auch [X.], 205, 210 = [X.] 3-2200 § 667 [X.] 1 S 6).

6

Ein erheblicher Grund zur Verlegung iS des § 227 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 ZPO liegt ua vor, wenn ein Prozessbevollmächtigter kurz vor der mündlichen Verhandlung sein Mandat niederlegt und der [X.]eteiligte einerseits einen neuen [X.]evollmächtigten finden und diesem andererseits eine angemessene Frist zur Durcharbeitung des [X.] und zur Absprache über das einzuschlagende Verfahren mit dem Mandanten bleiben muss (vgl [X.]VerwG [X.] 310 § 108 VwGO [X.] 252); das Gericht ist in solchen Fällen nur dann nicht gehalten, den Termin zu verlegen, wenn den Kläger ein Verschulden an der Niederlegung des Mandats durch den Prozessbevollmächtigten trifft (vgl zuletzt [X.], [X.]eschluss vom 21.7.2011 - [X.]/10 -, [X.] 2011, 1904).

7

Der Kläger hat vorliegend einen solchen Grund gegenüber dem [X.] geltend gemacht und seine mangelnde Vorbereitung mit der kurzfristigen Mandatsniederlegung durch seine Rechtsanwältin entschuldigt. Er benötige nunmehr Zeit, einen neuen Rechtsanwalt zu finden und diesen mit den Sachen vertraut zu machen. Es ist dabei - anders als das [X.] meint - nicht ersichtlich, dass er die Mandatsniederlegung am 16.11.2012 verschuldet hat. Insoweit hat die Rechtsanwältin lediglich vorgebracht, der [X.] sei zu umfangreich, um sich noch zeitgerecht vorzubereiten, wie sie nach Akteneinsicht festgestellt habe. Es wird aus ihrem Schriftsatz dagegen nicht erkennbar, dass das Verhalten des [X.] ihr gegenüber (etwa mangelhafte Kooperation) zu der Mandatsniederlegung geführt hat. Die Gründe, die in der Folge zu der Aufhebung der [X.]eiordnung geführt haben, sind erst im [X.] entstanden. Erst nachdem die Anwältin ihm mitgeteilt hat, das Mandat niederzulegen, hat der Kläger sie mit Schreiben vom 18.11.2012 beschuldigt, ihn nicht sachgerecht zu vertreten. Vor dem Hintergrund dieser Vorwürfe lag zwar ein erheblicher Grund für die Aufhebung der [X.]eiordnung im Wege der [X.] vor (vgl die zwischen den [X.]eteiligten ergangenen [X.]eschlüsse des Senats vom 1.2.2013 - [X.] [X.] 80/12 [X.] - und vom [X.] - [X.] [X.] 81/12 [X.]). Die Notwendigkeit einer erneuten Anwaltssuche vor dem Termin ergab sich aber aus dem vorangegangenen Verhalten der Rechtsanwältin. Schließlich ist für die Frage der Vertagung unerheblich, ob das [X.] eine erneute [X.]eiordnung eines Anwalts für ausgeschlossen hielt. Insoweit wäre dem Kläger Gelegenheit zu geben gewesen, sich auf die neue Prozesssituation einzustellen und zu entscheiden, ob eine [X.]eauftragung eines neuen [X.]evollmächtigten auch ohne die Gewährung von [X.] in [X.]etracht kommt. Die Entscheidung über die Entpflichtung ist dem Kläger aber erst am [X.] bekannt gegeben worden. Offen bleiben kann schließlich, ob das Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs durch die Ermöglichung anwaltlicher Vertretung im Termin in Fällen eingeschränkt ist, in denen die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht so einfach gelagert ist, dass eine anwaltliche Vertretung nicht nur nicht geboten, sondern überhaupt überflüssig erscheint (offen gelassen [X.]VerwG, [X.]eschluss vom [X.] - 5 [X.] 159/91 -, aaO). Es ist nicht erkennbar, dass es in der vorliegenden, durch umfangreichen Streitstoff gekennzeichneten Sache einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht bedurft hätte. Davon ist auch das [X.] nicht ausgegangen; denn es hatte zuvor [X.] bewilligt.

8

Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (vgl nur [X.]-1500 § 160 [X.]3 S 62).

9

Ob der weitere geltend gemachte [X.] vorliegt, kann offen bleiben. Über den Antrag des [X.], ihm unter bestimmten weiteren Voraussetzungen einen anderen [X.]evollmächtigten beizuordnen, braucht schließlich unabhängig davon, ob ein solcher Antrag zulässig ist, nach der Entscheidung des Senats zugunsten des [X.] nicht mehr entschieden zu werden.

Das [X.] wird ggf über die Kosten des [X.]eschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 36/13 B

12.12.2013

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Mannheim, 29. März 2010, Az: S 2 SO 1636/09

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 227 Abs 1 S 2 Nr 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.12.2013, Az. B 8 SO 36/13 B (REWIS RS 2013, 343)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 343

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 11 AL 5/13 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - Verfahrensfehler - Verletzung des rechtlichen Gehörs - erheblicher Grund zur …


B 10 ÜG 25/16 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Amtsermittlungspflicht - Prozessfähigkeit des Klägers - Entbehrlichkeit weiterer …


B 9 SB 33/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Behindertenrecht - Beurteilung des Grads der Behinderung durch das Gericht - kein …


B 8 SO 1/22 BH (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Durchführung …


B 5 R 210/21 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei unterbliebener …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IV B 99/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.